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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Diego velazquez und sein Jahrhundert

genialen, vom Glücke mit von seinen Auftraggebern begünstigten Künstlers.
Er wird immer fortleben, wohin sich auch jeweilig das Zünglein an der Wage
des ästhetischen Geschmacks neigen mag; denn er beruht auf einem Naturgesetze,
das bestehen wird, so lauge die Souue scheint und durch ihr Licht den Gegensatz
zwischen Hell und Dunkel erzeugt, und so lauge das menschliche Auge sonnen¬
haft bleibt, um die Sonne erblicken zu können.

Heute scheint es freilich, als hätte das Auge in den Köpfen vieler
Menschen, der schaffenden wie der genießenden, die Fähigkeit verloren, ein
gleiches Maß von Helligkeit und Dunkelheit aufzunehmen! nud in sich zu ver¬
arbeiten. Es ist mit eiuemmnle allerorten ein lebhaftes Bedürfnis nach
mehr Licht und Helligkeit erwacht. Es ist, wie der anonyme Ncmbraiidt-
prvphet sich ausdrücke" würde, in den Augen unsrer Zeitgenossen eine Art
vou Achsenverschiebung eingetreten, die aber nicht zu Rembrandt, sondern, wenn
man durchaus nach einem berühmten Taufpaten suchen will, zu Velazquez
führt. Wie sich der Naturforscher bei seinen mikroskopischen Untersuchungen
des schärfsten Sonnenlichts oder der elektrischen Beleuchtung bedient, um der
Natur in die geheimsten Falten ihrer Seele blicken zu können, so hat auch der
seit einem Jahrzehnt beständig wachsende Helligkeitsdrang der Maler zu einer
Auschauung und Auffassung der Natur geführt, die die Dinge dieser Welt sozu¬
sagen in völliger Nacktheit, von dem poetischen Reize des Helldunkels ent¬
kleidet, erscheinen lassen. Und da nun einmal das Verehruugs- und Au-
schmiegnngsbedürfnis ebenso tief in der Seele des Naturmenschen wie in der
eines dnrch Uberbilduug zur vollkommenen Verneinung gediehenen Umsturz¬
mannes unsrer Tage wurzelt, wo gäbe es einen halbwegs verehrungswürdigen
Künstler der Vergangenheit, dessen Werke die reine Natur im Spiegel der
Hellmalerei so unverfälscht zurückstrahlten wie die des Don Diego Velazquez?

Selbst bei den "Ursprünglichsten" und "Unabhängigsten" der modernen
Malerei, bei den Mitgliedern der Glasgower Schule, sind Spuren vorhanden,
die auf das Studium des Velazquez deuten, wozu freilich, außer in Madrid,
nirgends so gut Gelegenheit geboten wird, wie in den Privatsammlungen
Großbritanniens. James Guthrie, das künstlerisch hervorragendste Mitglied
dieser Schule, hat das Beste, was seine großen Bildnisse auszuweisen haben,
mittelbar oder unmittelbar Velazquez zu verdauten.

Dieser Großmeister der spanischem Malerei war noch bis vor vier Jahr¬
zehnten hinter dem glänzenden Gestirn Mnrillvs, in Deutschland wenigstens,
völlig im Dunkeln geblieben, und volkstümlich im wirkliche,? Sinne des Wortes
ist er auch heute noch nicht, vielleicht weil man ihn in Deutschland nur als
Vildnismaler kennen lernen kann, dessen große Eigenschaften für viele dnrch
die barocken Ausschreitungen der spanischen Hoftracht ""genießbar gemacht
werde". Aber selbst wenn man in Deutschland mehr von ihm wüßte, wen"
ma" seine Szene" a"s dem spanischen Volksleben und seine aus demselben


Diego velazquez und sein Jahrhundert

genialen, vom Glücke mit von seinen Auftraggebern begünstigten Künstlers.
Er wird immer fortleben, wohin sich auch jeweilig das Zünglein an der Wage
des ästhetischen Geschmacks neigen mag; denn er beruht auf einem Naturgesetze,
das bestehen wird, so lauge die Souue scheint und durch ihr Licht den Gegensatz
zwischen Hell und Dunkel erzeugt, und so lauge das menschliche Auge sonnen¬
haft bleibt, um die Sonne erblicken zu können.

Heute scheint es freilich, als hätte das Auge in den Köpfen vieler
Menschen, der schaffenden wie der genießenden, die Fähigkeit verloren, ein
gleiches Maß von Helligkeit und Dunkelheit aufzunehmen! nud in sich zu ver¬
arbeiten. Es ist mit eiuemmnle allerorten ein lebhaftes Bedürfnis nach
mehr Licht und Helligkeit erwacht. Es ist, wie der anonyme Ncmbraiidt-
prvphet sich ausdrücke» würde, in den Augen unsrer Zeitgenossen eine Art
vou Achsenverschiebung eingetreten, die aber nicht zu Rembrandt, sondern, wenn
man durchaus nach einem berühmten Taufpaten suchen will, zu Velazquez
führt. Wie sich der Naturforscher bei seinen mikroskopischen Untersuchungen
des schärfsten Sonnenlichts oder der elektrischen Beleuchtung bedient, um der
Natur in die geheimsten Falten ihrer Seele blicken zu können, so hat auch der
seit einem Jahrzehnt beständig wachsende Helligkeitsdrang der Maler zu einer
Auschauung und Auffassung der Natur geführt, die die Dinge dieser Welt sozu¬
sagen in völliger Nacktheit, von dem poetischen Reize des Helldunkels ent¬
kleidet, erscheinen lassen. Und da nun einmal das Verehruugs- und Au-
schmiegnngsbedürfnis ebenso tief in der Seele des Naturmenschen wie in der
eines dnrch Uberbilduug zur vollkommenen Verneinung gediehenen Umsturz¬
mannes unsrer Tage wurzelt, wo gäbe es einen halbwegs verehrungswürdigen
Künstler der Vergangenheit, dessen Werke die reine Natur im Spiegel der
Hellmalerei so unverfälscht zurückstrahlten wie die des Don Diego Velazquez?

