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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Veto Ludwig in Leipzig

ihm alles gelang, was er -- da eine feine und weltkluge Mäßigung unter
seinen Tugenden nicht fehlte -- überhaupt in Angriff nahm und erstreben
mochte. Natürlich hatte er im Beginne seiner Thätigkeit als Leiter der Ge-
wandhnuskonzerte durch den Einsatz seines außerordentlichen Talents, eines
nicht leicht zu ermüdenden Eifers die Gunst des wahrhaft musikalischen
Publikums gewonnen. Aber mit einer gewissen Wahrheit konnte Mendelssohns
eigne Schwester Rebekka Dirichlet in Berlin schreiben: "In Leipzig kann Felix
wirklich ankündigen, er werde sich auf den Markt mit einer Nachtmütze hin¬
stellen, die Leute bezahlen auch Entree." Mendelssohn hatte jene Begeisterung,
jene Hingebung für sich und alles gewonnen, was er schuf oder leitete, ja
auch was er nur begünstigte, die schließlich kritiklos vertraut und folgt. Und
da ihm die Fähigkeit wie das Glück beschieden waren, die meisten wirklich
schöpferischen und vielversprechenden Talente der Zeit zu erkennen und zu
würdigen, so gab er nicht nur den Ausführungen, sondern auch den Programmen
der von ihm geleiteten Gewandhauskonzerte einen Aufschwung, der die Mcudels-
sohnzeit noch heute in der Erinnerung alter Leipziger als eine goldne gleich¬
sam verklärt, der den Weltruf des Kouzcrtinftituts eigentlich erst begründete.
'

Der wachsende Ruf der Konzerte, wie derRuhm und die anmutige,
liebenswürdige Persönlichkeit ihres Leiters zogen Winter für Winter her¬
vorragende Musiker nach Leipzig, von denen viele, wie der Düne Ricks
W. Gabe, der Engländer Sterndale Beneke, zahlreiche Deutsche, längere Zeit
blieben oder häufiger wiederkehrten. Die meisten brachten eigne Ouvertüren,
Symphonie" oder Kantaten, die sie im Gewandhaus aufgeführt zu hören
wünschten und, soweit es mit gutem Kunstgewissen geschehen konnte, auch aus¬
geführt erhielten. Andre, Jüngere, wünschte!, sich bescheidner mir des bildenden
Verkehrs mit dem anerkanntesten Komponisten und Klavierspieler der Zeit zu
erfreuen; gingen doch selbst solche, die schon Geltung und Namen hatten, bei
Mendelssohn noch einmal in die Schule. In Mendelssohns veröffentlichten
Briefen ist ein Nachglanz des bunten bewegten Treibens erhalten, das um ihn
her herrschte und worin zumal den leichter und froher gearteten Naturen,
den Glückskindern aller Art, warm und wohl wurde. Die zahlreichen und
großenteils guten, ja ausgezeichneten Konzerte waren in diesem Musikleben
noch das mindeste; um die Wette mit ihnen drängten sich die musikalischen
Privntuuterhaltnngeu in Künstlerkreisen, wie in den reichen kunstsinnigen
Häusern der Stadt, und bei alledem lag, verglichen mit der stimmungslvsen
Hast und dem nervös überreizten Gehaben der Gegenwart, noch ein Hauch
des Behagens, der persönlichen Freude an der Sache, auf dem Ganzen. Man
braucht nur die Schilderungen Mendelssohns von einem Abend mit Chopin
oder Moscheles, von einem Weihuachtsessen mit Gesangsquartett "bei Kens"
im Löhrschen Hause oder vou der großen Soiree mit dreihuudertfünfzig Per¬
sonen zu lesen, die er (im April 1840) im Gcwandhanssaale für Fr. Liszt gab:


Veto Ludwig in Leipzig

ihm alles gelang, was er — da eine feine und weltkluge Mäßigung unter
seinen Tugenden nicht fehlte — überhaupt in Angriff nahm und erstreben
mochte. Natürlich hatte er im Beginne seiner Thätigkeit als Leiter der Ge-
wandhnuskonzerte durch den Einsatz seines außerordentlichen Talents, eines
nicht leicht zu ermüdenden Eifers die Gunst des wahrhaft musikalischen
Publikums gewonnen. Aber mit einer gewissen Wahrheit konnte Mendelssohns
eigne Schwester Rebekka Dirichlet in Berlin schreiben: „In Leipzig kann Felix
wirklich ankündigen, er werde sich auf den Markt mit einer Nachtmütze hin¬
stellen, die Leute bezahlen auch Entree." Mendelssohn hatte jene Begeisterung,
jene Hingebung für sich und alles gewonnen, was er schuf oder leitete, ja
auch was er nur begünstigte, die schließlich kritiklos vertraut und folgt. Und
da ihm die Fähigkeit wie das Glück beschieden waren, die meisten wirklich
schöpferischen und vielversprechenden Talente der Zeit zu erkennen und zu
würdigen, so gab er nicht nur den Ausführungen, sondern auch den Programmen
der von ihm geleiteten Gewandhauskonzerte einen Aufschwung, der die Mcudels-
sohnzeit noch heute in der Erinnerung alter Leipziger als eine goldne gleich¬
sam verklärt, der den Weltruf des Kouzcrtinftituts eigentlich erst begründete.
'

