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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Hedda Gabler

"ach dem andern in den ihnen zu Gebote stehenden halb oder ganz natura¬
listischen Litteratnrblättern durchgekämpft hatten, hatten vollauf Ursache, dauernd
ihr Haupt zu verhüllen. Schon nach dem Erscheinen der deutschen Buch¬
ausgabe des Schauspiels hatten sie das Gemisch von Bewunderung und Zweifel
zum Ausdruck gebracht, mit dem sie so gern kokettire", um sich erst als Ab¬
kömmlinge Lessingschen Geistes auszuweisen und dann unter dem Deckmantel
dieses Freibriefes den Wahrheitsdrang Lessings mit dem Wirtlichkeitsdrange
Ibsens, der ans diesem Wege mit dem Heiligenscheine der Litteraturgeschichte
umwoben wird, zu vergleichen. Aber alle Nettnngs-, Beschönignngs- und Er-
läuterungsversnche, die an dem Charakter Hedda Gablers selbst von den Ibsen-
freunden, die noch an der Wahrheit halten, gemacht worden sind, sind kläglich
gescheitert. Diese Hedda Gabler, die Fran des Privatdozenten der Kultur¬
geschichte Jörgen Tesman, ist zwar ans demselben Thone geformt, wie alle
Jbsenschen Weiber, die nur dazu da sind, den Männern Unheil zu bringen;
aber die Beweggründe ihres Handelns sind nicht dämonischen oder fatalistischen
Ursprungs oder mit sonst einem Phantastischen Mäntelchen umhüllt, sondern
es sind die gemeinsten, die eines Mensche" Willenskraft zur Vernichtung andrer
aufstacheln könne": der Neid "ut die blinde Nachsucht. Hedda Tesman hat
keine Gemeinschaft mit den dämonische", "uter dem Einfluß ungebändigter
Leidenschaften handelnden Heldenweibern, die Ibsen ans den Liedern und Sagen
seiner nordischen Heimat kennen gelernt und deren Bilder er gelegentlich auch
in dem alles verkleinernden und verzerrenden Hohlspiegel seiner dichterischen
Gestaltungsart anfgefange" hat. Sie ist eine ganz gewöhnliche Intrigantin,
eine jener Figuren, die zu dem eisernen Bestände der modernen französischen
Dramatiker gehören, von denen Ibsen viel mehr gelernt hat als von der Natur.
Wenn einmal wieder in Deutschland ein Geschlecht heranwachsen sollte, dem
die Litteratur nicht mehr Parteiangelegenheit, sondern wieder Gefühls-, Ge¬
müts- und Geschmackssache geworden ist, dann wird vielleicht auch das Urteil
über Ibsen zur Ruhe gekommen sein, und man wird sich schaudernd einge¬
stehen, daß seine wesentlichste dichterische That darin bestand, das; er die Nücken-
marksschwindsucht und die Alkoholvergiftung als tragische Motive in die
dramatische Poesie eingeführt hat.

Darin unterscheidet er sich von seinen französischen Lehrmeistern, die den
guten Geschmack besessen haben, diese Motive - bis jetzt wenigstens -- nicht
auszunutzen oder doch uicht zum ständigen Inventar der dramatischen Dicht¬
kunst zu macheu. Dem gallischen Blute sind auch ein paar Tröpfchen Humor
beigemischt, die häufig aufsprudeln, wenn die Roheit gar zu nackt erscheint;
aber der finstere Norweger hat von diesem Balsam nichts mitbekommen. Wenn
er einmal seine mechanisch aufgenommenen Angenblicksphvtographien nach einer
trostlosen, Geist und Herz gleichmäßig niederdrückenden Wirklichkeit durch einen
Strahl des Humors erhellen will, verzerrt sich sein Antlitz zu einer Grimasse,


Gnnizlwten I 1891 S9
Hedda Gabler

»ach dem andern in den ihnen zu Gebote stehenden halb oder ganz natura¬
listischen Litteratnrblättern durchgekämpft hatten, hatten vollauf Ursache, dauernd
ihr Haupt zu verhüllen. Schon nach dem Erscheinen der deutschen Buch¬
ausgabe des Schauspiels hatten sie das Gemisch von Bewunderung und Zweifel
zum Ausdruck gebracht, mit dem sie so gern kokettire», um sich erst als Ab¬
kömmlinge Lessingschen Geistes auszuweisen und dann unter dem Deckmantel
dieses Freibriefes den Wahrheitsdrang Lessings mit dem Wirtlichkeitsdrange
Ibsens, der ans diesem Wege mit dem Heiligenscheine der Litteraturgeschichte
umwoben wird, zu vergleichen. Aber alle Nettnngs-, Beschönignngs- und Er-
läuterungsversnche, die an dem Charakter Hedda Gablers selbst von den Ibsen-
freunden, die noch an der Wahrheit halten, gemacht worden sind, sind kläglich
gescheitert. Diese Hedda Gabler, die Fran des Privatdozenten der Kultur¬
geschichte Jörgen Tesman, ist zwar ans demselben Thone geformt, wie alle
Jbsenschen Weiber, die nur dazu da sind, den Männern Unheil zu bringen;
aber die Beweggründe ihres Handelns sind nicht dämonischen oder fatalistischen
Ursprungs oder mit sonst einem Phantastischen Mäntelchen umhüllt, sondern
es sind die gemeinsten, die eines Mensche» Willenskraft zur Vernichtung andrer
aufstacheln könne»: der Neid »ut die blinde Nachsucht. Hedda Tesman hat
keine Gemeinschaft mit den dämonische», »uter dem Einfluß ungebändigter
Leidenschaften handelnden Heldenweibern, die Ibsen ans den Liedern und Sagen
seiner nordischen Heimat kennen gelernt und deren Bilder er gelegentlich auch
in dem alles verkleinernden und verzerrenden Hohlspiegel seiner dichterischen
Gestaltungsart anfgefange» hat. Sie ist eine ganz gewöhnliche Intrigantin,
eine jener Figuren, die zu dem eisernen Bestände der modernen französischen
Dramatiker gehören, von denen Ibsen viel mehr gelernt hat als von der Natur.
Wenn einmal wieder in Deutschland ein Geschlecht heranwachsen sollte, dem
die Litteratur nicht mehr Parteiangelegenheit, sondern wieder Gefühls-, Ge¬
müts- und Geschmackssache geworden ist, dann wird vielleicht auch das Urteil
über Ibsen zur Ruhe gekommen sein, und man wird sich schaudernd einge¬
stehen, daß seine wesentlichste dichterische That darin bestand, das; er die Nücken-
marksschwindsucht und die Alkoholvergiftung als tragische Motive in die
dramatische Poesie eingeführt hat.

