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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die kousei vativen Lleincnie Frankreichs vor der arosten Revolution

Verdient, laßt sich natürlich aus Guglicis Skizze seines Systems nicht erkenne".
Daß er Absolutist war, nüirde man ihm wohl verziehen haben; sind es Hobbes
und Voltaire mit seinem Generalstabe doch nicht minder gewesen. Aber freilich,
er war durch und durch ein gläubiger Christ jansenistischer Richtung, ein
Freund von Port Nohal; er ließ die Träger der Autorität Gott verantwortlich
sein und band jedes Recht an entsprechende Pflichten, und weder geistreiche
Gedanken noch schone Darstellung würden hingereicht haben, ihm für diesen
Fehler beim Hofe und bei den Philosophen Verzeihung auszuwirken. Das
gesamte Privatrecht läßt Donat in der Liebe wurzeln. Die Verpflichtung
zur Nächstenliebe kommt einerseits in den mancherlei Verbindlichkeiten des
Familienlebens, anderseits in den noch mannichfaltigern zur Erscheinung, die
ans dein Gewerbe- und Handelsverkehr, den Dienst- und Herrschaflsverhült-
nissen, dem Gemeinde-und Staatsleben entspringen; sogar die Verpflichtung
zum Stenerznhlen ist ihm religiös-sittlicher Natur, weil der Einzelne dndnrch
der Gesamtheit, namentlich aber den Armen zu Hilfe komme. Dabei hat seine
Liebestheorie nichts Süßliches, denn als Janseuist ist er tief durchdrungen
von der Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts; aus ihr entspringen seiner
Ansicht nach alte Störungen der gesetzlichen Ordnung, alle Streitigkeiten um
Mein und Dein. Gewiß eine recht altmodische Auffassung. Ob aber daran
ganz wertlos?

Am lesenswertesten ist das dritte Buch von Gnglias Wert, daS den be-
wußten Widerstand gegen die revolutionären Lehren in drei Kapiteln darstellt.
Das erste behandelt die ans dein Schoße der Zeitphilosophie selbst hervor¬
gehende Reaktion, vertreten durch Montesquieu, die Phhsiokraten, Rousseau,
Mablh, Liuguet, Voltaire, Grimm, Galiaui, Buffon, Samt Martin, das
zweite die auf den praktische" Erfahrungen des In- und Auslandes beruhende
Reaktion, die sich vorzugsweise in der Journalistik äußerte, das dritte die¬
jenigen Männer und Frauen der Gesellschaft, die klar erkannte", welchem Ziele
oder vielmehr Abgrunde die Bewegung der Geister zueilte, nud deren Vor¬
aussicht in der bekannten, von Taine noch einmal abgedruckten Prophezeiung
des Ccizvtte einen so ergreifenden Ausdruck gefunden hat. Was immer in
unsrer heutigen Zeit gegen einen übertriebenen oder falschen Liberalismus,
gegen kommunistische Utopien, gegen das Unternehmen, die Gesellschaft und
den Staat nach vorgefaßten Theorien umzugestalten, vorgebracht werde" mag,
ist damals alles schon gesagt worden, oft, in vielfachen Wendungen, im Spott
und im Ernst, i" anziehendster Form gesagt worden. Einige Proben werden -
diese Behauptung rechtfertigen.

Lingnet leitet in seiner 'I'Iuwriu ach b/öl" "zivile" alles öffentliche und
Privatrecht aus dem Eigentum, und dieses aus der gewaltsamen Besitznahme
ab. Obwohl demnach die gesellschaftliche Ordnung ans blutigem Unrecht be¬
ruht, besteht sie dennoch zu Recht, und sie anzutasten ist ein Frevel. Wie


Die kousei vativen Lleincnie Frankreichs vor der arosten Revolution

Verdient, laßt sich natürlich aus Guglicis Skizze seines Systems nicht erkenne».
Daß er Absolutist war, nüirde man ihm wohl verziehen haben; sind es Hobbes
und Voltaire mit seinem Generalstabe doch nicht minder gewesen. Aber freilich,
er war durch und durch ein gläubiger Christ jansenistischer Richtung, ein
Freund von Port Nohal; er ließ die Träger der Autorität Gott verantwortlich
sein und band jedes Recht an entsprechende Pflichten, und weder geistreiche
Gedanken noch schone Darstellung würden hingereicht haben, ihm für diesen
Fehler beim Hofe und bei den Philosophen Verzeihung auszuwirken. Das
gesamte Privatrecht läßt Donat in der Liebe wurzeln. Die Verpflichtung
zur Nächstenliebe kommt einerseits in den mancherlei Verbindlichkeiten des
Familienlebens, anderseits in den noch mannichfaltigern zur Erscheinung, die
ans dein Gewerbe- und Handelsverkehr, den Dienst- und Herrschaflsverhült-
nissen, dem Gemeinde-und Staatsleben entspringen; sogar die Verpflichtung
zum Stenerznhlen ist ihm religiös-sittlicher Natur, weil der Einzelne dndnrch
der Gesamtheit, namentlich aber den Armen zu Hilfe komme. Dabei hat seine
Liebestheorie nichts Süßliches, denn als Janseuist ist er tief durchdrungen
von der Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts; aus ihr entspringen seiner
Ansicht nach alte Störungen der gesetzlichen Ordnung, alle Streitigkeiten um
Mein und Dein. Gewiß eine recht altmodische Auffassung. Ob aber daran
ganz wertlos?

