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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Gelo Ludwig in Leipzig

stärkeres Selbstgefühl, klareres Erkennen dessen, was er selbst vermöge, er¬
füllen, immer aber verwahrte er sich dawider, eine Parteifahne gegen Mendels¬
sohn zu erheben. So stellte mit allen seinen leicht ersichtlichen Verschieden¬
heiten und seinen unterirdischen geistigen Strömungen, seinen unvermeidlichen
Menschlichkeiten und gelegentlichen Reibungen das Leipziger Musikleben im
Großen und Ganzen doch eine erfreuliche Einheit dar, überwältigend für den
Renting durch die Fülle des Geleisteten und Beabsichtigten, durch den Reich¬
tum der Bestrebungen, der Naturen, der Mittel.

Der vom Herzog von Meiningen empfohlene und mit bescheidnen Sti¬
pendien ausgerüstete neue Schüler Mendelssohns empfand gleichwohl nichts
oder nur wenig von der Stimmung, init der die weitaus größte Zahl junger
Musiker in den Zauberkreis von Leipzig trat. Ohne Frage war Otto Ludwig
mit ebenso gutem und festem, Willen, zu lernen, mit dem Verlangen nach jahre¬
langem Dursten zu schwelgen, gekommen als irgend einer. Wenn er sich gleich¬
wohl von vornherein kühler und kritischer, gleichsam unempfänglicher verhielt,
so wirkten hierzu maunichfnche Umstände zusammen. Sein Koffer mit den
Singspielen und den Valladenkompositionen langte von Eisfeld erst nach Wochen
an, und natürlicherweise wünschte Mendelssohn die Versuche des ihm empfohlne"
Talentes vor allem kennen zu lernen. Die ersten Wochen verstrichen ungenützt
für die Hauptsache, Ludwig gewann vou seinem künftigen Lehrer zunächst nnr
einen ünßeru Eindruck. "Felix Mendelssohn-Vartholdy, schrieb er am 2. No¬
vember 1839 an Schalter in Wasungen, ist ein sehr artiger Mann -- viel¬
leicht noch ein Viertel Jude -- dies Viertel hat sich in seine Physiognomie,
seinen schwarzen Lockenkopf und seine schnelle Sprache geflüchtet. Noch bin
ich gar nicht in nähere Berührung mit ihm gekommen, weil meine Musikalien,
die er sehen möchte, uicht angekommen sind." Schlimmer war, daß auch die
Eindrücke eines immerhin größern Theaters, als Ludwig bis jetzt gesehen hatte,
ja selbst der Gewandhauswnzcrte, Eindrücke, die er gleich in den ersten Tage"
empfing, seinen Erwartungen nicht entsprachen. Er hörte im ersten Konzert,
das er besuchte, Mendelssohns "Meeresstille und glückliche Fahrt" -- die
"Originalromanteske" ergriff ihn nicht -- und darnach die Spohrsche "Weihe der
Töne," zu der er bemerkte: "In Hildburghausen klang sie anders, das waren
Töne der Weihe!" Leicht möglich, daß die Spohrsche Symphonie an jenem
Abend in der That eine mattere Aufführung erfuhr, aber eben so denkbar ist
es, daß der Einsiedler von Eisfeld sich zunächst durch die fremde Umgebung
gedrückt und aus der empfänglichen Stimmung gerissen fühlte. Seine Schil¬
derung des Nieseusaales -- als solcher erschien ihm der alte Gewandhaus¬
saal! -- der vier großen Kronleuchter, der ftinfhundert glänzendeii Manns- und
Weibsanzüge in dein erwähnten Briefe läßt auf etwas derart schließen. Und nun
geschah, was für ihn das ungünstigste werden mußte: er fiel, soweit es in
Leipzig möglich war, in die Isolirung zurück, zu der ihn sein seitheriges


Gelo Ludwig in Leipzig

stärkeres Selbstgefühl, klareres Erkennen dessen, was er selbst vermöge, er¬
füllen, immer aber verwahrte er sich dawider, eine Parteifahne gegen Mendels¬
sohn zu erheben. So stellte mit allen seinen leicht ersichtlichen Verschieden¬
heiten und seinen unterirdischen geistigen Strömungen, seinen unvermeidlichen
Menschlichkeiten und gelegentlichen Reibungen das Leipziger Musikleben im
Großen und Ganzen doch eine erfreuliche Einheit dar, überwältigend für den
Renting durch die Fülle des Geleisteten und Beabsichtigten, durch den Reich¬
tum der Bestrebungen, der Naturen, der Mittel.

