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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die Stenographie in der Schule

läge gelangt ist, müßte die langwierige und schwerere Aufgabe folgen, an dein
gefundenen Maßstabe die einzelnen Systeme zu prüfen. Hierbei würden steno¬
graphische Fachmänner nicht zu entbehren sein, natürlich leine engherzigen und
kleinlichen Partcilente, die sich blind in ein bestimmtes System verrannt haben
und über den Zaun ihrer Einbildungen nicht hinwegschauen können, sondern
Männer von weiteren Blicke, von umfassender" Fachkenntuissen und von tüch¬
tiger wissenschaftlicher Bildung. Mit der Litteratur ist es in diesem Punkte
noch schlecht bestellt. Der kleine "Katechismus der Stenographie" von
Krieg, der im Grunde nur ein Lehrbuch der Gabelsbergerschen Stenographie
mit geschichtlicher Einleitung ist, giebt von den andern Systemen leine Ent¬
wicklung der Grundgesetze, keine Vorführung der Grundzeichen, sondern nnr
zusammenhängende Schriftproben, und damit ist für den vorliegenden Zweck
nichts anzufangen. Faulmanns "Historische Grammatik der Stenographie"
geht zwar auf die einzelnen Systeme genauer ein, aber sie ist eine kümmerliche,
nnwissenschnftliche Arbeit und von untergeordnetem Standpunkte geschrieben;
weiter als zur Befriedigung des allerersten Augenblicksbedürfnisses kann sie
nicht dienen.

Für den Fachmann, der die geforderten Eigenschaften besitzt und sich durch
das Zetergeschrei in dem Pygmäenkampfe der Systeme nicht beirren läßt, die
lautere Wahrheit zu erkennen, gehört nicht eben große Prophetengabe dazu,
den Gang der Systemprüfnng einigermaßen vorherzusehen. Das System
Gnbelsbergcrs dürfte als zu leicht befunden schon in einer der ersten Lesungen
ausgeschieden werden. Von den ältern Systemen wird überhaupt nur das
von Stolze übrig bleibe", natürlich nicht seiner Verbreitung wegen, sondern
wegen des systematischen Aufbaues, des straffen Negelwerkes, des leichten und
rasch zu mechanischer Handhabung führenden Studiums und der bedeutenden
Fvrtbildungsfähigkeit -- lauter Eigenschaften, dnrch die die Mängel des
Systems ziemlich erträglich gemacht werden. Unter den neuern Systemen
ragt dnrch besondre Vorzüge das von Julius Brauns haupteshvch über alle
seine Genossen empor. Obgleich es bei seinem kurzen Bestehen bisher noch
keine nennenswerte Verbreitung gefunden hat, wird es doch um seiner trefflichen
Eigenschaften willen, denen keine unerträglichen Mängel gegenüberstehen, mit
in die allerengste Wahl kommen.

Wie aber anch das Schlußergebnis lauten mag, es wird, dessen darf man
versichert sein, in Übereinstimmung mit dein preußischen Wahlspruch Luna.
<mi<ins stehen: dem besten System, d. h. demjenigen, das bei der Prüfung die
größte Menge von Vorzügen und die geringste Anzahl von Mängeln in
pädagogischer und wissenschaftlicher Hinsicht auszuweisen hat, wird unzweifel¬
haft das Seine, in diesem Falle die staatliche Anerkennung zu teil werden,
selbst wenn es gar keine Anhänger besitzen sollte. Die Entscheidung Preußens
wird in dem stenographischen Entwicklungsgange Deutschlands einen denk-


Die Stenographie in der Schule

läge gelangt ist, müßte die langwierige und schwerere Aufgabe folgen, an dein
gefundenen Maßstabe die einzelnen Systeme zu prüfen. Hierbei würden steno¬
graphische Fachmänner nicht zu entbehren sein, natürlich leine engherzigen und
kleinlichen Partcilente, die sich blind in ein bestimmtes System verrannt haben
und über den Zaun ihrer Einbildungen nicht hinwegschauen können, sondern
Männer von weiteren Blicke, von umfassender» Fachkenntuissen und von tüch¬
tiger wissenschaftlicher Bildung. Mit der Litteratur ist es in diesem Punkte
noch schlecht bestellt. Der kleine „Katechismus der Stenographie" von
Krieg, der im Grunde nur ein Lehrbuch der Gabelsbergerschen Stenographie
mit geschichtlicher Einleitung ist, giebt von den andern Systemen leine Ent¬
wicklung der Grundgesetze, keine Vorführung der Grundzeichen, sondern nnr
zusammenhängende Schriftproben, und damit ist für den vorliegenden Zweck
nichts anzufangen. Faulmanns „Historische Grammatik der Stenographie"
geht zwar auf die einzelnen Systeme genauer ein, aber sie ist eine kümmerliche,
nnwissenschnftliche Arbeit und von untergeordnetem Standpunkte geschrieben;
weiter als zur Befriedigung des allerersten Augenblicksbedürfnisses kann sie
nicht dienen.

