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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Gcschichtsphilc>sophischc Gedanken

licher Stoff gesammelt ivorden war, habe" philosophische Geschichtsschreiber
wie Ranke, Buckle, Taine, Elater einzelne geschichtsphilosophische Gedanken zik
Tage gefördert, die mehr wert sind, als die aninaßlich auftretenden vollstän¬
digen Geschichtsphilvsophieen, und je reichlicher sich täglich der geschichtliche Stoff
häuft, desto leichter wird es, solche Gedanken daraus zu gewinnen, die gewiß
nicht ohne Nutzen für das Leben sind; denn je richtiger wir den Sinn der
Weltgeschichte erraten, desto besser vermögen wir in diesem Sinne zu schassen.

Mit dein Verstände haben wir deu Zusammenhang der Ereignisse erfaßt,
wenn wir jedes spätere als Folge oder Wirkung eines oder mehrerer frühern
verstehen. Vernünftig aber finden wir die Geschichte erst dann, wenn sich alle
Veränderungen als Mittel zur Erreichung eines Zwecks rechtfertigen, der all¬
gemeine Billigung beanspruchen kann. Den höchsten Weltzweck auf dem Wege
der wissenschaftlichen Forschung ergründen z" wollen, wäre Vermessenheit; ge¬
hört doch ein ganz überspannter Hochmut dazu, sich einzubilden, man könne
dem Wesen, das vor der Welt war und den Weltzweck gesetzt haben muß, mit dem
Mikroskop oder mit Grübeln beikommen. Aber die Eigenschaften und Absichten
dieses Wesens spiegeln sich ohne Zweifel in der Schöpfung, in uns selbst, die
wir den vornehmste" Teil der uns bekannten Schöpfung bilden, und wenn wir
die einzelnen abgespiegelten Züge sammeln, so gewinnen wir die Ahnung eines
Gesamtbildes. Vollkvmmner und reiner, als eS die christliche Offenbarung ge¬
währt, wird dieses Gebilde gläubiger und hoffnungsvoller Ahnungen keinem
einzelnen Denker gelingen. Aber trotzdem hören wir nicht ans, Beobachtungen
zu sammeln und sie denkend und dichtend zu verknüpfen, weil es einerseits Be¬
dürfnis der Vernunft ist, durch eigne Wahrnehmung das bestätigt zu finden,
was sie ans der Offenbarung vernommen hat, und weil anderseits die täglich
mehr anschwellende Erfahrung Gelegenheit darbietet, das ursprünglich noch
undeutliche und unbestimmte Bild mit immer genaueren Zügen auszustatten.

Auch ohne jede Beihilfe der Offenbarung würden wir durch Nachdenken
zu dein Ergebnis gelangen, daß jenes Wesen, das den Weltzweck setzt, ein be¬
wußter Geist sein müsse. Nur ein bewußter Geist kann einen Zweck setzen.
Wollten wir auch das Hervorgehe" der Welt aus einem unbewußten Wesen
für möglich halten, so würden wir doch in diesem Falle auf die Annahme
eines Weltzwecks und eines vernünftigen Zusammenhangs der Begebenheiten
verzichten müssen. Alles, was da ist und geschieht, wäre dann ein Werk des
blinden Zufalls, ein zweck- und sinnloses Gewirr. Das einzige, was für einen
jeden Sir" hätte, wäre sein eignes augenblickliches Wohlbefinden, nud sich um
etwas zu kümmern, was darüber hinansläge, wäre Unsinn; es gäbe weder Philoso¬
phie, noch Geschichte, "och Philosophie der Geschichte. Wenn ich mich recht erinnere,
ist es Clemens Alexandrinus, der die heidnischen Religionen jenen ägyptischen
Tempeln vergleicht, in deren innerstem Heiligtum mau "ach Durchschreituug
der großartigen Pylonen und prachtvollen Säle nichts sand als eine Katze,


Gcschichtsphilc>sophischc Gedanken

licher Stoff gesammelt ivorden war, habe» philosophische Geschichtsschreiber
wie Ranke, Buckle, Taine, Elater einzelne geschichtsphilosophische Gedanken zik
Tage gefördert, die mehr wert sind, als die aninaßlich auftretenden vollstän¬
digen Geschichtsphilvsophieen, und je reichlicher sich täglich der geschichtliche Stoff
häuft, desto leichter wird es, solche Gedanken daraus zu gewinnen, die gewiß
nicht ohne Nutzen für das Leben sind; denn je richtiger wir den Sinn der
Weltgeschichte erraten, desto besser vermögen wir in diesem Sinne zu schassen.

Mit dein Verstände haben wir deu Zusammenhang der Ereignisse erfaßt,
wenn wir jedes spätere als Folge oder Wirkung eines oder mehrerer frühern
verstehen. Vernünftig aber finden wir die Geschichte erst dann, wenn sich alle
Veränderungen als Mittel zur Erreichung eines Zwecks rechtfertigen, der all¬
gemeine Billigung beanspruchen kann. Den höchsten Weltzweck auf dem Wege
der wissenschaftlichen Forschung ergründen z» wollen, wäre Vermessenheit; ge¬
hört doch ein ganz überspannter Hochmut dazu, sich einzubilden, man könne
dem Wesen, das vor der Welt war und den Weltzweck gesetzt haben muß, mit dem
Mikroskop oder mit Grübeln beikommen. Aber die Eigenschaften und Absichten
dieses Wesens spiegeln sich ohne Zweifel in der Schöpfung, in uns selbst, die
wir den vornehmste» Teil der uns bekannten Schöpfung bilden, und wenn wir
die einzelnen abgespiegelten Züge sammeln, so gewinnen wir die Ahnung eines
Gesamtbildes. Vollkvmmner und reiner, als eS die christliche Offenbarung ge¬
währt, wird dieses Gebilde gläubiger und hoffnungsvoller Ahnungen keinem
einzelnen Denker gelingen. Aber trotzdem hören wir nicht ans, Beobachtungen
zu sammeln und sie denkend und dichtend zu verknüpfen, weil es einerseits Be¬
dürfnis der Vernunft ist, durch eigne Wahrnehmung das bestätigt zu finden,
was sie ans der Offenbarung vernommen hat, und weil anderseits die täglich
mehr anschwellende Erfahrung Gelegenheit darbietet, das ursprünglich noch
undeutliche und unbestimmte Bild mit immer genaueren Zügen auszustatten.

