Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Allerhand Sprachdumncheiten

sich ja gar nicht "alpin" ailsdrücke", N'eun er einen Touristen Hinabstürzen
ließe! Jetzt liest mau aber auch schon von Eiscnbahnschaffnern, die beim
Coupiren der Billets abgestürzt sind.

Ich könnte noch seitenlang so fortfahren. Die Zeitungen sind voll von
Albernheiten, wie erstrangigen Feuerversicherungsgesellschafteu, einwand¬
freie" Augenzeugen, in allen Apotheke" erhältliche" Heilmittel", höchst-
instanzlich entschieden Frage", vollinhaltlich bestätigten Aussagen u. s. w.
Adi^' dergleichen kommt und geht wieder, es lohnt kaum der Mühe, drauf
aufmerksam zu machen. Ich Null lieber versuchen, in meinen frühern Weg
wieder einzulenken, und "och eine Reihe der schlimmsten Fehler und Geschmack¬
losigkeiten besprechen, die sich in unser": Satzbau festgesetzt haben oder fest¬
zusetzen drohen.

Ich hatte zuletzt einige der verbreitetsten Fehler in deu Relativsätzen be¬
sprochen, z. B. die thörichte Einbildung, daß man bei mehreren parallelstehenden
Relativsätzen mit dem Pronomen Wechsel" müsse (der und welcher), während
gerade das Gegenteil das Richtige ist. Hier will ich wieder anknüpfen. Mit
Beschämung denke ich an einen Relativsatz zurück, deu ich selbst in jüngern
Jahren einmal verbrochen habe und mit dem ich lange geneckt worden bin;
ich hatte in einer offiziellen Viw geschrieben: Mit zehn Jahren wurde ich in
die unterste Klasse der Kreuzschule in Dresden aufgenommen, der ich
dann acht Jahre lang als Schüler und fast ebensolange als Alumnus angehört
habe. Also dn hast acht Jahre lang in der Sexta gesessen! hieß es.

Dieser Fehler wird sehr oft gemacht; wer aufpaßt, kann ihn täglich lesen.
Es wird ein Relativsatz angeschlossen an ein Attribut zu einem Hauptworte,
am häufigsten an eiuen abhängigen Ge"ello, z. B. jüngere Söhne von
Vanernhöfen, die auf de" ältesten übergehen -- Bestellungen ans
das deutsche Wörterbuch, das auch lieferungsweise bezogen werden kann,
werden in allen Buchhandlungen angenommen -- der Dichter dieses Weih¬
nachtsscherzes, der vortrefflich inszenirt war.....-das letzte Werk des russischen
Erzählers, der es seiner Freundin Viardot-Garcia in die Feder diktirte
u. s. w. Am störendsten wird der Fehler, wenn die beiden Hauptwörter gleiches
Geschlecht haben, oder wenn sie beide im Plural stehen, oder wenn. das
eine ein Femininum ist und das andre im Plural steht, z. B. Viudewald hat
interessante urkundliche Mitteilungen aus der hessischen Zeit Schupps ge¬
bracht, die noch mannichfacher Aufklärung bedarf. Auch in dem letzten Falle
merkt man erst ganz am Ende des Satzes, daß sich das Relativpronomen die
auf Zeit und nicht auf Mitteilungen bezieht. Aber nicht bloß dann, wenn
eine falsche Beziehung möglich ist und durch diese vielleicht ein komischer Sinn
entstehen kann -- wie in der Zeitungsnachricht: der linke Arm des Ver-
schwundenen, der sich vermutlich herumtreibt, ist gelähmt --, sondern auch
dann, wenn durch den Wechsel des Geschlechts oder des numerus eine falsche


Allerhand Sprachdumncheiten

sich ja gar nicht „alpin" ailsdrücke», N'eun er einen Touristen Hinabstürzen
ließe! Jetzt liest mau aber auch schon von Eiscnbahnschaffnern, die beim
Coupiren der Billets abgestürzt sind.

Ich könnte noch seitenlang so fortfahren. Die Zeitungen sind voll von
Albernheiten, wie erstrangigen Feuerversicherungsgesellschafteu, einwand¬
freie» Augenzeugen, in allen Apotheke» erhältliche« Heilmittel», höchst-
instanzlich entschieden Frage», vollinhaltlich bestätigten Aussagen u. s. w.
Adi^' dergleichen kommt und geht wieder, es lohnt kaum der Mühe, drauf
aufmerksam zu machen. Ich Null lieber versuchen, in meinen frühern Weg
wieder einzulenken, und »och eine Reihe der schlimmsten Fehler und Geschmack¬
losigkeiten besprechen, die sich in unser»: Satzbau festgesetzt haben oder fest¬
zusetzen drohen.

