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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Rokokostudieil

1680 das Schminkpflästerchen in der Gunst der Leipzigerinnen eingebürgert
hatte, und zwar fest genug, um allen Anfechtungen Trotz bieten zu können.
Die Geschichte schweigt davon, ob wirklich einige das Martyrium für die neue
Mode erduldeten. An dem Mute des Bekenntnisses darf man gewiß nicht
zweifeln. Der Eifer des Rates erlahmte bald, das Nnnclatmn verfiel
schnöder Vergessenheit und wurde schätzbares Material für die Neugierde
späterer Geschlechter; die angefeindete Musche aber verklärte als Siegerin im
Kampf Stirn und Wangen zahlreicher Verehrerinnen. Die Kunst ihrer Ver¬
wendung wurde zur Vollkommenheit gesteigert. Die Tage ihres höchsten
Ruhmes waren gekommen; selbst die Weihe der Musen fehlte ihr nicht.

Die galante Dichtung der Zeit fand in der neuen Zier einen Stoff, der
wie geschaffen war für geistreiche Einfülle und witzige Spielereien, wie sie
der Zeitgeschmack damals verlangte. Mit großem Fleiße bebaute dieses Feld
der Leipziger Professor und Vorsteher der Deutschen Gesellschaft Johann Burg-
hard Mencke (1675--17Z2), der uuter dem Namen Philander von der Linde
eine Reihe eigner und fremder Gedichte herausgab. Er hat der Musche be¬
sondre Aufmerksamkeit gewidmet und gesinnungslos bald für, bald gegen sie
gedichtet. Er durfte gewiß auf den Beifall seiner artigen Mitbürgerinnen
rechnen, als er die Pslästerchen ihres Gesichtes mit -- den Sonnenflecken ver¬
glich. Er selbst scheint nicht wenig stolz auf diesen Gedanken gewesen zu
sein, denn er hat ihn in mehrfacher Fassung zum Ausdruck gebracht. Die
kürzeste möge hier als Probe dieser "Verliebten Gedichte," wie sie der Ver¬
fasser nennt, ein Plätzchen finden.


Wie kömmt es, daß mein Licht,
Die Sylvia, so fleißig ist bemüht
Ihr angenehmes Angesicht
Mit schwarzen Nouolivn zu bedecken?
Jedoch
Was wundre ich mich noch?
Wo Sonnen sind, da sind auch schwarze Flecke".

In der Rokokozeit gehört das "Noueümischächtleiu oder Capsul" zur un
entbehrlichen Ausrüstung des vielgefeierten Pntztisches oder Nachttisches der
Damen. Hier ist "der Thron, wo die Kunst triumphirt, der Altar, wo man
den Grazien opfert, durch ihn bringt man die verflossenen Zeiten zurück."
Eine bunte Gesellschaft findet sich mit dem Noueüönschächtlein zusammen:
der Aufsatzspiegel, die silberne Puderschachtel, Handleuchter, Nadelschächtlein,
Augeubraueukamm, I/ombreteller, Narciususchachtel. "Bißweilen auch ein Ge¬
bets-Buch oder ein sauberes Orueiüx" schließt die Aufzählung in dem Fraueu-
zimmerlexikon des Amaranthes.

So sieht es auf dem Putztisch der schöne" Belinda, der gefeierten Heldin
von Poves "Lockeuraub" aus:


Rokokostudieil

1680 das Schminkpflästerchen in der Gunst der Leipzigerinnen eingebürgert
hatte, und zwar fest genug, um allen Anfechtungen Trotz bieten zu können.
Die Geschichte schweigt davon, ob wirklich einige das Martyrium für die neue
Mode erduldeten. An dem Mute des Bekenntnisses darf man gewiß nicht
zweifeln. Der Eifer des Rates erlahmte bald, das Nnnclatmn verfiel
schnöder Vergessenheit und wurde schätzbares Material für die Neugierde
späterer Geschlechter; die angefeindete Musche aber verklärte als Siegerin im
Kampf Stirn und Wangen zahlreicher Verehrerinnen. Die Kunst ihrer Ver¬
wendung wurde zur Vollkommenheit gesteigert. Die Tage ihres höchsten
Ruhmes waren gekommen; selbst die Weihe der Musen fehlte ihr nicht.

Die galante Dichtung der Zeit fand in der neuen Zier einen Stoff, der
wie geschaffen war für geistreiche Einfülle und witzige Spielereien, wie sie
der Zeitgeschmack damals verlangte. Mit großem Fleiße bebaute dieses Feld
der Leipziger Professor und Vorsteher der Deutschen Gesellschaft Johann Burg-
hard Mencke (1675—17Z2), der uuter dem Namen Philander von der Linde
eine Reihe eigner und fremder Gedichte herausgab. Er hat der Musche be¬
sondre Aufmerksamkeit gewidmet und gesinnungslos bald für, bald gegen sie
gedichtet. Er durfte gewiß auf den Beifall seiner artigen Mitbürgerinnen
rechnen, als er die Pslästerchen ihres Gesichtes mit — den Sonnenflecken ver¬
glich. Er selbst scheint nicht wenig stolz auf diesen Gedanken gewesen zu
sein, denn er hat ihn in mehrfacher Fassung zum Ausdruck gebracht. Die
kürzeste möge hier als Probe dieser „Verliebten Gedichte," wie sie der Ver¬
fasser nennt, ein Plätzchen finden.


