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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Sorgen

Freilich, um bei dem Bilde zu bleiben, ein willenskräftiger und entschlossener
Kapitän bestimmt den Gang des Fahrzeuges, und es wäre Frevel, daran zu
zweifeln, daß er es dem sicher" Hafen zuführe" will.

Kaiser Wilhelm setzt in seinein Regiment so viel eigne Persönlichkeit ein,
daß er das Bedürfnis uach nusgesprocheueu Charaktere" an seiner Seite i"
zweiter oder dritter Stelle nicht empfinden mag. Mail hört die Klage, daß
abgesehen von einige" wenigen, wirklich hervorragenden Männern Mittelmäßig¬
keiten in Stellungen gelangen, dene" sie nicht gewachsen seien. Die neuen
Männer, die auftreten, haben sich allgemeines Vertrauen noch nicht erworben,
die als die Überbleibsel des nnviem n-giirio Amt und Stellung behauptet haben,
an Ausehen entschieden verloren. Da kann es kaun, Wunder nehmen, daß, was
a" scheinbare" oder wirklichen Einbußen an Ausehen vo" uns verzeichnet
werden muß, ihnen schuldgegeben wird. Am schwersten wird dabei die Leitung
"nsrer auswärtigen Politik betroffen. Uns liegt in Nummer 7 des "Export,"
des Organes des Zentralvereins für Handelsgeographie, ein Artikel "Die
Franzose" i" Tripolis" vor, der dieser pessimistischen Beurteilung unsrer aus¬
wärtigen Politik einen so drastischen Ausdruck giebt, daß wir es für el" Un¬
glück halten würden, wenn jene Stimmung weiter um sich griffe. Der Verfasser
sagt geradezu, daß Deutschland im Auslande längst nur noch als der Esel in der
Löwenhaut gewürdigt werde. "Einst, als wir allein standen und wußten, was wir
wollten, waren Nur stark, und unsre Freundschaft wurde gesucht; jetzt wollen wir
noch länger auf den bereits erkalteten Lorbeern träge ruhn und genießen, fort und
fort genießen, nur genießen, was eine andre Generation geschaffen hat." Der
Verfasser stellt uns Frankreich als Muster entgegen und schließt gar, indem er
die äußere und innere Entwicklung Frankreichs anerkennt, mit den Worten:
"Es wäre eine Lust, Franzose zu sein, an dein ""vergänglichen R"sine dieses
Volkes, an seinein nimmer rastende" Geistes- und Kulturlebe" teilzunehmen --
vivo lit ^rNl0o!"

Wir billigen diese Ausführungen keineswegs, haben auch gegen den sach¬
lichen Teil der Klagen des Verfassers, die namentlich unsre Kolonialpolitik
betreffen, sehr entschiede Einwendungen zu machen. Die jüngste Rede des
Reichskanzlers hat den Zusammenhang zwischen dem Einst und dem Jetzt so
unwiderleglich erwiesen, daß wir es für ungerecht halten würden, das
englische Abkommen und Wien ihm allein zum Vorwurf zu machen. Die
Einigung in der Brüsseler Konferenz ist unsrer Meinuiig "ach ein Verdienst
der heutigen Leitung und bedeutet keineswegs eine Benachteiligung des deutschen
Handels. Was wir mißbilligen, ist die rücksichtslose Preisgebung der ver¬
traulichen Randbemerkungen des Fürsten, die wir unter allen Umstättde" für
unentschuldbar halten, die auch insofern sich sofort als ein politischer Mißgriff
erwies, als der Wiederhall in England einen Angriff ans das Ministerium
Salisburh ergab, dessen Bestand und Dauer uns die einzige Sicherheit für


Sorgen

Freilich, um bei dem Bilde zu bleiben, ein willenskräftiger und entschlossener
Kapitän bestimmt den Gang des Fahrzeuges, und es wäre Frevel, daran zu
zweifeln, daß er es dem sicher» Hafen zuführe» will.

Kaiser Wilhelm setzt in seinein Regiment so viel eigne Persönlichkeit ein,
daß er das Bedürfnis uach nusgesprocheueu Charaktere» an seiner Seite i»
zweiter oder dritter Stelle nicht empfinden mag. Mail hört die Klage, daß
abgesehen von einige» wenigen, wirklich hervorragenden Männern Mittelmäßig¬
keiten in Stellungen gelangen, dene» sie nicht gewachsen seien. Die neuen
Männer, die auftreten, haben sich allgemeines Vertrauen noch nicht erworben,
die als die Überbleibsel des nnviem n-giirio Amt und Stellung behauptet haben,
an Ausehen entschieden verloren. Da kann es kaun, Wunder nehmen, daß, was
a» scheinbare» oder wirklichen Einbußen an Ausehen vo» uns verzeichnet
werden muß, ihnen schuldgegeben wird. Am schwersten wird dabei die Leitung
»nsrer auswärtigen Politik betroffen. Uns liegt in Nummer 7 des „Export,"
des Organes des Zentralvereins für Handelsgeographie, ein Artikel „Die
Franzose» i» Tripolis" vor, der dieser pessimistischen Beurteilung unsrer aus¬
wärtigen Politik einen so drastischen Ausdruck giebt, daß wir es für el» Un¬
glück halten würden, wenn jene Stimmung weiter um sich griffe. Der Verfasser
sagt geradezu, daß Deutschland im Auslande längst nur noch als der Esel in der
Löwenhaut gewürdigt werde. „Einst, als wir allein standen und wußten, was wir
wollten, waren Nur stark, und unsre Freundschaft wurde gesucht; jetzt wollen wir
noch länger auf den bereits erkalteten Lorbeern träge ruhn und genießen, fort und
fort genießen, nur genießen, was eine andre Generation geschaffen hat." Der
Verfasser stellt uns Frankreich als Muster entgegen und schließt gar, indem er
die äußere und innere Entwicklung Frankreichs anerkennt, mit den Worten:
„Es wäre eine Lust, Franzose zu sein, an dein »»vergänglichen R»sine dieses
Volkes, an seinein nimmer rastende» Geistes- und Kulturlebe» teilzunehmen —
vivo lit ^rNl0o!"

