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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Nährboden erwachsenen robusten Darstellungen mythologischen Inhalts zu
Gesicht bekäme, würde die große Masse der Kunstfreunde in kein nahes Ver¬
hältnis zu ihm trete", weil er tief in dem Leben seiner Nation wurzelt, und
weil das, was ihn international macht, seine malerischen Eigenschaften, sich
"ur dein Verständnis der Künstler und eines kleinen Teils von Kunstkennern
erschließt.

Was ihm die Künstler abgewonnen haben, wird jedem offenbar, der auf¬
merksam die zahlreichen Schlangenwege verfolgt, die der moderne Realismus
einschlägt, um zur Mutter Natur zu gelangen. Inzwischen ist den kunst-
liebenden Laien in Deutschland die Persönlichkeit des spanischen Malers auch
auf litterarischem Wege näher gebracht oder vielmehr, wie man Wohl mit
Recht sagen darf, bis in ihr innerstes Wesen erschlossen worden. Die vor
zwei Jahren erschienene Biographie des Velnzquez von Carl Insel ist eines
der Werke, die nur in dem Hirn eines deutschen Gelehrten geboren und nur
von der Hand eines deutschen Gelehrten ausgeführt werden können.*) Es ist
die warme Begeisterung gepaart mit der besonnenen Methode des Philologen
und Urkundeufvrschers, der Ameisenfleiß des Dvknmentensammlers und der
weitschauende Blick des den Zusammenhang der Dinge umfassenden, prag¬
matischen Historikers, der Scharfsinn des jede Einzelheit zergliedernden Psycho¬
logen und die plastische Gestaltungskraft des aus dem Vollen schaffenden
Künstlers, der ein rundes Charakterbild neben das andre stellt. Es ist dieselbe
Methode und Form der Darstellung, der nur schon in dem ersten Hauptwerke
des nunmehr an der Schwelle' des sechzigsten Jahres stehenden Verfassers be¬
gegnet sind. Er hätte das Buch "Winckelmann. Sein Leben, seine Werke und
Zeitgenossen," das einen großen Gegenstand erschöpfend behandelt und darum
heute, zwanzig Jahre nach seinem Abschluß, noch keine Einbuße an seinem
klassischen Werte erlitten hat, ebensogut "Winckelmann und sein Jahrhundert"
nennen können. Aber er hat es mit Absicht vermieden, den Vergleich mit Goethe
herauszufordern, obwohl der weitergreifeude Titel bei einer Darstellung der
Wirksamkeit Winckelmanns viel tiefer begründet und mehr gerechtfertigt gewesen
wäre, als bei einer Charakteristik des Diego Velazquez, der uicht einmal das
siebzehnte Jahrhundert in Spanien, geschweige denn das ganze Bildnngsleben
Europas so mit seinen Gedanken und Thaten durchdrungen und bewegt hat,
wie Winckelmann das achtzehnte. Carl Justi ist aber geistreich, belesen und
im Besitze der ans Archiven und häufigen Bilderbesichtiguugeu gehobenen
Schätze siegesgewiß genug, sich das Wagnis zu erlauben, einmal einen
Maler als Mittelpunkt eines Jahrhunderts hinzustellen. Und er hat Recht,
wenn man an alle Erzeugnisse menschlichen Geistes den gleichen Maßstab an-



*) Diego Velnzquez ""d sein Jahrhundert. Von Curt Insel. Zwei Bände. Mit
zwei Titelbildern und zweinudsiinfzig Illustrationen. Bonn, Mur, Cohen n. Sohn (Fr. Cohen).

Nährboden erwachsenen robusten Darstellungen mythologischen Inhalts zu
Gesicht bekäme, würde die große Masse der Kunstfreunde in kein nahes Ver¬
hältnis zu ihm trete», weil er tief in dem Leben seiner Nation wurzelt, und
weil das, was ihn international macht, seine malerischen Eigenschaften, sich
»ur dein Verständnis der Künstler und eines kleinen Teils von Kunstkennern
erschließt.

Was ihm die Künstler abgewonnen haben, wird jedem offenbar, der auf¬
merksam die zahlreichen Schlangenwege verfolgt, die der moderne Realismus
einschlägt, um zur Mutter Natur zu gelangen. Inzwischen ist den kunst-
liebenden Laien in Deutschland die Persönlichkeit des spanischen Malers auch
auf litterarischem Wege näher gebracht oder vielmehr, wie man Wohl mit
Recht sagen darf, bis in ihr innerstes Wesen erschlossen worden. Die vor
zwei Jahren erschienene Biographie des Velnzquez von Carl Insel ist eines
der Werke, die nur in dem Hirn eines deutschen Gelehrten geboren und nur
von der Hand eines deutschen Gelehrten ausgeführt werden können.*) Es ist
die warme Begeisterung gepaart mit der besonnenen Methode des Philologen
und Urkundeufvrschers, der Ameisenfleiß des Dvknmentensammlers und der
weitschauende Blick des den Zusammenhang der Dinge umfassenden, prag¬
matischen Historikers, der Scharfsinn des jede Einzelheit zergliedernden Psycho¬
logen und die plastische Gestaltungskraft des aus dem Vollen schaffenden
Künstlers, der ein rundes Charakterbild neben das andre stellt. Es ist dieselbe
Methode und Form der Darstellung, der nur schon in dem ersten Hauptwerke
des nunmehr an der Schwelle' des sechzigsten Jahres stehenden Verfassers be¬
gegnet sind. Er hätte das Buch „Winckelmann. Sein Leben, seine Werke und
Zeitgenossen," das einen großen Gegenstand erschöpfend behandelt und darum
heute, zwanzig Jahre nach seinem Abschluß, noch keine Einbuße an seinem
klassischen Werte erlitten hat, ebensogut „Winckelmann und sein Jahrhundert"
nennen können. Aber er hat es mit Absicht vermieden, den Vergleich mit Goethe
herauszufordern, obwohl der weitergreifeude Titel bei einer Darstellung der
Wirksamkeit Winckelmanns viel tiefer begründet und mehr gerechtfertigt gewesen
wäre, als bei einer Charakteristik des Diego Velazquez, der uicht einmal das
siebzehnte Jahrhundert in Spanien, geschweige denn das ganze Bildnngsleben
Europas so mit seinen Gedanken und Thaten durchdrungen und bewegt hat,
wie Winckelmann das achtzehnte. Carl Justi ist aber geistreich, belesen und
im Besitze der ans Archiven und häufigen Bilderbesichtiguugeu gehobenen
Schätze siegesgewiß genug, sich das Wagnis zu erlauben, einmal einen
Maler als Mittelpunkt eines Jahrhunderts hinzustellen. Und er hat Recht,
wenn man an alle Erzeugnisse menschlichen Geistes den gleichen Maßstab an-



*) Diego Velnzquez »»d sein Jahrhundert. Von Curt Insel. Zwei Bände. Mit
zwei Titelbildern und zweinudsiinfzig Illustrationen. Bonn, Mur, Cohen n. Sohn (Fr. Cohen).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/376>, abgerufen am 23.07.2024.