Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.Allerhand Spicichdnii.irdenen wenn mich die Stunde mir fünfzig Pfennige kostet; Klavierlehrer giebt es Aber, wie gesagt, auch Leute, denen man etwas mehr Verstand zutrauen Letzten Sommer berichteten die Zeitungen wiederholt von abgestürzten Allerhand Spicichdnii.irdenen wenn mich die Stunde mir fünfzig Pfennige kostet; Klavierlehrer giebt es Aber, wie gesagt, auch Leute, denen man etwas mehr Verstand zutrauen Letzten Sommer berichteten die Zeitungen wiederholt von abgestürzten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0566" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209799"/> <fw type="header" place="top"> Allerhand Spicichdnii.irdenen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1584" prev="#ID_1583"> wenn mich die Stunde mir fünfzig Pfennige kostet; Klavierlehrer giebt es<lb/> gar nicht mehr. Der dicken Frnn Bäckermeisterin oder Fleischermeisterin<lb/> schmeichelt es natürlich nicht wenig, wenn sie im Blättchen liest, daß ihre<lb/> Tochter eine Elevin ist und von einem .^lnvierpädagogeu unterrichtet<lb/> wird. Auch Gesangspädagvgen giebt es schon, nur Geigen- und Pvsannen-<lb/> pädagogen fehlen noch. Gespiele, gesungen, vorgetragen, aufgeführt wird bei<lb/> solchen Darbietungen schon lange nicht mehr; jetzt wird nur noch Inter¬<lb/> pret ire. Die Albernheit stammt aus deu Wagnerkreisen. Interpretiren<lb/> heißt ja erklären, erläutern, auslegen. Die Wagnernarren suchen nun den<lb/> Leuten weißznmachen. die Musik Wagners sei so tiefsinnig, daß sie dem ge¬<lb/> wöhnlichen Menschenverstande nicht einfach vorgespielt, sondern erklärt, er¬<lb/> läutert werden müsse, und die Rolle des Erläuterers, des Interpreten hat —<lb/> die Opernsängerin, oder vielmehr die dramatische Sängerin, wie es jetzt<lb/> heißt. O du Narreuwelt!</p><lb/> <p xml:id="ID_1585"> Aber, wie gesagt, auch Leute, denen man etwas mehr Verstand zutrauen<lb/> sollte, als gewerbsmäßige» Musikschreibern, spreizen sich gar zu gern mit<lb/> überflüssigem neuen Ausdrücke» für eine alte Sache. So erscheinen jetzt Bücher<lb/> nicht mehr mit Bildern, Abbildungen oder Illustrationen, nein, mit<lb/> — graphischen Darstellungen. Graphisch ^ das ist auch so eine herr¬<lb/> liche neue Erfindung. Geographisch, orthographisch, kalligraphisch und<lb/> telegraphisch — das ist gar nichts, aber graphisch „ohne alles," graphische<lb/> Künste, graphische Gewerbe, graphisches Institut, graphische Darstellungen<lb/> — das ist großartig! Denken nur die guten Leute gar nicht dran, daß sie<lb/> sich mit solchen Neubildungen, die die große Masse nustannt, aber nicht ver¬<lb/> steht, schaden können? Einer Druckerei wird es nie nu Aufträge» fehlen, ob<lb/> ein graphisches Institut immer welche hat, ist mir zweifelhaft. In Leipzig<lb/> wurden kürzlich die „in den graphischen Gewerben beschäftigten Arbeiter und<lb/> Arbeiterinnen" zu einer Versnmmluug eingeladen. Wie viele mögen wohl ge¬<lb/> kommen sein? Was weiß eine Bogenfängerin davon, daß sie eine „in den<lb/> graphischen Gewerben beschäftigte Arbeiterin" ist? Oder weiß sie es?<lb/> schwillt vielleicht auch ihre Brust schon stolz bei dem Worte graphisch, wie<lb/> die eines Knnstgewerbemuseumsdirektors oder eines Kunstgelverbeschllldirektors?<lb/> Als ich zum erstenmale auf einem Buchtitel von graphischen Darstellungen<lb/> las, glaubte ich naturwissenschaftliche oder medizinische Bcobachtungöknrven<lb/> oder etwas ähnliches in dem Buche zu finden; aber es waren Bilder, ganz<lb/> gewöhnliche Bilder. Ist das nicht zu dumm?</p><lb/> <p xml:id="ID_1586" next="#ID_1587"> Letzten Sommer berichteten die Zeitungen wiederholt von abgestürzten<lb/> Touristen. Bisher hatte man herab- oder herunterstürzen, hinab- oder<lb/> hinunterstürzen gesagt, je nachdem man sich selbst oben oder unter stehend<lb/> dachte. In den Bergen sagt man wahrscheinlich abstürzen. Der gebildete<lb/> Zeitungsschreiber muß nun doch zeigen, daß er „dort gewesen" ist, er würde</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0566]
