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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Oon allerlei ?>lebten"um

Schwester der widerspenstigen Braut an ihre Stelle, nimmt ihr Ring und
Kränzchen ub, ruft ja! Pfarrer und Bräutigam sind ebenso geschwind
völlig einverstanden mit dem Tausch, und die Ehe wird geschlossen. Diese
kaum glaubliche Geschichte hat uun Ilse Frapan mit seiner Kunst wahrscheinlich
gemacht. Sie giebt eine ausführliche Schilderung des Zusammenlebens der
zwei Schwestern mit dem Bräutigam der ältern ; wir sehen, daß dieser
Paul von der ältern nur pflichtmäßig, auf das Gebot des Vaters hin, äußerlich
als Bräutigam gelitten wird, während ihn die jüngere, ohne sichs eingestehen zu
dürfen, rechtschaffen liebt. Dieses Schauspiel der drei naiven, über ihre Liebe
unklaren Naturen ist ganz reizend, wahrhaft humoristisch empfunden und trefflich
durchgeführt. Noch kunstvoller ist die letzte der vier Novellen "Ans der rauhen
Alp," die die Unfreiheit des Willens zum Motiv hat. Eine prächtige Schwäbin,
auch eine Bäuerin, verliebt sich bei einer sehr romantischen Gelegenheit in
einen Wilderer, all ihrer sittlichen Entrüstung über sein verbotenes Treiben
zum Trotz. Sie ist sogar entschlossen, ihn zu heiraten, nnter der Bedingung,
daß er sich auf eine bestimmte Probezeit des Witterns enthalte. Diese Probe
besteht der Mann nicht, er unterliegt der "Sucht" und kommt ins Zuchthaus.
Die Beth heiratet darum aber doch keinen andern, und als sie der wieder ent¬
lassene Wilderer in der Einsamkeit beim Heuer trifft, da unterliegt sie selbst
der vielgeschmähten "Sucht." Der Zuchthäusler geht uach Amerika, wo er
verkommt; die Beth bleibt mit ihrem. Kinde im Dorfe, trotzt dem Gespötte
der Nachbarn und wird schließlich respektvoll in Ruhe gelassen. Diese eben¬
falls vortrefflich erzählte Geschichte bewegt sich wie die andre Novelle "Recht
wider Recht" schon in der Bahn des Naturalismus, nur tritt er nicht auch
in der äußern Form mit all seiner Freude am Häßlichen auf. Es ist viel¬
mehr anzuerkennen, daß die Verfasserin ihre naturalistischen Motive mit gutem
Geschmack und Takt darstellt. "Recht Wider Recht" schildert die Tragik der
"engen Welt," wo sich die Menschen bis zur Unerträglichkeit das Leben er¬
schweren, weil sie in ihrer Armut dicht an einander gekettet sind: ein Nacht¬
stück düsterster Art. Schwach ist die vierte Geschichte: "Jörg und Hans
Katzenwedel," vielleicht sollte sie ein Seitenstück zu den berühmten Freiherren
von Gemperlein der Ebner-Eschenbach werden.

In ihrer Verehrung der Ebner begegnet sich mit Ilse Frnpan Hermine
Villinger, die ihre neueste Sammlung kleiner Erzählungen: Auch ein Roman
und andre Geschichten (Berlin, E. und P. Lehmann, 1890) sogar jener
Dichterin "in verehrnngsvoller Freundschaft" gewidmet hat. Das Buch ist
besser als der nachgerade geschmacklos gewordene Typus seines Titels. Hermine
Villinger ist ein echtes poetisches Talent, wenn sie sich auch mit Vorliebe in der
kleinen Form der Skizze bewegt. Sie hat in ungewöhnlichem Maße die Kraft
der Stimmung. Eine Situation erblickt sie wie ein Maler, und sie weiß sie
mit unendlicher Fülle des Gemüts festzuhalten, das kleine abgeschlossene Bildchen


