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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Geschichtsphilosophische Gedanken

Gott zu dienen und das Heil seiner Seele zu wirken, wenn er sich vielleicht
mich daneben noch der Sicherheit wegen hie und da einem katholischen, luthe¬
rischen, methodistischen oder freimaurerischen oxsre.ni.um siuriwillv unterwirft,
und macht sich wenig Kopfzerbrechens darüber, wie es im Jenseits aussieht,
oder was ihm seine Lebensarbeit dort eintragen wird. Gleichzeitig mit der
Reformation trat der Gegensatz der neuen Nationen Europas, die damals eben
erst fertig geworden waren, schärfer hervor; der gemeinsamen Mutter, in deren
Schoße die europäische Völkerfamilie bis dahin gelebt hatte, stellten sich die
ausgereiften Söhne ebenso feindlich gegenüber wie einander gegenseitig. Aber
nachdem sie in dreihuudertjährigeu blutigen Kämpfen jedes seine Selbständig¬
keit behauptet haben, beginnen sie sich gegenseitig zu schätzen. Man forscht
nach, wie des Einzelnen Leben mit dem seines Volkes verkettet ist und von
ihm abhängt, und welche Ausgaben die verschiednen Vvlksgeister im Dienste
der ganzen Menschheit zu erfüllen haben.

Die streng christliche Geschichtsphilosophie eines Augustinus ist nicht die
unsre. Obwohl es in seiner Zeit kein Problem gab, an dessen Losung er sich
nicht versucht, keine Lebenserscheinung, die er nicht sinnend betrachtet und der
er nicht neue überraschende Ansichten abgewonnen Hütte, stand diese Universalität
des Wissens doch eigentlich im Widerspruch mit seinem Grundgedanken, daß
die Welt mit ihrer Herrlichkeit nichts sei als die Feindin des Reiches Gottes,
und ihre Eitelkeiten teils der Aufmerksamkeit des Christen unwert, teils ihn?
gefährlich seien. Die Geschichte ist ihm der Kampf zwischen deu Kindern Gottes
und den Kindern der Welt, oder abstrakt gefaßt, zwischen dem sittlich Guten
und dein sittlich Bösen. Das ist nun nicht allein eine recht einseitige Auf-
fassung, die den ungeheuern Reichtum an sonstige" Weltbegebenheiten, die sich
nicht in diese Formel zwängen lassen, ignorirt, sondern sie ist auch unrichtig.
Das sittlich Böse kann nur einem weltfremden, unerfahrnen Gemüte -- auch
der große Augustinus kannte doch nur ein recht kleines Stück Welt -- als
eine für sich bestehende weltgeschichtliche Macht erscheinen. Als eingefleischte
Teufelei, als boshafte Zerstörungswut kommt es doch nur vereinzelt vor; es
beschäftigt den Strafrichter, nimmt auch zeitweilig die Gestalt einer Volkspest
an, aber wenn wir von der französischen Revolution absehen, die stellenweise
einen beinahe diabolischen Charakter trug, wüßte ich keinen Fall, wo es in die
Weltgeschichte eingegriffen hätte. Ja Augustinus selbst, der von Mauichciismus
her zum Christentum kam und daher später der entschiedenste Gegner des
Pelagius wurde, hat sich in der ersten Zeit nach seiner Bekehrung große Mühe
gegeben, den Glauben an ein wesenhaftes Böse zu zerstören; er beschreibt das
Böse als Maugel, Schwäche und Irrtum und bemerkt u. a., kein Mensch wolle
das Böse als solches, sondern er begehe schlechte Handlungen nur als Mittel
zur Erreichung von Zwecken, die ihn: irgend eine Leidenschaft als Güter vor¬
spiegele. Die Fälle, wo sittlich verwerfliche Handlungen ans der Unzuläng-


Geschichtsphilosophische Gedanken

Gott zu dienen und das Heil seiner Seele zu wirken, wenn er sich vielleicht
mich daneben noch der Sicherheit wegen hie und da einem katholischen, luthe¬
rischen, methodistischen oder freimaurerischen oxsre.ni.um siuriwillv unterwirft,
und macht sich wenig Kopfzerbrechens darüber, wie es im Jenseits aussieht,
oder was ihm seine Lebensarbeit dort eintragen wird. Gleichzeitig mit der
Reformation trat der Gegensatz der neuen Nationen Europas, die damals eben
erst fertig geworden waren, schärfer hervor; der gemeinsamen Mutter, in deren
Schoße die europäische Völkerfamilie bis dahin gelebt hatte, stellten sich die
ausgereiften Söhne ebenso feindlich gegenüber wie einander gegenseitig. Aber
nachdem sie in dreihuudertjährigeu blutigen Kämpfen jedes seine Selbständig¬
keit behauptet haben, beginnen sie sich gegenseitig zu schätzen. Man forscht
nach, wie des Einzelnen Leben mit dem seines Volkes verkettet ist und von
ihm abhängt, und welche Ausgaben die verschiednen Vvlksgeister im Dienste
der ganzen Menschheit zu erfüllen haben.

