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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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jedenfalls nicht den Anspruch erheben darf, auf zwingende Grunde aufgebaut
zu sein; sie ist mindestens verfrüht.

Ein ähnlicher Pessimismus tritt uns aber anch in der Beurteilung unsrer
auswärtigen Verhältnisse entgegen, und anch hier wird ein Rundblick gut thun.

Wir betonten schon, das; die ersten politischen Thaten Kaiser Wilhelms
sich in den Bahnen der Politik des Fürsten Bismarck bewegten. Auch heute
liegen für die Behauptung, das; eine Abweichung von dem alten Kurse unsrer
auswärtigen Politik stattgefunden habe, nur Mntmasznngen und nicht That¬
sachen vor. Der Friede nach außen ist gewahrt worden, und die Friedensliebe
des Kaisers selbst von russischer und von französischer Seite allgemein aner¬
kannt wordein Die russische Reise im August vorigen Jahres geschah in der
zweifellosen Absicht, nach dem Rücktritt des Fürsten einen möglichst klaren
Beweis davon zu liefern, daß insbesondre die Politik, die der große Kanzler
Rußland gegenüber stets verfolgt hatte, fortgesetzt werden solle, und wenn
Rußland darauf mit der großen Demonstration der wolhynischen Manöver
und mit neuen Maszregeluugeu der deutscheu Elemente in Rußland geantwortet
hat, so sind das Erscheinungen, die wir beinahe seit zwanzig Jahren geduldig
über uns ergehen lassen, lind über die wir heute nicht reden wollen. Der
Dreibnnd ferner besteht nicht nur in seiner vollen bisherigen Stärke fort,
sondern ist durch das neue Verhältnis, in dein wir zu England stehen,
wesentlich befestigt worden. Das in weiten Kreisen der deutschen Nation höchst
unpopuläre englisch-deutsche Abkommen ist, was besondrer Betonung bedarf,
in seinen Grundzügen vor dem ^<). März fertig gewesen. Neu hinzugekommen
ist die Erwerbung von Helgoland, über deren Bedeutung einst der Erfolg ent¬
scheiden wird, wenn die Erfahrung des Krieges die Wichtigkeit der Jusel
dargethan haben wird. Der vorläufige Verzicht ans weitere Ausdehnung
unsers Kolvniebesitzes in Afrika bedeutet aber mehr eine Einbuße an Spiel¬
raum für die Phantasie, als an praktischer kolonialer Arbeitsmöglichkeit. Ans
dem völkerrechtlich gesicherten deutsch-afrikanischen Gebiete ist für ganze Ge¬
schlechter noch vollauf Arbeit und Raum, und was die Zukunft bringen mag,
sollte uus heute uicht Sorge machen. Wer irgend die europäischen Konflikte--
gebiete scharf ins Auge faßt, wird sich darüber klar werden, daß der Preis
künftiger Kriegserrungcnfchaften nicht in Europa, sondern mit Kolonieboden
bezahlt werden wird. Der praktische Gewinn, den uns das englische Abkommen
ans europäischem Boden gebracht hat, liegt in der Befestigung unsers Bünd¬
nisses mit Italien, das ohne das Zuthun Englands ans die Dauer uicht zu
behaupten gewesen wäre. Einen unbestreitbaren Erfolg aber hat unsre Politik
auf der Brüsseler Konferenz errungen. Hier hatte Deutschland die Führung,
und ihm vor allein ist es zu danken, wenn Holland in zwölfter Stunde nach¬
gab und durch Unterzeichnung der Generalakten einem völkerrechtlichen Werke
von hoher Bedeutung Geltung und Dauer sicherte. Weisen wir noch zum


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jedenfalls nicht den Anspruch erheben darf, auf zwingende Grunde aufgebaut
zu sein; sie ist mindestens verfrüht.

Ein ähnlicher Pessimismus tritt uns aber anch in der Beurteilung unsrer
auswärtigen Verhältnisse entgegen, und anch hier wird ein Rundblick gut thun.

Wir betonten schon, das; die ersten politischen Thaten Kaiser Wilhelms
sich in den Bahnen der Politik des Fürsten Bismarck bewegten. Auch heute
liegen für die Behauptung, das; eine Abweichung von dem alten Kurse unsrer
auswärtigen Politik stattgefunden habe, nur Mntmasznngen und nicht That¬
sachen vor. Der Friede nach außen ist gewahrt worden, und die Friedensliebe
des Kaisers selbst von russischer und von französischer Seite allgemein aner¬
kannt wordein Die russische Reise im August vorigen Jahres geschah in der
zweifellosen Absicht, nach dem Rücktritt des Fürsten einen möglichst klaren
Beweis davon zu liefern, daß insbesondre die Politik, die der große Kanzler
Rußland gegenüber stets verfolgt hatte, fortgesetzt werden solle, und wenn
Rußland darauf mit der großen Demonstration der wolhynischen Manöver
und mit neuen Maszregeluugeu der deutscheu Elemente in Rußland geantwortet
hat, so sind das Erscheinungen, die wir beinahe seit zwanzig Jahren geduldig
über uns ergehen lassen, lind über die wir heute nicht reden wollen. Der
Dreibnnd ferner besteht nicht nur in seiner vollen bisherigen Stärke fort,
sondern ist durch das neue Verhältnis, in dein wir zu England stehen,
wesentlich befestigt worden. Das in weiten Kreisen der deutschen Nation höchst
unpopuläre englisch-deutsche Abkommen ist, was besondrer Betonung bedarf,
in seinen Grundzügen vor dem ^<). März fertig gewesen. Neu hinzugekommen
ist die Erwerbung von Helgoland, über deren Bedeutung einst der Erfolg ent¬
scheiden wird, wenn die Erfahrung des Krieges die Wichtigkeit der Jusel
dargethan haben wird. Der vorläufige Verzicht ans weitere Ausdehnung
unsers Kolvniebesitzes in Afrika bedeutet aber mehr eine Einbuße an Spiel¬
raum für die Phantasie, als an praktischer kolonialer Arbeitsmöglichkeit. Ans
dem völkerrechtlich gesicherten deutsch-afrikanischen Gebiete ist für ganze Ge¬
schlechter noch vollauf Arbeit und Raum, und was die Zukunft bringen mag,
sollte uus heute uicht Sorge machen. Wer irgend die europäischen Konflikte--
gebiete scharf ins Auge faßt, wird sich darüber klar werden, daß der Preis
künftiger Kriegserrungcnfchaften nicht in Europa, sondern mit Kolonieboden
bezahlt werden wird. Der praktische Gewinn, den uns das englische Abkommen
ans europäischem Boden gebracht hat, liegt in der Befestigung unsers Bünd¬
nisses mit Italien, das ohne das Zuthun Englands ans die Dauer uicht zu
behaupten gewesen wäre. Einen unbestreitbaren Erfolg aber hat unsre Politik
auf der Brüsseler Konferenz errungen. Hier hatte Deutschland die Führung,
und ihm vor allein ist es zu danken, wenn Holland in zwölfter Stunde nach¬
gab und durch Unterzeichnung der Generalakten einem völkerrechtlichen Werke
von hoher Bedeutung Geltung und Dauer sicherte. Weisen wir noch zum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/62>, abgerufen am 01.10.2024.