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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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In den folgenden Briefen aus Wien -- es sind deren noch ein Dutzend,
der letzte vom 20. August 1828 -- wird Gentz nicht erwähnt. Aber nur
helfen die selbstbiographischen Skizzen aus. In der einen -- vom Dezember
1875 -- lesen wir: "Ich hatte das Gluck, mit Friedrich Gentz in eine ziemlich
nahe Beziehung zu kommen; er galt als eines der Oberhäupter der sogenannten
Ultras und hielt an den antirevvlntionären Doktrinen eifrig fest; aber er war
ein Mann von Geist, der ganz in seiner Weltstellung lebte nud sie jeden Augen¬
blick überschaute. Ich besuchte ihn alle Wochen einmal, in einer Abend¬
stunde. Politische Unterhaltung war ihm eine Art von Bedürfnis und,
wie mau weiß, er sprach sehr gut. Die allgemeine Situation war keines¬
wegs mehr so beschaffen, wie sie infolge des sogenannten heiligen Bundes
in Aussicht genommenen war; die Erhebung der Griechen unter der Unter¬
stützung von Euglnnd hatte alle Gemüter in neue Richtungen getrieben. Mit
den Griechen und ihren Protektoren kam ich nicht in Verbindung, Wohl aber
mit deu Serben, die demselben System, aber ans eine andre Weise angehörte".
Es war mir ebenso anziehend wie belehrend, deu Ursprung der serbischen Be¬
wegung ans unmittelbarer Mitteilung keimen zu lernen, unbekümmert, was
man in Wien darüber dachte. Meine italienischen Studien, die ich in Berlin
begonnen, setzte ich mit immer wachsendem Eifer fort, denn noch war daS
venetianische Archiv großenteils in Wien: es bot mir die nächste Ausbeute.
Aber zugleich vertiefte ich mich in das Element der slawische" Bewegung in
der Türkei; ich fing an serbisch zu lerne", wie wohl "icht mit großen: Succeß,
da die Information, die ich bekam, in deutscher Sprache gewährt wurde. Aus
dem Gespräch von Gentz nahm ich ab, daß das Verhältnis der großen Mächte
keineswegs ein sehr einmütiges war. Die Notizen, die einige Jahre später
das "Pvrtefolio" pnblizirte, und die dann das allgemeine Erstannen hervor¬
riefen, waren mir bereits damals durch Gentz nicht vorenthalten worden. Er
sprach oft unter dem Eindruck der letzten Depeschen aus Se. Petersburg, deren
Inhalt und Ton er gleichmäßig perhorreszirte."

Ich muß hier einiges zur Erklärung hinzusetzen. Im Juli 1827 hatten
Rußland, Frankreich und Euglnnd ein Bündnis geschlossen, das sich zum Ziel
setzte, dem Kriege zwischen den Türken und deu Grieche" el" Ende zu machen,
die Seeräuberei i" deu levaittiuische" Gewässern auszurotten und den Handel,
der durch deu langwierigen Krieg beträchtlich litt, zu sichern. In diesen. Ver¬
trage brach England mit seiner früheren türkenfreundlichen Politik, die eS
schon vor längerer Zeit verlassen hatte, endgiltig: es war dies der Einfluß
Georg Cauniugs, der damals an der Spitze des englischen Ministeriums stand.
Um die Mitte des August war dann die Nachricht von dein Tode dieses Mannes
"ach Osterreich gekommen. Nun hoffte man hier auf eine Änderung der
englischen Politik. Den" das Zusammengehen der Westmächte mit Rußland
sah man als das größte Unglück an: so werde es diesem gelingen, sich in die


In den folgenden Briefen aus Wien — es sind deren noch ein Dutzend,
der letzte vom 20. August 1828 — wird Gentz nicht erwähnt. Aber nur
helfen die selbstbiographischen Skizzen aus. In der einen — vom Dezember
1875 — lesen wir: „Ich hatte das Gluck, mit Friedrich Gentz in eine ziemlich
nahe Beziehung zu kommen; er galt als eines der Oberhäupter der sogenannten
Ultras und hielt an den antirevvlntionären Doktrinen eifrig fest; aber er war
ein Mann von Geist, der ganz in seiner Weltstellung lebte nud sie jeden Augen¬
blick überschaute. Ich besuchte ihn alle Wochen einmal, in einer Abend¬
stunde. Politische Unterhaltung war ihm eine Art von Bedürfnis und,
wie mau weiß, er sprach sehr gut. Die allgemeine Situation war keines¬
wegs mehr so beschaffen, wie sie infolge des sogenannten heiligen Bundes
in Aussicht genommenen war; die Erhebung der Griechen unter der Unter¬
stützung von Euglnnd hatte alle Gemüter in neue Richtungen getrieben. Mit
den Griechen und ihren Protektoren kam ich nicht in Verbindung, Wohl aber
mit deu Serben, die demselben System, aber ans eine andre Weise angehörte».
Es war mir ebenso anziehend wie belehrend, deu Ursprung der serbischen Be¬
wegung ans unmittelbarer Mitteilung keimen zu lernen, unbekümmert, was
man in Wien darüber dachte. Meine italienischen Studien, die ich in Berlin
begonnen, setzte ich mit immer wachsendem Eifer fort, denn noch war daS
venetianische Archiv großenteils in Wien: es bot mir die nächste Ausbeute.
Aber zugleich vertiefte ich mich in das Element der slawische» Bewegung in
der Türkei; ich fing an serbisch zu lerne», wie wohl »icht mit großen: Succeß,
da die Information, die ich bekam, in deutscher Sprache gewährt wurde. Aus
dem Gespräch von Gentz nahm ich ab, daß das Verhältnis der großen Mächte
keineswegs ein sehr einmütiges war. Die Notizen, die einige Jahre später
das »Pvrtefolio« pnblizirte, und die dann das allgemeine Erstannen hervor¬
riefen, waren mir bereits damals durch Gentz nicht vorenthalten worden. Er
sprach oft unter dem Eindruck der letzten Depeschen aus Se. Petersburg, deren
Inhalt und Ton er gleichmäßig perhorreszirte."

Ich muß hier einiges zur Erklärung hinzusetzen. Im Juli 1827 hatten
Rußland, Frankreich und Euglnnd ein Bündnis geschlossen, das sich zum Ziel
setzte, dem Kriege zwischen den Türken und deu Grieche» el» Ende zu machen,
die Seeräuberei i» deu levaittiuische» Gewässern auszurotten und den Handel,
der durch deu langwierigen Krieg beträchtlich litt, zu sichern. In diesen. Ver¬
trage brach England mit seiner früheren türkenfreundlichen Politik, die eS
schon vor längerer Zeit verlassen hatte, endgiltig: es war dies der Einfluß
Georg Cauniugs, der damals an der Spitze des englischen Ministeriums stand.
Um die Mitte des August war dann die Nachricht von dein Tode dieses Mannes
»ach Osterreich gekommen. Nun hoffte man hier auf eine Änderung der
englischen Politik. Den» das Zusammengehen der Westmächte mit Rußland
sah man als das größte Unglück an: so werde es diesem gelingen, sich in die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/420>, abgerufen am 23.07.2024.