Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Frage der Fleischeinfichr

teilung aller drei Fragen ist es von Interesse, die Trichinenfrage einmal etwas
genauer zu beleuchten, zumal da sich zwei deutsche Gelehrte -- Dr. von Sar-
torius-Waltershausen und Professor Seering --, die zugleich zu deu gründ¬
lichsten Kennern Amerikas zählen, über diese Frage näher ausgesprochen haben,
was merkwürdigerweise den betreffenden Neichstagsrednern nicht bekannt gewesen
zu sein scheint, da in keinem Punkte der Debatte auf die betreffenden Aus¬
lassungen") aufmerksam gemacht worden ist. Die Frage ist aber insofern
noch höchst zeitgemäß, als nach mehreren Nachrichten eine "probeweise" Auf¬
hebung des Einfuhrverbots thatsächlich nicht unmöglich erscheint.

Zunächst muß darauf hingewiesen werden, daß schon seit mehr als zwanzig
Jahren in verschiedene!? Ländern Europas das amerikanische Schweinefleisch
durchaus unabhängig von irgend welchen zollpolitischen Rücksichten ganz oder
teilweise verboten worden ist. Insbesondre Frankreich hatte es bereits im
Jahre 1831 von der Einfuhr ausgeschlossen, und zwar, wie es in dem betref¬
fenden Dekret ausdrücklich heißt, weil es, wie bekannt, mit Trichinen behaftet
sei. Infolge einer außerordentlich lebhaften Agitation wurde das Verbot am
27. Oktober 1881 zwar aufgehoben, aber bereits nach wenig Woche" wieder
in Kraft gesetzt. Ebenso haben Portugal, Spanien, Österreich, Italien, Griechen¬
land und die Türkei entweder das amerikanische Schweinefleisch ganz ausge¬
schlossen oder wenigstens seine Einführung außerordentlich erschwert. Und nach
zahlreichen Berichten und mitgeteilten Thatsachen muß allerdings als zweifellos
feststehend angenommen werden, daß die amerikanischen Schweine ungleich häusiger
mit Trichinen behaftet sind, als die europäischen. Diese Thatsache wurde denn
auch in Amerika selbst bis zum Erlaß des deutschen Verbotes kaum geleugnet,
da die trotz außerordentlich oberflächlicher Untersuchung über diese Frage auf¬
gestellten Statistiker und Gutachten von amerikanischen Veteriuärbeamten die
Frage nach keiner Richtung hin günstig beantworten, wobei jedoch bemerkt sein
mag, daß in den verschiednen Gegenden Amerikas die Trichinose unter den
Schweinen sehr verschieden verbreitet ist.

In Boston sind von 2701 Schweinen binnen fünf Monaten 154 Stück,
d. h. fast sechs Prozent für trichinös befunden worden; ferner nennt Sartorius
mehrfach amerikanische Autoritäten, die nnter den von ihnen untersuchten
Schweinen sogar acht Prozent für trichinös befunden haben. Noch andere
Ergebnisse haben diejenigen Untersuchungen gehabt, die in Deutschland selbst
mit dem amerikanischem Schweinefleisch vorgenommen worden sind. In Dresden
sind am 18. Oktober 1880 von 88 aus den Vereinigten Staaten von Nord¬
amerika eingeführten Schweinen 14 Stück, d. h. sechzehn Prozent, als trichinen-
haltig nachgewiesen worden, und ein Fleischbcschauer in Hildesheim hat unter



*) Scirtorius, Freiherr r>vn Waltershausen, Das amerikanische Schweineeinfuhrr>erbot
(Jena, Fischer), und darüber Seering in Schmollers Jahrbuch von 1884, S. 1295 ff.
Zur Frage der Fleischeinfichr

teilung aller drei Fragen ist es von Interesse, die Trichinenfrage einmal etwas
genauer zu beleuchten, zumal da sich zwei deutsche Gelehrte — Dr. von Sar-
torius-Waltershausen und Professor Seering —, die zugleich zu deu gründ¬
lichsten Kennern Amerikas zählen, über diese Frage näher ausgesprochen haben,
was merkwürdigerweise den betreffenden Neichstagsrednern nicht bekannt gewesen
zu sein scheint, da in keinem Punkte der Debatte auf die betreffenden Aus¬
lassungen") aufmerksam gemacht worden ist. Die Frage ist aber insofern
noch höchst zeitgemäß, als nach mehreren Nachrichten eine „probeweise" Auf¬
hebung des Einfuhrverbots thatsächlich nicht unmöglich erscheint.

