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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die konservativen Elemente Frankreichs vor der großen Revolution

ihrer Popularität büßten; sie verbündeten sich mit ihrem alten Gegner, dem
Klerus, protestirten gegen die Aufhebung der Leibeigenschaft sowie gegen die
Gewährung von Religionsfreiheit und verurteilten fleißig die Schriften und
Bücher der beliebtesten Philosophen. Wenn wir der Schilderung Gnglias
glauben dürfen, waren die Parlanientsrnte fast ausnahmslos Männer von
puritanischer Sittenstrenge, die nur der Erfüllung ihrer Amtspflichten und
ihren Familien lebten, und von unbestechlicher Rechtschaffenheit. "In den
grausamen Wechselfällen, heißt es zum Schluß, mit denen die Folgezeit Herz
lind Nieren der damals lebenden Menschen prüfte, hat die Magistratur nicht
übel bestanden. Die früher dein Willen des Königs am ärgsten getrotzt,
wurden jetzt zu seinen unerschrockensten Verteidigern- Überläufer und Verräter
gab es hier weniger als sonst, viele bestiegen mutig das Schafott, andre
starben in der Verbannung und arm. Welch ein Bild aber, wenn der greise
Parlmnentsrnt Nögnaud, der zu den Zeiten Maupevus der entschiedensten
Opposition angehört hatte, nun -- als Ludwig XVI. vor den Schranken des
Konvents erschien -- aus Fontenay, wohin er geflüchtet war, der Gefahr nicht
achtend, nach Paris eilte, sich zum Anwalt des gefangenen Fürsten aufwarf,
eine Denkschrift veröffentlichte, die mit den Worten schloß: Es lebe der König!
Gewiß, mit dieser Magistratnr ging ein gutes Stück des alte" Frankreichs
zu Grabe."

Von deu drei Ständen entwirft Guglia ein glänzendes Bild: ein sitten¬
reiner, in seinem Beruf sich aufopfernder Klerus, mit väterlicher Fürsorge
uuter ihren Bauern waltende Schloßherren, ein wohlhabender, gesitteter, in
guten Volksschulen gebildeter Bürger- und Bauernstand, das sind die Bestand¬
teile des französischen Volkes im vorigen Jahrhundert. Guglia lügt so wenig
wie die gewöhnliche Darstellung des iuivivn rvZimo; schon Trine hat berichtet,
daß diese guten Menschen und glücklichen Verhältnisse wirklich noch vor-
kamen, als Atisnahmen, als Neste besserer Zeiten. Guglia macht uns nur
wahrscheinlich, daß die Ausnahmen häufiger waren, als wir bisher geglaubt
hatte". Daß aber das Elend, dessen Größe auch er nicht leugnen kann,
nicht durch die Hartherzigkeit der weltlichen und geistlichen Seignenrs ver-
schuldet wurde, hat schon Taine hervorgehoben. Schuld daran waren die
Eitelkeit der Könige, die den Adel von seinen Gütern an den Hof zog, und
die unsinnige Finanzwirtschaft, die das Volk mit Steuern erdrückte. Vom
Großvater Mirabeaus erzählt schon Taine, daß er seine Bauern gegen jeder¬
mann, auch gegen den König schützte, und daß er einmal sämtliche Accisebeamte
seines Bezirks ins Wasser zu werfen drohte, weil Tabatschnüffler sich unter¬
standen hatten, seines Pfarrers Haus zu durchsuchen. Guglia berichtet aus¬
führlicher über das patriarchalische Walten dieses merkwürdigen Mannes und
seiner zwei gleichgearteten Söhne. Der eine davon erinnerte sich uoch' im
spätern Alter, wir er als Knabe einmal vom Vater einen Fußtritt bekommen


Die konservativen Elemente Frankreichs vor der großen Revolution

ihrer Popularität büßten; sie verbündeten sich mit ihrem alten Gegner, dem
Klerus, protestirten gegen die Aufhebung der Leibeigenschaft sowie gegen die
Gewährung von Religionsfreiheit und verurteilten fleißig die Schriften und
Bücher der beliebtesten Philosophen. Wenn wir der Schilderung Gnglias
glauben dürfen, waren die Parlanientsrnte fast ausnahmslos Männer von
puritanischer Sittenstrenge, die nur der Erfüllung ihrer Amtspflichten und
ihren Familien lebten, und von unbestechlicher Rechtschaffenheit. „In den
grausamen Wechselfällen, heißt es zum Schluß, mit denen die Folgezeit Herz
lind Nieren der damals lebenden Menschen prüfte, hat die Magistratur nicht
übel bestanden. Die früher dein Willen des Königs am ärgsten getrotzt,
wurden jetzt zu seinen unerschrockensten Verteidigern- Überläufer und Verräter
gab es hier weniger als sonst, viele bestiegen mutig das Schafott, andre
starben in der Verbannung und arm. Welch ein Bild aber, wenn der greise
Parlmnentsrnt Nögnaud, der zu den Zeiten Maupevus der entschiedensten
Opposition angehört hatte, nun — als Ludwig XVI. vor den Schranken des
Konvents erschien — aus Fontenay, wohin er geflüchtet war, der Gefahr nicht
achtend, nach Paris eilte, sich zum Anwalt des gefangenen Fürsten aufwarf,
eine Denkschrift veröffentlichte, die mit den Worten schloß: Es lebe der König!
Gewiß, mit dieser Magistratnr ging ein gutes Stück des alte» Frankreichs
zu Grabe."