Der wachsende Ruf der Konzerte, wie derRuhm und die anmutige,
liebenswürdige Persönlichkeit ihres Leiters zogen Winter für Winter her¬
vorragende Musiker nach Leipzig, von denen viele, wie der Düne Ricks
W. Gabe, der Engländer Sterndale Beneke, zahlreiche Deutsche, längere Zeit
blieben oder häufiger wiederkehrten. Die meisten brachten eigne Ouvertüren,
Symphonie» oder Kantaten, die sie im Gewandhaus aufgeführt zu hören
wünschten und, soweit es mit gutem Kunstgewissen geschehen konnte, auch aus¬
geführt erhielten. Andre, Jüngere, wünschte!, sich bescheidner mir des bildenden
Verkehrs mit dem anerkanntesten Komponisten und Klavierspieler der Zeit zu
erfreuen; gingen doch selbst solche, die schon Geltung und Namen hatten, bei
Mendelssohn noch einmal in die Schule. In Mendelssohns veröffentlichten
Briefen ist ein Nachglanz des bunten bewegten Treibens erhalten, das um ihn
her herrschte und worin zumal den leichter und froher gearteten Naturen,
den Glückskindern aller Art, warm und wohl wurde. Die zahlreichen und
großenteils guten, ja ausgezeichneten Konzerte waren in diesem Musikleben
noch das mindeste; um die Wette mit ihnen drängten sich die musikalischen
Privntuuterhaltnngeu in Künstlerkreisen, wie in den reichen kunstsinnigen
Häusern der Stadt, und bei alledem lag, verglichen mit der stimmungslvsen
Hast und dem nervös überreizten Gehaben der Gegenwart, noch ein Hauch
des Behagens, der persönlichen Freude an der Sache, auf dem Ganzen. Man
braucht nur die Schilderungen Mendelssohns von einem Abend mit Chopin
oder Moscheles, von einem Weihuachtsessen mit Gesangsquartett „bei Kens"
im Löhrschen Hause oder vou der großen Soiree mit dreihuudertfünfzig Per¬
sonen zu lesen, die er (im April 1840) im Gcwandhanssaale für Fr. Liszt gab:


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[0043] Veto Ludwig in Leipzig ihm alles gelang, was er — da eine feine und weltkluge Mäßigung unter seinen Tugenden nicht fehlte — überhaupt in Angriff nahm und erstreben mochte. Natürlich hatte er im Beginne seiner Thätigkeit als Leiter der Ge- wandhnuskonzerte durch den Einsatz seines außerordentlichen Talents, eines nicht leicht zu ermüdenden Eifers die Gunst des wahrhaft musikalischen Publikums gewonnen. Aber mit einer gewissen Wahrheit konnte Mendelssohns eigne Schwester Rebekka Dirichlet in Berlin schreiben: „In Leipzig kann Felix wirklich ankündigen, er werde sich auf den Markt mit einer Nachtmütze hin¬ stellen, die Leute bezahlen auch Entree." Mendelssohn hatte jene Begeisterung, jene Hingebung für sich und alles gewonnen, was er schuf oder leitete, ja auch was er nur begünstigte, die schließlich kritiklos vertraut und folgt. Und da ihm die Fähigkeit wie das Glück beschieden waren, die meisten wirklich schöpferischen und vielversprechenden Talente der Zeit zu erkennen und zu würdigen, so gab er nicht nur den Ausführungen, sondern auch den Programmen der von ihm geleiteten Gewandhauskonzerte einen Aufschwung, der die Mcudels- sohnzeit noch heute in der Erinnerung alter Leipziger als eine goldne gleich¬ sam verklärt, der den Weltruf des Kouzcrtinftituts eigentlich erst begründete. ' Der wachsende Ruf der Konzerte, wie derRuhm und die anmutige, liebenswürdige Persönlichkeit ihres Leiters zogen Winter für Winter her¬ vorragende Musiker nach Leipzig, von denen viele, wie der Düne Ricks W. Gabe, der Engländer Sterndale Beneke, zahlreiche Deutsche, längere Zeit blieben oder häufiger wiederkehrten. Die meisten brachten eigne Ouvertüren, Symphonie» oder Kantaten, die sie im Gewandhaus aufgeführt zu hören wünschten und, soweit es mit gutem Kunstgewissen geschehen konnte, auch aus¬ geführt erhielten. Andre, Jüngere, wünschte!, sich bescheidner mir des bildenden Verkehrs mit dem anerkanntesten Komponisten und Klavierspieler der Zeit zu erfreuen; gingen doch selbst solche, die schon Geltung und Namen hatten, bei Mendelssohn noch einmal in die Schule. In Mendelssohns veröffentlichten Briefen ist ein Nachglanz des bunten bewegten Treibens erhalten, das um ihn her herrschte und worin zumal den leichter und froher gearteten Naturen, den Glückskindern aller Art, warm und wohl wurde. Die zahlreichen und großenteils guten, ja ausgezeichneten Konzerte waren in diesem Musikleben noch das mindeste; um die Wette mit ihnen drängten sich die musikalischen Privntuuterhaltnngeu in Künstlerkreisen, wie in den reichen kunstsinnigen Häusern der Stadt, und bei alledem lag, verglichen mit der stimmungslvsen Hast und dem nervös überreizten Gehaben der Gegenwart, noch ein Hauch des Behagens, der persönlichen Freude an der Sache, auf dem Ganzen. Man braucht nur die Schilderungen Mendelssohns von einem Abend mit Chopin oder Moscheles, von einem Weihuachtsessen mit Gesangsquartett „bei Kens" im Löhrschen Hause oder vou der großen Soiree mit dreihuudertfünfzig Per¬ sonen zu lesen, die er (im April 1840) im Gcwandhanssaale für Fr. Liszt gab:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/43>, abgerufen am 23.07.2024.