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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die Überbürdung

seinem LZn-W-va-l^pso mit dem Erschnappte" ans, so lange das Hernuirtswandelii
dauerte. Den übrigen Teil der Stunde stand der Herr Korrektor, wenn er
nicht gerade etwas anzuschreiben oder nachzusehen hatte, unbeweglich wie ein
Turm mitten vor seinem Schillerkarree, die Arme übereinandergeschlagen, in
der rechten Hand den zngeklappten ^6I6um<ins (an der betreffenden Seite einen
Finger zwischen die Blätter geklemmt). So oft zwei von uns die Köpfe zu¬
sammensteckten, flog plötzlich der löllmmqnc; dazwischen, jeden mit einer Ecke
treffend, ohne daß die lange Figur (Altlntheranertypus: hager, steif, die
schlichten lange" Haare hinter die Ohren gekämmt, hohe Weiße Halsbinde,
langer grüner Rock) ihre Stellung verändert hätte; auch die Arme blieben in
derselben Lage; mir der Mund bewegte sich und begleitete den Meisterschuß
mit den Worten: "Nicht schwatzen, Knabe!" Natürlich nannten Nur den ehr¬
würdigen Herrn "die Kalhpsv." Geographie und Geschichte wurden von Herrn
H., an dem wir mit großer Liebe hingen, sehr schön vorgetragen und vorge¬
zeichnet. Lehrbücher hatten wir anfänglich gar nicht, die legten wir uns selbst
an. Dn gab es denn oft viel zu schreiben, und nur hielten wohl, um keine
Zeit zu verlieren, einen freiwilligen Arrest ab und arbeiteten von zwölf bis
zwei unser Geschichtspeusum nach den in der Stunde gemachten Notizen aus.
Dem einen oder dem andern brachte des Vaters Lehrjunge einen Topf voll
Essen, das er mit den übrigen teilte. Für Geographie bekamen wir später
den Schacht in die Hand. H. war mich Turnlehrer. Im Turnen war ich,
weil durch beständige Kränklichkeit von körperlichen Übungen zurückgehalten,
sehr ungeschickt, aber die Turnfahrteu, Übnngsmärsche, Exerzierübungen -- bald
uns dieser, bald auf jeuer Wiese -- machten mir große Freude. Gebadet
wurde, um auch dieses zu erwähnen, an jeder beliebigen, nicht allzu nahe an
belebten Straßen gelegnen Stelle der beiden Flüsse, die das Städtlein um¬
armen. In der Recheustunde machte das Wettrechueu viel Bergnügen. Ein
Tischlerssohn blieb immer der schnellste, und nnr mit der größten Anstrengung
gelang es hie und da einem von uns andern, einmal früher mit dem richtigen
Ergebnis herauszuplatzen. Die allgemeine Aufregung des Wettkampfes pflegten
die Loseren für allerhand Unfug auszunutzen, an dem es auch sonst in Herrn
W.s Stunden nicht fehlte. Dafür wurde dieser dann gehörig grob mit seinem
dicken Stock, aber ohne jemals sein heiteres Phlegma zu verlieren. Ein Un¬
glück hat er mit Zuschlagen niemals angerichtet, weil er sich uur die derbsten
Knoten aufsuchte, deren einer desto mehr zu lachen pflegte, je ärger die Hiebe
herniedersausten; um nicht herauszuplatzen, hielt er sich die Nase zu, das
Gesicht wurde von der Anstrengung beim Zurückhalten des Lachens ganz
dunkelrot.

In der Sekunda fing die eigentliche Mathematik an, nachdem wir in der
Quarta und Tertia schon ein wenig darauf vorbereitet worden waren. Beim
Geometrieunterricht beobachtete der Rektor, Dr. K., folgende Methode. Nach-


Grenzbvten I 1891 8
Die Überbürdung

seinem LZn-W-va-l^pso mit dem Erschnappte» ans, so lange das Hernuirtswandelii
dauerte. Den übrigen Teil der Stunde stand der Herr Korrektor, wenn er
nicht gerade etwas anzuschreiben oder nachzusehen hatte, unbeweglich wie ein
Turm mitten vor seinem Schillerkarree, die Arme übereinandergeschlagen, in
der rechten Hand den zngeklappten ^6I6um<ins (an der betreffenden Seite einen
Finger zwischen die Blätter geklemmt). So oft zwei von uns die Köpfe zu¬
sammensteckten, flog plötzlich der löllmmqnc; dazwischen, jeden mit einer Ecke
treffend, ohne daß die lange Figur (Altlntheranertypus: hager, steif, die
schlichten lange» Haare hinter die Ohren gekämmt, hohe Weiße Halsbinde,
langer grüner Rock) ihre Stellung verändert hätte; auch die Arme blieben in
derselben Lage; mir der Mund bewegte sich und begleitete den Meisterschuß
mit den Worten: „Nicht schwatzen, Knabe!" Natürlich nannten Nur den ehr¬
würdigen Herrn „die Kalhpsv." Geographie und Geschichte wurden von Herrn
H., an dem wir mit großer Liebe hingen, sehr schön vorgetragen und vorge¬
zeichnet. Lehrbücher hatten wir anfänglich gar nicht, die legten wir uns selbst
an. Dn gab es denn oft viel zu schreiben, und nur hielten wohl, um keine
Zeit zu verlieren, einen freiwilligen Arrest ab und arbeiteten von zwölf bis
zwei unser Geschichtspeusum nach den in der Stunde gemachten Notizen aus.
Dem einen oder dem andern brachte des Vaters Lehrjunge einen Topf voll
Essen, das er mit den übrigen teilte. Für Geographie bekamen wir später
den Schacht in die Hand. H. war mich Turnlehrer. Im Turnen war ich,
weil durch beständige Kränklichkeit von körperlichen Übungen zurückgehalten,
sehr ungeschickt, aber die Turnfahrteu, Übnngsmärsche, Exerzierübungen — bald
uns dieser, bald auf jeuer Wiese — machten mir große Freude. Gebadet
wurde, um auch dieses zu erwähnen, an jeder beliebigen, nicht allzu nahe an
belebten Straßen gelegnen Stelle der beiden Flüsse, die das Städtlein um¬
armen. In der Recheustunde machte das Wettrechueu viel Bergnügen. Ein
Tischlerssohn blieb immer der schnellste, und nnr mit der größten Anstrengung
gelang es hie und da einem von uns andern, einmal früher mit dem richtigen
Ergebnis herauszuplatzen. Die allgemeine Aufregung des Wettkampfes pflegten
die Loseren für allerhand Unfug auszunutzen, an dem es auch sonst in Herrn
W.s Stunden nicht fehlte. Dafür wurde dieser dann gehörig grob mit seinem
dicken Stock, aber ohne jemals sein heiteres Phlegma zu verlieren. Ein Un¬
glück hat er mit Zuschlagen niemals angerichtet, weil er sich uur die derbsten
Knoten aufsuchte, deren einer desto mehr zu lachen pflegte, je ärger die Hiebe
herniedersausten; um nicht herauszuplatzen, hielt er sich die Nase zu, das
Gesicht wurde von der Anstrengung beim Zurückhalten des Lachens ganz
dunkelrot.

