Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Stenographie in der Schule

bairischen Behörden hatten seine Stenographie mannichfach begünstigt, ihre
Kenntnis hatte sich von München aus über das Land verbreitet, in den Land¬
tagskammern wurden die Reden mit Babelsbergers Schrift nachgeschrieben, kurz,
der allgemeine Begriff "Stenographie" deckte sich in Vaiern damals ziemlich
vollständig mit dem besondern "Gabelsbergers Stenographie." Wie hätte dn
die Negierung auf den Gedanken kommen sollen, ein andres System in den
Schulen lehren zu lassen oder die Entscheidung etwa von einem Wettbewerbe,
einer Prüfung abhängig zu machen? Ganz ähnlich lagen die Dinge t8ö()
in Österreich, wohin Gabelsbergers Stenographie frühzeitig aus Baiern ver¬
pflanzt worden war und wo sie dadurch einen gewaltigen Vorsprung vor allen
spätern Systemen gewonnen hatte.

Anders waren die Verhältnisse, denen sich Sachsen im Jahre 1873 gegen¬
über befand. Allerdings war die Stenographie Gabelsbergers bereits in den
dreißiger Jahren auch nach Sachsen gebracht worden und hatte sich dort
einbürgern können, ohne zunächst Mitbewerber zu finden. Einen festen Stütz¬
punkt erhielt sie besonders in den Gabelsbergerschen Stenographen der säch¬
sischen Kammern, die unter dem Namen "Stenographisches Institut" zu einer
staatlichen Körperschaft erhoben wurden und sich die Verbreitung der Gabels¬
bergerschen Stenographie im Königreiche angelegen sein ließen. Trotzdem ge¬
wannen auch andre Systeme in Sachsen Verbreitung, wenn auch bescheidnere,
und in Preußen vollends, wo sich der Staat verhältnismäßig wenig um Steno¬
graphie kümmerte, war das System Gabelsbergers nicht obenauf gekommen,
souderu mußte sich mit geringern Rollen begnügen. Diese Thatsachen waren
der sächsischen Regierung nicht unbekannt geblieben, und so sah sich das Kultus-
ministerium, da es durchaus unpädagogisch gewesen wäre, bei Einführung in
die höhern Schulen die Wahl des Systems freizugeben, in eine gewisse Ver¬
legenheit versetzt. Ans der einen Seite war durch eine staatliche Körperschaft
das System Gabelsbergers schon längst gelehrt worden, auf der andern zeigten
die Thatsachen, daß trotzdem auch untre Systeme in Sachsen Anhänger ge¬
funden hatten, und die Entwicklung der Dinge in dem Nachbarlande mußte
doch Zweifel aufkommen lassen, ob deun Gabelsbergers System wirklich so
gut und empfehlenswert sei, um anstandslos den Schülern von Staats wegen
vorgeschrieben zu werdeu. Hier wäre eine Prüfung und Vergleichung der
Systeme durch Mäuner der Wissenschaft und der Erziehung geboten gewesen.
Das sächsische Kultusministerium konnte sich aber zu dieser freilich schwierigen
und umständlichen Vorarbeit nicht entschließen, sondern griff aus Rücksicht auf
die geringere Mühe der Durchführung doch Gabelsbergers System heraus.
"Entscheidend mußte die Thatsache sein, daß das Gabelsbergersche System
dnrch das Regulativ für das königliche Stenographische Institut vom 17. Juni
1850 12 zur Zeit unter staatlicher Autorität eingeführt worden und bei
deu ständische" Verhandlungen im Gebrauche ist," heißt es in einem Reskript


Die Stenographie in der Schule

bairischen Behörden hatten seine Stenographie mannichfach begünstigt, ihre
Kenntnis hatte sich von München aus über das Land verbreitet, in den Land¬
tagskammern wurden die Reden mit Babelsbergers Schrift nachgeschrieben, kurz,
der allgemeine Begriff „Stenographie" deckte sich in Vaiern damals ziemlich
vollständig mit dem besondern „Gabelsbergers Stenographie." Wie hätte dn
die Negierung auf den Gedanken kommen sollen, ein andres System in den
Schulen lehren zu lassen oder die Entscheidung etwa von einem Wettbewerbe,
einer Prüfung abhängig zu machen? Ganz ähnlich lagen die Dinge t8ö()
in Österreich, wohin Gabelsbergers Stenographie frühzeitig aus Baiern ver¬
pflanzt worden war und wo sie dadurch einen gewaltigen Vorsprung vor allen
spätern Systemen gewonnen hatte.

