Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Hie Frau und der Socialismus

nnvermüstliche gesunde Natur und ein fester christlicher Glaube vereint das
Gleichgewicht halten. Sind sie imstande, der Verminderung des Glückes vor¬
zubeugen, so dürfen wir schon froh sein.

Hier nur müssen wir auch noch ein Wörtchen über die Stellung sagen,
die Vebel der Frau in der Zukunft unweise. Es ist gewiß edel und ritterlich
von ihm, daß er alle Nichtswürdigkeiten, die der Mann, seine natürliche Über¬
legenheit mißbrauchend, von alten Zeiten her am Weibe verübt hat und noch
heute verübt, schonnnglos aufdeckt und mit den Namen bezeichnet, die sie ver¬
dienen. Er hat vielleicht auch Recht, wenn er glaubt, das Weib sei vou
Natur zik allen Leistungen des Mannes befähigt, und wenn dies nicht hervor¬
tritt, so sei uur die Erziehung daran schuld. Aber er ist entschieden im Unrecht,
wenn er sich einbildet, dnrch männliche Erziehung (genauer gesagt, dnrch eine
gemeinsame Erziehung der Knaben und Mädchen, die uns das Geschlecht keine
Rücksicht nimmt) und durch die Einführung in alle männliche Berufsarten die
Frauen glücklich machen zu können. Es ist keineswegs immer heilsam für el"
Wesen, wenn alle seine Fähigkeiten entwickelt werden. Vielleicht ließe sich im
Laufe der Zeit allen Mädchen und Frnnen die Muskulatur der Schaubnden-
athletinneu anerziehen, aber ein wesentlicher Quell des Glückes für beide Ge¬
schlechter, der weibliche Liebreiz, würde damit für immer versiegen. Katharina II.
war eine große Kaiserin, aber nichtsdestoweniger ein abscheuliches Weib. Der
Mann besitzt ja ebenfalls die Anlagen für die weiblichen Eigentümlichkeiten.
Ein wohlgebildeter junger Mann lüuu in Miene, Haltung und Bewegung die
Anmut eines Mädchens nachahmen, aber thut er es, nud zwar uicht bloß zum
Scherz, so verachten wir ihn. Der verschiedne anatomische Ban beider Ge¬
schlechter, ihr verschiedner morphologischer Typus meist darauf hin, daß beide
"und im Benehmen, in der Denkungsart und Empfindung, in ihrer Thätigkeit
und gesellschaftlichen Stellung verschiedne Typen auszubilden habe". Gelänge
^'s, diese Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern aufzuheben, so würde
^ wesentlichste Bedingung alles Lebens, die Polarität, gerade um der wich¬
tigsten Stelle fehlen. Die Professorinnen nud Ärztinnen der Zukunft können
daher für einen gesunden Menschenverstand und eine natürliche Empfindung
so wenig ein Gegenstand des Entzückens sein wie unsre jetzigen Telegraphistinnen
"ut Modistinnen, sondern werden gleich diesen uur Mitleid erregen.

Müssen wir aber auch Bebels Ideal bekämpfe", so müssen wir ihm
doch zugleich beistimmen, wenn er der gegenwärtigen Gesellschaft das Necht
bestreitet, ihm dieses Ideal zum Vorwurf zu machen. Denn nicht Bebel,
sondern unsre Gesellschaftsordnung oder -Unordnung hat es erzeugt. Nicht
Bebel , sondern die Not des Lebens ist es, die immer zahlreichere Scharen
von Mädchen aus der Familie hinanswirft und in männliche Berufsarten
hineintreibe, und nicht Bebel ist es, der die Tagelöhnerfrauen zwingt, alle
weibliche Anmut abzulegen "ut in dicken Stiefeln mit einer Steinlnst oder


Hie Frau und der Socialismus

nnvermüstliche gesunde Natur und ein fester christlicher Glaube vereint das
Gleichgewicht halten. Sind sie imstande, der Verminderung des Glückes vor¬
zubeugen, so dürfen wir schon froh sein.

