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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Diego velazquez und sein Jahrhundert

Kirchengnla -- knieend, stehend, zu Roß -- stets schaut der stereotype Kopf
hervor. Das längliche Oval mit dem weißlich bleichen Teint, dem kalt-phleg¬
matischen Blick der großen blauen Augen unter der steilen Stirn, zwischen
blondem, steifgekränseltem Haar, mit den starken, platten Lippen und dein
massiven Kinn. Über dem allen der Ausdruck des jede Amiäherung ab¬
lehnenden, jede Äußerung verschließenden Stolzes. Nur einmal, in der Mitte
dieser Zeit, hat sich das Gesicht thatenlustig belebt; aber gleich darauf sinkt
es wieder zurück in Starrheit und Apathie. In siebenunddreißig Jahre" ist
er keinmal aus seiner Rolle gefalle" -- auch als das Feuer die Kulissen ergriff."

Die Einführung der schwarzen .Hoftracht war eine That Philipps IV.,
der mit gutem Beispiel den Edeln seines Volkes vorangehen wollte und, wie
ein Hofhistoriograph schmeichelnd sagt, "dem kostspieligen Putz entsagte, der
dem Elend des Vaterlandes die Thore geöffnet hatte." Seinem .Hofmaler
bereitete er freilich mit diesem Streben nach gesuchter Einfachheit die größten
Schwierigkeiten, deren Überwindung aber vielleicht gerade zu jenein Stile des
vollkommensten Realismus geführt hat, der gegenwärtig an Velazquez am
meisten bewundert wird.

Mit der gleichen Meisterschaft, mit der Justi politische Persönlichkeiten
zu zeichnen, Kabinetsstücke kulturgeschichtlicher Detailmnlerei zu schaffen weiß,
versteht er auch das koloristische Gewebe eines Bildes in seine ursprünglichen
Fäden zu zerlegen oder das Werden und Reifen eines malerischen Stils zu
zergliedern. Das vom Hofe ausgegebene "Losungswort der Einfachheit" wurde
auch für die Hvfporträtisteu maßgebend. "Gegen die Farben ist man mindestens
gleichgiltig; die meisten dieser Bildnisse find fast nur mit Schwarz und Weiß
gemalt; wo die Stoffe lebhafte Lvkalfarben hatten, werden diese möglichst ge¬
dämpft. Dagegen ist alles aufgeboten -- und geopfert -- für die' plastische
Wirkung. Das Licht fällt von links in den geschlossene Raum und erhellt
in breiten Flächen die Gestalt, nur Schattenpunkte und Schatten streifen übrig
lassend. Ohne ein Minimum von Schatten, glaubte der Maler, der die
Venezianer noch nicht studirt hatte, würde die Figur ins Flache fallen. Diese
Schatten sind zwar scharf abgesetzt, aber durch Reslexlicht erhellt und oft so
zart, daß man sieht, der Maler ist auf dem Wege zum Schattenlosen. Viel¬
leicht aber besorgte er auch, daß eine ganz helle Gesichtsfläche die einzelnen
Teile isolirt, kleinlich, ja wie angeheftet erscheinen lasse. Schatten dienen nicht
bloß dem Relief, sie können auch dem Antlitz Einheit, Zusammenhang und
Harmonie, ja Geist geben. Die Figur ferner ist alles, die Umgebung nichts.
Später giebt Velazqnez Bildnissen in ganzer Figur landschaftliche Fernen,
Zimmerdurchblicke. Hier ist der Grund, ausgenommen ein Ende von Tisch
und Stuhl, völlig leer. Manchmal sind Fußboden und Wand kaum unter¬
schieden. Diese leere Fläche ist in einem neutralen, kühlen, hellgrauen Ton,
der jedoch den Eindruck einer unbestimmten Tiefe macht. Nur eine hellere


Diego velazquez und sein Jahrhundert

Kirchengnla — knieend, stehend, zu Roß — stets schaut der stereotype Kopf
hervor. Das längliche Oval mit dem weißlich bleichen Teint, dem kalt-phleg¬
matischen Blick der großen blauen Augen unter der steilen Stirn, zwischen
blondem, steifgekränseltem Haar, mit den starken, platten Lippen und dein
massiven Kinn. Über dem allen der Ausdruck des jede Amiäherung ab¬
lehnenden, jede Äußerung verschließenden Stolzes. Nur einmal, in der Mitte
dieser Zeit, hat sich das Gesicht thatenlustig belebt; aber gleich darauf sinkt
es wieder zurück in Starrheit und Apathie. In siebenunddreißig Jahre« ist
er keinmal aus seiner Rolle gefalle» — auch als das Feuer die Kulissen ergriff."

Die Einführung der schwarzen .Hoftracht war eine That Philipps IV.,
der mit gutem Beispiel den Edeln seines Volkes vorangehen wollte und, wie
ein Hofhistoriograph schmeichelnd sagt, „dem kostspieligen Putz entsagte, der
dem Elend des Vaterlandes die Thore geöffnet hatte." Seinem .Hofmaler
bereitete er freilich mit diesem Streben nach gesuchter Einfachheit die größten
Schwierigkeiten, deren Überwindung aber vielleicht gerade zu jenein Stile des
vollkommensten Realismus geführt hat, der gegenwärtig an Velazquez am
meisten bewundert wird.