Anders waren die Verhältnisse, denen sich Sachsen im Jahre 1873 gegen¬
über befand. Allerdings war die Stenographie Gabelsbergers bereits in den
dreißiger Jahren auch nach Sachsen gebracht worden und hatte sich dort
einbürgern können, ohne zunächst Mitbewerber zu finden. Einen festen Stütz¬
punkt erhielt sie besonders in den Gabelsbergerschen Stenographen der säch¬
sischen Kammern, die unter dem Namen „Stenographisches Institut" zu einer
staatlichen Körperschaft erhoben wurden und sich die Verbreitung der Gabels¬
bergerschen Stenographie im Königreiche angelegen sein ließen. Trotzdem ge¬
wannen auch andre Systeme in Sachsen Verbreitung, wenn auch bescheidnere,
und in Preußen vollends, wo sich der Staat verhältnismäßig wenig um Steno¬
graphie kümmerte, war das System Gabelsbergers nicht obenauf gekommen,
souderu mußte sich mit geringern Rollen begnügen. Diese Thatsachen waren
der sächsischen Regierung nicht unbekannt geblieben, und so sah sich das Kultus-
ministerium, da es durchaus unpädagogisch gewesen wäre, bei Einführung in
die höhern Schulen die Wahl des Systems freizugeben, in eine gewisse Ver¬
legenheit versetzt. Ans der einen Seite war durch eine staatliche Körperschaft
das System Gabelsbergers schon längst gelehrt worden, auf der andern zeigten
die Thatsachen, daß trotzdem auch untre Systeme in Sachsen Anhänger ge¬
funden hatten, und die Entwicklung der Dinge in dem Nachbarlande mußte
doch Zweifel aufkommen lassen, ob deun Gabelsbergers System wirklich so
gut und empfehlenswert sei, um anstandslos den Schülern von Staats wegen
vorgeschrieben zu werdeu. Hier wäre eine Prüfung und Vergleichung der
Systeme durch Mäuner der Wissenschaft und der Erziehung geboten gewesen.
Das sächsische Kultusministerium konnte sich aber zu dieser freilich schwierigen
und umständlichen Vorarbeit nicht entschließen, sondern griff aus Rücksicht auf
die geringere Mühe der Durchführung doch Gabelsbergers System heraus.
„Entscheidend mußte die Thatsache sein, daß das Gabelsbergersche System
dnrch das Regulativ für das königliche Stenographische Institut vom 17. Juni
1850 12 zur Zeit unter staatlicher Autorität eingeführt worden und bei
deu ständische» Verhandlungen im Gebrauche ist," heißt es in einem Reskript