Zunächst muß darauf hingewiesen werden, daß schon seit mehr als zwanzig
Jahren in verschiedene!? Ländern Europas das amerikanische Schweinefleisch
durchaus unabhängig von irgend welchen zollpolitischen Rücksichten ganz oder
teilweise verboten worden ist. Insbesondre Frankreich hatte es bereits im
Jahre 1831 von der Einfuhr ausgeschlossen, und zwar, wie es in dem betref¬
fenden Dekret ausdrücklich heißt, weil es, wie bekannt, mit Trichinen behaftet
sei. Infolge einer außerordentlich lebhaften Agitation wurde das Verbot am
27. Oktober 1881 zwar aufgehoben, aber bereits nach wenig Woche» wieder
in Kraft gesetzt. Ebenso haben Portugal, Spanien, Österreich, Italien, Griechen¬
land und die Türkei entweder das amerikanische Schweinefleisch ganz ausge¬
schlossen oder wenigstens seine Einführung außerordentlich erschwert. Und nach
zahlreichen Berichten und mitgeteilten Thatsachen muß allerdings als zweifellos
feststehend angenommen werden, daß die amerikanischen Schweine ungleich häusiger
mit Trichinen behaftet sind, als die europäischen. Diese Thatsache wurde denn
auch in Amerika selbst bis zum Erlaß des deutschen Verbotes kaum geleugnet,
da die trotz außerordentlich oberflächlicher Untersuchung über diese Frage auf¬
gestellten Statistiker und Gutachten von amerikanischen Veteriuärbeamten die
Frage nach keiner Richtung hin günstig beantworten, wobei jedoch bemerkt sein
mag, daß in den verschiednen Gegenden Amerikas die Trichinose unter den
Schweinen sehr verschieden verbreitet ist.

In Boston sind von 2701 Schweinen binnen fünf Monaten 154 Stück,
d. h. fast sechs Prozent für trichinös befunden worden; ferner nennt Sartorius
mehrfach amerikanische Autoritäten, die nnter den von ihnen untersuchten
Schweinen sogar acht Prozent für trichinös befunden haben. Noch andere
Ergebnisse haben diejenigen Untersuchungen gehabt, die in Deutschland selbst
mit dem amerikanischem Schweinefleisch vorgenommen worden sind. In Dresden
sind am 18. Oktober 1880 von 88 aus den Vereinigten Staaten von Nord¬
amerika eingeführten Schweinen 14 Stück, d. h. sechzehn Prozent, als trichinen-
haltig nachgewiesen worden, und ein Fleischbcschauer in Hildesheim hat unter



