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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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legt, wie es der Kulturhistoriker thun muß, wenn er in Ehren seines Amtes
waltet. Von den fürstlichen Personen, den Staatsmännern und Hofbeamten,
denen Velazquez zuerst als Maler, dann als geschickter Ordner von Hoffestlich-
keitcn und schließlich als unentbehrliches Mitglied des Hofstaates mit ge¬
schmeidigem Eifer zu Diensten war, hat sich nicht ein einziger in dankbarer
oder auch nur in angenehmer Erinnerung der Nachwelt erhalten. Ihr Miller
hat sie alle überdauert, und ohne ihn würden sie noch tiefer in die Vergessenheit
geraten sein, die sie verdient haben.

Interessant ist diese Gesellschaft, die sich um Philipp IV. gruppirte,
gleichwohl. Nur muß man sie nicht als Personen betrachten, die von dem
feierlichen Nimbus der Weltgeschichte umstrahlt sind. Ein solches Licht ver¬
tragen sie ebenso wenig, wie ihnen die Kerze des Kammerdieners schadet.
Carl Justi hat diesen Hofschranzen und Dilettanten der Kabinetspolitik, wo
sich ihm die Gelegenheit bot, das Galakleid abgezogen und ihre wahre, leider
fast immer klägliche Natur enthüllt. Um ein Beispiel von der Meisterschaft
zu geben, mit der Justi solche Charakterbilder zu zeichnen weiß, halten wir
uns an den Allmächtigen des spanischen Hofes unter Philipp IV., an den
Herzog von Olivarez, der auch Velazquez Stellung bei Hofe geschaffen und
befestigt hatte.

Justi zählt ihn zu jenen "Schicksalsmettscheu, wie sie abwärtsgeheudeu
Staate" ihr böser Genius beschert." Sein "Charakter war in hohem Grade
labhriuthisch. Sein raschfassender, durchdringender Verstand, sein Mut, sein
Eifer ist nie bezweifelt worden. Er glaubte wohl selbst, nur für das Interesse
seines Königs zu wirken, welchen er, dem vorausgreifend, wozu er ihn zu
machen sich getraute, I?l granäs genannt hatte. In ihm hatte der von Karl V.
Spanien eingeimpfte Instinkt der Universalherrschaft noch einmal Gestalt ge¬
wonnen. Doch solche Ziele sind bei Menschen dieser Art unzertrennlich voll
Persönlichen Ehrgeiz. Aber er besaß kein politisches Temperament, und sein
Unglück war wohl, daß er ohne staatsmännische Schule ans Unter kam. Sein
Kopf war bizarr und launenhaft, unberechenbar, geblendet durch das Neue,
ohne Takt in der Wahl seiner Räte. Er setzte sich beim Beginn eines Unter¬
nehmens über die Schwierigkeiten weg und verlor die Haltung bei Mißerfolgen,
melche er so lange, als es ging, nicht glaubte. Er weinte dann; der König
selbst mußte ihn trösten. Das alles unbeschadet einer blinden und tauben
Hartnäckigkeit, mit der er auf falschem Wege auch unter den drohendsten Vor¬
zeichen fortschritt. Er besaß eine originelle, im Geschmack der Zeit stark ge¬
färbte, bald sarkastische, bald zelotische, nicht uninteressante Beredsamkeit lind
liebte sich reden zu hören; aber die Heftigkeit seiner Ergüsse wies ans ein
überreiztes Gehirn. Was half ihm sein Mißtrauen gegen alle Menschen, seine
macchiavellistische Unbedenklichkeit in der Wahl der Mittel, wenn er seine
Leidenschaften verriet! Ein Wort reichte hin, um vor dem Gesandten dessen


Grenzboten I 189t 47

legt, wie es der Kulturhistoriker thun muß, wenn er in Ehren seines Amtes
waltet. Von den fürstlichen Personen, den Staatsmännern und Hofbeamten,
denen Velazquez zuerst als Maler, dann als geschickter Ordner von Hoffestlich-
keitcn und schließlich als unentbehrliches Mitglied des Hofstaates mit ge¬
schmeidigem Eifer zu Diensten war, hat sich nicht ein einziger in dankbarer
oder auch nur in angenehmer Erinnerung der Nachwelt erhalten. Ihr Miller
hat sie alle überdauert, und ohne ihn würden sie noch tiefer in die Vergessenheit
geraten sein, die sie verdient haben.

Interessant ist diese Gesellschaft, die sich um Philipp IV. gruppirte,
gleichwohl. Nur muß man sie nicht als Personen betrachten, die von dem
feierlichen Nimbus der Weltgeschichte umstrahlt sind. Ein solches Licht ver¬
tragen sie ebenso wenig, wie ihnen die Kerze des Kammerdieners schadet.
Carl Justi hat diesen Hofschranzen und Dilettanten der Kabinetspolitik, wo
sich ihm die Gelegenheit bot, das Galakleid abgezogen und ihre wahre, leider
fast immer klägliche Natur enthüllt. Um ein Beispiel von der Meisterschaft
zu geben, mit der Justi solche Charakterbilder zu zeichnen weiß, halten wir
uns an den Allmächtigen des spanischen Hofes unter Philipp IV., an den
Herzog von Olivarez, der auch Velazquez Stellung bei Hofe geschaffen und
befestigt hatte.

