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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die konservative" Lleinenle Frankreichs vor der großen Revolution

der Vater, der seine Kinder zu Sklaven machen mich, um sein Besitztum un¬
geschmälert zu erhalten, unumschränkter Herr seiner Familie, so ist der Monarch
unumschränkter Herr des Staates; die Verpflichtung, das Privateigentum seiner
Unterthanen zu respektiren, bildet die einzige Schranke seiner Gewalt. Lingnets
Staatsideal Ist die patriarchalische Despotie des Orients, von der er behauptet,
sie sei gar keine Despotie, vielmehr verdienten die abgelebten Knlturstaatc"
des Westens diesen Namen, wo der Tagelöhner sein elendes Dasein fristet.
"O ihr Philosophen -- ruft er aus -- die ihr gemächlich in euerm Zimmer
an: Feuer sitzt und da eure Träume vou Freiheit ausspinnt, verwirklicht sie
doch, indem ihr mit diesen Elenden euern Überfluß teilt, den ihr ja nur ge¬
nießt, weil sie dessen beraubt sind. schreckt ihr aber davor zurück, dann laßt
die Welt ruhig, wie sie ist, und zieht nicht die Grundsätze euerer Vorfahre",
von denen ihr euch nur mit der Feder entfernt, ins Lächerliche!" Mit ihren
Deklamationen machten sie das Los der Armen nur drückender. Grausame
Philosophie, könne die Menschheit ausrufen, wie schmerzlich sind deine
Tröstungen, wie unberufen dem Eifer! Leide und stirb im Kerker, sagte er
zum Sklaven, denn das ist dein Geschick! Der Arme hat nichts, aber er soll
auch nichts haben; nnr auf Fristung des Lebeus hat er Anspruch, und
diese ist ihm möglich, denn das Bedürfnis nach dienenden Händen ist überall
in der Welt groß genug. Eine bessere Philosophie ist es, Geduld zu predigen,
als zur Empörung zu reizen; die sogenannte Freiheit bringt nur tiefere Knecht¬
schaft und ärgeres Elend. Linguet bekämpfte in leidenschaftlichen Flugschriften
nicht allein die Enehklvpädisten, sondern auch die oppositionellen Parlamente.
Dasselbe that er in den Zeitschriften, die er leitete, dem -lvurn^l cis Lruxöllo",
und den ^.mmlLL politiemL", die er von 1777 ab in England herausgab.
Hier nahm er sich -- er war mit den Jesuiten befreundet -- besonders der
Religion an, behauptete ihre Unentbehrlichkeit und sagte deu Philosophen u. a.,
sie möchten sich lieber mit dem überhandnehmenden Bettelnnwesen und solchen
llbelständen beschäftigen, als gegen den religiösen Fanatismus predigen, der
bei weitem nicht so gefährlich wie der philosophische, und zur Zeit überhaupt
nicht mehr gefährlich sei. Er will die Vorrechte der katholische" Kirche auf¬
recht erhalte" Nüsse" u"d de" Andersgläubigen die Abhaltung ihres Gottes¬
dienstes nnr i" geschlossene" Räumen gestatten. Die trostlose Lage der ärmern
Bevölkerung Westeuropas schreibt er ihrer Trennung von der Scholle zu. Die
Tagelohnerknechtschaft sei weit ärger als die Leibeigenschaft (die damals in
Frankreich schon größtenteils aufgehoben war). Die echte Freiheit bestehe in
dem Vermögen, sich und seine Familie durch Arbeit zu ernähren. Diese Frei¬
heit habe der Leibeigne genossen, der "freie" Tagelöhner entbehre sie. Sein
Kampf gegen die Magistratur brachte ihn 17"0 in die Bastille, wo er zwei
Jahre schmachtete. Diese Erfahrung mäßigte seine Vorliebe für den Absolu¬
tismus einigermaßen und rang ihm das Zugeständnis ab, daß die von ihm


Die konservative» Lleinenle Frankreichs vor der großen Revolution

der Vater, der seine Kinder zu Sklaven machen mich, um sein Besitztum un¬
geschmälert zu erhalten, unumschränkter Herr seiner Familie, so ist der Monarch
unumschränkter Herr des Staates; die Verpflichtung, das Privateigentum seiner
Unterthanen zu respektiren, bildet die einzige Schranke seiner Gewalt. Lingnets
Staatsideal Ist die patriarchalische Despotie des Orients, von der er behauptet,
sie sei gar keine Despotie, vielmehr verdienten die abgelebten Knlturstaatc»
des Westens diesen Namen, wo der Tagelöhner sein elendes Dasein fristet.
