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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Allsrhand Zprachdummheiten

Beziehung unmöglich gemacht wird, sind solche Relativsätze nicht gut. Es sind
auch solche Sätze schlecht, wie: den Anlaß dazu gab mir eine mündliche Mit¬
teilung Strodtmanns, der mich im Sommer 1873 i" Göttingen besuchte --
in allen Herzen hatten die lichtvollen Ausführungen des Redners, der
durch seinen Eifer für die Sache der evangelischen Vereine bekannt ist, einen
mächtigen Eindruck hinterlassen. Solche Verbindungen sind schlecht aus einem
dynamischen Grunde. Es verhält sich nämlich mit der Anziehungskraft und
Tragkraft der Wörter ganz ähnlich wie mit der des Magneten. Ein Magnet
trügt ein Stück Eisen von einer gewissen Größe ganz gut; er trägt auch noch
ein zweites, wenn es ihm um einer andern Stelle angehängt wird. Versucht man
aber das zweite Stück Eisen an das erste zu Hunger, so fallen sie beide herab.
So trügt ein Substantivum ganz beqnem ein abhängiges Attribut, einen ab¬
hängigen Genetiv; sowie noch etwas Weiteres angehängt werden soll, z. B. ein
Relativsatz, so kann es immer nnr wieder unmittelbar an den Magneten selbst,
d. h. an das tragende, nicht an das abhängige Substantiv gehängt werden.
Mit andern Worten: jeder Relativsatz, der auf eine derartige Verbindung
zweier Substantive folgt, wird unwillkürlich hinausgezogen, hinaufgerisseu möchte
ich sagen, uach dem ersten der beide" Substantive. Ganz deutlich merkt man
das beim Sprechen. Das erste Substantiv hat den Ton, es steht im Vorder¬
gründe, es klingt fort, klingt über das abhängige Substantiv hinaus, das
uubetvut im Hintergrunde bleibt. Wenn ich also höre: der Tod des treff¬
lichen Mannes, dem -- so kann mit dein schlechterdings nnr der Tod ge¬
meint sein; wenn der Redner nnn fortführt: wir so viel zu verdanken haben,
so wird Unsinn fertig. Aber es braucht, wie gesagt, gar kein Mißverständnis
möglich zu sein; ein so schweres Satzglied wie einen Relativsatz an ein Wort,
das selbst getragen wird, anhängen zu wollen ist unter allen Umständen ein
Fehler -- das wird und muß jeder fühlen, für den der Satzbau noch etwas
mehr ist als ein bloßes äußerliches Zusammeuleimeu.

Etwas andres ist es, wenn das Attribut oder der abhängige Genetiv betont
oder sonstwie in den Vordergrund gerückt wird. Dann erhält er nicht nnr die
Kraft, den Relativsatz zu tragen, sondern es kaun sogar der Fall eintreten,
daß das, was ich soeben als das einzig richtige hingestellt habe, zum Fehler
wird, z. B. in folgenden Sätzen: ich würde das für einen der härtesten Un¬
fälle halten, der je das Menschengeschlecht betroffen hat -- Leipzig ist eine
der wenigen Großstädte, in der eine solche Einrichtung noch nicht besteht.
In diesen Fällen, beim sogenannten partitiveu Genetiv, hat das einer, eine,
eines nicht den geringsten Ton, das Hauptsinnwort ist vielmehr der ab¬
hängige Genetiv. Es ist aber auch ein logischer Fehler, deu Relativsatz an
einen anzuschließen; denn die Eigenschaft, die der Relativsatz angiebt, haftet
doch nicht bloß an dem einen aus der Menge heransgehobeuen, sondern an allen,
aus denen das eine herausgehoben wird. Es kann und darf also nur heißen:


Allsrhand Zprachdummheiten

Beziehung unmöglich gemacht wird, sind solche Relativsätze nicht gut. Es sind
auch solche Sätze schlecht, wie: den Anlaß dazu gab mir eine mündliche Mit¬
teilung Strodtmanns, der mich im Sommer 1873 i» Göttingen besuchte —
in allen Herzen hatten die lichtvollen Ausführungen des Redners, der
durch seinen Eifer für die Sache der evangelischen Vereine bekannt ist, einen
mächtigen Eindruck hinterlassen. Solche Verbindungen sind schlecht aus einem
dynamischen Grunde. Es verhält sich nämlich mit der Anziehungskraft und
Tragkraft der Wörter ganz ähnlich wie mit der des Magneten. Ein Magnet
trügt ein Stück Eisen von einer gewissen Größe ganz gut; er trägt auch noch
ein zweites, wenn es ihm um einer andern Stelle angehängt wird. Versucht man
aber das zweite Stück Eisen an das erste zu Hunger, so fallen sie beide herab.
So trügt ein Substantivum ganz beqnem ein abhängiges Attribut, einen ab¬
hängigen Genetiv; sowie noch etwas Weiteres angehängt werden soll, z. B. ein
Relativsatz, so kann es immer nnr wieder unmittelbar an den Magneten selbst,
d. h. an das tragende, nicht an das abhängige Substantiv gehängt werden.
Mit andern Worten: jeder Relativsatz, der auf eine derartige Verbindung
zweier Substantive folgt, wird unwillkürlich hinausgezogen, hinaufgerisseu möchte
ich sagen, uach dem ersten der beide» Substantive. Ganz deutlich merkt man
das beim Sprechen. Das erste Substantiv hat den Ton, es steht im Vorder¬
gründe, es klingt fort, klingt über das abhängige Substantiv hinaus, das
uubetvut im Hintergrunde bleibt. Wenn ich also höre: der Tod des treff¬
lichen Mannes, dem — so kann mit dein schlechterdings nnr der Tod ge¬
meint sein; wenn der Redner nnn fortführt: wir so viel zu verdanken haben,
so wird Unsinn fertig. Aber es braucht, wie gesagt, gar kein Mißverständnis
möglich zu sein; ein so schweres Satzglied wie einen Relativsatz an ein Wort,
das selbst getragen wird, anhängen zu wollen ist unter allen Umständen ein
Fehler — das wird und muß jeder fühlen, für den der Satzbau noch etwas
mehr ist als ein bloßes äußerliches Zusammeuleimeu.

Etwas andres ist es, wenn das Attribut oder der abhängige Genetiv betont
oder sonstwie in den Vordergrund gerückt wird. Dann erhält er nicht nnr die
Kraft, den Relativsatz zu tragen, sondern es kaun sogar der Fall eintreten,
daß das, was ich soeben als das einzig richtige hingestellt habe, zum Fehler
wird, z. B. in folgenden Sätzen: ich würde das für einen der härtesten Un¬
fälle halten, der je das Menschengeschlecht betroffen hat — Leipzig ist eine
der wenigen Großstädte, in der eine solche Einrichtung noch nicht besteht.
In diesen Fällen, beim sogenannten partitiveu Genetiv, hat das einer, eine,
eines nicht den geringsten Ton, das Hauptsinnwort ist vielmehr der ab¬
hängige Genetiv. Es ist aber auch ein logischer Fehler, deu Relativsatz an
einen anzuschließen; denn die Eigenschaft, die der Relativsatz angiebt, haftet
doch nicht bloß an dem einen aus der Menge heransgehobeuen, sondern an allen,
aus denen das eine herausgehoben wird. Es kann und darf also nur heißen:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/568>, abgerufen am 23.07.2024.