Auch ohne jede Beihilfe der Offenbarung würden wir durch Nachdenken
zu dein Ergebnis gelangen, daß jenes Wesen, das den Weltzweck setzt, ein be¬
wußter Geist sein müsse. Nur ein bewußter Geist kann einen Zweck setzen.
Wollten wir auch das Hervorgehe» der Welt aus einem unbewußten Wesen
für möglich halten, so würden wir doch in diesem Falle auf die Annahme
eines Weltzwecks und eines vernünftigen Zusammenhangs der Begebenheiten
verzichten müssen. Alles, was da ist und geschieht, wäre dann ein Werk des
blinden Zufalls, ein zweck- und sinnloses Gewirr. Das einzige, was für einen
jeden Sir» hätte, wäre sein eignes augenblickliches Wohlbefinden, nud sich um
etwas zu kümmern, was darüber hinansläge, wäre Unsinn; es gäbe weder Philoso¬
phie, noch Geschichte, »och Philosophie der Geschichte. Wenn ich mich recht erinnere,
ist es Clemens Alexandrinus, der die heidnischen Religionen jenen ägyptischen
Tempeln vergleicht, in deren innerstem Heiligtum mau »ach Durchschreituug
der großartigen Pylonen und prachtvollen Säle nichts sand als eine Katze,


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[0452] Gcschichtsphilc>sophischc Gedanken licher Stoff gesammelt ivorden war, habe» philosophische Geschichtsschreiber wie Ranke, Buckle, Taine, Elater einzelne geschichtsphilosophische Gedanken zik Tage gefördert, die mehr wert sind, als die aninaßlich auftretenden vollstän¬ digen Geschichtsphilvsophieen, und je reichlicher sich täglich der geschichtliche Stoff häuft, desto leichter wird es, solche Gedanken daraus zu gewinnen, die gewiß nicht ohne Nutzen für das Leben sind; denn je richtiger wir den Sinn der Weltgeschichte erraten, desto besser vermögen wir in diesem Sinne zu schassen. Mit dein Verstände haben wir deu Zusammenhang der Ereignisse erfaßt, wenn wir jedes spätere als Folge oder Wirkung eines oder mehrerer frühern verstehen. Vernünftig aber finden wir die Geschichte erst dann, wenn sich alle Veränderungen als Mittel zur Erreichung eines Zwecks rechtfertigen, der all¬ gemeine Billigung beanspruchen kann. Den höchsten Weltzweck auf dem Wege der wissenschaftlichen Forschung ergründen z» wollen, wäre Vermessenheit; ge¬ hört doch ein ganz überspannter Hochmut dazu, sich einzubilden, man könne dem Wesen, das vor der Welt war und den Weltzweck gesetzt haben muß, mit dem Mikroskop oder mit Grübeln beikommen. Aber die Eigenschaften und Absichten dieses Wesens spiegeln sich ohne Zweifel in der Schöpfung, in uns selbst, die wir den vornehmste» Teil der uns bekannten Schöpfung bilden, und wenn wir die einzelnen abgespiegelten Züge sammeln, so gewinnen wir die Ahnung eines Gesamtbildes. Vollkvmmner und reiner, als eS die christliche Offenbarung ge¬ währt, wird dieses Gebilde gläubiger und hoffnungsvoller Ahnungen keinem einzelnen Denker gelingen. Aber trotzdem hören wir nicht ans, Beobachtungen zu sammeln und sie denkend und dichtend zu verknüpfen, weil es einerseits Be¬ dürfnis der Vernunft ist, durch eigne Wahrnehmung das bestätigt zu finden, was sie ans der Offenbarung vernommen hat, und weil anderseits die täglich mehr anschwellende Erfahrung Gelegenheit darbietet, das ursprünglich noch undeutliche und unbestimmte Bild mit immer genaueren Zügen auszustatten. Auch ohne jede Beihilfe der Offenbarung würden wir durch Nachdenken zu dein Ergebnis gelangen, daß jenes Wesen, das den Weltzweck setzt, ein be¬ wußter Geist sein müsse. Nur ein bewußter Geist kann einen Zweck setzen. Wollten wir auch das Hervorgehe» der Welt aus einem unbewußten Wesen für möglich halten, so würden wir doch in diesem Falle auf die Annahme eines Weltzwecks und eines vernünftigen Zusammenhangs der Begebenheiten verzichten müssen. Alles, was da ist und geschieht, wäre dann ein Werk des blinden Zufalls, ein zweck- und sinnloses Gewirr. Das einzige, was für einen jeden Sir» hätte, wäre sein eignes augenblickliches Wohlbefinden, nud sich um etwas zu kümmern, was darüber hinansläge, wäre Unsinn; es gäbe weder Philoso¬ phie, noch Geschichte, »och Philosophie der Geschichte. Wenn ich mich recht erinnere, ist es Clemens Alexandrinus, der die heidnischen Religionen jenen ägyptischen Tempeln vergleicht, in deren innerstem Heiligtum mau »ach Durchschreituug der großartigen Pylonen und prachtvollen Säle nichts sand als eine Katze,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/452>, abgerufen am 23.07.2024.