Hier nur müssen wir auch noch ein Wörtchen über die Stellung sagen,
die Vebel der Frau in der Zukunft unweise. Es ist gewiß edel und ritterlich
von ihm, daß er alle Nichtswürdigkeiten, die der Mann, seine natürliche Über¬
legenheit mißbrauchend, von alten Zeiten her am Weibe verübt hat und noch
heute verübt, schonnnglos aufdeckt und mit den Namen bezeichnet, die sie ver¬
dienen. Er hat vielleicht auch Recht, wenn er glaubt, das Weib sei vou
Natur zik allen Leistungen des Mannes befähigt, und wenn dies nicht hervor¬
tritt, so sei uur die Erziehung daran schuld. Aber er ist entschieden im Unrecht,
wenn er sich einbildet, dnrch männliche Erziehung (genauer gesagt, dnrch eine
gemeinsame Erziehung der Knaben und Mädchen, die uns das Geschlecht keine
Rücksicht nimmt) und durch die Einführung in alle männliche Berufsarten die
Frauen glücklich machen zu können. Es ist keineswegs immer heilsam für el»
Wesen, wenn alle seine Fähigkeiten entwickelt werden. Vielleicht ließe sich im
Laufe der Zeit allen Mädchen und Frnnen die Muskulatur der Schaubnden-
athletinneu anerziehen, aber ein wesentlicher Quell des Glückes für beide Ge¬
schlechter, der weibliche Liebreiz, würde damit für immer versiegen. Katharina II.
war eine große Kaiserin, aber nichtsdestoweniger ein abscheuliches Weib. Der
Mann besitzt ja ebenfalls die Anlagen für die weiblichen Eigentümlichkeiten.
Ein wohlgebildeter junger Mann lüuu in Miene, Haltung und Bewegung die
Anmut eines Mädchens nachahmen, aber thut er es, nud zwar uicht bloß zum
Scherz, so verachten wir ihn. Der verschiedne anatomische Ban beider Ge¬
schlechter, ihr verschiedner morphologischer Typus meist darauf hin, daß beide
"und im Benehmen, in der Denkungsart und Empfindung, in ihrer Thätigkeit
und gesellschaftlichen Stellung verschiedne Typen auszubilden habe». Gelänge
^'s, diese Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern aufzuheben, so würde
^ wesentlichste Bedingung alles Lebens, die Polarität, gerade um der wich¬
tigsten Stelle fehlen. Die Professorinnen nud Ärztinnen der Zukunft können
daher für einen gesunden Menschenverstand und eine natürliche Empfindung
so wenig ein Gegenstand des Entzückens sein wie unsre jetzigen Telegraphistinnen
»ut Modistinnen, sondern werden gleich diesen uur Mitleid erregen.

Müssen wir aber auch Bebels Ideal bekämpfe», so müssen wir ihm
doch zugleich beistimmen, wenn er der gegenwärtigen Gesellschaft das Necht
bestreitet, ihm dieses Ideal zum Vorwurf zu machen. Denn nicht Bebel,
sondern unsre Gesellschaftsordnung oder -Unordnung hat es erzeugt. Nicht
Bebel , sondern die Not des Lebens ist es, die immer zahlreichere Scharen
von Mädchen aus der Familie hinanswirft und in männliche Berufsarten
hineintreibe, und nicht Bebel ist es, der die Tagelöhnerfrauen zwingt, alle
weibliche Anmut abzulegen »ut in dicken Stiefeln mit einer Steinlnst oder


