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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Wenigstens in der Heilstätte von Norderuey Vorsorge für die Erteilung des
notwendigen Schulunterrichtes getroffen worden ist.

Norderney hat in jedem seiner sechs Pavillons einen Schlafsaal mit
40 Betten, vermag also abgesehen von den Pensionären, die im Mittelbau
untergebracht werden, 240 Pfleglinge nnfznnehmen. Rechnet man die Knr-
Perivde zu 6 Wochen oder 42 Tagen, so wurde das Jahr 8 Kurperioden
enthalten, und es könnten somit achtmal 240 oder 1920 Pfleglinge aufgenommen
werden. In der That sind aber im vorletzten Verpslegungsjahre zusammen
nur 560 Kinder in dem Hospiz gewesen, die Wohlthat wird also nicht nus-
genntzt, weil sie noch nicht zur Genüge bekannt ist. Und warum dies? Irre
ich mich nicht, so ist es weniger das mangelnde Vertrauen zu der Heilkraft
der See und der rudern hier in Frage kommenden Gesnndheitseinflüssc, als
vielmehr das bequeme Vorurteil, die Schwerfälligkeit, mit der der Binnen¬
länder den Gedanken an eine Reise nach der See von sich weist. Dieses Vor¬
urteil wird wohl überwunden, wenn es der Mode, dem Vergnügen, dem lieben
Ich gilt, wenn es sich aber "in die Gesundheit kränklicher Kinder, um ihre
Befreiung von schwerem, stummem Siechtum handelt, da scheint es unüber-
windbar. lind dennoch beruhen alle die Einwände, die gegen den Versuch
vorgebracht werden, den skrofulösen Kindern energisch zu helfen, ans Schein¬
gründen. Zunächst sind die vermeintlichen großen Schwierigkeiten, die immer
als schweres Geschütz gegen den Wunsch thätiger Hilfe aufgeführt werden, bei
genauer Betrachtung in der That nicht vorhanden. Da müssen vor allein die
hohen Kosten des Badeanfenthaltes ins Feld rücken. Freilich müssen die
Hospize, schon um bestehen zu können, bescheidne Gegenleistungen fordern.
Aber man sehe sich doch einmal die verlangten Opfer an. Sie betragen nach
dem Programm für ein Kind uubeiuittelter Eltern 10 Mark "ut für Be¬
mittelte 20 Mark die Woche, also fiir eine sechswöchige Kur "0 oder 120 Mark.
Und dafür erhält der Pflegling Wohnung, reichliche Kost, ärztliche Behand¬
lung, gewissenhafte Aussicht, Arznei und kalte und warme Bäder. Sollte"
diese Opfer für den, der ein skrofelkrantes oder ein konstitutionell schwaches
Kind vor dauerndem Siechtum bewahren null, wirklich unerschwinglich sein?
Ich deute hierbei nicht sowohl an die gänzlich Mittellosen, denen die öffent¬
liche Wohlthätigkeit hilfreich zur Seite steht, sondern auch an die große Zahl
wenig bemittelter Familienväter, denen es unmöglich ist, die kranken Kinder
selbst an die Küste zu bringen oder gnr den Kuraufenthalt mit ihnen zu ge¬
nießen. Der mäßig besoldete Beamte, der Handwerker, wenn er es sich ernstlich
vornimmt, ist gewiß imstande, für sein Kind jene Summe nnfznbringen.
Weich ein Lohn winkt ihm hier fiir ein täglich der süßen Gewohnheit ab¬
gerungenes Enthaltsaiukeitsopfer, für den Verzicht ans einen oder zwei Schoppen,
oder ans das in Rauch aufgehende Vergnügen! Man hat Konfirmnndenspar-
tassen begründet, Gelegenheiten zu", sparen des Mietzinses geschaffen, Ein-


Wenigstens in der Heilstätte von Norderuey Vorsorge für die Erteilung des
notwendigen Schulunterrichtes getroffen worden ist.