„O ihr Philosophen — ruft er aus — die ihr gemächlich in euerm Zimmer
an: Feuer sitzt und da eure Träume vou Freiheit ausspinnt, verwirklicht sie
doch, indem ihr mit diesen Elenden euern Überfluß teilt, den ihr ja nur ge¬
nießt, weil sie dessen beraubt sind. schreckt ihr aber davor zurück, dann laßt
die Welt ruhig, wie sie ist, und zieht nicht die Grundsätze euerer Vorfahre»,
von denen ihr euch nur mit der Feder entfernt, ins Lächerliche!" Mit ihren
Deklamationen machten sie das Los der Armen nur drückender. Grausame
Philosophie, könne die Menschheit ausrufen, wie schmerzlich sind deine
Tröstungen, wie unberufen dem Eifer! Leide und stirb im Kerker, sagte er
zum Sklaven, denn das ist dein Geschick! Der Arme hat nichts, aber er soll
auch nichts haben; nnr auf Fristung des Lebeus hat er Anspruch, und
diese ist ihm möglich, denn das Bedürfnis nach dienenden Händen ist überall
in der Welt groß genug. Eine bessere Philosophie ist es, Geduld zu predigen,
als zur Empörung zu reizen; die sogenannte Freiheit bringt nur tiefere Knecht¬
schaft und ärgeres Elend. Linguet bekämpfte in leidenschaftlichen Flugschriften
nicht allein die Enehklvpädisten, sondern auch die oppositionellen Parlamente.
Dasselbe that er in den Zeitschriften, die er leitete, dem -lvurn^l cis Lruxöllo«,
und den ^.mmlLL politiemL«, die er von 1777 ab in England herausgab.
Hier nahm er sich — er war mit den Jesuiten befreundet — besonders der
Religion an, behauptete ihre Unentbehrlichkeit und sagte deu Philosophen u. a.,
sie möchten sich lieber mit dem überhandnehmenden Bettelnnwesen und solchen
llbelständen beschäftigen, als gegen den religiösen Fanatismus predigen, der
bei weitem nicht so gefährlich wie der philosophische, und zur Zeit überhaupt
nicht mehr gefährlich sei. Er will die Vorrechte der katholische» Kirche auf¬
recht erhalte» Nüsse» u»d de» Andersgläubigen die Abhaltung ihres Gottes¬
dienstes nnr i» geschlossene» Räumen gestatten. Die trostlose Lage der ärmern
Bevölkerung Westeuropas schreibt er ihrer Trennung von der Scholle zu. Die
Tagelohnerknechtschaft sei weit ärger als die Leibeigenschaft (die damals in
Frankreich schon größtenteils aufgehoben war). Die echte Freiheit bestehe in
dem Vermögen, sich und seine Familie durch Arbeit zu ernähren. Diese Frei¬
heit habe der Leibeigne genossen, der „freie" Tagelöhner entbehre sie. Sein
Kampf gegen die Magistratur brachte ihn 17»0 in die Bastille, wo er zwei
Jahre schmachtete. Diese Erfahrung mäßigte seine Vorliebe für den Absolu¬
tismus einigermaßen und rang ihm das Zugeständnis ab, daß die von ihm