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209638"/>
          <fw type="header" place="top"> Hie Frau und der Socialismus</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1130" prev="#ID_1129"> nnvermüstliche gesunde Natur und ein fester christlicher Glaube vereint das<lb/>
Gleichgewicht halten. Sind sie imstande, der Verminderung des Glückes vor¬<lb/>
zubeugen, so dürfen wir schon froh sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1131"> Hier nur müssen wir auch noch ein Wörtchen über die Stellung sagen,<lb/>
die Vebel der Frau in der Zukunft unweise. Es ist gewiß edel und ritterlich<lb/>
von ihm, daß er alle Nichtswürdigkeiten, die der Mann, seine natürliche Über¬<lb/>
legenheit mißbrauchend, von alten Zeiten her am Weibe verübt hat und noch<lb/>
heute verübt, schonnnglos aufdeckt und mit den Namen bezeichnet, die sie ver¬<lb/>
dienen. Er hat vielleicht auch Recht, wenn er glaubt, das Weib sei vou<lb/>
Natur zik allen Leistungen des Mannes befähigt, und wenn dies nicht hervor¬<lb/>
tritt, so sei uur die Erziehung daran schuld. Aber er ist entschieden im Unrecht,<lb/>
wenn er sich einbildet, dnrch männliche Erziehung (genauer gesagt, dnrch eine<lb/>
gemeinsame Erziehung der Knaben und Mädchen, die uns das Geschlecht keine<lb/>
Rücksicht nimmt) und durch die Einführung in alle männliche Berufsarten die<lb/>
Frauen glücklich machen zu können. Es ist keineswegs immer heilsam für el»<lb/>
Wesen, wenn alle seine Fähigkeiten entwickelt werden. Vielleicht ließe sich im<lb/>
Laufe der Zeit allen Mädchen und Frnnen die Muskulatur der Schaubnden-<lb/>
athletinneu anerziehen, aber ein wesentlicher Quell des Glückes für beide Ge¬<lb/>
schlechter, der weibliche Liebreiz, würde damit für immer versiegen. Katharina II.<lb/>
war eine große Kaiserin, aber nichtsdestoweniger ein abscheuliches Weib. Der<lb/>
Mann besitzt ja ebenfalls die Anlagen für die weiblichen Eigentümlichkeiten.<lb/>
Ein wohlgebildeter junger Mann lüuu in Miene, Haltung und Bewegung die<lb/>
Anmut eines Mädchens nachahmen, aber thut er es, nud zwar uicht bloß zum<lb/>
Scherz, so verachten wir ihn. Der verschiedne anatomische Ban beider Ge¬<lb/>
schlechter, ihr verschiedner morphologischer Typus meist darauf hin, daß beide<lb/>
"und im Benehmen, in der Denkungsart und Empfindung, in ihrer Thätigkeit<lb/>
und gesellschaftlichen Stellung verschiedne Typen auszubilden habe». Gelänge<lb/>
^'s, diese Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern aufzuheben, so würde<lb/>
^ wesentlichste Bedingung alles Lebens, die Polarität, gerade um der wich¬<lb/>
tigsten Stelle fehlen. Die Professorinnen nud Ärztinnen der Zukunft können<lb/>
daher für einen gesunden Menschenverstand und eine natürliche Empfindung<lb/>
so wenig ein Gegenstand des Entzückens sein wie unsre jetzigen Telegraphistinnen<lb/>
»ut Modistinnen, sondern werden gleich diesen uur Mitleid erregen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1132" next="#ID_1133"> Müssen wir aber auch Bebels Ideal bekämpfe», so müssen wir ihm<lb/>
doch zugleich beistimmen, wenn er der gegenwärtigen Gesellschaft das Necht<lb/>
bestreitet, ihm dieses Ideal zum Vorwurf zu machen. Denn nicht Bebel,<lb/>
sondern unsre Gesellschaftsordnung oder -Unordnung hat es erzeugt. Nicht<lb/>
Bebel , sondern die Not des Lebens ist es, die immer zahlreichere Scharen<lb/>
von Mädchen aus der Familie hinanswirft und in männliche Berufsarten<lb/>
