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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Artikel 5^ der Reichsverfassung

aber der ^?ache nach davon abhängig, daß der Bundesrat die Vorbereitung
der Arbeiten (Artikel 13) für den Reichstag beendigt hat; das Recht der Ver¬
tagung ist durch Artikels sehr beschränkt, sie kann ohne Zustimmung des
Reichstags während der Session nur einmal, und dieses eine mal auf nicht
mehr als dreißig Tage erfolgen. Über die Voraussetzungen für die Schließung
enthält die Verfassung keine ausdrückliche Bestimmung, allein deren sonstiger
Inhalt ergiebt, daß auch dieses Recht ein reines Ehrenrecht ist: der Reichs¬
tag wird vom Kaiser geschlossen, oder: dem Kaiser steht die Schließung des
Reichstags zu, wenn dieser seine Geschäfte erledigt, sein "Tage"werk gethan hat.

Die gesetzgeberische Thätigkeit des Reichstages ist von dreierlei Art: er
hat den Reichshaushalt festzustellen, er hat die vom Bundesrat nach Artikel 7
an ihn gebrachten Gesetzentwürfe und er hat die zufolge des Artikels 23 aus
seiner eignen Mitte ^vorgegangenen Gcsetzvorschläge zu beraten. Vor
Feststellung des Neichshanshaltes kann die jährliche Session nicht geschlossen
werden; über andre dem Reichstag zu machende Vorlagen hat der Bundesrat
zu beschließen (Artikel 7), ein vorgelegter Gesetzentwurf kann also auch mir
zufolge Beschlusses des Bundesrath zurückgezogen werden. Daß der Beratung
der von Neichstagsmitgliedern ausgehenden Gesetzvorschläge keine Hindernisse
bereitet werden, verbürgt der Artikel 26. Stunde dem Kaiser das Recht zu,
die "Session" vor Feststellung des Reichshanshaltes oder vor Erledigung der
Gesetzentwürfe und Gesetzvorschläge zu schließen, so würde dies die Läh¬
mung der Reichsverwaltung oder die Vereitelung der Rechte des Bundesrath
und des Reichstags bedeuten. So lange also die nach Beginn der Session um
den Reichstag gebrachten Geschäfte nicht erledigt sind, kann er nnr entweder
"ach Artikel 24 aufgelöst oder mit der in Artikel 26 vorgesehenen Beschränkung
einseitig vom Kaiser, sonst mit seiner Zustimmung vertagt, nicht aber geschlossen
werden. Sich selbst kauu er im Rechtssinn nicht vertagen, wenn er auch kraft
Artikel 27 beschließen mag, seine Geschäfte auf eine bestimmte Zeit auszusetzen;
die Fiktion der einheitlichen Tagung wird durch einen solchen Beschluß nicht
aufgehoben, woraus sich ergiebt, daß während einer derartigen vom Reichstag
beschlossenen GeschäftSpanse oder uneigentlichen Vertagung der Artikel 31 in
voller Kraft bleibt.

Mit dein eben gesagten ist auch schon der Unterschied zwischen Sessivns-
schlnß und Vertagung und eben damit auch der Unterschied zwischen Session
und Sitzungsperiode bezeichnet. Mit der Bedeutung des Wortes "Periode"
verhält es sich gerade so wie mit der des Wortes "Session." Die Periode
ist ursprünglich ein räumlicher Begriff: der Weg, den ein Körper um einen
andern -- der Mond um die Erde, die Erde um die Sonne -- beschreibt,
abgeleitet: die Zeit, die der eine Körper zum Umlauf um den andern braucht.
Der Umlauf dient zur Zeitmessung oder Zeiteinteilung, wie umgekehrt oft ein
Zeitabschnitt zur Bezeichnung einer räumlichen Entfernung dienen muß, wenn


Artikel 5^ der Reichsverfassung

aber der ^?ache nach davon abhängig, daß der Bundesrat die Vorbereitung
der Arbeiten (Artikel 13) für den Reichstag beendigt hat; das Recht der Ver¬
tagung ist durch Artikels sehr beschränkt, sie kann ohne Zustimmung des
Reichstags während der Session nur einmal, und dieses eine mal auf nicht
mehr als dreißig Tage erfolgen. Über die Voraussetzungen für die Schließung
enthält die Verfassung keine ausdrückliche Bestimmung, allein deren sonstiger
Inhalt ergiebt, daß auch dieses Recht ein reines Ehrenrecht ist: der Reichs¬
tag wird vom Kaiser geschlossen, oder: dem Kaiser steht die Schließung des
Reichstags zu, wenn dieser seine Geschäfte erledigt, sein „Tage"werk gethan hat.