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209603"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Stenographie in der Schule</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1044" prev="#ID_1043"> bairischen Behörden hatten seine Stenographie mannichfach begünstigt, ihre<lb/>
Kenntnis hatte sich von München aus über das Land verbreitet, in den Land¬<lb/>
tagskammern wurden die Reden mit Babelsbergers Schrift nachgeschrieben, kurz,<lb/>
der allgemeine Begriff &#x201E;Stenographie" deckte sich in Vaiern damals ziemlich<lb/>
vollständig mit dem besondern &#x201E;Gabelsbergers Stenographie." Wie hätte dn<lb/>
die Negierung auf den Gedanken kommen sollen, ein andres System in den<lb/>
Schulen lehren zu lassen oder die Entscheidung etwa von einem Wettbewerbe,<lb/>
einer Prüfung abhängig zu machen? Ganz ähnlich lagen die Dinge t8ö()<lb/>
in Österreich, wohin Gabelsbergers Stenographie frühzeitig aus Baiern ver¬<lb/>
pflanzt worden war und wo sie dadurch einen gewaltigen Vorsprung vor allen<lb/>
spätern Systemen gewonnen hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1045" next="#ID_1046"> Anders waren die Verhältnisse, denen sich Sachsen im Jahre 1873 gegen¬<lb/>
über befand. Allerdings war die Stenographie Gabelsbergers bereits in den<lb/>
dreißiger Jahren auch nach Sachsen gebracht worden und hatte sich dort<lb/>
einbürgern können, ohne zunächst Mitbewerber zu finden. Einen festen Stütz¬<lb/>
punkt erhielt sie besonders in den Gabelsbergerschen Stenographen der säch¬<lb/>
sischen Kammern, die unter dem Namen &#x201E;Stenographisches Institut" zu einer<lb/>
staatlichen Körperschaft erhoben wurden und sich die Verbreitung der Gabels¬<lb/>
bergerschen Stenographie im Königreiche angelegen sein ließen. Trotzdem ge¬<lb/>
wannen auch andre Systeme in Sachsen Verbreitung, wenn auch bescheidnere,<lb/>
und in Preußen vollends, wo sich der Staat verhältnismäßig wenig um Steno¬<lb/>
graphie kümmerte, war das System Gabelsbergers nicht obenauf gekommen,<lb/>
souderu mußte sich mit geringern Rollen begnügen. Diese Thatsachen waren<lb/>
der sächsischen Regierung nicht unbekannt geblieben, und so sah sich das Kultus-<lb/>
ministerium, da es durchaus unpädagogisch gewesen wäre, bei Einführung in<lb/>
die höhern Schulen die Wahl des Systems freizugeben, in eine gewisse Ver¬<lb/>
legenheit versetzt. Ans der einen Seite war durch eine staatliche Körperschaft<lb/>
das System Gabelsbergers schon längst gelehrt worden, auf der andern zeigten<lb/>
die Thatsachen, daß trotzdem auch untre Systeme in Sachsen Anhänger ge¬<lb/>
funden hatten, und die Entwicklung der Dinge in dem Nachbarlande mußte<lb/>
doch Zweifel aufkommen lassen, ob deun Gabelsbergers System wirklich so<lb/>
gut und empfehlenswert sei, um anstandslos den Schülern von Staats wegen<lb/>
vorgeschrieben zu werdeu. Hier wäre eine Prüfung und Vergleichung der<lb/>
Systeme durch Mäuner der Wissenschaft und der Erziehung geboten gewesen.<lb/>
Das sächsische Kultusministerium konnte sich aber zu dieser freilich schwierigen<lb/>
und umständlichen Vorarbeit nicht entschließen, sondern griff aus Rücksicht auf<lb/>
die geringere Mühe der Durchführung doch Gabelsbergers System heraus.<lb/>
&#x201E;Entscheidend mußte die Thatsache sein, daß das Gabelsbergersche System<lb/>
dnrch das Regulativ für das königliche Stenographische Institut vom 17. Juni<lb/>
1850 12 zur Zeit unter staatlicher Autorität eingeführt worden und bei<lb/>
deu ständische» Verhandlungen im Gebrauche ist," heißt es in einem Reskript</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] Die Stenographie in der Schule bairischen Behörden hatten seine Stenographie mannichfach begünstigt, ihre Kenntnis hatte sich von München aus über das Land verbreitet, in den Land¬ tagskammern wurden die Reden mit Babelsbergers Schrift nachgeschrieben, kurz, der allgemeine Begriff „Stenographie" deckte sich in Vaiern damals ziemlich vollständig mit dem besondern „Gabelsbergers Stenographie." Wie hätte dn die Negierung auf den Gedanken kommen sollen, ein andres System in den Schulen lehren zu lassen oder die Entscheidung etwa von einem Wettbewerbe, einer Prüfung abhängig zu machen? Ganz ähnlich lagen die Dinge t8ö() in Österreich, wohin Gabelsbergers Stenographie frühzeitig aus Baiern ver¬ pflanzt worden war und wo sie dadurch einen gewaltigen Vorsprung vor allen spätern Systemen gewonnen hatte. Anders waren die Verhältnisse, denen sich Sachsen im Jahre 1873 gegen¬ über befand. Allerdings war die Stenographie Gabelsbergers bereits in den dreißiger Jahren auch nach Sachsen gebracht worden und hatte sich dort einbürgern können, ohne zunächst Mitbewerber zu finden. Einen festen Stütz¬ punkt erhielt sie besonders in den Gabelsbergerschen Stenographen der säch¬ sischen Kammern, die unter dem Namen „Stenographisches Institut" zu einer staatlichen Körperschaft erhoben wurden und sich die Verbreitung der Gabels¬ bergerschen Stenographie im Königreiche angelegen sein ließen. Trotzdem ge¬ wannen auch andre Systeme in Sachsen Verbreitung, wenn auch bescheidnere, und in Preußen vollends, wo sich der Staat verhältnismäßig wenig um Steno¬ graphie kümmerte, war das System Gabelsbergers nicht obenauf gekommen, souderu mußte sich mit geringern Rollen begnügen. Diese Thatsachen waren der sächsischen Regierung nicht unbekannt geblieben, und so sah sich das Kultus- ministerium, da es durchaus unpädagogisch gewesen wäre, bei Einführung in die höhern Schulen die Wahl des Systems freizugeben, in eine gewisse Ver¬ legenheit versetzt. Ans der einen Seite war durch eine staatliche Körperschaft das System Gabelsbergers schon längst gelehrt worden, auf der andern zeigten die Thatsachen, daß trotzdem auch untre Systeme in Sachsen Anhänger ge¬ funden hatten, und die Entwicklung der Dinge in dem Nachbarlande mußte doch Zweifel aufkommen lassen, ob deun Gabelsbergers System wirklich so gut und empfehlenswert sei, um anstandslos den Schülern von Staats wegen vorgeschrieben zu werdeu. Hier wäre eine Prüfung und Vergleichung der Systeme durch Mäuner der Wissenschaft und der Erziehung geboten gewesen. Das sächsische Kultusministerium konnte sich aber zu dieser freilich schwierigen und umständlichen Vorarbeit nicht entschließen, sondern griff aus Rücksicht auf die geringere Mühe der Durchführung doch Gabelsbergers System heraus. „Entscheidend mußte die Thatsache sein, daß das Gabelsbergersche System dnrch das Regulativ für das königliche Stenographische Institut vom 17. Juni 1850 12 zur Zeit unter staatlicher Autorität eingeführt worden und bei deu ständische» Verhandlungen im Gebrauche ist," heißt es in einem Reskript

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/370>, abgerufen am 23.07.2024.