Die streng christliche Geschichtsphilosophie eines Augustinus ist nicht die
unsre. Obwohl es in seiner Zeit kein Problem gab, an dessen Losung er sich
nicht versucht, keine Lebenserscheinung, die er nicht sinnend betrachtet und der
er nicht neue überraschende Ansichten abgewonnen Hütte, stand diese Universalität
des Wissens doch eigentlich im Widerspruch mit seinem Grundgedanken, daß
die Welt mit ihrer Herrlichkeit nichts sei als die Feindin des Reiches Gottes,
und ihre Eitelkeiten teils der Aufmerksamkeit des Christen unwert, teils ihn?
gefährlich seien. Die Geschichte ist ihm der Kampf zwischen deu Kindern Gottes
und den Kindern der Welt, oder abstrakt gefaßt, zwischen dem sittlich Guten
und dein sittlich Bösen. Das ist nun nicht allein eine recht einseitige Auf-
fassung, die den ungeheuern Reichtum an sonstige» Weltbegebenheiten, die sich
nicht in diese Formel zwängen lassen, ignorirt, sondern sie ist auch unrichtig.
Das sittlich Böse kann nur einem weltfremden, unerfahrnen Gemüte — auch
der große Augustinus kannte doch nur ein recht kleines Stück Welt — als
eine für sich bestehende weltgeschichtliche Macht erscheinen. Als eingefleischte
Teufelei, als boshafte Zerstörungswut kommt es doch nur vereinzelt vor; es
beschäftigt den Strafrichter, nimmt auch zeitweilig die Gestalt einer Volkspest
an, aber wenn wir von der französischen Revolution absehen, die stellenweise
einen beinahe diabolischen Charakter trug, wüßte ich keinen Fall, wo es in die
Weltgeschichte eingegriffen hätte. Ja Augustinus selbst, der von Mauichciismus
her zum Christentum kam und daher später der entschiedenste Gegner des
Pelagius wurde, hat sich in der ersten Zeit nach seiner Bekehrung große Mühe
gegeben, den Glauben an ein wesenhaftes Böse zu zerstören; er beschreibt das
Böse als Maugel, Schwäche und Irrtum und bemerkt u. a., kein Mensch wolle
das Böse als solches, sondern er begehe schlechte Handlungen nur als Mittel
zur Erreichung von Zwecken, die ihn: irgend eine Leidenschaft als Güter vor¬
spiegele. Die Fälle, wo sittlich verwerfliche Handlungen ans der Unzuläng-


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[0598] Geschichtsphilosophische Gedanken Gott zu dienen und das Heil seiner Seele zu wirken, wenn er sich vielleicht mich daneben noch der Sicherheit wegen hie und da einem katholischen, luthe¬ rischen, methodistischen oder freimaurerischen oxsre.ni.um siuriwillv unterwirft, und macht sich wenig Kopfzerbrechens darüber, wie es im Jenseits aussieht, oder was ihm seine Lebensarbeit dort eintragen wird. Gleichzeitig mit der Reformation trat der Gegensatz der neuen Nationen Europas, die damals eben erst fertig geworden waren, schärfer hervor; der gemeinsamen Mutter, in deren Schoße die europäische Völkerfamilie bis dahin gelebt hatte, stellten sich die ausgereiften Söhne ebenso feindlich gegenüber wie einander gegenseitig. Aber nachdem sie in dreihuudertjährigeu blutigen Kämpfen jedes seine Selbständig¬ keit behauptet haben, beginnen sie sich gegenseitig zu schätzen. Man forscht nach, wie des Einzelnen Leben mit dem seines Volkes verkettet ist und von ihm abhängt, und welche Ausgaben die verschiednen Vvlksgeister im Dienste der ganzen Menschheit zu erfüllen haben. Die streng christliche Geschichtsphilosophie eines Augustinus ist nicht die unsre. Obwohl es in seiner Zeit kein Problem gab, an dessen Losung er sich nicht versucht, keine Lebenserscheinung, die er nicht sinnend betrachtet und der er nicht neue überraschende Ansichten abgewonnen Hütte, stand diese Universalität des Wissens doch eigentlich im Widerspruch mit seinem Grundgedanken, daß die Welt mit ihrer Herrlichkeit nichts sei als die Feindin des Reiches Gottes, und ihre Eitelkeiten teils der Aufmerksamkeit des Christen unwert, teils ihn? gefährlich seien. Die Geschichte ist ihm der Kampf zwischen deu Kindern Gottes und den Kindern der Welt, oder abstrakt gefaßt, zwischen dem sittlich Guten und dein sittlich Bösen. Das ist nun nicht allein eine recht einseitige Auf- fassung, die den ungeheuern Reichtum an sonstige» Weltbegebenheiten, die sich nicht in diese Formel zwängen lassen, ignorirt, sondern sie ist auch unrichtig. Das sittlich Böse kann nur einem weltfremden, unerfahrnen Gemüte — auch der große Augustinus kannte doch nur ein recht kleines Stück Welt — als eine für sich bestehende weltgeschichtliche Macht erscheinen. Als eingefleischte Teufelei, als boshafte Zerstörungswut kommt es doch nur vereinzelt vor; es beschäftigt den Strafrichter, nimmt auch zeitweilig die Gestalt einer Volkspest an, aber wenn wir von der französischen Revolution absehen, die stellenweise einen beinahe diabolischen Charakter trug, wüßte ich keinen Fall, wo es in die Weltgeschichte eingegriffen hätte. Ja Augustinus selbst, der von Mauichciismus her zum Christentum kam und daher später der entschiedenste Gegner des Pelagius wurde, hat sich in der ersten Zeit nach seiner Bekehrung große Mühe gegeben, den Glauben an ein wesenhaftes Böse zu zerstören; er beschreibt das Böse als Maugel, Schwäche und Irrtum und bemerkt u. a., kein Mensch wolle das Böse als solches, sondern er begehe schlechte Handlungen nur als Mittel zur Erreichung von Zwecken, die ihn: irgend eine Leidenschaft als Güter vor¬ spiegele. Die Fälle, wo sittlich verwerfliche Handlungen ans der Unzuläng-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/598>, abgerufen am 23.07.2024.