Ich hatte zuletzt einige der verbreitetsten Fehler in deu Relativsätzen be¬
sprochen, z. B. die thörichte Einbildung, daß man bei mehreren parallelstehenden
Relativsätzen mit dem Pronomen Wechsel» müsse (der und welcher), während
gerade das Gegenteil das Richtige ist. Hier will ich wieder anknüpfen. Mit
Beschämung denke ich an einen Relativsatz zurück, deu ich selbst in jüngern
Jahren einmal verbrochen habe und mit dem ich lange geneckt worden bin;
ich hatte in einer offiziellen Viw geschrieben: Mit zehn Jahren wurde ich in
die unterste Klasse der Kreuzschule in Dresden aufgenommen, der ich
dann acht Jahre lang als Schüler und fast ebensolange als Alumnus angehört
habe. Also dn hast acht Jahre lang in der Sexta gesessen! hieß es.

Dieser Fehler wird sehr oft gemacht; wer aufpaßt, kann ihn täglich lesen.
Es wird ein Relativsatz angeschlossen an ein Attribut zu einem Hauptworte,
am häufigsten an eiuen abhängigen Ge»ello, z. B. jüngere Söhne von
Vanernhöfen, die auf de» ältesten übergehen — Bestellungen ans
das deutsche Wörterbuch, das auch lieferungsweise bezogen werden kann,
werden in allen Buchhandlungen angenommen — der Dichter dieses Weih¬
nachtsscherzes, der vortrefflich inszenirt war.....-das letzte Werk des russischen
Erzählers, der es seiner Freundin Viardot-Garcia in die Feder diktirte
u. s. w. Am störendsten wird der Fehler, wenn die beiden Hauptwörter gleiches
Geschlecht haben, oder wenn sie beide im Plural stehen, oder wenn. das
eine ein Femininum ist und das andre im Plural steht, z. B. Viudewald hat
interessante urkundliche Mitteilungen aus der hessischen Zeit Schupps ge¬
bracht, die noch mannichfacher Aufklärung bedarf. Auch in dem letzten Falle
merkt man erst ganz am Ende des Satzes, daß sich das Relativpronomen die
auf Zeit und nicht auf Mitteilungen bezieht. Aber nicht bloß dann, wenn
eine falsche Beziehung möglich ist und durch diese vielleicht ein komischer Sinn
entstehen kann — wie in der Zeitungsnachricht: der linke Arm des Ver-
schwundenen, der sich vermutlich herumtreibt, ist gelähmt —, sondern auch
dann, wenn durch den Wechsel des Geschlechts oder des numerus eine falsche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0567" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209800"/>
          <fw type="header" place="top"> Allerhand Sprachdumncheiten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1587" prev="#ID_1586"> sich ja gar nicht &#x201E;alpin" ailsdrücke», N'eun er einen Touristen Hinabstürzen<lb/>
ließe! Jetzt liest mau aber auch schon von Eiscnbahnschaffnern, die beim<lb/>
Coupiren der Billets abgestürzt sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1588"> Ich könnte noch seitenlang so fortfahren. Die Zeitungen sind voll von<lb/>
Albernheiten, wie erstrangigen Feuerversicherungsgesellschafteu, einwand¬<lb/>
freie» Augenzeugen, in allen Apotheke» erhältliche« Heilmittel», höchst-<lb/>
instanzlich entschieden Frage», vollinhaltlich bestätigten Aussagen u. s. w.<lb/>
Adi^' dergleichen kommt und geht wieder, es lohnt kaum der Mühe, drauf<lb/>
aufmerksam zu machen. Ich Null lieber versuchen, in meinen frühern Weg<lb/>
wieder einzulenken, und »och eine Reihe der schlimmsten Fehler und Geschmack¬<lb/>
losigkeiten besprechen, die sich in unser»: Satzbau festgesetzt haben oder fest¬<lb/>
zusetzen drohen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1589"> Ich hatte zuletzt einige der verbreitetsten Fehler in deu Relativsätzen be¬<lb/>
sprochen, z. B. die thörichte Einbildung, daß man bei mehreren parallelstehenden<lb/>
Relativsätzen mit dem Pronomen Wechsel» müsse (der und welcher), während<lb/>
gerade das Gegenteil das Richtige ist. Hier will ich wieder anknüpfen. Mit<lb/>
Beschämung denke ich an einen Relativsatz zurück, deu ich selbst in jüngern<lb/>
Jahren einmal verbrochen habe und mit dem ich lange geneckt worden bin;<lb/>
ich hatte in einer offiziellen Viw geschrieben: Mit zehn Jahren wurde ich in<lb/>
die unterste Klasse der Kreuzschule in Dresden aufgenommen, der ich<lb/>
dann acht Jahre lang als Schüler und fast ebensolange als Alumnus angehört<lb/>
habe.  Also dn hast acht Jahre lang in der Sexta gesessen! hieß es.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1590" next="#ID_1591"> Dieser Fehler wird sehr oft gemacht; wer aufpaßt, kann ihn täglich lesen.<lb/>
Es wird ein Relativsatz angeschlossen an ein Attribut zu einem Hauptworte,<lb/>
am häufigsten an eiuen abhängigen Ge»ello, z. B. jüngere Söhne von<lb/>
