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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Diego velazqnez und sein Jahrhundert

antes ging er der Lösung neuer malerischer Aufgaben nach, die anch diejenigen
unsrer neuern Künstler aufs höchste fesseln und reizen, die nicht gerade auf
den nackten Naturalismus eingeschworen sind. "In seinen letzten Meister¬
werken -- schreibt Insel -- beschäftigen ihn Lichtwirkungen in geschlossenem
Raum. Aber die Belenchtnngsart, welche ihm mehr als irgend etwas die
Aufmerksamkeit und Achtung der modernen Maler verdient hat, die, worin er
keine Nebenbuhler hat, ist die Darstellung im allverbreiteten reflektirteu Tages¬
lichte mit dem Gegensatze warmer und kalter Massen. Er hat mit Tizian die
Mvdellirung in vollem Lichte gemein; aber sein Ton ist von dein der Venezianer
sehr verschieden, diese malten Antlitz und Nacktes in einem warmen Mitteltou
mit Unterdrückung der grauen Neflextvne und warmen Lichter. Der Spanier
geht von der Beobachtung aus, daß die kühlen grauen Tinten in der Haut
überwiegen; sein Jnkarnat ist wahrer, obwohl es weniger zu den Sinnen
spricht, als das venezianische oder die feurigen Farben des Rubens mit ihren
leuchtenden Reflexen; eher ist es Franz Hals verwandt. Die großen Neiter-
bildnisse, die Übergabe von Breda, die Einsiedler, meist also Werke der mittlern
Zeit, sind die Hauptbeispiele der alten Zeit für jene Malerei des diffusen Lichts,
welche neuerdings mit Leidenschaft und Erfolg aufs Tapet gebracht worden
ist und, was nicht nötig war, nach der Sitte dieses Jahrhunderts der Ner¬
vosität, zur Parteisache und zu fanatischem Sektenbekenntnis gemacht worden
ist. Man kann sagen, sie sei von allen Arten der Beleuchtung die schwierigste
und ungefälligste -- vom Gesichtspunkte der Schönfarbigleit und Farben-
Harmonie, aber doch die natürlichste, und schließlich schlage sie alle übrigen."

In der Einleitung zu seiner Biographie des Meisters giebt Insel auch
einen Überblick über die vorhandene Litteratur. In diesem Überblick wird die
im Jahre 1848 gemachte Bemerkung eines Engländers angeführt, die dahin
geht, daß "die Deutschen ihre" üblichen genauen und kritischen Fleiß diesem
Gegenstande (der spanischen Malerei) noch nicht zugewandt hätten." und Insel
pflichtet dem Engländer darin bei, indem er nur auf Passavant und Waagen
hinweist, die in einem kleinen Buch und in einigen Artikeln auch "Bemerkungen
über Velazquez" gemacht Hütten. In dieser kurzen Abfertigung der deutschen
Litteratur über Velazquez scheint mir ein Unrecht gegen zwei neuere Kunst¬
historiker zu liegeu, die in jüngster Zeit so verdienstlich und lehrreich über
Velazquez geschrieben haben, daß es unbillig wäre, ihrer nicht im Zusammen¬
hange mit diesem Kapitel kunstgeschichtlicher Forschung zu gedenken. Hermann
Lücke hat in dem Lebensbilde von Belazqnez, das er zu der dritten, 1880 er¬
schienenen Abteilung des von R. Dohme herausgegebenen Sammelwerkes "Kunst
und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit" beigesteuert hat, sowohl den
Entwicklungsgang des Meisters in großen Zügen richtig gezeichnet als auch
das hervorgehoben, wodurch sich Velazquez von seinen Vorgängern in der
Malerei, den Spaniern, den Italienern und den Vlamen, von denen er hätte


Diego velazqnez und sein Jahrhundert

antes ging er der Lösung neuer malerischer Aufgaben nach, die anch diejenigen
unsrer neuern Künstler aufs höchste fesseln und reizen, die nicht gerade auf
den nackten Naturalismus eingeschworen sind. „In seinen letzten Meister¬
werken — schreibt Insel — beschäftigen ihn Lichtwirkungen in geschlossenem
Raum. Aber die Belenchtnngsart, welche ihm mehr als irgend etwas die
Aufmerksamkeit und Achtung der modernen Maler verdient hat, die, worin er
keine Nebenbuhler hat, ist die Darstellung im allverbreiteten reflektirteu Tages¬
lichte mit dem Gegensatze warmer und kalter Massen. Er hat mit Tizian die
Mvdellirung in vollem Lichte gemein; aber sein Ton ist von dein der Venezianer
sehr verschieden, diese malten Antlitz und Nacktes in einem warmen Mitteltou
mit Unterdrückung der grauen Neflextvne und warmen Lichter. Der Spanier
geht von der Beobachtung aus, daß die kühlen grauen Tinten in der Haut
überwiegen; sein Jnkarnat ist wahrer, obwohl es weniger zu den Sinnen
spricht, als das venezianische oder die feurigen Farben des Rubens mit ihren
leuchtenden Reflexen; eher ist es Franz Hals verwandt. Die großen Neiter-
bildnisse, die Übergabe von Breda, die Einsiedler, meist also Werke der mittlern
Zeit, sind die Hauptbeispiele der alten Zeit für jene Malerei des diffusen Lichts,
welche neuerdings mit Leidenschaft und Erfolg aufs Tapet gebracht worden
ist und, was nicht nötig war, nach der Sitte dieses Jahrhunderts der Ner¬
vosität, zur Parteisache und zu fanatischem Sektenbekenntnis gemacht worden
ist. Man kann sagen, sie sei von allen Arten der Beleuchtung die schwierigste
und ungefälligste — vom Gesichtspunkte der Schönfarbigleit und Farben-
Harmonie, aber doch die natürlichste, und schließlich schlage sie alle übrigen."

