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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Ivie ist der deutschen Landwirtschaft M helfen?

uns sehr leid, wir können nicht helfen, sagen die Freihändler; mag der ver¬
schuldete Besitz verkauft werden n"d in kapitalkräftige Hände übergehe".

Hier kommt eine große Frage der Politik und der Sittenpflege ins Spiel:
die Zähigkeit des Landbesitzes, wenn mich durch entgegenwirkende Einflüsse viel¬
fach durchbrochen, ist eine der stärksten unter den erhaltenden Kräften des Staats-
lebens. Denkt man sich den Landbesitz nur noch als Gegenstand der Spekulation,
heute aus einander-, morgen zusammengeworfen, hier mit industriellen Attlageu
bedeckt, die morgen verfallen, dort dem Raubbau preisgegeben, die Reste der
Wälder niedergeschlagen u. s, w., so hört die Liebe zum heimatlichen Boden
auf, ja die ganze Landbevölkerung wird ausgelöst in heimatlose Lohnarbeiter
und heimatlose Spekulanten. Mau kann auch nicht annehmen, daß, wo hente
ein verschuldetes Gut verkauft wird, morgen ein kapitalkräftiger und ver¬
ständiger Landwirt einziehen werde, der darauf bedacht ist, den eben erworbenen
Besitz zu einem Gegenstande der Anhänglichkeit sür nachkommende Geschlechter
zu machen. Die ernsthafte Gefahr liegt darin, daß ein schneller und durch-
greifender Besitzwechsel auf dem Laude den bloßen Geldwert zum einzigen
Maßstabe des Landbesitzes macht, damit aber die aus langen Jahrhunderten
überkommene, freilich schon oft veränderte, aber in gewissen Grundlagen un-
erschütterte Besitz- und Lebensordnung zerstört wird. Denn was von den Gütern
gilt, das gilt in gleichem oder noch höherm Maße von den Bauern. Mit dein
ländlichen Herrenstande wird anch der Bauernstand zerstört, man müßte denn
eigne weitgreifende Sicherungsmaßregeln für ihn treffen.

Es handelt sich also zunächst um ein Mittel, den ländlichen Besitzwechsel
nicht etwa zu verhindern, sondern ihm etwaige schädliche Folgen zu nehmen.
Wir wollen einem solchen Mittel einige Worte widmen, aber uur in der Ab¬
sicht, zu zeigen, daß solche Mittel nicht undenkbar sind. Unser eigentliches
Thema soll hente ein andres sein.

Die Mittel zur Befestigung des ländlichen Grundbesitzes sind ja alt;
mannichfaltig sind sie mehr der Erscheinung als dem Wesen nach. Sie laufen
hinaus auf die nuteilbnre Vererbung, wobei nur die Wahl des bevorzugten
Erben verschiedne Weisen zuläßt und in verschiednen Weisen zur Anwendung
gebracht wird. Ein zweiter Unterschied liegt in der Abfindung der vom Grund¬
besitz ausgeschlossenen Erden. Wir enthalten uns hier alles nähern Eingehens
und bemerken nur, daß die Anwendung dieser Mittel im ganzen immer seltener
wird, daß ihre Verpflanzung auf die Landschaften, wo sie nicht durch alte
Gewohnheit eingelebt sind, niemals gelungen ist. Überdies kann die Ver¬
erbung eines unteilbaren Besitzes für sich nicht helfen ohne Beschränkungen
des ländlichen Kredits, d. h. ohne Beschränkungen der Haftbarkeit des länd¬
lichen Bodens für Darlehen des Besitzers. Das sind Aufgaben, an denen
die Gesetzgebung seit langem arbeitet, ohne bis jetzt zu einer allgemeinen
und befriedigenden Lösung gelangt zu sein. Für unlösbar möchten wir die


Ivie ist der deutschen Landwirtschaft M helfen?

uns sehr leid, wir können nicht helfen, sagen die Freihändler; mag der ver¬
schuldete Besitz verkauft werden n»d in kapitalkräftige Hände übergehe».

Hier kommt eine große Frage der Politik und der Sittenpflege ins Spiel:
die Zähigkeit des Landbesitzes, wenn mich durch entgegenwirkende Einflüsse viel¬
fach durchbrochen, ist eine der stärksten unter den erhaltenden Kräften des Staats-
lebens. Denkt man sich den Landbesitz nur noch als Gegenstand der Spekulation,
heute aus einander-, morgen zusammengeworfen, hier mit industriellen Attlageu
bedeckt, die morgen verfallen, dort dem Raubbau preisgegeben, die Reste der
Wälder niedergeschlagen u. s, w., so hört die Liebe zum heimatlichen Boden
auf, ja die ganze Landbevölkerung wird ausgelöst in heimatlose Lohnarbeiter
und heimatlose Spekulanten. Mau kann auch nicht annehmen, daß, wo hente
ein verschuldetes Gut verkauft wird, morgen ein kapitalkräftiger und ver¬
ständiger Landwirt einziehen werde, der darauf bedacht ist, den eben erworbenen
Besitz zu einem Gegenstande der Anhänglichkeit sür nachkommende Geschlechter
zu machen. Die ernsthafte Gefahr liegt darin, daß ein schneller und durch-
greifender Besitzwechsel auf dem Laude den bloßen Geldwert zum einzigen
Maßstabe des Landbesitzes macht, damit aber die aus langen Jahrhunderten
überkommene, freilich schon oft veränderte, aber in gewissen Grundlagen un-
erschütterte Besitz- und Lebensordnung zerstört wird. Denn was von den Gütern
gilt, das gilt in gleichem oder noch höherm Maße von den Bauern. Mit dein
ländlichen Herrenstande wird anch der Bauernstand zerstört, man müßte denn
eigne weitgreifende Sicherungsmaßregeln für ihn treffen.