Oon allerlei ?>lebten»um

Schwester der widerspenstigen Braut an ihre Stelle, nimmt ihr Ring und
Kränzchen ub, ruft ja! Pfarrer und Bräutigam sind ebenso geschwind
völlig einverstanden mit dem Tausch, und die Ehe wird geschlossen. Diese
kaum glaubliche Geschichte hat uun Ilse Frapan mit seiner Kunst wahrscheinlich
gemacht. Sie giebt eine ausführliche Schilderung des Zusammenlebens der
zwei Schwestern mit dem Bräutigam der ältern ; wir sehen, daß dieser
Paul von der ältern nur pflichtmäßig, auf das Gebot des Vaters hin, äußerlich
als Bräutigam gelitten wird, während ihn die jüngere, ohne sichs eingestehen zu
dürfen, rechtschaffen liebt. Dieses Schauspiel der drei naiven, über ihre Liebe
unklaren Naturen ist ganz reizend, wahrhaft humoristisch empfunden und trefflich
durchgeführt. Noch kunstvoller ist die letzte der vier Novellen „Ans der rauhen
Alp," die die Unfreiheit des Willens zum Motiv hat. Eine prächtige Schwäbin,
auch eine Bäuerin, verliebt sich bei einer sehr romantischen Gelegenheit in
einen Wilderer, all ihrer sittlichen Entrüstung über sein verbotenes Treiben
zum Trotz. Sie ist sogar entschlossen, ihn zu heiraten, nnter der Bedingung,
daß er sich auf eine bestimmte Probezeit des Witterns enthalte. Diese Probe
besteht der Mann nicht, er unterliegt der „Sucht" und kommt ins Zuchthaus.
Die Beth heiratet darum aber doch keinen andern, und als sie der wieder ent¬
lassene Wilderer in der Einsamkeit beim Heuer trifft, da unterliegt sie selbst
der vielgeschmähten „Sucht." Der Zuchthäusler geht uach Amerika, wo er
verkommt; die Beth bleibt mit ihrem. Kinde im Dorfe, trotzt dem Gespötte
der Nachbarn und wird schließlich respektvoll in Ruhe gelassen. Diese eben¬
falls vortrefflich erzählte Geschichte bewegt sich wie die andre Novelle „Recht
wider Recht" schon in der Bahn des Naturalismus, nur tritt er nicht auch
in der äußern Form mit all seiner Freude am Häßlichen auf. Es ist viel¬
mehr anzuerkennen, daß die Verfasserin ihre naturalistischen Motive mit gutem
Geschmack und Takt darstellt. „Recht Wider Recht" schildert die Tragik der
„engen Welt," wo sich die Menschen bis zur Unerträglichkeit das Leben er¬
schweren, weil sie in ihrer Armut dicht an einander gekettet sind: ein Nacht¬
stück düsterster Art. Schwach ist die vierte Geschichte: „Jörg und Hans
Katzenwedel," vielleicht sollte sie ein Seitenstück zu den berühmten Freiherren
von Gemperlein der Ebner-Eschenbach werden.

In ihrer Verehrung der Ebner begegnet sich mit Ilse Frnpan Hermine
Villinger, die ihre neueste Sammlung kleiner Erzählungen: Auch ein Roman
und andre Geschichten (Berlin, E. und P. Lehmann, 1890) sogar jener
Dichterin „in verehrnngsvoller Freundschaft" gewidmet hat. Das Buch ist
besser als der nachgerade geschmacklos gewordene Typus seines Titels. Hermine
Villinger ist ein echtes poetisches Talent, wenn sie sich auch mit Vorliebe in der
kleinen Form der Skizze bewegt. Sie hat in ungewöhnlichem Maße die Kraft
der Stimmung. Eine Situation erblickt sie wie ein Maler, und sie weiß sie
mit unendlicher Fülle des Gemüts festzuhalten, das kleine abgeschlossene Bildchen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/469>, abgerufen am 23.07.2024.