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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die Uberlmrdung

Die Schwachen haben von seinein Unterricht nicht viel profitirt, aber die
gehören ja auch gar nicht aufs Gymnasium, Wir Bessern trugen einen solchen
Vokabelschatz und eine solche Gewandtheit im Übersetzen davon, daß nur in
der Untersekunda gründlich ausruhen konnten, Versetzung nach Obersekuudn
gab es nicht, es war also nicht der geringste Grund vorhanden, uns in den¬
jenigen Fächern anzustrengen, die uns nicht interessirten. Dazu gehörte in
erster Linie das Latein, wie der Ordinarius es betrieb. Der war auch Pe¬
dant, aber von ganz andrer Art ab? der Grieche: ein kleines, schwächliches,
sehr furchtsames, sehr zierliches, Herzeusgutes und sehr kurzsichtiges Männchen.
Von der Zeit her, wo er geschnupft hatte, war sein rechter Daumen noch ein
wenig gelb geblieben, und an dem roch er zuweilen. Er stand gewöhnlich
ans dem linken Beine, das rechte darum geschlagen, vor der ersten Bank, auf
deren Pult er eine Hand stützte; in der andern hielt er den Livius oder
Cicero oder Zumpt. Die Schiller kamen fast genan der alphabetischen Reihe
nach dran, svdas; man seine Schonzeit in aller Seelenruhe mit Romanlesen
oder Unterhaltung zubringen konnte. Auf den letzten Oberseknndanerbänken,
deren Insassen große Seelenverwandtschaft mit den Bürgerschnlgnartanern
zeigten, wurde auch Karte gespielt, gefrühstückt und sogar die Schunpsfiasche
herumgereicht, natürlich nicht aus Neigung zum Schnaps, sondern nur des
Unfugs wegen. Kam man unversehens dran, so wurde einem von dem ersten
Besten, der gerade aufgepaßt hatte, gezeigt, an welcher Stelle der Vorgänger
stehen geblieben war, und mau übersetzte seinen Livius oder oro Uosvw
^mei'iiw ox tcmpor".' herunter, daß es eine Freude war. Hatte der Herr Pro¬
fessor genug, so sagte er: "'s ist just!" und zeichnete in seinen Katalog ein.
Die Zensur, die mau bekam, erkannte man deutlich an der Betonung des
"'s ist just!" Sie zeigte folgende Abstufungen: wohlklingender Flötenton
l"me,iioile>) mit Verbeugung; halbwarm von freundlichem Kopfnicken begleitet;
kalt; scharf, kreischend, Abschen ausdrückend, mit einem abwehrenden Bleistift¬
dolchstich in die Luft.

Ordinarius der Prima war der Direktor sah., der bei aller sonstigen
Verschiedenheit mit dem Bürgerschulrektvr K. daS gemein hatte, daß er,
ohne irgend welche Disziplinarmittel zu brauchen, bloß durch seine Persön¬
lichkeit und seinen Unterricht tiefe und aufrichtige Hochachtung einflößte. Als
erstell Aufsatz forderte er von den Unterprimanern jedesmal eine Selbst¬
biographie, die den innern Entwicklungsgang mit der Aufrichtigkeit einer
Generalbeichte darlegen sollte. Ich habe darin u. a. erzählt, daß ich schon
vor dem zwölften Jahre eine Menge für mein Alter höchst unpassende Romane
verschlungen hätte (nebenbei bemerkt das beste Mittel, um im deutschen Aussatz
"gut" zu bekommen) und habe die Lehrer des Gymnasiums gerade so kritisirt,
wie hier an dieser Stelle. Direktor sah. wirkte vorzugsweise ans zweierlei
hin: ans organische Verknüpfung aller Erkenntnisse (zu welchem Zwecke er u. a.


Die Uberlmrdung

Die Schwachen haben von seinein Unterricht nicht viel profitirt, aber die
gehören ja auch gar nicht aufs Gymnasium, Wir Bessern trugen einen solchen
Vokabelschatz und eine solche Gewandtheit im Übersetzen davon, daß nur in
der Untersekunda gründlich ausruhen konnten, Versetzung nach Obersekuudn
gab es nicht, es war also nicht der geringste Grund vorhanden, uns in den¬
jenigen Fächern anzustrengen, die uns nicht interessirten. Dazu gehörte in
erster Linie das Latein, wie der Ordinarius es betrieb. Der war auch Pe¬
dant, aber von ganz andrer Art ab? der Grieche: ein kleines, schwächliches,
sehr furchtsames, sehr zierliches, Herzeusgutes und sehr kurzsichtiges Männchen.
Von der Zeit her, wo er geschnupft hatte, war sein rechter Daumen noch ein
wenig gelb geblieben, und an dem roch er zuweilen. Er stand gewöhnlich
ans dem linken Beine, das rechte darum geschlagen, vor der ersten Bank, auf
deren Pult er eine Hand stützte; in der andern hielt er den Livius oder
Cicero oder Zumpt. Die Schiller kamen fast genan der alphabetischen Reihe
nach dran, svdas; man seine Schonzeit in aller Seelenruhe mit Romanlesen
oder Unterhaltung zubringen konnte. Auf den letzten Oberseknndanerbänken,
deren Insassen große Seelenverwandtschaft mit den Bürgerschnlgnartanern
zeigten, wurde auch Karte gespielt, gefrühstückt und sogar die Schunpsfiasche
herumgereicht, natürlich nicht aus Neigung zum Schnaps, sondern nur des
Unfugs wegen. Kam man unversehens dran, so wurde einem von dem ersten
Besten, der gerade aufgepaßt hatte, gezeigt, an welcher Stelle der Vorgänger
stehen geblieben war, und mau übersetzte seinen Livius oder oro Uosvw
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fessor genug, so sagte er: „'s ist just!" und zeichnete in seinen Katalog ein.
Die Zensur, die mau bekam, erkannte man deutlich an der Betonung des
„'s ist just!" Sie zeigte folgende Abstufungen: wohlklingender Flötenton
l«me,iioile>) mit Verbeugung; halbwarm von freundlichem Kopfnicken begleitet;
kalt; scharf, kreischend, Abschen ausdrückend, mit einem abwehrenden Bleistift¬
dolchstich in die Luft.

