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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Metternich durch. Darauf zwingt sie den Grafen mit dem dämonischen
Übergewicht, das ihre Willensstärke und ihre geheime Gleichartigkeit gegen
das Leben über ihn gewonnen haben, mit ihr einen festlichen Einzug als
Gräfin Baranowska in dem Heimatstädtchen zu veranstalten und sich mit ihrem
Bruder Rafael Trachtenberg vor aller Augen zu versöhnen, sie beugt den
Nacken des Mannes, dessen Ehre nun die ihrige ist, bis zum tiefstem Der
Unglückliche vermag nichts mehr zu verweigern. Er kann nur bitter lächeln, wenn
sie ihm verheißt, sie wolle ihm seine Nachgiebigkeit lohnen. Aber es ist ihr
bitterer Ernst damit. Am Abend des feierlichen Eiuzugstages, nach dein
unerfreulichen Hochzeitsmahl, nachdem sie mit ihrem Bruder eine Zusammen¬
kunft auf dem jüdischen Friedhof am Grabe des Vaters gehabt hat, ertränkt
sie sich in dem Teiche des Schloßparkes, ihre letzten Zeilen bitten den Ge¬
mahl, sich nicht mit dein Vorwürfe zu quälen, daß er an ihrem Tode schuldig sei.
"Sie sterbe, um ihn nicht elend zu machen und selbst noch elender zu werden,
sterbe, weil sie nach dem, was über sie gekommen sei, nicht Mut noch Kraft
zum Leben habe, aber es sei keines einzelnen Menschen Schuld, auch nicht
die seine!"

Wir erfahren nicht, wie Graf Agenor Baranowski diesen Tod seiner Ge¬
mahlin getragen hat, aber wir ahne", daß er zwischen Rene, Trauer und einem
Gefühl der Erlösung schwanken, und daß dies letztere Gefühl, mag er wollen
oder nicht, allmählich die Oberhand erhalten muß. Das Mitleid, das der
Leser ursprünglich mit der armen Judith empfunden hat, wandelt sich gegen
den Schluß der Erzählung hin in ein Grauen vor ihrem alttestamentarischen
"Auge um Auge, Zahn um Zahn," in eine unerquickliche Untersuchung, wie weit
ihr Recht gegen den Grafen reicht und wo es zum offenbaren Unrecht wird.
Man erwehrt sich nicht des Gedankens, daß aus dieser Verstrickung von Schuld
und Schuld, vou Elend und Unheil am letzten Ende nnr einer, der zorn¬
mütige Rache heischende, von der Rache lebende Bruder Rafael, volle Befrie¬
digung davonträgt.

Wir zweifeln, daß die Absicht des Verfassers auf diesen Eindruck ge¬
gangen sei. Aber ausbleiben wird er bei keinem Leser, er müßte denn zufällig
des Glaubens leben, daß jedes Unrecht der Welt Sühne verlange, jedes Un¬
recht aber, das am Stamm Israel begangen wird, tausendfache Sühne.




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Metternich durch. Darauf zwingt sie den Grafen mit dem dämonischen
Übergewicht, das ihre Willensstärke und ihre geheime Gleichartigkeit gegen
das Leben über ihn gewonnen haben, mit ihr einen festlichen Einzug als
Gräfin Baranowska in dem Heimatstädtchen zu veranstalten und sich mit ihrem
Bruder Rafael Trachtenberg vor aller Augen zu versöhnen, sie beugt den
Nacken des Mannes, dessen Ehre nun die ihrige ist, bis zum tiefstem Der
Unglückliche vermag nichts mehr zu verweigern. Er kann nur bitter lächeln, wenn
sie ihm verheißt, sie wolle ihm seine Nachgiebigkeit lohnen. Aber es ist ihr
bitterer Ernst damit. Am Abend des feierlichen Eiuzugstages, nach dein
unerfreulichen Hochzeitsmahl, nachdem sie mit ihrem Bruder eine Zusammen¬
kunft auf dem jüdischen Friedhof am Grabe des Vaters gehabt hat, ertränkt
sie sich in dem Teiche des Schloßparkes, ihre letzten Zeilen bitten den Ge¬
mahl, sich nicht mit dein Vorwürfe zu quälen, daß er an ihrem Tode schuldig sei.
„Sie sterbe, um ihn nicht elend zu machen und selbst noch elender zu werden,
sterbe, weil sie nach dem, was über sie gekommen sei, nicht Mut noch Kraft
zum Leben habe, aber es sei keines einzelnen Menschen Schuld, auch nicht
die seine!"