Norderney hat in jedem seiner sechs Pavillons einen Schlafsaal mit
40 Betten, vermag also abgesehen von den Pensionären, die im Mittelbau
untergebracht werden, 240 Pfleglinge nnfznnehmen. Rechnet man die Knr-
Perivde zu 6 Wochen oder 42 Tagen, so wurde das Jahr 8 Kurperioden
enthalten, und es könnten somit achtmal 240 oder 1920 Pfleglinge aufgenommen
werden. In der That sind aber im vorletzten Verpslegungsjahre zusammen
nur 560 Kinder in dem Hospiz gewesen, die Wohlthat wird also nicht nus-
genntzt, weil sie noch nicht zur Genüge bekannt ist. Und warum dies? Irre
ich mich nicht, so ist es weniger das mangelnde Vertrauen zu der Heilkraft
der See und der rudern hier in Frage kommenden Gesnndheitseinflüssc, als
vielmehr das bequeme Vorurteil, die Schwerfälligkeit, mit der der Binnen¬
länder den Gedanken an eine Reise nach der See von sich weist. Dieses Vor¬
urteil wird wohl überwunden, wenn es der Mode, dem Vergnügen, dem lieben
Ich gilt, wenn es sich aber »in die Gesundheit kränklicher Kinder, um ihre
Befreiung von schwerem, stummem Siechtum handelt, da scheint es unüber-
windbar. lind dennoch beruhen alle die Einwände, die gegen den Versuch
vorgebracht werden, den skrofulösen Kindern energisch zu helfen, ans Schein¬
gründen. Zunächst sind die vermeintlichen großen Schwierigkeiten, die immer
als schweres Geschütz gegen den Wunsch thätiger Hilfe aufgeführt werden, bei
genauer Betrachtung in der That nicht vorhanden. Da müssen vor allein die
hohen Kosten des Badeanfenthaltes ins Feld rücken. Freilich müssen die
Hospize, schon um bestehen zu können, bescheidne Gegenleistungen fordern.
Aber man sehe sich doch einmal die verlangten Opfer an. Sie betragen nach
dem Programm für ein Kind uubeiuittelter Eltern 10 Mark »ut für Be¬
mittelte 20 Mark die Woche, also fiir eine sechswöchige Kur »0 oder 120 Mark.
Und dafür erhält der Pflegling Wohnung, reichliche Kost, ärztliche Behand¬
lung, gewissenhafte Aussicht, Arznei und kalte und warme Bäder. Sollte»
diese Opfer für den, der ein skrofelkrantes oder ein konstitutionell schwaches
Kind vor dauerndem Siechtum bewahren null, wirklich unerschwinglich sein?
Ich deute hierbei nicht sowohl an die gänzlich Mittellosen, denen die öffent¬
liche Wohlthätigkeit hilfreich zur Seite steht, sondern auch an die große Zahl
wenig bemittelter Familienväter, denen es unmöglich ist, die kranken Kinder
selbst an die Küste zu bringen oder gnr den Kuraufenthalt mit ihnen zu ge¬
nießen. Der mäßig besoldete Beamte, der Handwerker, wenn er es sich ernstlich
vornimmt, ist gewiß imstande, für sein Kind jene Summe nnfznbringen.
Weich ein Lohn winkt ihm hier fiir ein täglich der süßen Gewohnheit ab¬
gerungenes Enthaltsaiukeitsopfer, für den Verzicht ans einen oder zwei Schoppen,
oder ans das in Rauch aufgehende Vergnügen! Man hat Konfirmnndenspar-
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[0413] Wenigstens in der Heilstätte von Norderuey Vorsorge für die Erteilung des notwendigen Schulunterrichtes getroffen worden ist. Norderney hat in jedem seiner sechs Pavillons einen Schlafsaal mit 40 Betten, vermag also abgesehen von den Pensionären, die im Mittelbau untergebracht werden, 240 Pfleglinge nnfznnehmen. Rechnet man die Knr- Perivde zu 6 Wochen oder 42 Tagen, so wurde das Jahr 8 Kurperioden enthalten, und es könnten somit achtmal 240 oder 1920 Pfleglinge aufgenommen werden. In der That sind aber im vorletzten Verpslegungsjahre zusammen nur 560 Kinder in dem Hospiz gewesen, die Wohlthat wird also nicht nus- genntzt, weil sie noch nicht zur Genüge bekannt ist. Und warum dies? Irre ich mich nicht, so ist es weniger das mangelnde Vertrauen zu der Heilkraft der See und der rudern hier in Frage kommenden Gesnndheitseinflüssc, als vielmehr das bequeme Vorurteil, die Schwerfälligkeit, mit der der Binnen¬ länder den Gedanken an eine Reise nach der See von sich weist. Dieses Vor¬ urteil wird wohl überwunden, wenn es der Mode, dem Vergnügen, dem lieben Ich gilt, wenn es sich aber »in die Gesundheit kränklicher Kinder, um ihre Befreiung von schwerem, stummem Siechtum handelt, da scheint es unüber- windbar. lind dennoch beruhen alle die Einwände, die gegen den Versuch vorgebracht werden, den skrofulösen Kindern energisch zu helfen, ans Schein¬ gründen. Zunächst sind die vermeintlichen großen Schwierigkeiten, die immer als schweres Geschütz gegen den Wunsch thätiger Hilfe aufgeführt werden, bei genauer Betrachtung in der That nicht vorhanden. Da müssen vor allein die hohen Kosten des Badeanfenthaltes ins Feld rücken. Freilich müssen die Hospize, schon um bestehen zu können, bescheidne Gegenleistungen fordern. Aber man sehe sich doch einmal die verlangten Opfer an. Sie betragen nach dem Programm für ein Kind uubeiuittelter Eltern 10 Mark »ut für Be¬ mittelte 20 Mark die Woche, also fiir eine sechswöchige Kur »0 oder 120 Mark. Und dafür erhält der Pflegling Wohnung, reichliche Kost, ärztliche Behand¬ lung, gewissenhafte Aussicht, Arznei und kalte und warme Bäder. Sollte» diese Opfer für den, der ein skrofelkrantes oder ein konstitutionell schwaches Kind vor dauerndem Siechtum bewahren null, wirklich unerschwinglich sein? Ich deute hierbei nicht sowohl an die gänzlich Mittellosen, denen die öffent¬ liche Wohlthätigkeit hilfreich zur Seite steht, sondern auch an die große Zahl wenig bemittelter Familienväter, denen es unmöglich ist, die kranken Kinder selbst an die Küste zu bringen oder gnr den Kuraufenthalt mit ihnen zu ge¬ nießen. Der mäßig besoldete Beamte, der Handwerker, wenn er es sich ernstlich vornimmt, ist gewiß imstande, für sein Kind jene Summe nnfznbringen. Weich ein Lohn winkt ihm hier fiir ein täglich der süßen Gewohnheit ab¬ gerungenes Enthaltsaiukeitsopfer, für den Verzicht ans einen oder zwei Schoppen, oder ans das in Rauch aufgehende Vergnügen! Man hat Konfirmnndenspar- tassen begründet, Gelegenheiten zu», sparen des Mietzinses geschaffen, Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/413>, abgerufen am 23.07.2024.