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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Das Tabaksdöschen

läßt Zachariä die Göttin der Poesie den deutschen Dichtern zurufen. Er ist
der gemütliche Gegenstand der tändelnden und scherzenden Poesie, das Stich¬
blatt der Satire, der Zielpfahl breitester, aber immer vergeblich gespendeter
moralischer Belehrung. Zu den untrennbaren Attributen seiner stets zier¬
lichen, von allen Modethorheiten sklavisch abhängigen äußern Erscheinung aber
gehört auch das Tabaksdöschen. In der Hervorhebung dieses wichtigen
Stückes seiner Ausstattung begegnen sich alle, die es sich zur Aufgabe gemacht
haben, in liebevoller Schilderung auch die kleinsten Züge seines nichtigen
Daseins zu verewigen. Das Wohlgefallen des modernen Rauchers, der sein
mit unablässigem Fleiße gebräuntes Meerschanmpfeifcheu stolz zur Schau trägt,
kann sich nicht mit der selbstgefälligen Bewunderung messen, mit der die Augen
des Stutzers an seinem Kleinode hafteten. Es gehörte wie das dauernd in
Achtung gebliebene Neuommirstöckcheu zu deu Prunkstücken, die artig zur Schau
getragen wurden und zugleich deu müßigen Händen eine würdige Beschäftigung
gaben. Auf geschmackvolle Form und liebevolle Ausstattung wurde, wie leicht
erklärlich, besonderer Wert gelegt. Die dekorative Kleinkunst, "der eigentliche
Trüger des Rokokostils," fand in der mannichfaltigen Gestaltung dieses nied¬
lichen und zierliche" Stückes eine dankbare Aufgabe. Zahlreiche Schöpfungen
legen davon Zeugnis ab und zeigen, wie auch uns diesem Gebiete -- herbei¬
geführt dnrch das veränderte gesellschaftliche Ansehen der Prise --° eine Er¬
nüchterung und Vergröberung des Formensinnes eingetreten ist. Während heute
die Dose in deu Kreisen der jüngern Männerwelt das Licht der Öffentlichkeit
scheuen muß und sich nur verstohlen ans Tageslicht wagen kann, in den
Händen eines um die Huld der Geliebten werbenden Jünglings aber vollends
ein Greuel ist, verstattete ihr die Gunst des achtzehnten Jahrhunderts das
Recht, sich offen im Glänze des Tages zu zeigen. "Von elf bis zwölf geht
er auf der Gasse spazieren -- heißt es in Pieanders Lustspiel "Der akademische
Schlendrian" von einem Stutzer -- und hat bald das seidene Schnupftuch,
bald die silberne Tabaksdose in Händen. Alle Leute, die ihn ansehen, sind
seiner Meinung nach in ihn verliebt." Diese Stelle zeigt, wie auch die aka¬
demische Jngend, in deren Reihen nach wie vor Knaster und Pfeife die erste
Stellung behaupteten, von der modischen Form des Tabaksgenusscs angekränkelt
wurde. Das Döschen wird hier geradezu das Schiboleth artiger und galanter
Bildung. Wer sich "die blumenvolle Bahn des sanften Mnsenlebens" erwählte,
bekannte sich zu ihm, "Knaster ist mein Element" sang der echte Bursche. In
der Schilderung des Jenaer Raufboldes und des Leipziger Salvnheldcu hebt
Zacharias Dichtung "Der Renommist" diesen Gegensatz hervor. Die Mode
erscheint dem nach wüstem Gelage auf die Streu gestreckten "Stürmer von der
Saale" im Traume und beschwört ihn, ihrer Macht sich zu beugen und sein
Wesen zu wandeln:


