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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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^on allerlei Dichterinnen

mia" will, kann man aus ihrem Märchen auch eine Spuck'out des Berufs¬
dichters herauslesen, der seine goldnen Träume ulu Gvlderwerb verkauft und
sich unglücklich fühlt, sobald er aufhört, ihr Herr zu sein. Es ist aber
nicht nötig, dem Märchen diese litterarische Tendenz unterzulegen, um es schön
und gehaltvoll zu finden. Sein schwermütiger Grundton ist bezeichnend für
alle Poesie der Isolde Kurz. In den drei "Phantasien" des Buches ist er vor¬
herrschend; was uns aber auch diese wertvoll macht, ist, daß sich die Schwer¬
mut in reine Poesie auflöst und nicht tendenziös zum Pessimismus wird. Im
"Sternenmärchen," einer kosmischen Phantasie, die ihresgleichen an Schönheit
sticht, hat Isolde Kurz alle Liebe, die des Menschen Herz zur Allmutter Erde
erfüllt, in der rührendsten Weise poetisch verkörpert. Es führt uns an den
glänzenden Hof der großen Herrscherin Sonne. Die kleine Erde ist ein Lieb-
lingskind der Sonne. Das keusche, bescheidene, jungfräuliche Wesen entzückt
auch uus. Wir werden in eine lieblich traurige Liebesgeschichte der Jungfrau
Erde mit einem Tauseudsasfn von Kometen eingeweiht, der allen Männern und
Frauen am Sonnenhof, Mond und Venus, Merkur und Jupiter u. s. w. mit
seiner Lebenskunst den Kopf verdreht und schließlich seiue feierlich Verlobte
Erde schmählich sitzen läßt. In diesem "Sternenmärchen" ist gar keine Tendenz
und doch alles von heiterer Symbolik und fesselnder Schönheit. Die Ver¬
fasserin ist kühn wie eine Nachtwandlerin, sie wandelt in den Lüften und stürzt
nicht. Sie wird wie von einem Genius geleitet. Darum fällt sie nie aus
dem Tone, sie giebt sich ganz, wie sie ist, affektirt nie eine Volkstümlichkeit,
die doch nicht zu erreichen ist, fürchtet sich nicht davor, ihr Wissen im Märchen
zu verraten, und erreicht gerade mit dieser nur dem großen Talent eignen
Unbefangenheit das höchste Ziel. Wie echt märchenhaft ist beispielsweise die
Art, wie sie von der Holle im "Geborgten Heiligenschein" spricht! Mit der
ernstesten Miene von der Welt setzt sie sich da in kritischen Gegensatz zu dem
Schöpfer der abendländischen Höllenvorstelluug, zu Dante, indem sie sagt:
"Nun ist aber das Fegefeuer keinesweges, wie Dante meinte, ein Berg mit
stufenweise" Kreisen, sondern ein durchbrochener, unterirdisch geheizter Rost,
durch dessen Öffnungen der Dampf zieht, und seine Wirkung ist der eines
russischen Dampfbades ähnlich. Durch den starken Schweiß werden zuerst alle
schlechten Elemente ausgeschieden, denn, wird durch gesteigerte Heizung der
Sünder, der zuerst ganz schwarz gewesen, allmählich zum Rot- und schließlich
zum Weißglüheu gebracht, was die letzte Stufe bedeutet." Solch trockner
Humor findet sich in allen drei Märchen.

Mit diesen Bemerkungen müssen wir uns für diesmal begnügen. Wir
hoffen ja doch, im Laufe der Zeit noch öfter Neues von Isolde Kurz zu lesen.
Es ist nicht abzusehen, wohin sie ihre Entwicklung noch führen wird. Den
Kenner der düster ernsten "Florentiner Novellen" wird die spielende Anmut
und der scherzende Tiefsinn dieses Märchenbuches sehr überrasche". Auch dürft-


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mia» will, kann man aus ihrem Märchen auch eine Spuck'out des Berufs¬
dichters herauslesen, der seine goldnen Träume ulu Gvlderwerb verkauft und
sich unglücklich fühlt, sobald er aufhört, ihr Herr zu sein. Es ist aber
nicht nötig, dem Märchen diese litterarische Tendenz unterzulegen, um es schön
und gehaltvoll zu finden. Sein schwermütiger Grundton ist bezeichnend für
alle Poesie der Isolde Kurz. In den drei „Phantasien" des Buches ist er vor¬
herrschend; was uns aber auch diese wertvoll macht, ist, daß sich die Schwer¬
mut in reine Poesie auflöst und nicht tendenziös zum Pessimismus wird. Im
„Sternenmärchen," einer kosmischen Phantasie, die ihresgleichen an Schönheit
sticht, hat Isolde Kurz alle Liebe, die des Menschen Herz zur Allmutter Erde
erfüllt, in der rührendsten Weise poetisch verkörpert. Es führt uns an den
glänzenden Hof der großen Herrscherin Sonne. Die kleine Erde ist ein Lieb-
lingskind der Sonne. Das keusche, bescheidene, jungfräuliche Wesen entzückt
auch uus. Wir werden in eine lieblich traurige Liebesgeschichte der Jungfrau
Erde mit einem Tauseudsasfn von Kometen eingeweiht, der allen Männern und
Frauen am Sonnenhof, Mond und Venus, Merkur und Jupiter u. s. w. mit
seiner Lebenskunst den Kopf verdreht und schließlich seiue feierlich Verlobte
Erde schmählich sitzen läßt. In diesem „Sternenmärchen" ist gar keine Tendenz
und doch alles von heiterer Symbolik und fesselnder Schönheit. Die Ver¬
fasserin ist kühn wie eine Nachtwandlerin, sie wandelt in den Lüften und stürzt
nicht. Sie wird wie von einem Genius geleitet. Darum fällt sie nie aus
dem Tone, sie giebt sich ganz, wie sie ist, affektirt nie eine Volkstümlichkeit,
die doch nicht zu erreichen ist, fürchtet sich nicht davor, ihr Wissen im Märchen
zu verraten, und erreicht gerade mit dieser nur dem großen Talent eignen
Unbefangenheit das höchste Ziel. Wie echt märchenhaft ist beispielsweise die
Art, wie sie von der Holle im „Geborgten Heiligenschein" spricht! Mit der
ernstesten Miene von der Welt setzt sie sich da in kritischen Gegensatz zu dem
Schöpfer der abendländischen Höllenvorstelluug, zu Dante, indem sie sagt:
„Nun ist aber das Fegefeuer keinesweges, wie Dante meinte, ein Berg mit
stufenweise» Kreisen, sondern ein durchbrochener, unterirdisch geheizter Rost,
durch dessen Öffnungen der Dampf zieht, und seine Wirkung ist der eines
russischen Dampfbades ähnlich. Durch den starken Schweiß werden zuerst alle
schlechten Elemente ausgeschieden, denn, wird durch gesteigerte Heizung der
Sünder, der zuerst ganz schwarz gewesen, allmählich zum Rot- und schließlich
zum Weißglüheu gebracht, was die letzte Stufe bedeutet." Solch trockner
Humor findet sich in allen drei Märchen.