Die gesetzgeberische Thätigkeit des Reichstages ist von dreierlei Art: er
hat den Reichshaushalt festzustellen, er hat die vom Bundesrat nach Artikel 7
an ihn gebrachten Gesetzentwürfe und er hat die zufolge des Artikels 23 aus
seiner eignen Mitte ^vorgegangenen Gcsetzvorschläge zu beraten. Vor
Feststellung des Neichshanshaltes kann die jährliche Session nicht geschlossen
werden; über andre dem Reichstag zu machende Vorlagen hat der Bundesrat
zu beschließen (Artikel 7), ein vorgelegter Gesetzentwurf kann also auch mir
zufolge Beschlusses des Bundesrath zurückgezogen werden. Daß der Beratung
der von Neichstagsmitgliedern ausgehenden Gesetzvorschläge keine Hindernisse
bereitet werden, verbürgt der Artikel 26. Stunde dem Kaiser das Recht zu,
die „Session" vor Feststellung des Reichshanshaltes oder vor Erledigung der
Gesetzentwürfe und Gesetzvorschläge zu schließen, so würde dies die Läh¬
mung der Reichsverwaltung oder die Vereitelung der Rechte des Bundesrath
und des Reichstags bedeuten. So lange also die nach Beginn der Session um
den Reichstag gebrachten Geschäfte nicht erledigt sind, kann er nnr entweder
»ach Artikel 24 aufgelöst oder mit der in Artikel 26 vorgesehenen Beschränkung
einseitig vom Kaiser, sonst mit seiner Zustimmung vertagt, nicht aber geschlossen
werden. Sich selbst kauu er im Rechtssinn nicht vertagen, wenn er auch kraft
Artikel 27 beschließen mag, seine Geschäfte auf eine bestimmte Zeit auszusetzen;
die Fiktion der einheitlichen Tagung wird durch einen solchen Beschluß nicht
aufgehoben, woraus sich ergiebt, daß während einer derartigen vom Reichstag
beschlossenen GeschäftSpanse oder uneigentlichen Vertagung der Artikel 31 in
voller Kraft bleibt.

Mit dein eben gesagten ist auch schon der Unterschied zwischen Sessivns-
schlnß und Vertagung und eben damit auch der Unterschied zwischen Session
und Sitzungsperiode bezeichnet. Mit der Bedeutung des Wortes „Periode"
verhält es sich gerade so wie mit der des Wortes „Session." Die Periode
ist ursprünglich ein räumlicher Begriff: der Weg, den ein Körper um einen
andern — der Mond um die Erde, die Erde um die Sonne — beschreibt,
abgeleitet: die Zeit, die der eine Körper zum Umlauf um den andern braucht.
Der Umlauf dient zur Zeitmessung oder Zeiteinteilung, wie umgekehrt oft ein
Zeitabschnitt zur Bezeichnung einer räumlichen Entfernung dienen muß, wenn


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[0348] Artikel 5^ der Reichsverfassung aber der ^?ache nach davon abhängig, daß der Bundesrat die Vorbereitung der Arbeiten (Artikel 13) für den Reichstag beendigt hat; das Recht der Ver¬ tagung ist durch Artikels sehr beschränkt, sie kann ohne Zustimmung des Reichstags während der Session nur einmal, und dieses eine mal auf nicht mehr als dreißig Tage erfolgen. Über die Voraussetzungen für die Schließung enthält die Verfassung keine ausdrückliche Bestimmung, allein deren sonstiger Inhalt ergiebt, daß auch dieses Recht ein reines Ehrenrecht ist: der Reichs¬ tag wird vom Kaiser geschlossen, oder: dem Kaiser steht die Schließung des Reichstags zu, wenn dieser seine Geschäfte erledigt, sein „Tage"werk gethan hat. Die gesetzgeberische Thätigkeit des Reichstages ist von dreierlei Art: er hat den Reichshaushalt festzustellen, er hat die vom Bundesrat nach Artikel 7 an ihn gebrachten Gesetzentwürfe und er hat die zufolge des Artikels 23 aus seiner eignen Mitte ^vorgegangenen Gcsetzvorschläge zu beraten. Vor Feststellung des Neichshanshaltes kann die jährliche Session nicht geschlossen werden; über andre dem Reichstag zu machende Vorlagen hat der Bundesrat zu beschließen (Artikel 7), ein vorgelegter Gesetzentwurf kann also auch mir zufolge Beschlusses des Bundesrath zurückgezogen werden. Daß der Beratung der von Neichstagsmitgliedern ausgehenden Gesetzvorschläge keine Hindernisse bereitet werden, verbürgt der Artikel 26. Stunde dem Kaiser das Recht zu, die „Session" vor Feststellung des Reichshanshaltes oder vor Erledigung der Gesetzentwürfe und Gesetzvorschläge zu schließen, so würde dies die Läh¬ mung der Reichsverwaltung oder die Vereitelung der Rechte des Bundesrath und des Reichstags bedeuten. So lange also die nach Beginn der Session um den Reichstag gebrachten Geschäfte nicht erledigt sind, kann er nnr entweder »ach Artikel 24 aufgelöst oder mit der in Artikel 26 vorgesehenen Beschränkung einseitig vom Kaiser, sonst mit seiner Zustimmung vertagt, nicht aber geschlossen werden. Sich selbst kauu er im Rechtssinn nicht vertagen, wenn er auch kraft Artikel 27 beschließen mag, seine Geschäfte auf eine bestimmte Zeit auszusetzen; die Fiktion der einheitlichen Tagung wird durch einen solchen Beschluß nicht aufgehoben, woraus sich ergiebt, daß während einer derartigen vom Reichstag beschlossenen GeschäftSpanse oder uneigentlichen Vertagung der Artikel 31 in voller Kraft bleibt. Mit dein eben gesagten ist auch schon der Unterschied zwischen Sessivns- schlnß und Vertagung und eben damit auch der Unterschied zwischen Session und Sitzungsperiode bezeichnet. Mit der Bedeutung des Wortes „Periode" verhält es sich gerade so wie mit der des Wortes „Session." Die Periode ist ursprünglich ein räumlicher Begriff: der Weg, den ein Körper um einen andern — der Mond um die Erde, die Erde um die Sonne — beschreibt, abgeleitet: die Zeit, die der eine Körper zum Umlauf um den andern braucht. Der Umlauf dient zur Zeitmessung oder Zeiteinteilung, wie umgekehrt oft ein Zeitabschnitt zur Bezeichnung einer räumlichen Entfernung dienen muß, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/348>, abgerufen am 23.07.2024.