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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Das Tabaksdöscho"

"in dabei über die großen und kleinen Fragen der Zeit zu kannegießern, galt
vielen bald als unvernnßerliches Menschenrecht und als unerläßliche Pflicht
des Staatsbürgers. In dein Qualm und Brodem der Tabaksstube umwehte
den leidenschaftlichen Raucher die wahre Lebenslust. Im Hnuse verlangte die
Rücksicht auf die Sauberkeit der Zimmer und damit auch auf die Erhaltung
des ehelichen Friedens weise Beschränkung. Selbstverständlich verschlossen sich
dem Knaster die Räume, die der Pflege der höhern Geselligkeit, des artigen
und gefälligen Verkehrs beider Geschlechter geweiht waren. Der Beigeschmack
des Derben und Kräftigen, der von der Pfeife unzertrennlich war, vertrug
sich nicht mit deu Forderungen der Zierlichkeit und Galanterie, die für die
Formen des geselligen Lebens bestimmend waren.

Aber auch hier -- und das ist für das Leben der Gesellschaft im acht¬
zehnten Jahrhundert bezeichnend -- gewann der Tabak in andrer Bereitung
und geeigneterer Hülle bald Bedeutung. Dankbar hebt einer der Tabakssänger
die Doppelnatur des gefeierten Krautes hervor:

Die Mißstände des Knasters vermied der rauchfreie Tabak, der Rappen. In
ihm war glücklich die Form gefunden, die dein Tabak einen neuen Wirkungs¬
kreis erschloß. Die Schranken fielen, er hielt seinen Einzug in die zierliche
Gesellschaftswelt des Rokoko. Neben die schlichte Thonpfeife tritt nun das
gefällige und anspruchsvollere Döschen. Das Beispiel der tonangebenden
höchsten Kreise, in denen sich die neue Mode rasch zur Kunst verfeinerte, zwang
zur Nachahmung und umgab das Döschen mit der Gloriole des Artigen und
Galanten. Eine Schar fröhlicher Lieder umtäudelte bald den gefeierten Lieb¬
ling der Mode; für die Velustignngen des Verstandes und Witzes geist-
reicheluder Dichter bot sich hier ein dankbarer Stoff. So erlangte das Döschen
in kurzer Zeit das Bürgerrecht in der Gesellschaft und genoß besonders in
der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts große Verehrung; in der Be¬
ziehung der Geschlechter zu einander spielt es eine vertrauliche Mittlerrolle.
Was der Kuasterqnalm trennte, führte das Prischen wieder zusammen. Selbst
die artige Schöne verschmähte es nicht, sich mit dem Döschen zu waffnen und
so die siegreichen Reize ihrer Toilettenkünste noch zu erhöhen. In den Briefen
der geistvollen Elisabeth Charlotte von Orleans bekanntlich einer der er¬
giebigsten Quellen für die Erkenntnis der Kulturzustände am Anfange des acht¬
zehnten Jahrhunderts -- läßt sich das epidemische Auftreten der neuen Mode
in den Kreisen der französischen Aristokratie anschaulich verfolgen. Die Brief¬
stellern! ist von der Neuerung sehr wenig erbaut, besonders beleidigt es ihr
weibliches Gefühl, daß die vornehme Damenwelt der neuen Unsitte so eifrig


Das Tabaksdöscho»

»in dabei über die großen und kleinen Fragen der Zeit zu kannegießern, galt
vielen bald als unvernnßerliches Menschenrecht und als unerläßliche Pflicht
des Staatsbürgers. In dein Qualm und Brodem der Tabaksstube umwehte
den leidenschaftlichen Raucher die wahre Lebenslust. Im Hnuse verlangte die
Rücksicht auf die Sauberkeit der Zimmer und damit auch auf die Erhaltung
des ehelichen Friedens weise Beschränkung. Selbstverständlich verschlossen sich
dem Knaster die Räume, die der Pflege der höhern Geselligkeit, des artigen
und gefälligen Verkehrs beider Geschlechter geweiht waren. Der Beigeschmack
des Derben und Kräftigen, der von der Pfeife unzertrennlich war, vertrug
sich nicht mit deu Forderungen der Zierlichkeit und Galanterie, die für die
Formen des geselligen Lebens bestimmend waren.