Für den Fachmann, der die geforderten Eigenschaften besitzt und sich durch
das Zetergeschrei in dem Pygmäenkampfe der Systeme nicht beirren läßt, die
lautere Wahrheit zu erkennen, gehört nicht eben große Prophetengabe dazu,
den Gang der Systemprüfnng einigermaßen vorherzusehen. Das System
Gnbelsbergcrs dürfte als zu leicht befunden schon in einer der ersten Lesungen
ausgeschieden werden. Von den ältern Systemen wird überhaupt nur das
von Stolze übrig bleibe», natürlich nicht seiner Verbreitung wegen, sondern
wegen des systematischen Aufbaues, des straffen Negelwerkes, des leichten und
rasch zu mechanischer Handhabung führenden Studiums und der bedeutenden
Fvrtbildungsfähigkeit — lauter Eigenschaften, dnrch die die Mängel des
Systems ziemlich erträglich gemacht werden. Unter den neuern Systemen
ragt dnrch besondre Vorzüge das von Julius Brauns haupteshvch über alle
seine Genossen empor. Obgleich es bei seinem kurzen Bestehen bisher noch
keine nennenswerte Verbreitung gefunden hat, wird es doch um seiner trefflichen
Eigenschaften willen, denen keine unerträglichen Mängel gegenüberstehen, mit
in die allerengste Wahl kommen.

Wie aber anch das Schlußergebnis lauten mag, es wird, dessen darf man
versichert sein, in Übereinstimmung mit dein preußischen Wahlspruch Luna.
<mi<ins stehen: dem besten System, d. h. demjenigen, das bei der Prüfung die
größte Menge von Vorzügen und die geringste Anzahl von Mängeln in
pädagogischer und wissenschaftlicher Hinsicht auszuweisen hat, wird unzweifel¬
haft das Seine, in diesem Falle die staatliche Anerkennung zu teil werden,
selbst wenn es gar keine Anhänger besitzen sollte. Die Entscheidung Preußens
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[0373] Die Stenographie in der Schule läge gelangt ist, müßte die langwierige und schwerere Aufgabe folgen, an dein gefundenen Maßstabe die einzelnen Systeme zu prüfen. Hierbei würden steno¬ graphische Fachmänner nicht zu entbehren sein, natürlich leine engherzigen und kleinlichen Partcilente, die sich blind in ein bestimmtes System verrannt haben und über den Zaun ihrer Einbildungen nicht hinwegschauen können, sondern Männer von weiteren Blicke, von umfassender» Fachkenntuissen und von tüch¬ tiger wissenschaftlicher Bildung. Mit der Litteratur ist es in diesem Punkte noch schlecht bestellt. Der kleine „Katechismus der Stenographie" von Krieg, der im Grunde nur ein Lehrbuch der Gabelsbergerschen Stenographie mit geschichtlicher Einleitung ist, giebt von den andern Systemen leine Ent¬ wicklung der Grundgesetze, keine Vorführung der Grundzeichen, sondern nnr zusammenhängende Schriftproben, und damit ist für den vorliegenden Zweck nichts anzufangen. Faulmanns „Historische Grammatik der Stenographie" geht zwar auf die einzelnen Systeme genauer ein, aber sie ist eine kümmerliche, nnwissenschnftliche Arbeit und von untergeordnetem Standpunkte geschrieben; weiter als zur Befriedigung des allerersten Augenblicksbedürfnisses kann sie nicht dienen. Für den Fachmann, der die geforderten Eigenschaften besitzt und sich durch das Zetergeschrei in dem Pygmäenkampfe der Systeme nicht beirren läßt, die lautere Wahrheit zu erkennen, gehört nicht eben große Prophetengabe dazu, den Gang der Systemprüfnng einigermaßen vorherzusehen. Das System Gnbelsbergcrs dürfte als zu leicht befunden schon in einer der ersten Lesungen ausgeschieden werden. Von den ältern Systemen wird überhaupt nur das von Stolze übrig bleibe», natürlich nicht seiner Verbreitung wegen, sondern wegen des systematischen Aufbaues, des straffen Negelwerkes, des leichten und rasch zu mechanischer Handhabung führenden Studiums und der bedeutenden Fvrtbildungsfähigkeit — lauter Eigenschaften, dnrch die die Mängel des Systems ziemlich erträglich gemacht werden. Unter den neuern Systemen ragt dnrch besondre Vorzüge das von Julius Brauns haupteshvch über alle seine Genossen empor. Obgleich es bei seinem kurzen Bestehen bisher noch keine nennenswerte Verbreitung gefunden hat, wird es doch um seiner trefflichen Eigenschaften willen, denen keine unerträglichen Mängel gegenüberstehen, mit in die allerengste Wahl kommen. Wie aber anch das Schlußergebnis lauten mag, es wird, dessen darf man versichert sein, in Übereinstimmung mit dein preußischen Wahlspruch Luna. <mi<ins stehen: dem besten System, d. h. demjenigen, das bei der Prüfung die größte Menge von Vorzügen und die geringste Anzahl von Mängeln in pädagogischer und wissenschaftlicher Hinsicht auszuweisen hat, wird unzweifel¬ haft das Seine, in diesem Falle die staatliche Anerkennung zu teil werden, selbst wenn es gar keine Anhänger besitzen sollte. Die Entscheidung Preußens wird in dem stenographischen Entwicklungsgange Deutschlands einen denk-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/373>, abgerufen am 03.07.2024.