*) Scirtorius, Freiherr r>vn Waltershausen, Das amerikanische Schweineeinfuhrr>erbot
(Jena, Fischer), und darüber Seering in Schmollers Jahrbuch von 1884, S. 1295 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0591" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209824"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Frage der Fleischeinfichr</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1656" prev="#ID_1655"> teilung aller drei Fragen ist es von Interesse, die Trichinenfrage einmal etwas<lb/>
genauer zu beleuchten, zumal da sich zwei deutsche Gelehrte &#x2014; Dr. von Sar-<lb/>
torius-Waltershausen und Professor Seering &#x2014;, die zugleich zu deu gründ¬<lb/>
lichsten Kennern Amerikas zählen, über diese Frage näher ausgesprochen haben,<lb/>
was merkwürdigerweise den betreffenden Neichstagsrednern nicht bekannt gewesen<lb/>
zu sein scheint, da in keinem Punkte der Debatte auf die betreffenden Aus¬<lb/>
lassungen") aufmerksam gemacht worden ist. Die Frage ist aber insofern<lb/>
noch höchst zeitgemäß, als nach mehreren Nachrichten eine &#x201E;probeweise" Auf¬<lb/>
hebung des Einfuhrverbots thatsächlich nicht unmöglich erscheint.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1657"> Zunächst muß darauf hingewiesen werden, daß schon seit mehr als zwanzig<lb/>
Jahren in verschiedene!? Ländern Europas das amerikanische Schweinefleisch<lb/>
durchaus unabhängig von irgend welchen zollpolitischen Rücksichten ganz oder<lb/>
teilweise verboten worden ist. Insbesondre Frankreich hatte es bereits im<lb/>
Jahre 1831 von der Einfuhr ausgeschlossen, und zwar, wie es in dem betref¬<lb/>
fenden Dekret ausdrücklich heißt, weil es, wie bekannt, mit Trichinen behaftet<lb/>
sei. Infolge einer außerordentlich lebhaften Agitation wurde das Verbot am<lb/>
27. Oktober 1881 zwar aufgehoben, aber bereits nach wenig Woche» wieder<lb/>
in Kraft gesetzt. Ebenso haben Portugal, Spanien, Österreich, Italien, Griechen¬<lb/>
land und die Türkei entweder das amerikanische Schweinefleisch ganz ausge¬<lb/>
schlossen oder wenigstens seine Einführung außerordentlich erschwert. Und nach<lb/>
zahlreichen Berichten und mitgeteilten Thatsachen muß allerdings als zweifellos<lb/>
feststehend angenommen werden, daß die amerikanischen Schweine ungleich häusiger<lb/>
mit Trichinen behaftet sind, als die europäischen. Diese Thatsache wurde denn<lb/>
auch in Amerika selbst bis zum Erlaß des deutschen Verbotes kaum geleugnet,<lb/>
da die trotz außerordentlich oberflächlicher Untersuchung über diese Frage auf¬<lb/>
gestellten Statistiker und Gutachten von amerikanischen Veteriuärbeamten die<lb/>
Frage nach keiner Richtung hin günstig beantworten, wobei jedoch bemerkt sein<lb/>
mag, daß in den verschiednen Gegenden Amerikas die Trichinose unter den<lb/>
Schweinen sehr verschieden verbreitet ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1658" next="#ID_1659"> In Boston sind von 2701 Schweinen binnen fünf Monaten 154 Stück,<lb/>
d. h. fast sechs Prozent für trichinös befunden worden; ferner nennt Sartorius<lb/>
mehrfach amerikanische Autoritäten, die nnter den von ihnen untersuchten<lb/>
Schweinen sogar acht Prozent für trichinös befunden haben. Noch andere<lb/>
Ergebnisse haben diejenigen Untersuchungen gehabt, die in Deutschland selbst<lb/>
mit dem amerikanischem Schweinefleisch vorgenommen worden sind. In Dresden<lb/>
sind am 18. Oktober 1880 von 88 aus den Vereinigten Staaten von Nord¬<lb/>
amerika eingeführten Schweinen 14 Stück, d. h. sechzehn Prozent, als trichinen-<lb/>
haltig nachgewiesen worden, und ein Fleischbcschauer in Hildesheim hat unter</p><lb/>
          <note xml:id="FID_52" place="foot"> *) Scirtorius, Freiherr r&gt;vn Waltershausen, Das amerikanische Schweineeinfuhrr&gt;erbot<lb/>
(Jena, Fischer), und darüber Seering in Schmollers Jahrbuch von 1884, S. 1295 ff.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0591] Zur Frage der Fleischeinfichr teilung aller drei Fragen ist es von Interesse, die Trichinenfrage einmal etwas genauer zu beleuchten, zumal da sich zwei deutsche Gelehrte — Dr. von Sar- torius-Waltershausen und Professor Seering —, die zugleich zu deu gründ¬ lichsten Kennern Amerikas zählen, über diese Frage näher ausgesprochen haben, was merkwürdigerweise den betreffenden Neichstagsrednern nicht bekannt gewesen zu sein scheint, da in keinem Punkte der Debatte auf die betreffenden Aus¬ lassungen") aufmerksam gemacht worden ist. Die Frage ist aber insofern noch höchst zeitgemäß, als nach mehreren Nachrichten eine „probeweise" Auf¬ hebung des Einfuhrverbots thatsächlich nicht unmöglich erscheint. Zunächst muß darauf hingewiesen werden, daß schon seit mehr als zwanzig Jahren in verschiedene!? Ländern Europas das amerikanische Schweinefleisch durchaus unabhängig von irgend welchen zollpolitischen Rücksichten ganz oder teilweise verboten worden ist. Insbesondre Frankreich hatte es bereits im Jahre 1831 von der Einfuhr ausgeschlossen, und zwar, wie es in dem betref¬ fenden Dekret ausdrücklich heißt, weil es, wie bekannt, mit Trichinen behaftet sei. Infolge einer außerordentlich lebhaften Agitation wurde das Verbot am 27. Oktober 1881 zwar aufgehoben, aber bereits nach wenig Woche» wieder in Kraft gesetzt. Ebenso haben Portugal, Spanien, Österreich, Italien, Griechen¬ land und die Türkei entweder das amerikanische Schweinefleisch ganz ausge¬ schlossen oder wenigstens seine Einführung außerordentlich erschwert. Und nach zahlreichen Berichten und mitgeteilten Thatsachen muß allerdings als zweifellos feststehend angenommen werden, daß die amerikanischen Schweine ungleich häusiger mit Trichinen behaftet sind, als die europäischen. Diese Thatsache wurde denn auch in Amerika selbst bis zum Erlaß des deutschen Verbotes kaum geleugnet, da die trotz außerordentlich oberflächlicher Untersuchung über diese Frage auf¬ gestellten Statistiker und Gutachten von amerikanischen Veteriuärbeamten die Frage nach keiner Richtung hin günstig beantworten, wobei jedoch bemerkt sein mag, daß in den verschiednen Gegenden Amerikas die Trichinose unter den Schweinen sehr verschieden verbreitet ist. In Boston sind von 2701 Schweinen binnen fünf Monaten 154 Stück, d. h. fast sechs Prozent für trichinös befunden worden; ferner nennt Sartorius mehrfach amerikanische Autoritäten, die nnter den von ihnen untersuchten Schweinen sogar acht Prozent für trichinös befunden haben. Noch andere Ergebnisse haben diejenigen Untersuchungen gehabt, die in Deutschland selbst mit dem amerikanischem Schweinefleisch vorgenommen worden sind. In Dresden sind am 18. Oktober 1880 von 88 aus den Vereinigten Staaten von Nord¬ amerika eingeführten Schweinen 14 Stück, d. h. sechzehn Prozent, als trichinen- haltig nachgewiesen worden, und ein Fleischbcschauer in Hildesheim hat unter *) Scirtorius, Freiherr r>vn Waltershausen, Das amerikanische Schweineeinfuhrr>erbot (Jena, Fischer), und darüber Seering in Schmollers Jahrbuch von 1884, S. 1295 ff.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/591
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/591>, abgerufen am 23.07.2024.