Justi zählt ihn zu jenen „Schicksalsmettscheu, wie sie abwärtsgeheudeu
Staate» ihr böser Genius beschert." Sein „Charakter war in hohem Grade
labhriuthisch. Sein raschfassender, durchdringender Verstand, sein Mut, sein
Eifer ist nie bezweifelt worden. Er glaubte wohl selbst, nur für das Interesse
seines Königs zu wirken, welchen er, dem vorausgreifend, wozu er ihn zu
machen sich getraute, I?l granäs genannt hatte. In ihm hatte der von Karl V.
Spanien eingeimpfte Instinkt der Universalherrschaft noch einmal Gestalt ge¬
wonnen. Doch solche Ziele sind bei Menschen dieser Art unzertrennlich voll
Persönlichen Ehrgeiz. Aber er besaß kein politisches Temperament, und sein
Unglück war wohl, daß er ohne staatsmännische Schule ans Unter kam. Sein
Kopf war bizarr und launenhaft, unberechenbar, geblendet durch das Neue,
ohne Takt in der Wahl seiner Räte. Er setzte sich beim Beginn eines Unter¬
nehmens über die Schwierigkeiten weg und verlor die Haltung bei Mißerfolgen,
melche er so lange, als es ging, nicht glaubte. Er weinte dann; der König
selbst mußte ihn trösten. Das alles unbeschadet einer blinden und tauben
Hartnäckigkeit, mit der er auf falschem Wege auch unter den drohendsten Vor¬
zeichen fortschritt. Er besaß eine originelle, im Geschmack der Zeit stark ge¬
färbte, bald sarkastische, bald zelotische, nicht uninteressante Beredsamkeit lind
liebte sich reden zu hören; aber die Heftigkeit seiner Ergüsse wies ans ein
überreiztes Gehirn. Was half ihm sein Mißtrauen gegen alle Menschen, seine
macchiavellistische Unbedenklichkeit in der Wahl der Mittel, wenn er seine
Leidenschaften verriet! Ein Wort reichte hin, um vor dem Gesandten dessen


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[0377] legt, wie es der Kulturhistoriker thun muß, wenn er in Ehren seines Amtes waltet. Von den fürstlichen Personen, den Staatsmännern und Hofbeamten, denen Velazquez zuerst als Maler, dann als geschickter Ordner von Hoffestlich- keitcn und schließlich als unentbehrliches Mitglied des Hofstaates mit ge¬ schmeidigem Eifer zu Diensten war, hat sich nicht ein einziger in dankbarer oder auch nur in angenehmer Erinnerung der Nachwelt erhalten. Ihr Miller hat sie alle überdauert, und ohne ihn würden sie noch tiefer in die Vergessenheit geraten sein, die sie verdient haben. Interessant ist diese Gesellschaft, die sich um Philipp IV. gruppirte, gleichwohl. Nur muß man sie nicht als Personen betrachten, die von dem feierlichen Nimbus der Weltgeschichte umstrahlt sind. Ein solches Licht ver¬ tragen sie ebenso wenig, wie ihnen die Kerze des Kammerdieners schadet. Carl Justi hat diesen Hofschranzen und Dilettanten der Kabinetspolitik, wo sich ihm die Gelegenheit bot, das Galakleid abgezogen und ihre wahre, leider fast immer klägliche Natur enthüllt. Um ein Beispiel von der Meisterschaft zu geben, mit der Justi solche Charakterbilder zu zeichnen weiß, halten wir uns an den Allmächtigen des spanischen Hofes unter Philipp IV., an den Herzog von Olivarez, der auch Velazquez Stellung bei Hofe geschaffen und befestigt hatte. Justi zählt ihn zu jenen „Schicksalsmettscheu, wie sie abwärtsgeheudeu Staate» ihr böser Genius beschert." Sein „Charakter war in hohem Grade labhriuthisch. Sein raschfassender, durchdringender Verstand, sein Mut, sein Eifer ist nie bezweifelt worden. Er glaubte wohl selbst, nur für das Interesse seines Königs zu wirken, welchen er, dem vorausgreifend, wozu er ihn zu machen sich getraute, I?l granäs genannt hatte. In ihm hatte der von Karl V. Spanien eingeimpfte Instinkt der Universalherrschaft noch einmal Gestalt ge¬ wonnen. Doch solche Ziele sind bei Menschen dieser Art unzertrennlich voll Persönlichen Ehrgeiz. Aber er besaß kein politisches Temperament, und sein Unglück war wohl, daß er ohne staatsmännische Schule ans Unter kam. Sein Kopf war bizarr und launenhaft, unberechenbar, geblendet durch das Neue, ohne Takt in der Wahl seiner Räte. Er setzte sich beim Beginn eines Unter¬ nehmens über die Schwierigkeiten weg und verlor die Haltung bei Mißerfolgen, melche er so lange, als es ging, nicht glaubte. Er weinte dann; der König selbst mußte ihn trösten. Das alles unbeschadet einer blinden und tauben Hartnäckigkeit, mit der er auf falschem Wege auch unter den drohendsten Vor¬ zeichen fortschritt. Er besaß eine originelle, im Geschmack der Zeit stark ge¬ färbte, bald sarkastische, bald zelotische, nicht uninteressante Beredsamkeit lind liebte sich reden zu hören; aber die Heftigkeit seiner Ergüsse wies ans ein überreiztes Gehirn. Was half ihm sein Mißtrauen gegen alle Menschen, seine macchiavellistische Unbedenklichkeit in der Wahl der Mittel, wenn er seine Leidenschaften verriet! Ein Wort reichte hin, um vor dem Gesandten dessen Grenzboten I 189t 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/377>, abgerufen am 23.07.2024.