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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches ,ab Unaiaßgebliches

wußte, UM schließlich der Kraft nationaler Gedanken das andre Schlagwort
der religiös-politischen Überzeugnugstreue entgegenzuhalten, durch das er seine
Leute an sich fesselte, auch da, wo die religiösen Fragen keineswegs mitspielten.

Windthorst war ein parlamentarischer Diplomat ersten Ranges, aber ein
großer Staatsmann ist er nicht gewesen. Wenn wir auch nicht glauben, daß
sein Werk, der zum Zentrum organisirte Katholizismus des deutschen Reiches,
mit ihm zusammenbreche, so glauben wir doch ebensowenig, daß es sich ans
die Dauer zu behaupte" imstande sein werde. Die völlige Gleichberechtigung,
die, gottlob! Protestanten und Katholiken im deutscheu Reich und ganz
besonders in Preußen zusteht, macht die konfessionelle Partei zu einer wider¬
natürlichen Erscheinung. Das deutsche Reich ist trotz all seiner Macht in viel
zu gefährdeter Lage, als daß es sich den Luxus eines innern Kampfes gestatten
dürfte, für den jede sachliche Notwendigkeit fehlt.

Die Politik ist, wie Fürst Vismarck einmal sagte, eine Kunst. Windthorst
war ein parlamentarischer Politiker, wie wir ihn sonst nur auf englischem
Boden finden. Wir wünschen ihm Nachfolger, aber nicht in den Reihen des
Zentrums.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

DaS jüngste Pariser Abenteuer wird, wie nur nun von verschiednen
Seiten versichern hört, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden
beteiligten Regierungen nicht stören. Dieser Versicherung hätte es nicht bedurft.
Die bestehende Freundschaft ist eine Salonfreuudschast, man beobachtet beiderseits
gewissenhaft höfliche Verkehrsformen, schüttelt eiunuder lächelnd die Hände, hütet
sich aber wohl, vertraulich zu werden. So begegnen sich auch zwei Geschäftsleute,
die im Stillen überzeugt sind, daß jeder von i'buen mit Bergnügen die Gelegen¬
heit ergreifen würde, dem andern zu schade". Daß das in diesem Fall auf der
einen Seite ein Irrt"in ist, ändert an der Sache nichts. Und da die Franzosen
grundsätzlich jeden Schritt vermeiden, der so ausgelegt werdeu könnte, als wollten
sie dos sogenannte herzliche Einvernehme" ""bahnen, und auf deutscher Seite die
Lust zum Entgegenkommen gründlich abgekühlt sein muß, so ist vor der Hand eine
Änderung nicht abzusehen/ Messe" wir uns von Rußland zu versehen habe",
brauchte" wir ebenfalls nicht erst bei diesem Anlasse zu lerne". Indesse" lau" es
vou Nutze" sein, die Aiisbrüche deS Hasses und der Schadenfreude, die in deu
letzte" Woche" u"ter der Herrschaft der russische" Ze"s"r aus Tageslicht komme"
konnte", nicht mit dem Tage und deu Tagesblätter" i" Vergessenheit geraten z"
lassen. Solche Äußerungen sind von größer"! Werte, als die ohne Zweifel aus


Maßgebliches ,ab Unaiaßgebliches

wußte, UM schließlich der Kraft nationaler Gedanken das andre Schlagwort
der religiös-politischen Überzeugnugstreue entgegenzuhalten, durch das er seine
Leute an sich fesselte, auch da, wo die religiösen Fragen keineswegs mitspielten.

Windthorst war ein parlamentarischer Diplomat ersten Ranges, aber ein
großer Staatsmann ist er nicht gewesen. Wenn wir auch nicht glauben, daß
sein Werk, der zum Zentrum organisirte Katholizismus des deutschen Reiches,
mit ihm zusammenbreche, so glauben wir doch ebensowenig, daß es sich ans
die Dauer zu behaupte» imstande sein werde. Die völlige Gleichberechtigung,
die, gottlob! Protestanten und Katholiken im deutscheu Reich und ganz
besonders in Preußen zusteht, macht die konfessionelle Partei zu einer wider¬
natürlichen Erscheinung. Das deutsche Reich ist trotz all seiner Macht in viel
zu gefährdeter Lage, als daß es sich den Luxus eines innern Kampfes gestatten
dürfte, für den jede sachliche Notwendigkeit fehlt.

Die Politik ist, wie Fürst Vismarck einmal sagte, eine Kunst. Windthorst
war ein parlamentarischer Politiker, wie wir ihn sonst nur auf englischem
Boden finden. Wir wünschen ihm Nachfolger, aber nicht in den Reihen des
Zentrums.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

DaS jüngste Pariser Abenteuer wird, wie nur nun von verschiednen
Seiten versichern hört, die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden
beteiligten Regierungen nicht stören. Dieser Versicherung hätte es nicht bedurft.
Die bestehende Freundschaft ist eine Salonfreuudschast, man beobachtet beiderseits
gewissenhaft höfliche Verkehrsformen, schüttelt eiunuder lächelnd die Hände, hütet
sich aber wohl, vertraulich zu werden. So begegnen sich auch zwei Geschäftsleute,
die im Stillen überzeugt sind, daß jeder von i'buen mit Bergnügen die Gelegen¬
heit ergreifen würde, dem andern zu schade». Daß das in diesem Fall auf der
einen Seite ein Irrt«in ist, ändert an der Sache nichts. Und da die Franzosen
grundsätzlich jeden Schritt vermeiden, der so ausgelegt werdeu könnte, als wollten
sie dos sogenannte herzliche Einvernehme» »»bahnen, und auf deutscher Seite die
Lust zum Entgegenkommen gründlich abgekühlt sein muß, so ist vor der Hand eine
Änderung nicht abzusehen/ Messe» wir uns von Rußland zu versehen habe«,
brauchte» wir ebenfalls nicht erst bei diesem Anlasse zu lerne». Indesse» lau» es
vou Nutze» sein, die Aiisbrüche deS Hasses und der Schadenfreude, die in deu
letzte» Woche» u»ter der Herrschaft der russische» Ze»s»r aus Tageslicht komme»
konnte», nicht mit dem Tage und deu Tagesblätter» i» Vergessenheit geraten z«
lassen. Solche Äußerungen sind von größer»! Werte, als die ohne Zweifel aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/583>, abgerufen am 03.07.2024.