Vanernhöfen, die auf de» ältesten übergehen &#x2014; Bestellungen ans<lb/>
das deutsche Wörterbuch, das auch lieferungsweise bezogen werden kann,<lb/>
werden in allen Buchhandlungen angenommen &#x2014; der Dichter dieses Weih¬<lb/>
nachtsscherzes, der vortrefflich inszenirt war.....-das letzte Werk des russischen<lb/>
Erzählers, der es seiner Freundin Viardot-Garcia in die Feder diktirte<lb/>
u. s. w. Am störendsten wird der Fehler, wenn die beiden Hauptwörter gleiches<lb/>
Geschlecht haben, oder wenn sie beide im Plural stehen, oder wenn. das<lb/>
eine ein Femininum ist und das andre im Plural steht, z. B. Viudewald hat<lb/>
interessante urkundliche Mitteilungen aus der hessischen Zeit Schupps ge¬<lb/>
bracht, die noch mannichfacher Aufklärung bedarf. Auch in dem letzten Falle<lb/>
merkt man erst ganz am Ende des Satzes, daß sich das Relativpronomen die<lb/>
auf Zeit und nicht auf Mitteilungen bezieht. Aber nicht bloß dann, wenn<lb/>
eine falsche Beziehung möglich ist und durch diese vielleicht ein komischer Sinn<lb/>
entstehen kann &#x2014; wie in der Zeitungsnachricht: der linke Arm des Ver-<lb/>
schwundenen, der sich vermutlich herumtreibt, ist gelähmt &#x2014;, sondern auch<lb/>
dann, wenn durch den Wechsel des Geschlechts oder des numerus eine falsche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0567] Allerhand Sprachdumncheiten sich ja gar nicht „alpin" ailsdrücke», N'eun er einen Touristen Hinabstürzen ließe! Jetzt liest mau aber auch schon von Eiscnbahnschaffnern, die beim Coupiren der Billets abgestürzt sind. Ich könnte noch seitenlang so fortfahren. Die Zeitungen sind voll von Albernheiten, wie erstrangigen Feuerversicherungsgesellschafteu, einwand¬ freie» Augenzeugen, in allen Apotheke» erhältliche« Heilmittel», höchst- instanzlich entschieden Frage», vollinhaltlich bestätigten Aussagen u. s. w. Adi^' dergleichen kommt und geht wieder, es lohnt kaum der Mühe, drauf aufmerksam zu machen. Ich Null lieber versuchen, in meinen frühern Weg wieder einzulenken, und »och eine Reihe der schlimmsten Fehler und Geschmack¬ losigkeiten besprechen, die sich in unser»: Satzbau festgesetzt haben oder fest¬ zusetzen drohen. Ich hatte zuletzt einige der verbreitetsten Fehler in deu Relativsätzen be¬ sprochen, z. B. die thörichte Einbildung, daß man bei mehreren parallelstehenden Relativsätzen mit dem Pronomen Wechsel» müsse (der und welcher), während gerade das Gegenteil das Richtige ist. Hier will ich wieder anknüpfen. Mit Beschämung denke ich an einen Relativsatz zurück, deu ich selbst in jüngern Jahren einmal verbrochen habe und mit dem ich lange geneckt worden bin; ich hatte in einer offiziellen Viw geschrieben: Mit zehn Jahren wurde ich in die unterste Klasse der Kreuzschule in Dresden aufgenommen, der ich dann acht Jahre lang als Schüler und fast ebensolange als Alumnus angehört habe. Also dn hast acht Jahre lang in der Sexta gesessen! hieß es. Dieser Fehler wird sehr oft gemacht; wer aufpaßt, kann ihn täglich lesen. Es wird ein Relativsatz angeschlossen an ein Attribut zu einem Hauptworte, am häufigsten an eiuen abhängigen Ge»ello, z. B. jüngere Söhne von Vanernhöfen, die auf de» ältesten übergehen — Bestellungen ans das deutsche Wörterbuch, das auch lieferungsweise bezogen werden kann, werden in allen Buchhandlungen angenommen — der Dichter dieses Weih¬ nachtsscherzes, der vortrefflich inszenirt war.....-das letzte Werk des russischen Erzählers, der es seiner Freundin Viardot-Garcia in die Feder diktirte u. s. w. Am störendsten wird der Fehler, wenn die beiden Hauptwörter gleiches Geschlecht haben, oder wenn sie beide im Plural stehen, oder wenn. das eine ein Femininum ist und das andre im Plural steht, z. B. Viudewald hat interessante urkundliche Mitteilungen aus der hessischen Zeit Schupps ge¬ bracht, die noch mannichfacher Aufklärung bedarf. Auch in dem letzten Falle merkt man erst ganz am Ende des Satzes, daß sich das Relativpronomen die auf Zeit und nicht auf Mitteilungen bezieht. Aber nicht bloß dann, wenn eine falsche Beziehung möglich ist und durch diese vielleicht ein komischer Sinn entstehen kann — wie in der Zeitungsnachricht: der linke Arm des Ver- schwundenen, der sich vermutlich herumtreibt, ist gelähmt —, sondern auch dann, wenn durch den Wechsel des Geschlechts oder des numerus eine falsche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/567
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/567>, abgerufen am 23.07.2024.