Das Tabaksdöschen

läßt Zachariä die Göttin der Poesie den deutschen Dichtern zurufen. Er ist
der gemütliche Gegenstand der tändelnden und scherzenden Poesie, das Stich¬
blatt der Satire, der Zielpfahl breitester, aber immer vergeblich gespendeter
moralischer Belehrung. Zu den untrennbaren Attributen seiner stets zier¬
lichen, von allen Modethorheiten sklavisch abhängigen äußern Erscheinung aber
gehört auch das Tabaksdöschen. In der Hervorhebung dieses wichtigen
Stückes seiner Ausstattung begegnen sich alle, die es sich zur Aufgabe gemacht
haben, in liebevoller Schilderung auch die kleinsten Züge seines nichtigen
Daseins zu verewigen. Das Wohlgefallen des modernen Rauchers, der sein
mit unablässigem Fleiße gebräuntes Meerschanmpfeifcheu stolz zur Schau trägt,
kann sich nicht mit der selbstgefälligen Bewunderung messen, mit der die Augen
des Stutzers an seinem Kleinode hafteten. Es gehörte wie das dauernd in
Achtung gebliebene Neuommirstöckcheu zu deu Prunkstücken, die artig zur Schau
getragen wurden und zugleich deu müßigen Händen eine würdige Beschäftigung
gaben. Auf geschmackvolle Form und liebevolle Ausstattung wurde, wie leicht
erklärlich, besonderer Wert gelegt. Die dekorative Kleinkunst, „der eigentliche
Trüger des Rokokostils," fand in der mannichfaltigen Gestaltung dieses nied¬
lichen und zierliche» Stückes eine dankbare Aufgabe. Zahlreiche Schöpfungen
legen davon Zeugnis ab und zeigen, wie auch uns diesem Gebiete — herbei¬
geführt dnrch das veränderte gesellschaftliche Ansehen der Prise —° eine Er¬
nüchterung und Vergröberung des Formensinnes eingetreten ist. Während heute
die Dose in deu Kreisen der jüngern Männerwelt das Licht der Öffentlichkeit
scheuen muß und sich nur verstohlen ans Tageslicht wagen kann, in den
Händen eines um die Huld der Geliebten werbenden Jünglings aber vollends
ein Greuel ist, verstattete ihr die Gunst des achtzehnten Jahrhunderts das
Recht, sich offen im Glänze des Tages zu zeigen. „Von elf bis zwölf geht
er auf der Gasse spazieren — heißt es in Pieanders Lustspiel »Der akademische
Schlendrian« von einem Stutzer — und hat bald das seidene Schnupftuch,
bald die silberne Tabaksdose in Händen. Alle Leute, die ihn ansehen, sind
seiner Meinung nach in ihn verliebt." Diese Stelle zeigt, wie auch die aka¬
demische Jngend, in deren Reihen nach wie vor Knaster und Pfeife die erste
Stellung behaupteten, von der modischen Form des Tabaksgenusscs angekränkelt
wurde. Das Döschen wird hier geradezu das Schiboleth artiger und galanter
Bildung. Wer sich „die blumenvolle Bahn des sanften Mnsenlebens" erwählte,
bekannte sich zu ihm, „Knaster ist mein Element" sang der echte Bursche. In
der Schilderung des Jenaer Raufboldes und des Leipziger Salvnheldcu hebt
Zacharias Dichtung „Der Renommist" diesen Gegensatz hervor. Die Mode
erscheint dem nach wüstem Gelage auf die Streu gestreckten „Stürmer von der
Saale" im Traume und beschwört ihn, ihrer Macht sich zu beugen und sein
Wesen zu wandeln:


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[0334] Das Tabaksdöschen läßt Zachariä die Göttin der Poesie den deutschen Dichtern zurufen. Er ist der gemütliche Gegenstand der tändelnden und scherzenden Poesie, das Stich¬ blatt der Satire, der Zielpfahl breitester, aber immer vergeblich gespendeter moralischer Belehrung. Zu den untrennbaren Attributen seiner stets zier¬ lichen, von allen Modethorheiten sklavisch abhängigen äußern Erscheinung aber gehört auch das Tabaksdöschen. In der Hervorhebung dieses wichtigen Stückes seiner Ausstattung begegnen sich alle, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, in liebevoller Schilderung auch die kleinsten Züge seines nichtigen Daseins zu verewigen. Das Wohlgefallen des modernen Rauchers, der sein mit unablässigem Fleiße gebräuntes Meerschanmpfeifcheu stolz zur Schau trägt, kann sich nicht mit der selbstgefälligen Bewunderung messen, mit der die Augen des Stutzers an seinem Kleinode hafteten. Es gehörte wie das dauernd in Achtung gebliebene Neuommirstöckcheu zu deu Prunkstücken, die artig zur Schau getragen wurden und zugleich deu müßigen Händen eine würdige Beschäftigung gaben. Auf geschmackvolle Form und liebevolle Ausstattung wurde, wie leicht erklärlich, besonderer Wert gelegt. Die dekorative Kleinkunst, „der eigentliche Trüger des Rokokostils," fand in der mannichfaltigen Gestaltung dieses nied¬ lichen und zierliche» Stückes eine dankbare Aufgabe. Zahlreiche Schöpfungen legen davon Zeugnis ab und zeigen, wie auch uns diesem Gebiete — herbei¬ geführt dnrch das veränderte gesellschaftliche Ansehen der Prise —° eine Er¬ nüchterung und Vergröberung des Formensinnes eingetreten ist. Während heute die Dose in deu Kreisen der jüngern Männerwelt das Licht der Öffentlichkeit scheuen muß und sich nur verstohlen ans Tageslicht wagen kann, in den Händen eines um die Huld der Geliebten werbenden Jünglings aber vollends ein Greuel ist, verstattete ihr die Gunst des achtzehnten Jahrhunderts das Recht, sich offen im Glänze des Tages zu zeigen. „Von elf bis zwölf geht er auf der Gasse spazieren — heißt es in Pieanders Lustspiel »Der akademische Schlendrian« von einem Stutzer — und hat bald das seidene Schnupftuch, bald die silberne Tabaksdose in Händen. Alle Leute, die ihn ansehen, sind seiner Meinung nach in ihn verliebt." Diese Stelle zeigt, wie auch die aka¬ demische Jngend, in deren Reihen nach wie vor Knaster und Pfeife die erste Stellung behaupteten, von der modischen Form des Tabaksgenusscs angekränkelt wurde. Das Döschen wird hier geradezu das Schiboleth artiger und galanter Bildung. Wer sich „die blumenvolle Bahn des sanften Mnsenlebens" erwählte, bekannte sich zu ihm, „Knaster ist mein Element" sang der echte Bursche. In der Schilderung des Jenaer Raufboldes und des Leipziger Salvnheldcu hebt Zacharias Dichtung „Der Renommist" diesen Gegensatz hervor. Die Mode erscheint dem nach wüstem Gelage auf die Streu gestreckten „Stürmer von der Saale" im Traume und beschwört ihn, ihrer Macht sich zu beugen und sein Wesen zu wandeln:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/334>, abgerufen am 23.07.2024.