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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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mit solchen wissenschaftlichen Begriffen im Grnnde seines Herzens trotzdem ein
hartnäckiger Romantiker wie Tennyson, so liegt die Gefahr nahe, daß er im
Anblick einer nenentstehenden Weltanschauung, statt von Begeisterung erfüllt zu
sein, einem unfruchtbaren Skeptizismus verfällt und mit seineu Gedankengängen
auf pessimistische Pfade gerät.

Auch Tennyson ist bei seinen vergeblichen Versuchen, alle feindlichen Ge¬
biete versöhnend zu umspannen, immermehr in eine entsagende selbstquälerische
Stimmung hineingeraten, ans der er keinen andern Ausweg findet, als den
der christliche" Heilslehre. Er nennt die Astronomie und die Geologie in
seinem Gedichte?g.rims8N8 schreckliche Musen, die sich auf dem göttlichen Berge
immer mächtiger erheben:


I/Note, in tlioir Ävvp cloulilg sun>it<"v it>v el'mon'ni ouvs
!>II (Il"i^>i>va,i'ing'!

In dem Gedichte VastuvW nennt er das ganze Leben mit allen seinen Kämpfen
und Genüssen, mit seinen Bestrebungen und Irrtümern, seinen Siegen und
Niederlagen "nur ein Summen der Mücken im Dunkeln, oder der Bienen Auf¬
regung für einen Augenblick in ihrem Korbe." Mancher Planet mag im
Weltenraume dnhinrvllen mit dem Staube einer verschwundenen Menschheit;
was ist die Geschichte der Erde und des Menschengeschlechtes mit allen seinen
scheinbar so wichtigen Arbeiten! alles verschlingt die Unendlichkeit, verliert sich
in dein ewigen Schweigen, versinkt in den Tiefen der grundlosen Vergangen¬
heit: alle Staatskünste und Lügen der Menschheit, Tapferkeit, Ruhm und
Heldentod, Sieg und Freiheit, Glaube, Lust und Thorheit, Schmerz und
Freude, Reichtum uird Armut, Völkerhaß und Menschenliebe, Philosophie,
Wissenschaften lind Poesie --


'V^litt is it ik ,vo nit c>k n" vrai dut in KoiQA
nur amon <'.u^>"o-ko>'untz ^i)

Nur still, so schließt das Gedicht, mag es sein! denn ich liebte ihn und
liebe ihn ans ewig: die Toten sind nicht tot, sondern sie leben.

Neben diesen beschaulichen und philosophischen Stücken finden wir in der
vorliegenden Sammlung einen ziemlich bunten Kranz lyrischer Blüten. Schon
die Stoffgebiete sind äußerst mannichfaltig. So schöpft Tcunhson seine in
Blankversen geschriebene Dichtung Dometvr turnt I>or8oMonö aus der klassischen
Mythologie, die poetische Erzählung Laxx^ aus dem Mittelalter, seine Hnl-
diguugsgedichtc aus der Gegenwart; dem Nntnrleben entlehnt er den Stoff zu
den Gedichten I'tlo 1'ro-;'i'v"" ot'Lüi-ing', ?tlo Znvvclrop/I'Iio 2?liroLt1v; daneben
ist die Ballade vertrete" in ?or1oru, die Dialektdichtung in Owai i>.ol!, das
Epigranun in ^v-rutilul (^it^ und in ^I^s I'ig^. Von großer Schönheit ist
das Gedicht Oeniotor Wat l^rsvnllmrs; hier offenbart der greise Lyriker noch
einmal den ganzen Zauber seiner volltönenden Sprache, einen Reichtum an


mit solchen wissenschaftlichen Begriffen im Grnnde seines Herzens trotzdem ein
hartnäckiger Romantiker wie Tennyson, so liegt die Gefahr nahe, daß er im
Anblick einer nenentstehenden Weltanschauung, statt von Begeisterung erfüllt zu
sein, einem unfruchtbaren Skeptizismus verfällt und mit seineu Gedankengängen
auf pessimistische Pfade gerät.

Auch Tennyson ist bei seinen vergeblichen Versuchen, alle feindlichen Ge¬
biete versöhnend zu umspannen, immermehr in eine entsagende selbstquälerische
Stimmung hineingeraten, ans der er keinen andern Ausweg findet, als den
der christliche» Heilslehre. Er nennt die Astronomie und die Geologie in
seinem Gedichte?g.rims8N8 schreckliche Musen, die sich auf dem göttlichen Berge
immer mächtiger erheben:


I/Note, in tlioir Ävvp cloulilg sun>it<»v it>v el'mon'ni ouvs
!>II (Il«i^>i>va,i'ing'!

In dem Gedichte VastuvW nennt er das ganze Leben mit allen seinen Kämpfen
und Genüssen, mit seinen Bestrebungen und Irrtümern, seinen Siegen und
Niederlagen „nur ein Summen der Mücken im Dunkeln, oder der Bienen Auf¬
regung für einen Augenblick in ihrem Korbe." Mancher Planet mag im
Weltenraume dnhinrvllen mit dem Staube einer verschwundenen Menschheit;
was ist die Geschichte der Erde und des Menschengeschlechtes mit allen seinen
scheinbar so wichtigen Arbeiten! alles verschlingt die Unendlichkeit, verliert sich
in dein ewigen Schweigen, versinkt in den Tiefen der grundlosen Vergangen¬
heit: alle Staatskünste und Lügen der Menschheit, Tapferkeit, Ruhm und
Heldentod, Sieg und Freiheit, Glaube, Lust und Thorheit, Schmerz und
Freude, Reichtum uird Armut, Völkerhaß und Menschenliebe, Philosophie,
Wissenschaften lind Poesie —


'V^litt is it ik ,vo nit c>k n» vrai dut in KoiQA
nur amon <'.u^>«o-ko>'untz ^i)

Nur still, so schließt das Gedicht, mag es sein! denn ich liebte ihn und
liebe ihn ans ewig: die Toten sind nicht tot, sondern sie leben.

Neben diesen beschaulichen und philosophischen Stücken finden wir in der
vorliegenden Sammlung einen ziemlich bunten Kranz lyrischer Blüten. Schon
die Stoffgebiete sind äußerst mannichfaltig. So schöpft Tcunhson seine in
Blankversen geschriebene Dichtung Dometvr turnt I>or8oMonö aus der klassischen
Mythologie, die poetische Erzählung Laxx^ aus dem Mittelalter, seine Hnl-
diguugsgedichtc aus der Gegenwart; dem Nntnrleben entlehnt er den Stoff zu
den Gedichten I'tlo 1'ro-;'i'v«» ot'Lüi-ing', ?tlo Znvvclrop/I'Iio 2?liroLt1v; daneben
ist die Ballade vertrete» in ?or1oru, die Dialektdichtung in Owai i>.ol!, das
Epigranun in ^v-rutilul (^it^ und in ^I^s I'ig^. Von großer Schönheit ist
das Gedicht Oeniotor Wat l^rsvnllmrs; hier offenbart der greise Lyriker noch
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/430>, abgerufen am 23.07.2024.