In der Sekunda fing die eigentliche Mathematik an, nachdem wir in der
Quarta und Tertia schon ein wenig darauf vorbereitet worden waren. Beim
Geometrieunterricht beobachtete der Rektor, Dr. K., folgende Methode. Nach-


Grenzbvten I 1891 8
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[0065] Die Überbürdung seinem LZn-W-va-l^pso mit dem Erschnappte» ans, so lange das Hernuirtswandelii dauerte. Den übrigen Teil der Stunde stand der Herr Korrektor, wenn er nicht gerade etwas anzuschreiben oder nachzusehen hatte, unbeweglich wie ein Turm mitten vor seinem Schillerkarree, die Arme übereinandergeschlagen, in der rechten Hand den zngeklappten ^6I6um<ins (an der betreffenden Seite einen Finger zwischen die Blätter geklemmt). So oft zwei von uns die Köpfe zu¬ sammensteckten, flog plötzlich der löllmmqnc; dazwischen, jeden mit einer Ecke treffend, ohne daß die lange Figur (Altlntheranertypus: hager, steif, die schlichten lange» Haare hinter die Ohren gekämmt, hohe Weiße Halsbinde, langer grüner Rock) ihre Stellung verändert hätte; auch die Arme blieben in derselben Lage; mir der Mund bewegte sich und begleitete den Meisterschuß mit den Worten: „Nicht schwatzen, Knabe!" Natürlich nannten Nur den ehr¬ würdigen Herrn „die Kalhpsv." Geographie und Geschichte wurden von Herrn H., an dem wir mit großer Liebe hingen, sehr schön vorgetragen und vorge¬ zeichnet. Lehrbücher hatten wir anfänglich gar nicht, die legten wir uns selbst an. Dn gab es denn oft viel zu schreiben, und nur hielten wohl, um keine Zeit zu verlieren, einen freiwilligen Arrest ab und arbeiteten von zwölf bis zwei unser Geschichtspeusum nach den in der Stunde gemachten Notizen aus. Dem einen oder dem andern brachte des Vaters Lehrjunge einen Topf voll Essen, das er mit den übrigen teilte. Für Geographie bekamen wir später den Schacht in die Hand. H. war mich Turnlehrer. Im Turnen war ich, weil durch beständige Kränklichkeit von körperlichen Übungen zurückgehalten, sehr ungeschickt, aber die Turnfahrteu, Übnngsmärsche, Exerzierübungen — bald uns dieser, bald auf jeuer Wiese — machten mir große Freude. Gebadet wurde, um auch dieses zu erwähnen, an jeder beliebigen, nicht allzu nahe an belebten Straßen gelegnen Stelle der beiden Flüsse, die das Städtlein um¬ armen. In der Recheustunde machte das Wettrechueu viel Bergnügen. Ein Tischlerssohn blieb immer der schnellste, und nnr mit der größten Anstrengung gelang es hie und da einem von uns andern, einmal früher mit dem richtigen Ergebnis herauszuplatzen. Die allgemeine Aufregung des Wettkampfes pflegten die Loseren für allerhand Unfug auszunutzen, an dem es auch sonst in Herrn W.s Stunden nicht fehlte. Dafür wurde dieser dann gehörig grob mit seinem dicken Stock, aber ohne jemals sein heiteres Phlegma zu verlieren. Ein Un¬ glück hat er mit Zuschlagen niemals angerichtet, weil er sich uur die derbsten Knoten aufsuchte, deren einer desto mehr zu lachen pflegte, je ärger die Hiebe herniedersausten; um nicht herauszuplatzen, hielt er sich die Nase zu, das Gesicht wurde von der Anstrengung beim Zurückhalten des Lachens ganz dunkelrot. In der Sekunda fing die eigentliche Mathematik an, nachdem wir in der Quarta und Tertia schon ein wenig darauf vorbereitet worden waren. Beim Geometrieunterricht beobachtete der Rektor, Dr. K., folgende Methode. Nach- Grenzbvten I 1891 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/65>, abgerufen am 25.08.2024.