Mit diesen Bemerkungen müssen wir uns für diesmal begnügen. Wir
hoffen ja doch, im Laufe der Zeit noch öfter Neues von Isolde Kurz zu lesen.
Es ist nicht abzusehen, wohin sie ihre Entwicklung noch führen wird. Den
Kenner der düster ernsten „Florentiner Novellen" wird die spielende Anmut
und der scherzende Tiefsinn dieses Märchenbuches sehr überrasche». Auch dürft-


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[0466] ^on allerlei Dichterinnen mia» will, kann man aus ihrem Märchen auch eine Spuck'out des Berufs¬ dichters herauslesen, der seine goldnen Träume ulu Gvlderwerb verkauft und sich unglücklich fühlt, sobald er aufhört, ihr Herr zu sein. Es ist aber nicht nötig, dem Märchen diese litterarische Tendenz unterzulegen, um es schön und gehaltvoll zu finden. Sein schwermütiger Grundton ist bezeichnend für alle Poesie der Isolde Kurz. In den drei „Phantasien" des Buches ist er vor¬ herrschend; was uns aber auch diese wertvoll macht, ist, daß sich die Schwer¬ mut in reine Poesie auflöst und nicht tendenziös zum Pessimismus wird. Im „Sternenmärchen," einer kosmischen Phantasie, die ihresgleichen an Schönheit sticht, hat Isolde Kurz alle Liebe, die des Menschen Herz zur Allmutter Erde erfüllt, in der rührendsten Weise poetisch verkörpert. Es führt uns an den glänzenden Hof der großen Herrscherin Sonne. Die kleine Erde ist ein Lieb- lingskind der Sonne. Das keusche, bescheidene, jungfräuliche Wesen entzückt auch uus. Wir werden in eine lieblich traurige Liebesgeschichte der Jungfrau Erde mit einem Tauseudsasfn von Kometen eingeweiht, der allen Männern und Frauen am Sonnenhof, Mond und Venus, Merkur und Jupiter u. s. w. mit seiner Lebenskunst den Kopf verdreht und schließlich seiue feierlich Verlobte Erde schmählich sitzen läßt. In diesem „Sternenmärchen" ist gar keine Tendenz und doch alles von heiterer Symbolik und fesselnder Schönheit. Die Ver¬ fasserin ist kühn wie eine Nachtwandlerin, sie wandelt in den Lüften und stürzt nicht. Sie wird wie von einem Genius geleitet. Darum fällt sie nie aus dem Tone, sie giebt sich ganz, wie sie ist, affektirt nie eine Volkstümlichkeit, die doch nicht zu erreichen ist, fürchtet sich nicht davor, ihr Wissen im Märchen zu verraten, und erreicht gerade mit dieser nur dem großen Talent eignen Unbefangenheit das höchste Ziel. Wie echt märchenhaft ist beispielsweise die Art, wie sie von der Holle im „Geborgten Heiligenschein" spricht! Mit der ernstesten Miene von der Welt setzt sie sich da in kritischen Gegensatz zu dem Schöpfer der abendländischen Höllenvorstelluug, zu Dante, indem sie sagt: „Nun ist aber das Fegefeuer keinesweges, wie Dante meinte, ein Berg mit stufenweise» Kreisen, sondern ein durchbrochener, unterirdisch geheizter Rost, durch dessen Öffnungen der Dampf zieht, und seine Wirkung ist der eines russischen Dampfbades ähnlich. Durch den starken Schweiß werden zuerst alle schlechten Elemente ausgeschieden, denn, wird durch gesteigerte Heizung der Sünder, der zuerst ganz schwarz gewesen, allmählich zum Rot- und schließlich zum Weißglüheu gebracht, was die letzte Stufe bedeutet." Solch trockner Humor findet sich in allen drei Märchen. Mit diesen Bemerkungen müssen wir uns für diesmal begnügen. Wir hoffen ja doch, im Laufe der Zeit noch öfter Neues von Isolde Kurz zu lesen. Es ist nicht abzusehen, wohin sie ihre Entwicklung noch führen wird. Den Kenner der düster ernsten „Florentiner Novellen" wird die spielende Anmut und der scherzende Tiefsinn dieses Märchenbuches sehr überrasche». Auch dürft-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/466>, abgerufen am 23.07.2024.