Der vom Herzog von Meiningen empfohlene und mit bescheidnen Sti¬
pendien ausgerüstete neue Schüler Mendelssohns empfand gleichwohl nichts
oder nur wenig von der Stimmung, init der die weitaus größte Zahl junger
Musiker in den Zauberkreis von Leipzig trat. Ohne Frage war Otto Ludwig
mit ebenso gutem und festem, Willen, zu lernen, mit dem Verlangen nach jahre¬
langem Dursten zu schwelgen, gekommen als irgend einer. Wenn er sich gleich¬
wohl von vornherein kühler und kritischer, gleichsam unempfänglicher verhielt,
so wirkten hierzu maunichfnche Umstände zusammen. Sein Koffer mit den
Singspielen und den Valladenkompositionen langte von Eisfeld erst nach Wochen
an, und natürlicherweise wünschte Mendelssohn die Versuche des ihm empfohlne»
Talentes vor allem kennen zu lernen. Die ersten Wochen verstrichen ungenützt
für die Hauptsache, Ludwig gewann vou seinem künftigen Lehrer zunächst nnr
einen ünßeru Eindruck. „Felix Mendelssohn-Vartholdy, schrieb er am 2. No¬
vember 1839 an Schalter in Wasungen, ist ein sehr artiger Mann — viel¬
leicht noch ein Viertel Jude — dies Viertel hat sich in seine Physiognomie,
seinen schwarzen Lockenkopf und seine schnelle Sprache geflüchtet. Noch bin
ich gar nicht in nähere Berührung mit ihm gekommen, weil meine Musikalien,
die er sehen möchte, uicht angekommen sind." Schlimmer war, daß auch die
Eindrücke eines immerhin größern Theaters, als Ludwig bis jetzt gesehen hatte,
ja selbst der Gewandhauswnzcrte, Eindrücke, die er gleich in den ersten Tage»
empfing, seinen Erwartungen nicht entsprachen. Er hörte im ersten Konzert,
das er besuchte, Mendelssohns „Meeresstille und glückliche Fahrt" — die
„Originalromanteske" ergriff ihn nicht — und darnach die Spohrsche „Weihe der
Töne," zu der er bemerkte: „In Hildburghausen klang sie anders, das waren
Töne der Weihe!" Leicht möglich, daß die Spohrsche Symphonie an jenem
Abend in der That eine mattere Aufführung erfuhr, aber eben so denkbar ist
es, daß der Einsiedler von Eisfeld sich zunächst durch die fremde Umgebung
gedrückt und aus der empfänglichen Stimmung gerissen fühlte. Seine Schil¬
derung des Nieseusaales — als solcher erschien ihm der alte Gewandhaus¬
saal! — der vier großen Kronleuchter, der ftinfhundert glänzendeii Manns- und
Weibsanzüge in dein erwähnten Briefe läßt auf etwas derart schließen. Und nun
geschah, was für ihn das ungünstigste werden mußte: er fiel, soweit es in
Leipzig möglich war, in die Isolirung zurück, zu der ihn sein seitheriges


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[0045] Gelo Ludwig in Leipzig stärkeres Selbstgefühl, klareres Erkennen dessen, was er selbst vermöge, er¬ füllen, immer aber verwahrte er sich dawider, eine Parteifahne gegen Mendels¬ sohn zu erheben. So stellte mit allen seinen leicht ersichtlichen Verschieden¬ heiten und seinen unterirdischen geistigen Strömungen, seinen unvermeidlichen Menschlichkeiten und gelegentlichen Reibungen das Leipziger Musikleben im Großen und Ganzen doch eine erfreuliche Einheit dar, überwältigend für den Renting durch die Fülle des Geleisteten und Beabsichtigten, durch den Reich¬ tum der Bestrebungen, der Naturen, der Mittel. Der vom Herzog von Meiningen empfohlene und mit bescheidnen Sti¬ pendien ausgerüstete neue Schüler Mendelssohns empfand gleichwohl nichts oder nur wenig von der Stimmung, init der die weitaus größte Zahl junger Musiker in den Zauberkreis von Leipzig trat. Ohne Frage war Otto Ludwig mit ebenso gutem und festem, Willen, zu lernen, mit dem Verlangen nach jahre¬ langem Dursten zu schwelgen, gekommen als irgend einer. Wenn er sich gleich¬ wohl von vornherein kühler und kritischer, gleichsam unempfänglicher verhielt, so wirkten hierzu maunichfnche Umstände zusammen. Sein Koffer mit den Singspielen und den Valladenkompositionen langte von Eisfeld erst nach Wochen an, und natürlicherweise wünschte Mendelssohn die Versuche des ihm empfohlne» Talentes vor allem kennen zu lernen. Die ersten Wochen verstrichen ungenützt für die Hauptsache, Ludwig gewann vou seinem künftigen Lehrer zunächst nnr einen ünßeru Eindruck. „Felix Mendelssohn-Vartholdy, schrieb er am 2. No¬ vember 1839 an Schalter in Wasungen, ist ein sehr artiger Mann — viel¬ leicht noch ein Viertel Jude — dies Viertel hat sich in seine Physiognomie, seinen schwarzen Lockenkopf und seine schnelle Sprache geflüchtet. Noch bin ich gar nicht in nähere Berührung mit ihm gekommen, weil meine Musikalien, die er sehen möchte, uicht angekommen sind." Schlimmer war, daß auch die Eindrücke eines immerhin größern Theaters, als Ludwig bis jetzt gesehen hatte, ja selbst der Gewandhauswnzcrte, Eindrücke, die er gleich in den ersten Tage» empfing, seinen Erwartungen nicht entsprachen. Er hörte im ersten Konzert, das er besuchte, Mendelssohns „Meeresstille und glückliche Fahrt" — die „Originalromanteske" ergriff ihn nicht — und darnach die Spohrsche „Weihe der Töne," zu der er bemerkte: „In Hildburghausen klang sie anders, das waren Töne der Weihe!" Leicht möglich, daß die Spohrsche Symphonie an jenem Abend in der That eine mattere Aufführung erfuhr, aber eben so denkbar ist es, daß der Einsiedler von Eisfeld sich zunächst durch die fremde Umgebung gedrückt und aus der empfänglichen Stimmung gerissen fühlte. Seine Schil¬ derung des Nieseusaales — als solcher erschien ihm der alte Gewandhaus¬ saal! — der vier großen Kronleuchter, der ftinfhundert glänzendeii Manns- und Weibsanzüge in dein erwähnten Briefe läßt auf etwas derart schließen. Und nun geschah, was für ihn das ungünstigste werden mußte: er fiel, soweit es in Leipzig möglich war, in die Isolirung zurück, zu der ihn sein seitheriges

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/45>, abgerufen am 23.07.2024.