In der Einleitung zu seiner Biographie des Meisters giebt Insel auch
einen Überblick über die vorhandene Litteratur. In diesem Überblick wird die
im Jahre 1848 gemachte Bemerkung eines Engländers angeführt, die dahin
geht, daß „die Deutschen ihre» üblichen genauen und kritischen Fleiß diesem
Gegenstande (der spanischen Malerei) noch nicht zugewandt hätten." und Insel
pflichtet dem Engländer darin bei, indem er nur auf Passavant und Waagen
hinweist, die in einem kleinen Buch und in einigen Artikeln auch „Bemerkungen
über Velazquez" gemacht Hütten. In dieser kurzen Abfertigung der deutschen
Litteratur über Velazquez scheint mir ein Unrecht gegen zwei neuere Kunst¬
historiker zu liegeu, die in jüngster Zeit so verdienstlich und lehrreich über
Velazquez geschrieben haben, daß es unbillig wäre, ihrer nicht im Zusammen¬
hange mit diesem Kapitel kunstgeschichtlicher Forschung zu gedenken. Hermann
Lücke hat in dem Lebensbilde von Belazqnez, das er zu der dritten, 1880 er¬
schienenen Abteilung des von R. Dohme herausgegebenen Sammelwerkes „Kunst
und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit" beigesteuert hat, sowohl den
Entwicklungsgang des Meisters in großen Zügen richtig gezeichnet als auch
das hervorgehoben, wodurch sich Velazquez von seinen Vorgängern in der
Malerei, den Spaniern, den Italienern und den Vlamen, von denen er hätte


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[0381] Diego velazqnez und sein Jahrhundert antes ging er der Lösung neuer malerischer Aufgaben nach, die anch diejenigen unsrer neuern Künstler aufs höchste fesseln und reizen, die nicht gerade auf den nackten Naturalismus eingeschworen sind. „In seinen letzten Meister¬ werken — schreibt Insel — beschäftigen ihn Lichtwirkungen in geschlossenem Raum. Aber die Belenchtnngsart, welche ihm mehr als irgend etwas die Aufmerksamkeit und Achtung der modernen Maler verdient hat, die, worin er keine Nebenbuhler hat, ist die Darstellung im allverbreiteten reflektirteu Tages¬ lichte mit dem Gegensatze warmer und kalter Massen. Er hat mit Tizian die Mvdellirung in vollem Lichte gemein; aber sein Ton ist von dein der Venezianer sehr verschieden, diese malten Antlitz und Nacktes in einem warmen Mitteltou mit Unterdrückung der grauen Neflextvne und warmen Lichter. Der Spanier geht von der Beobachtung aus, daß die kühlen grauen Tinten in der Haut überwiegen; sein Jnkarnat ist wahrer, obwohl es weniger zu den Sinnen spricht, als das venezianische oder die feurigen Farben des Rubens mit ihren leuchtenden Reflexen; eher ist es Franz Hals verwandt. Die großen Neiter- bildnisse, die Übergabe von Breda, die Einsiedler, meist also Werke der mittlern Zeit, sind die Hauptbeispiele der alten Zeit für jene Malerei des diffusen Lichts, welche neuerdings mit Leidenschaft und Erfolg aufs Tapet gebracht worden ist und, was nicht nötig war, nach der Sitte dieses Jahrhunderts der Ner¬ vosität, zur Parteisache und zu fanatischem Sektenbekenntnis gemacht worden ist. Man kann sagen, sie sei von allen Arten der Beleuchtung die schwierigste und ungefälligste — vom Gesichtspunkte der Schönfarbigleit und Farben- Harmonie, aber doch die natürlichste, und schließlich schlage sie alle übrigen." In der Einleitung zu seiner Biographie des Meisters giebt Insel auch einen Überblick über die vorhandene Litteratur. In diesem Überblick wird die im Jahre 1848 gemachte Bemerkung eines Engländers angeführt, die dahin geht, daß „die Deutschen ihre» üblichen genauen und kritischen Fleiß diesem Gegenstande (der spanischen Malerei) noch nicht zugewandt hätten." und Insel pflichtet dem Engländer darin bei, indem er nur auf Passavant und Waagen hinweist, die in einem kleinen Buch und in einigen Artikeln auch „Bemerkungen über Velazquez" gemacht Hütten. In dieser kurzen Abfertigung der deutschen Litteratur über Velazquez scheint mir ein Unrecht gegen zwei neuere Kunst¬ historiker zu liegeu, die in jüngster Zeit so verdienstlich und lehrreich über Velazquez geschrieben haben, daß es unbillig wäre, ihrer nicht im Zusammen¬ hange mit diesem Kapitel kunstgeschichtlicher Forschung zu gedenken. Hermann Lücke hat in dem Lebensbilde von Belazqnez, das er zu der dritten, 1880 er¬ schienenen Abteilung des von R. Dohme herausgegebenen Sammelwerkes „Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit" beigesteuert hat, sowohl den Entwicklungsgang des Meisters in großen Zügen richtig gezeichnet als auch das hervorgehoben, wodurch sich Velazquez von seinen Vorgängern in der Malerei, den Spaniern, den Italienern und den Vlamen, von denen er hätte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/381>, abgerufen am 23.07.2024.