Am lesenswertesten ist das dritte Buch von Gnglias Wert, daS den be-
wußten Widerstand gegen die revolutionären Lehren in drei Kapiteln darstellt.
Das erste behandelt die ans dein Schoße der Zeitphilosophie selbst hervor¬
gehende Reaktion, vertreten durch Montesquieu, die Phhsiokraten, Rousseau,
Mablh, Liuguet, Voltaire, Grimm, Galiaui, Buffon, Samt Martin, das
zweite die auf den praktische» Erfahrungen des In- und Auslandes beruhende
Reaktion, die sich vorzugsweise in der Journalistik äußerte, das dritte die¬
jenigen Männer und Frauen der Gesellschaft, die klar erkannte», welchem Ziele
oder vielmehr Abgrunde die Bewegung der Geister zueilte, nud deren Vor¬
aussicht in der bekannten, von Taine noch einmal abgedruckten Prophezeiung
des Ccizvtte einen so ergreifenden Ausdruck gefunden hat. Was immer in
unsrer heutigen Zeit gegen einen übertriebenen oder falschen Liberalismus,
gegen kommunistische Utopien, gegen das Unternehmen, die Gesellschaft und
den Staat nach vorgefaßten Theorien umzugestalten, vorgebracht werde» mag,
ist damals alles schon gesagt worden, oft, in vielfachen Wendungen, im Spott
und im Ernst, i» anziehendster Form gesagt worden. Einige Proben werden -
diese Behauptung rechtfertigen.

Lingnet leitet in seiner 'I'Iuwriu ach b/öl« «zivile« alles öffentliche und
Privatrecht aus dem Eigentum, und dieses aus der gewaltsamen Besitznahme
ab. Obwohl demnach die gesellschaftliche Ordnung ans blutigem Unrecht be¬
ruht, besteht sie dennoch zu Recht, und sie anzutasten ist ein Frevel. Wie


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[0356] Die kousei vativen Lleincnie Frankreichs vor der arosten Revolution Verdient, laßt sich natürlich aus Guglicis Skizze seines Systems nicht erkenne». Daß er Absolutist war, nüirde man ihm wohl verziehen haben; sind es Hobbes und Voltaire mit seinem Generalstabe doch nicht minder gewesen. Aber freilich, er war durch und durch ein gläubiger Christ jansenistischer Richtung, ein Freund von Port Nohal; er ließ die Träger der Autorität Gott verantwortlich sein und band jedes Recht an entsprechende Pflichten, und weder geistreiche Gedanken noch schone Darstellung würden hingereicht haben, ihm für diesen Fehler beim Hofe und bei den Philosophen Verzeihung auszuwirken. Das gesamte Privatrecht läßt Donat in der Liebe wurzeln. Die Verpflichtung zur Nächstenliebe kommt einerseits in den mancherlei Verbindlichkeiten des Familienlebens, anderseits in den noch mannichfaltigern zur Erscheinung, die ans dein Gewerbe- und Handelsverkehr, den Dienst- und Herrschaflsverhült- nissen, dem Gemeinde-und Staatsleben entspringen; sogar die Verpflichtung zum Stenerznhlen ist ihm religiös-sittlicher Natur, weil der Einzelne dndnrch der Gesamtheit, namentlich aber den Armen zu Hilfe komme. Dabei hat seine Liebestheorie nichts Süßliches, denn als Janseuist ist er tief durchdrungen von der Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts; aus ihr entspringen seiner Ansicht nach alte Störungen der gesetzlichen Ordnung, alle Streitigkeiten um Mein und Dein. Gewiß eine recht altmodische Auffassung. Ob aber daran ganz wertlos? Am lesenswertesten ist das dritte Buch von Gnglias Wert, daS den be- wußten Widerstand gegen die revolutionären Lehren in drei Kapiteln darstellt. Das erste behandelt die ans dein Schoße der Zeitphilosophie selbst hervor¬ gehende Reaktion, vertreten durch Montesquieu, die Phhsiokraten, Rousseau, Mablh, Liuguet, Voltaire, Grimm, Galiaui, Buffon, Samt Martin, das zweite die auf den praktische» Erfahrungen des In- und Auslandes beruhende Reaktion, die sich vorzugsweise in der Journalistik äußerte, das dritte die¬ jenigen Männer und Frauen der Gesellschaft, die klar erkannte», welchem Ziele oder vielmehr Abgrunde die Bewegung der Geister zueilte, nud deren Vor¬ aussicht in der bekannten, von Taine noch einmal abgedruckten Prophezeiung des Ccizvtte einen so ergreifenden Ausdruck gefunden hat. Was immer in unsrer heutigen Zeit gegen einen übertriebenen oder falschen Liberalismus, gegen kommunistische Utopien, gegen das Unternehmen, die Gesellschaft und den Staat nach vorgefaßten Theorien umzugestalten, vorgebracht werde» mag, ist damals alles schon gesagt worden, oft, in vielfachen Wendungen, im Spott und im Ernst, i» anziehendster Form gesagt worden. Einige Proben werden - diese Behauptung rechtfertigen. Lingnet leitet in seiner 'I'Iuwriu ach b/öl« «zivile« alles öffentliche und Privatrecht aus dem Eigentum, und dieses aus der gewaltsamen Besitznahme ab. Obwohl demnach die gesellschaftliche Ordnung ans blutigem Unrecht be¬ ruht, besteht sie dennoch zu Recht, und sie anzutasten ist ein Frevel. Wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/356>, abgerufen am 23.07.2024.