Es handelt sich also zunächst um ein Mittel, den ländlichen Besitzwechsel
nicht etwa zu verhindern, sondern ihm etwaige schädliche Folgen zu nehmen.
Wir wollen einem solchen Mittel einige Worte widmen, aber uur in der Ab¬
sicht, zu zeigen, daß solche Mittel nicht undenkbar sind. Unser eigentliches
Thema soll hente ein andres sein.

Die Mittel zur Befestigung des ländlichen Grundbesitzes sind ja alt;
mannichfaltig sind sie mehr der Erscheinung als dem Wesen nach. Sie laufen
hinaus auf die nuteilbnre Vererbung, wobei nur die Wahl des bevorzugten
Erben verschiedne Weisen zuläßt und in verschiednen Weisen zur Anwendung
gebracht wird. Ein zweiter Unterschied liegt in der Abfindung der vom Grund¬
besitz ausgeschlossenen Erden. Wir enthalten uns hier alles nähern Eingehens
und bemerken nur, daß die Anwendung dieser Mittel im ganzen immer seltener
wird, daß ihre Verpflanzung auf die Landschaften, wo sie nicht durch alte
Gewohnheit eingelebt sind, niemals gelungen ist. Überdies kann die Ver¬
erbung eines unteilbaren Besitzes für sich nicht helfen ohne Beschränkungen
des ländlichen Kredits, d. h. ohne Beschränkungen der Haftbarkeit des länd¬
lichen Bodens für Darlehen des Besitzers. Das sind Aufgaben, an denen
die Gesetzgebung seit langem arbeitet, ohne bis jetzt zu einer allgemeinen
und befriedigenden Lösung gelangt zu sein. Für unlösbar möchten wir die


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[0539] Ivie ist der deutschen Landwirtschaft M helfen? uns sehr leid, wir können nicht helfen, sagen die Freihändler; mag der ver¬ schuldete Besitz verkauft werden n»d in kapitalkräftige Hände übergehe». Hier kommt eine große Frage der Politik und der Sittenpflege ins Spiel: die Zähigkeit des Landbesitzes, wenn mich durch entgegenwirkende Einflüsse viel¬ fach durchbrochen, ist eine der stärksten unter den erhaltenden Kräften des Staats- lebens. Denkt man sich den Landbesitz nur noch als Gegenstand der Spekulation, heute aus einander-, morgen zusammengeworfen, hier mit industriellen Attlageu bedeckt, die morgen verfallen, dort dem Raubbau preisgegeben, die Reste der Wälder niedergeschlagen u. s, w., so hört die Liebe zum heimatlichen Boden auf, ja die ganze Landbevölkerung wird ausgelöst in heimatlose Lohnarbeiter und heimatlose Spekulanten. Mau kann auch nicht annehmen, daß, wo hente ein verschuldetes Gut verkauft wird, morgen ein kapitalkräftiger und ver¬ ständiger Landwirt einziehen werde, der darauf bedacht ist, den eben erworbenen Besitz zu einem Gegenstande der Anhänglichkeit sür nachkommende Geschlechter zu machen. Die ernsthafte Gefahr liegt darin, daß ein schneller und durch- greifender Besitzwechsel auf dem Laude den bloßen Geldwert zum einzigen Maßstabe des Landbesitzes macht, damit aber die aus langen Jahrhunderten überkommene, freilich schon oft veränderte, aber in gewissen Grundlagen un- erschütterte Besitz- und Lebensordnung zerstört wird. Denn was von den Gütern gilt, das gilt in gleichem oder noch höherm Maße von den Bauern. Mit dein ländlichen Herrenstande wird anch der Bauernstand zerstört, man müßte denn eigne weitgreifende Sicherungsmaßregeln für ihn treffen. Es handelt sich also zunächst um ein Mittel, den ländlichen Besitzwechsel nicht etwa zu verhindern, sondern ihm etwaige schädliche Folgen zu nehmen. Wir wollen einem solchen Mittel einige Worte widmen, aber uur in der Ab¬ sicht, zu zeigen, daß solche Mittel nicht undenkbar sind. Unser eigentliches Thema soll hente ein andres sein. Die Mittel zur Befestigung des ländlichen Grundbesitzes sind ja alt; mannichfaltig sind sie mehr der Erscheinung als dem Wesen nach. Sie laufen hinaus auf die nuteilbnre Vererbung, wobei nur die Wahl des bevorzugten Erben verschiedne Weisen zuläßt und in verschiednen Weisen zur Anwendung gebracht wird. Ein zweiter Unterschied liegt in der Abfindung der vom Grund¬ besitz ausgeschlossenen Erden. Wir enthalten uns hier alles nähern Eingehens und bemerken nur, daß die Anwendung dieser Mittel im ganzen immer seltener wird, daß ihre Verpflanzung auf die Landschaften, wo sie nicht durch alte Gewohnheit eingelebt sind, niemals gelungen ist. Überdies kann die Ver¬ erbung eines unteilbaren Besitzes für sich nicht helfen ohne Beschränkungen des ländlichen Kredits, d. h. ohne Beschränkungen der Haftbarkeit des länd¬ lichen Bodens für Darlehen des Besitzers. Das sind Aufgaben, an denen die Gesetzgebung seit langem arbeitet, ohne bis jetzt zu einer allgemeinen und befriedigenden Lösung gelangt zu sein. Für unlösbar möchten wir die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/539>, abgerufen am 23.07.2024.