Selbst bei den „Ursprünglichsten" und „Unabhängigsten" der modernen
Malerei, bei den Mitgliedern der Glasgower Schule, sind Spuren vorhanden,
die auf das Studium des Velazquez deuten, wozu freilich, außer in Madrid,
nirgends so gut Gelegenheit geboten wird, wie in den Privatsammlungen
Großbritanniens. James Guthrie, das künstlerisch hervorragendste Mitglied
dieser Schule, hat das Beste, was seine großen Bildnisse auszuweisen haben,
mittelbar oder unmittelbar Velazquez zu verdauten.

Dieser Großmeister der spanischem Malerei war noch bis vor vier Jahr¬
zehnten hinter dem glänzenden Gestirn Mnrillvs, in Deutschland wenigstens,
völlig im Dunkeln geblieben, und volkstümlich im wirkliche,? Sinne des Wortes
ist er auch heute noch nicht, vielleicht weil man ihn in Deutschland nur als
Vildnismaler kennen lernen kann, dessen große Eigenschaften für viele dnrch
die barocken Ausschreitungen der spanischen Hoftracht »»genießbar gemacht
werde». Aber selbst wenn man in Deutschland mehr von ihm wüßte, wen»
ma» seine Szene» a»s dem spanischen Volksleben und seine aus demselben


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[0375] Diego velazquez und sein Jahrhundert genialen, vom Glücke mit von seinen Auftraggebern begünstigten Künstlers. Er wird immer fortleben, wohin sich auch jeweilig das Zünglein an der Wage des ästhetischen Geschmacks neigen mag; denn er beruht auf einem Naturgesetze, das bestehen wird, so lauge die Souue scheint und durch ihr Licht den Gegensatz zwischen Hell und Dunkel erzeugt, und so lauge das menschliche Auge sonnen¬ haft bleibt, um die Sonne erblicken zu können. Heute scheint es freilich, als hätte das Auge in den Köpfen vieler Menschen, der schaffenden wie der genießenden, die Fähigkeit verloren, ein gleiches Maß von Helligkeit und Dunkelheit aufzunehmen! nud in sich zu ver¬ arbeiten. Es ist mit eiuemmnle allerorten ein lebhaftes Bedürfnis nach mehr Licht und Helligkeit erwacht. Es ist, wie der anonyme Ncmbraiidt- prvphet sich ausdrücke» würde, in den Augen unsrer Zeitgenossen eine Art vou Achsenverschiebung eingetreten, die aber nicht zu Rembrandt, sondern, wenn man durchaus nach einem berühmten Taufpaten suchen will, zu Velazquez führt. Wie sich der Naturforscher bei seinen mikroskopischen Untersuchungen des schärfsten Sonnenlichts oder der elektrischen Beleuchtung bedient, um der Natur in die geheimsten Falten ihrer Seele blicken zu können, so hat auch der seit einem Jahrzehnt beständig wachsende Helligkeitsdrang der Maler zu einer Auschauung und Auffassung der Natur geführt, die die Dinge dieser Welt sozu¬ sagen in völliger Nacktheit, von dem poetischen Reize des Helldunkels ent¬ kleidet, erscheinen lassen. Und da nun einmal das Verehruugs- und Au- schmiegnngsbedürfnis ebenso tief in der Seele des Naturmenschen wie in der eines dnrch Uberbilduug zur vollkommenen Verneinung gediehenen Umsturz¬ mannes unsrer Tage wurzelt, wo gäbe es einen halbwegs verehrungswürdigen Künstler der Vergangenheit, dessen Werke die reine Natur im Spiegel der Hellmalerei so unverfälscht zurückstrahlten wie die des Don Diego Velazquez? Selbst bei den „Ursprünglichsten" und „Unabhängigsten" der modernen Malerei, bei den Mitgliedern der Glasgower Schule, sind Spuren vorhanden, die auf das Studium des Velazquez deuten, wozu freilich, außer in Madrid, nirgends so gut Gelegenheit geboten wird, wie in den Privatsammlungen Großbritanniens. James Guthrie, das künstlerisch hervorragendste Mitglied dieser Schule, hat das Beste, was seine großen Bildnisse auszuweisen haben, mittelbar oder unmittelbar Velazquez zu verdauten. Dieser Großmeister der spanischem Malerei war noch bis vor vier Jahr¬ zehnten hinter dem glänzenden Gestirn Mnrillvs, in Deutschland wenigstens, völlig im Dunkeln geblieben, und volkstümlich im wirkliche,? Sinne des Wortes ist er auch heute noch nicht, vielleicht weil man ihn in Deutschland nur als Vildnismaler kennen lernen kann, dessen große Eigenschaften für viele dnrch die barocken Ausschreitungen der spanischen Hoftracht »»genießbar gemacht werde». Aber selbst wenn man in Deutschland mehr von ihm wüßte, wen» ma» seine Szene» a»s dem spanischen Volksleben und seine aus demselben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/375>, abgerufen am 23.07.2024.