Von deu drei Ständen entwirft Guglia ein glänzendes Bild: ein sitten¬
reiner, in seinem Beruf sich aufopfernder Klerus, mit väterlicher Fürsorge
uuter ihren Bauern waltende Schloßherren, ein wohlhabender, gesitteter, in
guten Volksschulen gebildeter Bürger- und Bauernstand, das sind die Bestand¬
teile des französischen Volkes im vorigen Jahrhundert. Guglia lügt so wenig
wie die gewöhnliche Darstellung des iuivivn rvZimo; schon Trine hat berichtet,
daß diese guten Menschen und glücklichen Verhältnisse wirklich noch vor-
kamen, als Atisnahmen, als Neste besserer Zeiten. Guglia macht uns nur
wahrscheinlich, daß die Ausnahmen häufiger waren, als wir bisher geglaubt
hatte». Daß aber das Elend, dessen Größe auch er nicht leugnen kann,
nicht durch die Hartherzigkeit der weltlichen und geistlichen Seignenrs ver-
schuldet wurde, hat schon Taine hervorgehoben. Schuld daran waren die
Eitelkeit der Könige, die den Adel von seinen Gütern an den Hof zog, und
die unsinnige Finanzwirtschaft, die das Volk mit Steuern erdrückte. Vom
Großvater Mirabeaus erzählt schon Taine, daß er seine Bauern gegen jeder¬
mann, auch gegen den König schützte, und daß er einmal sämtliche Accisebeamte
seines Bezirks ins Wasser zu werfen drohte, weil Tabatschnüffler sich unter¬
standen hatten, seines Pfarrers Haus zu durchsuchen. Guglia berichtet aus¬
führlicher über das patriarchalische Walten dieses merkwürdigen Mannes und
seiner zwei gleichgearteten Söhne. Der eine davon erinnerte sich uoch' im
spätern Alter, wir er als Knabe einmal vom Vater einen Fußtritt bekommen


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[0354] Die konservativen Elemente Frankreichs vor der großen Revolution ihrer Popularität büßten; sie verbündeten sich mit ihrem alten Gegner, dem Klerus, protestirten gegen die Aufhebung der Leibeigenschaft sowie gegen die Gewährung von Religionsfreiheit und verurteilten fleißig die Schriften und Bücher der beliebtesten Philosophen. Wenn wir der Schilderung Gnglias glauben dürfen, waren die Parlanientsrnte fast ausnahmslos Männer von puritanischer Sittenstrenge, die nur der Erfüllung ihrer Amtspflichten und ihren Familien lebten, und von unbestechlicher Rechtschaffenheit. „In den grausamen Wechselfällen, heißt es zum Schluß, mit denen die Folgezeit Herz lind Nieren der damals lebenden Menschen prüfte, hat die Magistratur nicht übel bestanden. Die früher dein Willen des Königs am ärgsten getrotzt, wurden jetzt zu seinen unerschrockensten Verteidigern- Überläufer und Verräter gab es hier weniger als sonst, viele bestiegen mutig das Schafott, andre starben in der Verbannung und arm. Welch ein Bild aber, wenn der greise Parlmnentsrnt Nögnaud, der zu den Zeiten Maupevus der entschiedensten Opposition angehört hatte, nun — als Ludwig XVI. vor den Schranken des Konvents erschien — aus Fontenay, wohin er geflüchtet war, der Gefahr nicht achtend, nach Paris eilte, sich zum Anwalt des gefangenen Fürsten aufwarf, eine Denkschrift veröffentlichte, die mit den Worten schloß: Es lebe der König! Gewiß, mit dieser Magistratnr ging ein gutes Stück des alte» Frankreichs zu Grabe." Von deu drei Ständen entwirft Guglia ein glänzendes Bild: ein sitten¬ reiner, in seinem Beruf sich aufopfernder Klerus, mit väterlicher Fürsorge uuter ihren Bauern waltende Schloßherren, ein wohlhabender, gesitteter, in guten Volksschulen gebildeter Bürger- und Bauernstand, das sind die Bestand¬ teile des französischen Volkes im vorigen Jahrhundert. Guglia lügt so wenig wie die gewöhnliche Darstellung des iuivivn rvZimo; schon Trine hat berichtet, daß diese guten Menschen und glücklichen Verhältnisse wirklich noch vor- kamen, als Atisnahmen, als Neste besserer Zeiten. Guglia macht uns nur wahrscheinlich, daß die Ausnahmen häufiger waren, als wir bisher geglaubt hatte». Daß aber das Elend, dessen Größe auch er nicht leugnen kann, nicht durch die Hartherzigkeit der weltlichen und geistlichen Seignenrs ver- schuldet wurde, hat schon Taine hervorgehoben. Schuld daran waren die Eitelkeit der Könige, die den Adel von seinen Gütern an den Hof zog, und die unsinnige Finanzwirtschaft, die das Volk mit Steuern erdrückte. Vom Großvater Mirabeaus erzählt schon Taine, daß er seine Bauern gegen jeder¬ mann, auch gegen den König schützte, und daß er einmal sämtliche Accisebeamte seines Bezirks ins Wasser zu werfen drohte, weil Tabatschnüffler sich unter¬ standen hatten, seines Pfarrers Haus zu durchsuchen. Guglia berichtet aus¬ führlicher über das patriarchalische Walten dieses merkwürdigen Mannes und seiner zwei gleichgearteten Söhne. Der eine davon erinnerte sich uoch' im spätern Alter, wir er als Knabe einmal vom Vater einen Fußtritt bekommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/354>, abgerufen am 23.07.2024.