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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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T>le konservativen Elemente ^'rankreirl/s vor der großen Revolution

leiten der Philosophen nnter einander; ,,es kann uns nur angenehm sei", sagte
sie, zu sehen, wie die Tyrannen unsrer Meinungen sich mit denselben Argu¬
menten niederschlagen, die sie angewendet haben, uns zu unterjochen." Die
Gesamtheit der philosophischen Lehren der Aufklärer vergleicht sie dem baby¬
lonischen Turm, aber "dieses unsinnige Werk kann doch mit der Zeit eine
Schule für verständige Baumeister werden; diese werden von den Fehlern ihrer
Vorgänger lernen und mit denselben Materialien dauerhafte und nützliche
Gebäude aufführe", mit denen jene einen lächerlichen, nnwohnlichen, unnützen
nud sogar gefährlichen Ban aufgerichtet haben/'

Am Schlusse des Abschnittes, in dem Mallets Ansichten dargelegt werden,
schreibt Gnglia: ,,Wenn man die Schriften dieses Mannes zum erstenmale liest,
ergreift einen ein Staunen: ist das wirklich schon alles vor der Revolution
gesagt worden? Dann entsetzt man sich beinahe. So scheint denn alle
Weisheit einzelner verloren, wen" die Menschen einmal vom Taumel ergriffen
sind, nnr durch ungeheure Geschehnisse, nicht durch Worte ist das irdische Ge¬
schlecht zu belehren." Mit dieser Äußerung verfällt der Verfasser in deu Fehler
der Theoretiker, die er bekämpft. Deu Hunger stillen, das kann eine konser¬
vative Lehre so wenig wie eine revolutionäre, der Hunger aber war es, der
das Volk zur Revolution trieb. Wir Nüssen ans Taine, daß der Acker brach
liegen blieb, weil die Leute nicht mehr Lust hatten, sich nnr allein für deu
Stenereintreiber zu placken, daß die Brotkrawalle seit 1747 an der Tages¬
ordnung waren, daß Tausende von Bettlern, duzn bewaffnete Schmuggler und
Räuberbanden das Land durchzogen. Wenn nnn, wie es 1789 geschah, diese
Scharen in Paris zusammenströmten, wenn sie dort ein Militär vorfanden,
das selber hungerte und bereit war, mit den hungernden Brüdern gemeinsame
Sache zu macheu, und eine Negierung, die zwischen absolutistischen und radi¬
kalen Anwandlungen hin- und herschwankte, die ihre ehrlichsten und erleuch¬
tetsten Freunde zurückstieß oder einsperrte, da hätte die Anarchie doch nnr dnrch
ein Wunder abgewendet werden können. Sie wäre auch ohne die Zeitphilo-
sophie hereingebrochen, nur daß dann die Greuelthaten ohne die Zuthat von
schönen Reden und Verfassungsentwürfeu verübt worden wären, während
anderseits die Modephilosophie, wenn sie ohne die herrschende Mißwirtschaft
hätte entstehen können, höchstens unblutige Verfassungsändernngen hervor¬
gebracht hätte. Auch uns gefällt ein ständisch gegliederter Staat besser als
eine bald von Kouventen, bald von Diktatoren despotisch regierte Demokratie;
aber wer kann es ändern, daß die Reste des ständischen Staates eben nur
Zieste waren? Wären sie, wie Gnglia meint, lebensfähig gewesen, so würden
sie ihre Lebensfähigkeit durch Überwindung der sozialen Nöte bewiesen haben.
Was im Laufe der Jahrhunderte langsam gewachsen ist, das kann, wenn es
durch Despvtengewalt zerstört worden ist, nicht binnen wenigen Jahre" wieder
hergestellt werde", möge" die Muster, die die Wiederherstellung wünschen, noch


T>le konservativen Elemente ^'rankreirl/s vor der großen Revolution

leiten der Philosophen nnter einander; ,,es kann uns nur angenehm sei», sagte
sie, zu sehen, wie die Tyrannen unsrer Meinungen sich mit denselben Argu¬
menten niederschlagen, die sie angewendet haben, uns zu unterjochen." Die
Gesamtheit der philosophischen Lehren der Aufklärer vergleicht sie dem baby¬
lonischen Turm, aber „dieses unsinnige Werk kann doch mit der Zeit eine
Schule für verständige Baumeister werden; diese werden von den Fehlern ihrer
Vorgänger lernen und mit denselben Materialien dauerhafte und nützliche
Gebäude aufführe«, mit denen jene einen lächerlichen, nnwohnlichen, unnützen
nud sogar gefährlichen Ban aufgerichtet haben/'

Am Schlusse des Abschnittes, in dem Mallets Ansichten dargelegt werden,
schreibt Gnglia: ,,Wenn man die Schriften dieses Mannes zum erstenmale liest,
ergreift einen ein Staunen: ist das wirklich schon alles vor der Revolution
gesagt worden? Dann entsetzt man sich beinahe. So scheint denn alle
Weisheit einzelner verloren, wen» die Menschen einmal vom Taumel ergriffen
sind, nnr durch ungeheure Geschehnisse, nicht durch Worte ist das irdische Ge¬
schlecht zu belehren." Mit dieser Äußerung verfällt der Verfasser in deu Fehler
der Theoretiker, die er bekämpft. Deu Hunger stillen, das kann eine konser¬
vative Lehre so wenig wie eine revolutionäre, der Hunger aber war es, der
das Volk zur Revolution trieb. Wir Nüssen ans Taine, daß der Acker brach
liegen blieb, weil die Leute nicht mehr Lust hatten, sich nnr allein für deu
Stenereintreiber zu placken, daß die Brotkrawalle seit 1747 an der Tages¬
ordnung waren, daß Tausende von Bettlern, duzn bewaffnete Schmuggler und
Räuberbanden das Land durchzogen. Wenn nnn, wie es 1789 geschah, diese
Scharen in Paris zusammenströmten, wenn sie dort ein Militär vorfanden,
das selber hungerte und bereit war, mit den hungernden Brüdern gemeinsame
Sache zu macheu, und eine Negierung, die zwischen absolutistischen und radi¬
kalen Anwandlungen hin- und herschwankte, die ihre ehrlichsten und erleuch¬
tetsten Freunde zurückstieß oder einsperrte, da hätte die Anarchie doch nnr dnrch
ein Wunder abgewendet werden können. Sie wäre auch ohne die Zeitphilo-
sophie hereingebrochen, nur daß dann die Greuelthaten ohne die Zuthat von
schönen Reden und Verfassungsentwürfeu verübt worden wären, während
anderseits die Modephilosophie, wenn sie ohne die herrschende Mißwirtschaft
hätte entstehen können, höchstens unblutige Verfassungsändernngen hervor¬
gebracht hätte. Auch uns gefällt ein ständisch gegliederter Staat besser als
eine bald von Kouventen, bald von Diktatoren despotisch regierte Demokratie;
aber wer kann es ändern, daß die Reste des ständischen Staates eben nur
Zieste waren? Wären sie, wie Gnglia meint, lebensfähig gewesen, so würden
sie ihre Lebensfähigkeit durch Überwindung der sozialen Nöte bewiesen haben.
Was im Laufe der Jahrhunderte langsam gewachsen ist, das kann, wenn es
durch Despvtengewalt zerstört worden ist, nicht binnen wenigen Jahre» wieder
hergestellt werde», möge» die Muster, die die Wiederherstellung wünschen, noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/360>, abgerufen am 23.07.2024.