hineintreibe, und nicht Bebel ist es, der die Tagelöhnerfrauen zwingt, alle<lb/>
weibliche Anmut abzulegen »ut in dicken Stiefeln mit einer Steinlnst oder</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0405] Hie Frau und der Socialismus nnvermüstliche gesunde Natur und ein fester christlicher Glaube vereint das Gleichgewicht halten. Sind sie imstande, der Verminderung des Glückes vor¬ zubeugen, so dürfen wir schon froh sein. Hier nur müssen wir auch noch ein Wörtchen über die Stellung sagen, die Vebel der Frau in der Zukunft unweise. Es ist gewiß edel und ritterlich von ihm, daß er alle Nichtswürdigkeiten, die der Mann, seine natürliche Über¬ legenheit mißbrauchend, von alten Zeiten her am Weibe verübt hat und noch heute verübt, schonnnglos aufdeckt und mit den Namen bezeichnet, die sie ver¬ dienen. Er hat vielleicht auch Recht, wenn er glaubt, das Weib sei vou Natur zik allen Leistungen des Mannes befähigt, und wenn dies nicht hervor¬ tritt, so sei uur die Erziehung daran schuld. Aber er ist entschieden im Unrecht, wenn er sich einbildet, dnrch männliche Erziehung (genauer gesagt, dnrch eine gemeinsame Erziehung der Knaben und Mädchen, die uns das Geschlecht keine Rücksicht nimmt) und durch die Einführung in alle männliche Berufsarten die Frauen glücklich machen zu können. Es ist keineswegs immer heilsam für el» Wesen, wenn alle seine Fähigkeiten entwickelt werden. Vielleicht ließe sich im Laufe der Zeit allen Mädchen und Frnnen die Muskulatur der Schaubnden- athletinneu anerziehen, aber ein wesentlicher Quell des Glückes für beide Ge¬ schlechter, der weibliche Liebreiz, würde damit für immer versiegen. Katharina II. war eine große Kaiserin, aber nichtsdestoweniger ein abscheuliches Weib. Der Mann besitzt ja ebenfalls die Anlagen für die weiblichen Eigentümlichkeiten. Ein wohlgebildeter junger Mann lüuu in Miene, Haltung und Bewegung die Anmut eines Mädchens nachahmen, aber thut er es, nud zwar uicht bloß zum Scherz, so verachten wir ihn. Der verschiedne anatomische Ban beider Ge¬ schlechter, ihr verschiedner morphologischer Typus meist darauf hin, daß beide "und im Benehmen, in der Denkungsart und Empfindung, in ihrer Thätigkeit und gesellschaftlichen Stellung verschiedne Typen auszubilden habe». Gelänge ^'s, diese Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern aufzuheben, so würde ^ wesentlichste Bedingung alles Lebens, die Polarität, gerade um der wich¬ tigsten Stelle fehlen. Die Professorinnen nud Ärztinnen der Zukunft können daher für einen gesunden Menschenverstand und eine natürliche Empfindung so wenig ein Gegenstand des Entzückens sein wie unsre jetzigen Telegraphistinnen »ut Modistinnen, sondern werden gleich diesen uur Mitleid erregen. Müssen wir aber auch Bebels Ideal bekämpfe», so müssen wir ihm doch zugleich beistimmen, wenn er der gegenwärtigen Gesellschaft das Necht bestreitet, ihm dieses Ideal zum Vorwurf zu machen. Denn nicht Bebel, sondern unsre Gesellschaftsordnung oder -Unordnung hat es erzeugt. Nicht Bebel , sondern die Not des Lebens ist es, die immer zahlreichere Scharen von Mädchen aus der Familie hinanswirft und in männliche Berufsarten hineintreibe, und nicht Bebel ist es, der die Tagelöhnerfrauen zwingt, alle weibliche Anmut abzulegen »ut in dicken Stiefeln mit einer Steinlnst oder

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/405
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/405>, abgerufen am 23.07.2024.