Ordinarius der Prima war der Direktor sah., der bei aller sonstigen
Verschiedenheit mit dem Bürgerschulrektvr K. daS gemein hatte, daß er,
ohne irgend welche Disziplinarmittel zu brauchen, bloß durch seine Persön¬
lichkeit und seinen Unterricht tiefe und aufrichtige Hochachtung einflößte. Als
erstell Aufsatz forderte er von den Unterprimanern jedesmal eine Selbst¬
biographie, die den innern Entwicklungsgang mit der Aufrichtigkeit einer
Generalbeichte darlegen sollte. Ich habe darin u. a. erzählt, daß ich schon
vor dem zwölften Jahre eine Menge für mein Alter höchst unpassende Romane
verschlungen hätte (nebenbei bemerkt das beste Mittel, um im deutschen Aussatz
„gut" zu bekommen) und habe die Lehrer des Gymnasiums gerade so kritisirt,
wie hier an dieser Stelle. Direktor sah. wirkte vorzugsweise ans zweierlei
hin: ans organische Verknüpfung aller Erkenntnisse (zu welchem Zwecke er u. a.


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[0071] Die Uberlmrdung Die Schwachen haben von seinein Unterricht nicht viel profitirt, aber die gehören ja auch gar nicht aufs Gymnasium, Wir Bessern trugen einen solchen Vokabelschatz und eine solche Gewandtheit im Übersetzen davon, daß nur in der Untersekunda gründlich ausruhen konnten, Versetzung nach Obersekuudn gab es nicht, es war also nicht der geringste Grund vorhanden, uns in den¬ jenigen Fächern anzustrengen, die uns nicht interessirten. Dazu gehörte in erster Linie das Latein, wie der Ordinarius es betrieb. Der war auch Pe¬ dant, aber von ganz andrer Art ab? der Grieche: ein kleines, schwächliches, sehr furchtsames, sehr zierliches, Herzeusgutes und sehr kurzsichtiges Männchen. Von der Zeit her, wo er geschnupft hatte, war sein rechter Daumen noch ein wenig gelb geblieben, und an dem roch er zuweilen. Er stand gewöhnlich ans dem linken Beine, das rechte darum geschlagen, vor der ersten Bank, auf deren Pult er eine Hand stützte; in der andern hielt er den Livius oder Cicero oder Zumpt. Die Schiller kamen fast genan der alphabetischen Reihe nach dran, svdas; man seine Schonzeit in aller Seelenruhe mit Romanlesen oder Unterhaltung zubringen konnte. Auf den letzten Oberseknndanerbänken, deren Insassen große Seelenverwandtschaft mit den Bürgerschnlgnartanern zeigten, wurde auch Karte gespielt, gefrühstückt und sogar die Schunpsfiasche herumgereicht, natürlich nicht aus Neigung zum Schnaps, sondern nur des Unfugs wegen. Kam man unversehens dran, so wurde einem von dem ersten Besten, der gerade aufgepaßt hatte, gezeigt, an welcher Stelle der Vorgänger stehen geblieben war, und mau übersetzte seinen Livius oder oro Uosvw ^mei'iiw ox tcmpor«.' herunter, daß es eine Freude war. Hatte der Herr Pro¬ fessor genug, so sagte er: „'s ist just!" und zeichnete in seinen Katalog ein. Die Zensur, die mau bekam, erkannte man deutlich an der Betonung des „'s ist just!" Sie zeigte folgende Abstufungen: wohlklingender Flötenton l«me,iioile>) mit Verbeugung; halbwarm von freundlichem Kopfnicken begleitet; kalt; scharf, kreischend, Abschen ausdrückend, mit einem abwehrenden Bleistift¬ dolchstich in die Luft. Ordinarius der Prima war der Direktor sah., der bei aller sonstigen Verschiedenheit mit dem Bürgerschulrektvr K. daS gemein hatte, daß er, ohne irgend welche Disziplinarmittel zu brauchen, bloß durch seine Persön¬ lichkeit und seinen Unterricht tiefe und aufrichtige Hochachtung einflößte. Als erstell Aufsatz forderte er von den Unterprimanern jedesmal eine Selbst¬ biographie, die den innern Entwicklungsgang mit der Aufrichtigkeit einer Generalbeichte darlegen sollte. Ich habe darin u. a. erzählt, daß ich schon vor dem zwölften Jahre eine Menge für mein Alter höchst unpassende Romane verschlungen hätte (nebenbei bemerkt das beste Mittel, um im deutschen Aussatz „gut" zu bekommen) und habe die Lehrer des Gymnasiums gerade so kritisirt, wie hier an dieser Stelle. Direktor sah. wirkte vorzugsweise ans zweierlei hin: ans organische Verknüpfung aller Erkenntnisse (zu welchem Zwecke er u. a.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/71>, abgerufen am 25.08.2024.