Wir billigen diese Ausführungen keineswegs, haben auch gegen den sach¬
lichen Teil der Klagen des Verfassers, die namentlich unsre Kolonialpolitik
betreffen, sehr entschiede Einwendungen zu machen. Die jüngste Rede des
Reichskanzlers hat den Zusammenhang zwischen dem Einst und dem Jetzt so
unwiderleglich erwiesen, daß wir es für ungerecht halten würden, das
englische Abkommen und Wien ihm allein zum Vorwurf zu machen. Die
Einigung in der Brüsseler Konferenz ist unsrer Meinuiig »ach ein Verdienst
der heutigen Leitung und bedeutet keineswegs eine Benachteiligung des deutschen
Handels. Was wir mißbilligen, ist die rücksichtslose Preisgebung der ver¬
traulichen Randbemerkungen des Fürsten, die wir unter allen Umstättde» für
unentschuldbar halten, die auch insofern sich sofort als ein politischer Mißgriff
erwies, als der Wiederhall in England einen Angriff ans das Ministerium
Salisburh ergab, dessen Bestand und Dauer uns die einzige Sicherheit für


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[0395] Sorgen Freilich, um bei dem Bilde zu bleiben, ein willenskräftiger und entschlossener Kapitän bestimmt den Gang des Fahrzeuges, und es wäre Frevel, daran zu zweifeln, daß er es dem sicher» Hafen zuführe» will. Kaiser Wilhelm setzt in seinein Regiment so viel eigne Persönlichkeit ein, daß er das Bedürfnis uach nusgesprocheueu Charaktere» an seiner Seite i» zweiter oder dritter Stelle nicht empfinden mag. Mail hört die Klage, daß abgesehen von einige» wenigen, wirklich hervorragenden Männern Mittelmäßig¬ keiten in Stellungen gelangen, dene» sie nicht gewachsen seien. Die neuen Männer, die auftreten, haben sich allgemeines Vertrauen noch nicht erworben, die als die Überbleibsel des nnviem n-giirio Amt und Stellung behauptet haben, an Ausehen entschieden verloren. Da kann es kaun, Wunder nehmen, daß, was a» scheinbare» oder wirklichen Einbußen an Ausehen vo» uns verzeichnet werden muß, ihnen schuldgegeben wird. Am schwersten wird dabei die Leitung »nsrer auswärtigen Politik betroffen. Uns liegt in Nummer 7 des „Export," des Organes des Zentralvereins für Handelsgeographie, ein Artikel „Die Franzose» i» Tripolis" vor, der dieser pessimistischen Beurteilung unsrer aus¬ wärtigen Politik einen so drastischen Ausdruck giebt, daß wir es für el» Un¬ glück halten würden, wenn jene Stimmung weiter um sich griffe. Der Verfasser sagt geradezu, daß Deutschland im Auslande längst nur noch als der Esel in der Löwenhaut gewürdigt werde. „Einst, als wir allein standen und wußten, was wir wollten, waren Nur stark, und unsre Freundschaft wurde gesucht; jetzt wollen wir noch länger auf den bereits erkalteten Lorbeern träge ruhn und genießen, fort und fort genießen, nur genießen, was eine andre Generation geschaffen hat." Der Verfasser stellt uns Frankreich als Muster entgegen und schließt gar, indem er die äußere und innere Entwicklung Frankreichs anerkennt, mit den Worten: „Es wäre eine Lust, Franzose zu sein, an dein »»vergänglichen R»sine dieses Volkes, an seinein nimmer rastende» Geistes- und Kulturlebe» teilzunehmen — vivo lit ^rNl0o!" Wir billigen diese Ausführungen keineswegs, haben auch gegen den sach¬ lichen Teil der Klagen des Verfassers, die namentlich unsre Kolonialpolitik betreffen, sehr entschiede Einwendungen zu machen. Die jüngste Rede des Reichskanzlers hat den Zusammenhang zwischen dem Einst und dem Jetzt so unwiderleglich erwiesen, daß wir es für ungerecht halten würden, das englische Abkommen und Wien ihm allein zum Vorwurf zu machen. Die Einigung in der Brüsseler Konferenz ist unsrer Meinuiig »ach ein Verdienst der heutigen Leitung und bedeutet keineswegs eine Benachteiligung des deutschen Handels. Was wir mißbilligen, ist die rücksichtslose Preisgebung der ver¬ traulichen Randbemerkungen des Fürsten, die wir unter allen Umstättde» für unentschuldbar halten, die auch insofern sich sofort als ein politischer Mißgriff erwies, als der Wiederhall in England einen Angriff ans das Ministerium Salisburh ergab, dessen Bestand und Dauer uns die einzige Sicherheit für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/395>, abgerufen am 25.08.2024.