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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die Frau und der Socialismus

ist ja nicht zu bestreikn!. Aber die Herren übersehen den Umstand, daß ohne
jene Höhe sittlicher Vollkommenheit, die aus der sozialistischen Verfassung erst
hervorgehen soll, diese gar uicht hergestellt werden könnte. Welcher Heroismus
gehört dazu, der Gemeinschaft oder einer höhern Idee zuliebe auf sein Privat¬
eigentum zu verzichten, und wie undenkbar ist es, das; sich alle Bewohner aller
zivilisirten Staaten zu diesem Heroismus emporschwinge" sollten! Das aber
wäre doch notwendig. Denn wenn Einzelne oder gar größere Massen wider¬
strebten, so müßte gegen sie Gewalt angewendet werden, und man hätte dann
wieder den von Bebel so unbedingt verurteilten Klassenstaat, die llnterdrücknng
der einen dnrch die andern, nur daß Unterdrücker und Unterdrückte die sollen
vertauscht hätten.

Drittens finden wir Bebels Nbneignng gegen den Staat -- er protestirt
sehr entschieden gegen die Bezeichnung Svzialisteustacit, nur von einer sozia¬
listischen Gesellschaft sei die Rede, mit der genossenschaftlichen Organisation der
Gütererzeugung und -Verteilung falle das, was wir Staat nennen, von selbst
hinweg --, wir finden also diese Auffnssnng des Staates und diese Abneigung
gegen ihn beinahe kindisch bei einem Manne, der feit vielen Jahren so mitten
im Staatsleben drin steht; bei einem einsame" Stubenhocker, wie Marx einer
war, braucht man sich weniger zu wundern. Es ist ja richtig, daß jeder
größere Staat als Klnssenstaat erscheint. Es ist aber doch ebenso unbestreitbar,
daß die beherrschte Klasse, so oft sie in einer Revolution vorübergehend das
Ruder in die Hand bekam, ihre Sache noch schlechter gemacht hat als die Vor¬
nehmen und Reichen, daß gerade im Staate und durch den Staat die Armem
allmählich zur ersprießlichen Beteiligung am Staatsleben erzogen worden sind,
und daß es allein die Staatsbehörden, vor allein weise und wohlwollende
Herrschergeschlechter sind, die der an sich natürlichen und unvermeidlichen Ver¬
gewaltigung der Schwachen durch die Starken Grenze" zu stecke" vermögen.
Weiß doch gerade die preußische Geschichte genug davon zu erzählen. Am
wunderlichsten ist es, daß Bebel eine großartige, die ganze Erde "mspanncnde
Gesellschaftsgliedernng ohne Staat für möglich hält. Die Gütererzeugung und
-Verteilung, die Einrichtung und Leitung der Schulen, die Aiilage der öffent¬
liche" Gebäude würde doch Behörde" erfordern; ja schon die Abgrenzung der
Prvdnktionsgebiete gegen einander wäre ohne eine darüber entscheidende Be¬
hörde nicht denkbar. Die einzelnen Prodnktionsgrnppen, Gemeinden, Kreise,
Genossenschaften oder wie sie sich sonst nennen mögen, könnten nicht zusammen¬
hanglos neben einander dahin leben, denn sie wären auf gegenseitigen Güter¬
austausch angewiesen, müßten Abrechnung mit einander halten n. s, w. Demnach
würde eine Zusammenfassung mehrerer Genossenschaften in ein Ganzes dnrch
eine Zentralbehörde unvermeidlich, und ein solches Ganze würde eben ein
Staat mit republikanischer Verfassung sein. Nehmen wir anch an, das Tngend-
ideal würde in diesen Staaten verwirklicht und diejenigen Zweige des Staats-


Die Frau und der Socialismus

ist ja nicht zu bestreikn!. Aber die Herren übersehen den Umstand, daß ohne
jene Höhe sittlicher Vollkommenheit, die aus der sozialistischen Verfassung erst
hervorgehen soll, diese gar uicht hergestellt werden könnte. Welcher Heroismus
gehört dazu, der Gemeinschaft oder einer höhern Idee zuliebe auf sein Privat¬
eigentum zu verzichten, und wie undenkbar ist es, das; sich alle Bewohner aller
zivilisirten Staaten zu diesem Heroismus emporschwinge« sollten! Das aber
wäre doch notwendig. Denn wenn Einzelne oder gar größere Massen wider¬
strebten, so müßte gegen sie Gewalt angewendet werden, und man hätte dann
wieder den von Bebel so unbedingt verurteilten Klassenstaat, die llnterdrücknng
der einen dnrch die andern, nur daß Unterdrücker und Unterdrückte die sollen
vertauscht hätten.

Drittens finden wir Bebels Nbneignng gegen den Staat — er protestirt
sehr entschieden gegen die Bezeichnung Svzialisteustacit, nur von einer sozia¬
listischen Gesellschaft sei die Rede, mit der genossenschaftlichen Organisation der
Gütererzeugung und -Verteilung falle das, was wir Staat nennen, von selbst
hinweg —, wir finden also diese Auffnssnng des Staates und diese Abneigung
gegen ihn beinahe kindisch bei einem Manne, der feit vielen Jahren so mitten
im Staatsleben drin steht; bei einem einsame» Stubenhocker, wie Marx einer
war, braucht man sich weniger zu wundern. Es ist ja richtig, daß jeder
größere Staat als Klnssenstaat erscheint. Es ist aber doch ebenso unbestreitbar,
daß die beherrschte Klasse, so oft sie in einer Revolution vorübergehend das
Ruder in die Hand bekam, ihre Sache noch schlechter gemacht hat als die Vor¬
nehmen und Reichen, daß gerade im Staate und durch den Staat die Armem
allmählich zur ersprießlichen Beteiligung am Staatsleben erzogen worden sind,
und daß es allein die Staatsbehörden, vor allein weise und wohlwollende
Herrschergeschlechter sind, die der an sich natürlichen und unvermeidlichen Ver¬
gewaltigung der Schwachen durch die Starken Grenze» zu stecke» vermögen.
Weiß doch gerade die preußische Geschichte genug davon zu erzählen. Am
wunderlichsten ist es, daß Bebel eine großartige, die ganze Erde »mspanncnde
Gesellschaftsgliedernng ohne Staat für möglich hält. Die Gütererzeugung und
-Verteilung, die Einrichtung und Leitung der Schulen, die Aiilage der öffent¬
liche» Gebäude würde doch Behörde» erfordern; ja schon die Abgrenzung der
Prvdnktionsgebiete gegen einander wäre ohne eine darüber entscheidende Be¬
hörde nicht denkbar. Die einzelnen Prodnktionsgrnppen, Gemeinden, Kreise,
Genossenschaften oder wie sie sich sonst nennen mögen, könnten nicht zusammen¬
hanglos neben einander dahin leben, denn sie wären auf gegenseitigen Güter¬
austausch angewiesen, müßten Abrechnung mit einander halten n. s, w. Demnach
würde eine Zusammenfassung mehrerer Genossenschaften in ein Ganzes dnrch
eine Zentralbehörde unvermeidlich, und ein solches Ganze würde eben ein
Staat mit republikanischer Verfassung sein. Nehmen wir anch an, das Tngend-
ideal würde in diesen Staaten verwirklicht und diejenigen Zweige des Staats-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/403>, abgerufen am 23.07.2024.