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[0357] Die konservative» Lleinenle Frankreichs vor der großen Revolution der Vater, der seine Kinder zu Sklaven machen mich, um sein Besitztum un¬ geschmälert zu erhalten, unumschränkter Herr seiner Familie, so ist der Monarch unumschränkter Herr des Staates; die Verpflichtung, das Privateigentum seiner Unterthanen zu respektiren, bildet die einzige Schranke seiner Gewalt. Lingnets Staatsideal Ist die patriarchalische Despotie des Orients, von der er behauptet, sie sei gar keine Despotie, vielmehr verdienten die abgelebten Knlturstaatc» des Westens diesen Namen, wo der Tagelöhner sein elendes Dasein fristet. „O ihr Philosophen — ruft er aus — die ihr gemächlich in euerm Zimmer an: Feuer sitzt und da eure Träume vou Freiheit ausspinnt, verwirklicht sie doch, indem ihr mit diesen Elenden euern Überfluß teilt, den ihr ja nur ge¬ nießt, weil sie dessen beraubt sind. schreckt ihr aber davor zurück, dann laßt die Welt ruhig, wie sie ist, und zieht nicht die Grundsätze euerer Vorfahre», von denen ihr euch nur mit der Feder entfernt, ins Lächerliche!" Mit ihren Deklamationen machten sie das Los der Armen nur drückender. Grausame Philosophie, könne die Menschheit ausrufen, wie schmerzlich sind deine Tröstungen, wie unberufen dem Eifer! Leide und stirb im Kerker, sagte er zum Sklaven, denn das ist dein Geschick! Der Arme hat nichts, aber er soll auch nichts haben; nnr auf Fristung des Lebeus hat er Anspruch, und diese ist ihm möglich, denn das Bedürfnis nach dienenden Händen ist überall in der Welt groß genug. Eine bessere Philosophie ist es, Geduld zu predigen, als zur Empörung zu reizen; die sogenannte Freiheit bringt nur tiefere Knecht¬ schaft und ärgeres Elend. Linguet bekämpfte in leidenschaftlichen Flugschriften nicht allein die Enehklvpädisten, sondern auch die oppositionellen Parlamente. Dasselbe that er in den Zeitschriften, die er leitete, dem -lvurn^l cis Lruxöllo«, und den ^.mmlLL politiemL«, die er von 1777 ab in England herausgab. Hier nahm er sich — er war mit den Jesuiten befreundet — besonders der Religion an, behauptete ihre Unentbehrlichkeit und sagte deu Philosophen u. a., sie möchten sich lieber mit dem überhandnehmenden Bettelnnwesen und solchen llbelständen beschäftigen, als gegen den religiösen Fanatismus predigen, der bei weitem nicht so gefährlich wie der philosophische, und zur Zeit überhaupt nicht mehr gefährlich sei. Er will die Vorrechte der katholische» Kirche auf¬ recht erhalte» Nüsse» u»d de» Andersgläubigen die Abhaltung ihres Gottes¬ dienstes nnr i» geschlossene» Räumen gestatten. Die trostlose Lage der ärmern Bevölkerung Westeuropas schreibt er ihrer Trennung von der Scholle zu. Die Tagelohnerknechtschaft sei weit ärger als die Leibeigenschaft (die damals in Frankreich schon größtenteils aufgehoben war). Die echte Freiheit bestehe in dem Vermögen, sich und seine Familie durch Arbeit zu ernähren. Diese Frei¬ heit habe der Leibeigne genossen, der „freie" Tagelöhner entbehre sie. Sein Kampf gegen die Magistratur brachte ihn 17»0 in die Bastille, wo er zwei Jahre schmachtete. Diese Erfahrung mäßigte seine Vorliebe für den Absolu¬ tismus einigermaßen und rang ihm das Zugeständnis ab, daß die von ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/357>, abgerufen am 23.07.2024.