Darin unterscheidet er sich von seinen französischen Lehrmeistern, die den
guten Geschmack besessen haben, diese Motive - bis jetzt wenigstens — nicht
auszunutzen oder doch uicht zum ständigen Inventar der dramatischen Dicht¬
kunst zu macheu. Dem gallischen Blute sind auch ein paar Tröpfchen Humor
beigemischt, die häufig aufsprudeln, wenn die Roheit gar zu nackt erscheint;
aber der finstere Norweger hat von diesem Balsam nichts mitbekommen. Wenn
er einmal seine mechanisch aufgenommenen Angenblicksphvtographien nach einer
trostlosen, Geist und Herz gleichmäßig niederdrückenden Wirklichkeit durch einen
Strahl des Humors erhellen will, verzerrt sich sein Antlitz zu einer Grimasse,


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[0473] Hedda Gabler »ach dem andern in den ihnen zu Gebote stehenden halb oder ganz natura¬ listischen Litteratnrblättern durchgekämpft hatten, hatten vollauf Ursache, dauernd ihr Haupt zu verhüllen. Schon nach dem Erscheinen der deutschen Buch¬ ausgabe des Schauspiels hatten sie das Gemisch von Bewunderung und Zweifel zum Ausdruck gebracht, mit dem sie so gern kokettire», um sich erst als Ab¬ kömmlinge Lessingschen Geistes auszuweisen und dann unter dem Deckmantel dieses Freibriefes den Wahrheitsdrang Lessings mit dem Wirtlichkeitsdrange Ibsens, der ans diesem Wege mit dem Heiligenscheine der Litteraturgeschichte umwoben wird, zu vergleichen. Aber alle Nettnngs-, Beschönignngs- und Er- läuterungsversnche, die an dem Charakter Hedda Gablers selbst von den Ibsen- freunden, die noch an der Wahrheit halten, gemacht worden sind, sind kläglich gescheitert. Diese Hedda Gabler, die Fran des Privatdozenten der Kultur¬ geschichte Jörgen Tesman, ist zwar ans demselben Thone geformt, wie alle Jbsenschen Weiber, die nur dazu da sind, den Männern Unheil zu bringen; aber die Beweggründe ihres Handelns sind nicht dämonischen oder fatalistischen Ursprungs oder mit sonst einem Phantastischen Mäntelchen umhüllt, sondern es sind die gemeinsten, die eines Mensche» Willenskraft zur Vernichtung andrer aufstacheln könne»: der Neid »ut die blinde Nachsucht. Hedda Tesman hat keine Gemeinschaft mit den dämonische», »uter dem Einfluß ungebändigter Leidenschaften handelnden Heldenweibern, die Ibsen ans den Liedern und Sagen seiner nordischen Heimat kennen gelernt und deren Bilder er gelegentlich auch in dem alles verkleinernden und verzerrenden Hohlspiegel seiner dichterischen Gestaltungsart anfgefange» hat. Sie ist eine ganz gewöhnliche Intrigantin, eine jener Figuren, die zu dem eisernen Bestände der modernen französischen Dramatiker gehören, von denen Ibsen viel mehr gelernt hat als von der Natur. Wenn einmal wieder in Deutschland ein Geschlecht heranwachsen sollte, dem die Litteratur nicht mehr Parteiangelegenheit, sondern wieder Gefühls-, Ge¬ müts- und Geschmackssache geworden ist, dann wird vielleicht auch das Urteil über Ibsen zur Ruhe gekommen sein, und man wird sich schaudernd einge¬ stehen, daß seine wesentlichste dichterische That darin bestand, das; er die Nücken- marksschwindsucht und die Alkoholvergiftung als tragische Motive in die dramatische Poesie eingeführt hat. Darin unterscheidet er sich von seinen französischen Lehrmeistern, die den guten Geschmack besessen haben, diese Motive - bis jetzt wenigstens — nicht auszunutzen oder doch uicht zum ständigen Inventar der dramatischen Dicht¬ kunst zu macheu. Dem gallischen Blute sind auch ein paar Tröpfchen Humor beigemischt, die häufig aufsprudeln, wenn die Roheit gar zu nackt erscheint; aber der finstere Norweger hat von diesem Balsam nichts mitbekommen. Wenn er einmal seine mechanisch aufgenommenen Angenblicksphvtographien nach einer trostlosen, Geist und Herz gleichmäßig niederdrückenden Wirklichkeit durch einen Strahl des Humors erhellen will, verzerrt sich sein Antlitz zu einer Grimasse, Gnnizlwten I 1891 S9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/473>, abgerufen am 03.07.2024.