Aber auch hier — und das ist für das Leben der Gesellschaft im acht¬
zehnten Jahrhundert bezeichnend — gewann der Tabak in andrer Bereitung
und geeigneterer Hülle bald Bedeutung. Dankbar hebt einer der Tabakssänger
die Doppelnatur des gefeierten Krautes hervor:

Die Mißstände des Knasters vermied der rauchfreie Tabak, der Rappen. In
ihm war glücklich die Form gefunden, die dein Tabak einen neuen Wirkungs¬
kreis erschloß. Die Schranken fielen, er hielt seinen Einzug in die zierliche
Gesellschaftswelt des Rokoko. Neben die schlichte Thonpfeife tritt nun das
gefällige und anspruchsvollere Döschen. Das Beispiel der tonangebenden
höchsten Kreise, in denen sich die neue Mode rasch zur Kunst verfeinerte, zwang
zur Nachahmung und umgab das Döschen mit der Gloriole des Artigen und
Galanten. Eine Schar fröhlicher Lieder umtäudelte bald den gefeierten Lieb¬
ling der Mode; für die Velustignngen des Verstandes und Witzes geist-
reicheluder Dichter bot sich hier ein dankbarer Stoff. So erlangte das Döschen
in kurzer Zeit das Bürgerrecht in der Gesellschaft und genoß besonders in
der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts große Verehrung; in der Be¬
ziehung der Geschlechter zu einander spielt es eine vertrauliche Mittlerrolle.
Was der Kuasterqnalm trennte, führte das Prischen wieder zusammen. Selbst
die artige Schöne verschmähte es nicht, sich mit dem Döschen zu waffnen und
so die siegreichen Reize ihrer Toilettenkünste noch zu erhöhen. In den Briefen
der geistvollen Elisabeth Charlotte von Orleans bekanntlich einer der er¬
giebigsten Quellen für die Erkenntnis der Kulturzustände am Anfange des acht¬
zehnten Jahrhunderts — läßt sich das epidemische Auftreten der neuen Mode
in den Kreisen der französischen Aristokratie anschaulich verfolgen. Die Brief¬
stellern! ist von der Neuerung sehr wenig erbaut, besonders beleidigt es ihr
weibliches Gefühl, daß die vornehme Damenwelt der neuen Unsitte so eifrig


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[0332] Das Tabaksdöscho» »in dabei über die großen und kleinen Fragen der Zeit zu kannegießern, galt vielen bald als unvernnßerliches Menschenrecht und als unerläßliche Pflicht des Staatsbürgers. In dein Qualm und Brodem der Tabaksstube umwehte den leidenschaftlichen Raucher die wahre Lebenslust. Im Hnuse verlangte die Rücksicht auf die Sauberkeit der Zimmer und damit auch auf die Erhaltung des ehelichen Friedens weise Beschränkung. Selbstverständlich verschlossen sich dem Knaster die Räume, die der Pflege der höhern Geselligkeit, des artigen und gefälligen Verkehrs beider Geschlechter geweiht waren. Der Beigeschmack des Derben und Kräftigen, der von der Pfeife unzertrennlich war, vertrug sich nicht mit deu Forderungen der Zierlichkeit und Galanterie, die für die Formen des geselligen Lebens bestimmend waren. Aber auch hier — und das ist für das Leben der Gesellschaft im acht¬ zehnten Jahrhundert bezeichnend — gewann der Tabak in andrer Bereitung und geeigneterer Hülle bald Bedeutung. Dankbar hebt einer der Tabakssänger die Doppelnatur des gefeierten Krautes hervor: Die Mißstände des Knasters vermied der rauchfreie Tabak, der Rappen. In ihm war glücklich die Form gefunden, die dein Tabak einen neuen Wirkungs¬ kreis erschloß. Die Schranken fielen, er hielt seinen Einzug in die zierliche Gesellschaftswelt des Rokoko. Neben die schlichte Thonpfeife tritt nun das gefällige und anspruchsvollere Döschen. Das Beispiel der tonangebenden höchsten Kreise, in denen sich die neue Mode rasch zur Kunst verfeinerte, zwang zur Nachahmung und umgab das Döschen mit der Gloriole des Artigen und Galanten. Eine Schar fröhlicher Lieder umtäudelte bald den gefeierten Lieb¬ ling der Mode; für die Velustignngen des Verstandes und Witzes geist- reicheluder Dichter bot sich hier ein dankbarer Stoff. So erlangte das Döschen in kurzer Zeit das Bürgerrecht in der Gesellschaft und genoß besonders in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts große Verehrung; in der Be¬ ziehung der Geschlechter zu einander spielt es eine vertrauliche Mittlerrolle. Was der Kuasterqnalm trennte, führte das Prischen wieder zusammen. Selbst die artige Schöne verschmähte es nicht, sich mit dem Döschen zu waffnen und so die siegreichen Reize ihrer Toilettenkünste noch zu erhöhen. In den Briefen der geistvollen Elisabeth Charlotte von Orleans bekanntlich einer der er¬ giebigsten Quellen für die Erkenntnis der Kulturzustände am Anfange des acht¬ zehnten Jahrhunderts — läßt sich das epidemische Auftreten der neuen Mode in den Kreisen der französischen Aristokratie anschaulich verfolgen. Die Brief¬ stellern! ist von der Neuerung sehr wenig erbaut, besonders beleidigt es ihr weibliches Gefühl, daß die vornehme Damenwelt der neuen Unsitte so eifrig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/332>, abgerufen am 23.07.2024.