Allerhand Spicichdnii.irdenen
wenn mich die Stunde mir fünfzig Pfennige kostet; Klavierlehrer giebt es
gar nicht mehr. Der dicken Frnn Bäckermeisterin oder Fleischermeisterin
schmeichelt es natürlich nicht wenig, wenn sie im Blättchen liest, daß ihre
Tochter eine Elevin ist und von einem .^lnvierpädagogeu unterrichtet
wird. Auch Gesangspädagvgen giebt es schon, nur Geigen- und Pvsannen-
pädagogen fehlen noch. Gespiele, gesungen, vorgetragen, aufgeführt wird bei
solchen Darbietungen schon lange nicht mehr; jetzt wird nur noch Inter¬
pret ire. Die Albernheit stammt aus deu Wagnerkreisen. Interpretiren
heißt ja erklären, erläutern, auslegen. Die Wagnernarren suchen nun den
Leuten weißznmachen. die Musik Wagners sei so tiefsinnig, daß sie dem ge¬
wöhnlichen Menschenverstande nicht einfach vorgespielt, sondern erklärt, er¬
läutert werden müsse, und die Rolle des Erläuterers, des Interpreten hat —
die Opernsängerin, oder vielmehr die dramatische Sängerin, wie es jetzt
heißt. O du Narreuwelt!
Aber, wie gesagt, auch Leute, denen man etwas mehr Verstand zutrauen
sollte, als gewerbsmäßige» Musikschreibern, spreizen sich gar zu gern mit
überflüssigem neuen Ausdrücke» für eine alte Sache. So erscheinen jetzt Bücher
nicht mehr mit Bildern, Abbildungen oder Illustrationen, nein, mit
— graphischen Darstellungen. Graphisch ^ das ist auch so eine herr¬
liche neue Erfindung. Geographisch, orthographisch, kalligraphisch und
telegraphisch — das ist gar nichts, aber graphisch „ohne alles," graphische
Künste, graphische Gewerbe, graphisches Institut, graphische Darstellungen
— das ist großartig! Denken nur die guten Leute gar nicht dran, daß sie
sich mit solchen Neubildungen, die die große Masse nustannt, aber nicht ver¬
steht, schaden können? Einer Druckerei wird es nie nu Aufträge» fehlen, ob
ein graphisches Institut immer welche hat, ist mir zweifelhaft. In Leipzig
wurden kürzlich die „in den graphischen Gewerben beschäftigten Arbeiter und
Arbeiterinnen" zu einer Versnmmluug eingeladen. Wie viele mögen wohl ge¬
kommen sein? Was weiß eine Bogenfängerin davon, daß sie eine „in den
graphischen Gewerben beschäftigte Arbeiterin" ist? Oder weiß sie es?
schwillt vielleicht auch ihre Brust schon stolz bei dem Worte graphisch, wie
die eines Knnstgewerbemuseumsdirektors oder eines Kunstgelverbeschllldirektors?
Als ich zum erstenmale auf einem Buchtitel von graphischen Darstellungen
las, glaubte ich naturwissenschaftliche oder medizinische Bcobachtungöknrven
oder etwas ähnliches in dem Buche zu finden; aber es waren Bilder, ganz
gewöhnliche Bilder. Ist das nicht zu dumm?
Letzten Sommer berichteten die Zeitungen wiederholt von abgestürzten
Touristen. Bisher hatte man herab- oder herunterstürzen, hinab- oder
hinunterstürzen gesagt, je nachdem man sich selbst oben oder unter stehend
dachte. In den Bergen sagt man wahrscheinlich abstürzen. Der gebildete
Zeitungsschreiber muß nun doch zeigen, daß er „dort gewesen" ist, er würde
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