Wie kömmt es, daß mein Licht,
Die Sylvia, so fleißig ist bemüht
Ihr angenehmes Angesicht
Mit schwarzen Nouolivn zu bedecken?
Jedoch
Was wundre ich mich noch?
Wo Sonnen sind, da sind auch schwarze Flecke».

In der Rokokozeit gehört das „Noueümischächtleiu oder Capsul" zur un
entbehrlichen Ausrüstung des vielgefeierten Pntztisches oder Nachttisches der
Damen. Hier ist „der Thron, wo die Kunst triumphirt, der Altar, wo man
den Grazien opfert, durch ihn bringt man die verflossenen Zeiten zurück."
Eine bunte Gesellschaft findet sich mit dem Noueüönschächtlein zusammen:
der Aufsatzspiegel, die silberne Puderschachtel, Handleuchter, Nadelschächtlein,
Augeubraueukamm, I/ombreteller, Narciususchachtel. „Bißweilen auch ein Ge¬
bets-Buch oder ein sauberes Orueiüx" schließt die Aufzählung in dem Fraueu-
zimmerlexikon des Amaranthes.

So sieht es auf dem Putztisch der schöne» Belinda, der gefeierten Heldin
von Poves „Lockeuraub" aus:


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[0522] Rokokostudieil 1680 das Schminkpflästerchen in der Gunst der Leipzigerinnen eingebürgert hatte, und zwar fest genug, um allen Anfechtungen Trotz bieten zu können. Die Geschichte schweigt davon, ob wirklich einige das Martyrium für die neue Mode erduldeten. An dem Mute des Bekenntnisses darf man gewiß nicht zweifeln. Der Eifer des Rates erlahmte bald, das Nnnclatmn verfiel schnöder Vergessenheit und wurde schätzbares Material für die Neugierde späterer Geschlechter; die angefeindete Musche aber verklärte als Siegerin im Kampf Stirn und Wangen zahlreicher Verehrerinnen. Die Kunst ihrer Ver¬ wendung wurde zur Vollkommenheit gesteigert. Die Tage ihres höchsten Ruhmes waren gekommen; selbst die Weihe der Musen fehlte ihr nicht. Die galante Dichtung der Zeit fand in der neuen Zier einen Stoff, der wie geschaffen war für geistreiche Einfülle und witzige Spielereien, wie sie der Zeitgeschmack damals verlangte. Mit großem Fleiße bebaute dieses Feld der Leipziger Professor und Vorsteher der Deutschen Gesellschaft Johann Burg- hard Mencke (1675—17Z2), der uuter dem Namen Philander von der Linde eine Reihe eigner und fremder Gedichte herausgab. Er hat der Musche be¬ sondre Aufmerksamkeit gewidmet und gesinnungslos bald für, bald gegen sie gedichtet. Er durfte gewiß auf den Beifall seiner artigen Mitbürgerinnen rechnen, als er die Pslästerchen ihres Gesichtes mit — den Sonnenflecken ver¬ glich. Er selbst scheint nicht wenig stolz auf diesen Gedanken gewesen zu sein, denn er hat ihn in mehrfacher Fassung zum Ausdruck gebracht. Die kürzeste möge hier als Probe dieser „Verliebten Gedichte," wie sie der Ver¬ fasser nennt, ein Plätzchen finden. Wie kömmt es, daß mein Licht, Die Sylvia, so fleißig ist bemüht Ihr angenehmes Angesicht Mit schwarzen Nouolivn zu bedecken? Jedoch Was wundre ich mich noch? Wo Sonnen sind, da sind auch schwarze Flecke». In der Rokokozeit gehört das „Noueümischächtleiu oder Capsul" zur un entbehrlichen Ausrüstung des vielgefeierten Pntztisches oder Nachttisches der Damen. Hier ist „der Thron, wo die Kunst triumphirt, der Altar, wo man den Grazien opfert, durch ihn bringt man die verflossenen Zeiten zurück." Eine bunte Gesellschaft findet sich mit dem Noueüönschächtlein zusammen: der Aufsatzspiegel, die silberne Puderschachtel, Handleuchter, Nadelschächtlein, Augeubraueukamm, I/ombreteller, Narciususchachtel. „Bißweilen auch ein Ge¬ bets-Buch oder ein sauberes Orueiüx" schließt die Aufzählung in dem Fraueu- zimmerlexikon des Amaranthes. So sieht es auf dem Putztisch der schöne» Belinda, der gefeierten Heldin von Poves „Lockeuraub" aus:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/522>, abgerufen am 23.07.2024.