Mit der gleichen Meisterschaft, mit der Justi politische Persönlichkeiten
zu zeichnen, Kabinetsstücke kulturgeschichtlicher Detailmnlerei zu schaffen weiß,
versteht er auch das koloristische Gewebe eines Bildes in seine ursprünglichen
Fäden zu zerlegen oder das Werden und Reifen eines malerischen Stils zu
zergliedern. Das vom Hofe ausgegebene „Losungswort der Einfachheit" wurde
auch für die Hvfporträtisteu maßgebend. „Gegen die Farben ist man mindestens
gleichgiltig; die meisten dieser Bildnisse find fast nur mit Schwarz und Weiß
gemalt; wo die Stoffe lebhafte Lvkalfarben hatten, werden diese möglichst ge¬
dämpft. Dagegen ist alles aufgeboten — und geopfert — für die' plastische
Wirkung. Das Licht fällt von links in den geschlossene Raum und erhellt
in breiten Flächen die Gestalt, nur Schattenpunkte und Schatten streifen übrig
lassend. Ohne ein Minimum von Schatten, glaubte der Maler, der die
Venezianer noch nicht studirt hatte, würde die Figur ins Flache fallen. Diese
Schatten sind zwar scharf abgesetzt, aber durch Reslexlicht erhellt und oft so
zart, daß man sieht, der Maler ist auf dem Wege zum Schattenlosen. Viel¬
leicht aber besorgte er auch, daß eine ganz helle Gesichtsfläche die einzelnen
Teile isolirt, kleinlich, ja wie angeheftet erscheinen lasse. Schatten dienen nicht
bloß dem Relief, sie können auch dem Antlitz Einheit, Zusammenhang und
Harmonie, ja Geist geben. Die Figur ferner ist alles, die Umgebung nichts.
Später giebt Velazqnez Bildnissen in ganzer Figur landschaftliche Fernen,
Zimmerdurchblicke. Hier ist der Grund, ausgenommen ein Ende von Tisch
und Stuhl, völlig leer. Manchmal sind Fußboden und Wand kaum unter¬
schieden. Diese leere Fläche ist in einem neutralen, kühlen, hellgrauen Ton,
der jedoch den Eindruck einer unbestimmten Tiefe macht. Nur eine hellere


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[0379] Diego velazquez und sein Jahrhundert Kirchengnla — knieend, stehend, zu Roß — stets schaut der stereotype Kopf hervor. Das längliche Oval mit dem weißlich bleichen Teint, dem kalt-phleg¬ matischen Blick der großen blauen Augen unter der steilen Stirn, zwischen blondem, steifgekränseltem Haar, mit den starken, platten Lippen und dein massiven Kinn. Über dem allen der Ausdruck des jede Amiäherung ab¬ lehnenden, jede Äußerung verschließenden Stolzes. Nur einmal, in der Mitte dieser Zeit, hat sich das Gesicht thatenlustig belebt; aber gleich darauf sinkt es wieder zurück in Starrheit und Apathie. In siebenunddreißig Jahre« ist er keinmal aus seiner Rolle gefalle» — auch als das Feuer die Kulissen ergriff." Die Einführung der schwarzen .Hoftracht war eine That Philipps IV., der mit gutem Beispiel den Edeln seines Volkes vorangehen wollte und, wie ein Hofhistoriograph schmeichelnd sagt, „dem kostspieligen Putz entsagte, der dem Elend des Vaterlandes die Thore geöffnet hatte." Seinem .Hofmaler bereitete er freilich mit diesem Streben nach gesuchter Einfachheit die größten Schwierigkeiten, deren Überwindung aber vielleicht gerade zu jenein Stile des vollkommensten Realismus geführt hat, der gegenwärtig an Velazquez am meisten bewundert wird. Mit der gleichen Meisterschaft, mit der Justi politische Persönlichkeiten zu zeichnen, Kabinetsstücke kulturgeschichtlicher Detailmnlerei zu schaffen weiß, versteht er auch das koloristische Gewebe eines Bildes in seine ursprünglichen Fäden zu zerlegen oder das Werden und Reifen eines malerischen Stils zu zergliedern. Das vom Hofe ausgegebene „Losungswort der Einfachheit" wurde auch für die Hvfporträtisteu maßgebend. „Gegen die Farben ist man mindestens gleichgiltig; die meisten dieser Bildnisse find fast nur mit Schwarz und Weiß gemalt; wo die Stoffe lebhafte Lvkalfarben hatten, werden diese möglichst ge¬ dämpft. Dagegen ist alles aufgeboten — und geopfert — für die' plastische Wirkung. Das Licht fällt von links in den geschlossene Raum und erhellt in breiten Flächen die Gestalt, nur Schattenpunkte und Schatten streifen übrig lassend. Ohne ein Minimum von Schatten, glaubte der Maler, der die Venezianer noch nicht studirt hatte, würde die Figur ins Flache fallen. Diese Schatten sind zwar scharf abgesetzt, aber durch Reslexlicht erhellt und oft so zart, daß man sieht, der Maler ist auf dem Wege zum Schattenlosen. Viel¬ leicht aber besorgte er auch, daß eine ganz helle Gesichtsfläche die einzelnen Teile isolirt, kleinlich, ja wie angeheftet erscheinen lasse. Schatten dienen nicht bloß dem Relief, sie können auch dem Antlitz Einheit, Zusammenhang und Harmonie, ja Geist geben. Die Figur ferner ist alles, die Umgebung nichts. Später giebt Velazqnez Bildnissen in ganzer Figur landschaftliche Fernen, Zimmerdurchblicke. Hier ist der Grund, ausgenommen ein Ende von Tisch und Stuhl, völlig leer. Manchmal sind Fußboden und Wand kaum unter¬ schieden. Diese leere Fläche ist in einem neutralen, kühlen, hellgrauen Ton, der jedoch den Eindruck einer unbestimmten Tiefe macht. Nur eine hellere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/379>, abgerufen am 23.07.2024.