Wir erfahren nicht, wie Graf Agenor Baranowski diesen Tod seiner Ge¬
mahlin getragen hat, aber wir ahne», daß er zwischen Rene, Trauer und einem
Gefühl der Erlösung schwanken, und daß dies letztere Gefühl, mag er wollen
oder nicht, allmählich die Oberhand erhalten muß. Das Mitleid, das der
Leser ursprünglich mit der armen Judith empfunden hat, wandelt sich gegen
den Schluß der Erzählung hin in ein Grauen vor ihrem alttestamentarischen
„Auge um Auge, Zahn um Zahn," in eine unerquickliche Untersuchung, wie weit
ihr Recht gegen den Grafen reicht und wo es zum offenbaren Unrecht wird.
Man erwehrt sich nicht des Gedankens, daß aus dieser Verstrickung von Schuld
und Schuld, vou Elend und Unheil am letzten Ende nnr einer, der zorn¬
mütige Rache heischende, von der Rache lebende Bruder Rafael, volle Befrie¬
digung davonträgt.

Wir zweifeln, daß die Absicht des Verfassers auf diesen Eindruck ge¬
gangen sei. Aber ausbleiben wird er bei keinem Leser, er müßte denn zufällig
des Glaubens leben, daß jedes Unrecht der Welt Sühne verlange, jedes Un¬
recht aber, das am Stamm Israel begangen wird, tausendfache Sühne.




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[0329] Iudiih Tnichteul'org Metternich durch. Darauf zwingt sie den Grafen mit dem dämonischen Übergewicht, das ihre Willensstärke und ihre geheime Gleichartigkeit gegen das Leben über ihn gewonnen haben, mit ihr einen festlichen Einzug als Gräfin Baranowska in dem Heimatstädtchen zu veranstalten und sich mit ihrem Bruder Rafael Trachtenberg vor aller Augen zu versöhnen, sie beugt den Nacken des Mannes, dessen Ehre nun die ihrige ist, bis zum tiefstem Der Unglückliche vermag nichts mehr zu verweigern. Er kann nur bitter lächeln, wenn sie ihm verheißt, sie wolle ihm seine Nachgiebigkeit lohnen. Aber es ist ihr bitterer Ernst damit. Am Abend des feierlichen Eiuzugstages, nach dein unerfreulichen Hochzeitsmahl, nachdem sie mit ihrem Bruder eine Zusammen¬ kunft auf dem jüdischen Friedhof am Grabe des Vaters gehabt hat, ertränkt sie sich in dem Teiche des Schloßparkes, ihre letzten Zeilen bitten den Ge¬ mahl, sich nicht mit dein Vorwürfe zu quälen, daß er an ihrem Tode schuldig sei. „Sie sterbe, um ihn nicht elend zu machen und selbst noch elender zu werden, sterbe, weil sie nach dem, was über sie gekommen sei, nicht Mut noch Kraft zum Leben habe, aber es sei keines einzelnen Menschen Schuld, auch nicht die seine!" Wir erfahren nicht, wie Graf Agenor Baranowski diesen Tod seiner Ge¬ mahlin getragen hat, aber wir ahne», daß er zwischen Rene, Trauer und einem Gefühl der Erlösung schwanken, und daß dies letztere Gefühl, mag er wollen oder nicht, allmählich die Oberhand erhalten muß. Das Mitleid, das der Leser ursprünglich mit der armen Judith empfunden hat, wandelt sich gegen den Schluß der Erzählung hin in ein Grauen vor ihrem alttestamentarischen „Auge um Auge, Zahn um Zahn," in eine unerquickliche Untersuchung, wie weit ihr Recht gegen den Grafen reicht und wo es zum offenbaren Unrecht wird. Man erwehrt sich nicht des Gedankens, daß aus dieser Verstrickung von Schuld und Schuld, vou Elend und Unheil am letzten Ende nnr einer, der zorn¬ mütige Rache heischende, von der Rache lebende Bruder Rafael, volle Befrie¬ digung davonträgt. Wir zweifeln, daß die Absicht des Verfassers auf diesen Eindruck ge¬ gangen sei. Aber ausbleiben wird er bei keinem Leser, er müßte denn zufällig des Glaubens leben, daß jedes Unrecht der Welt Sühne verlange, jedes Un¬ recht aber, das am Stamm Israel begangen wird, tausendfache Sühne. Gu>u,chvlm 1 18»!ii

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/329>, abgerufen am 23.07.2024.