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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Schicksal, welchem(!) ich sie entgegenführe, wenn ich schwach bleibe." Dieses
Schicksal war ihm stets düster genug erschienen. "Das ist kein Mädchen, sagte
er sich, welches (!) sich in das Los einer Maitresse fügen könnte oder schlan
und niedrig genug dächte, sich dnrch Betrug an einem andern Manne All
retten." In dieser qualvollen Nacht aber überkam es ihn vollends: "Sie
überlebt es nicht! Du wirst ihr Mörder!" Es trieb ihn ans; mit fiebernden
Pulsen ging er in seiner Schlafstube auf und nieder, bis ihn die Ermattung
wieder in den Lehnstuhl sinken ließ. Aber die Stimme seines Gewissens sprach
fort dnrch die nächtliche Stille: "Ihr Mörder, wenn deine Schwache fort¬
währt.""

Bei dieser Sachlage und da Judith dem Grafen bei einer Zusammenkunft
im Schloßgnrten erklärt, dies sei das letztemal "vor seiner Werbung/' könnten
die Dinge ihren natürlichen Verlauf haben, wenn die Erbitterung über die
Heimlichkeit und den Anteil Wrvblewskis an der Bethörung Judiths den sonst
so klugen Ncithaniel Trachtenberg nicht über alle Grenzen hinausrisse. Wie
Judith den zürnenden Vater ansieht, ihren Geliebten anzuhören, wenn er um
sie werben komme, sagt der jüdische Kaufmann selbst ganz richtig: "Das
könnt' ich ruhig versprechen, denn er wird nicht kommen," fügt aber in wilder
Leidenschaft hinzu, auch wenn Baranowst'i komme, werde er nein sagen, nein
und nein, so lange ein Atem in ihm sei. "Deal Feuer und Wasser mischt
sich nicht friedlich, und ein Weib, welches (!) seinem Manne zum Fluch wird,
ist das unseligste Geschöpf der Welt. Wäre der Graf Agenor Varanowski
wirklich wahnsinnig genug, meine Tochter zu heiraten, er wäre moralisch tot.
Drei Monate Rausch, und dann ein Leben voll Jammer -- du verdienst ein
besseres Geschick!" Da Judith ihren Bater nicht versteht, nicht verstehen kann,
hat Trachtenberg mit der harten Aussprache seines unabänderlichen Willens
die Brücke zu dem weitern Unheil selbst geschlagen, der Graf entführt Judith auf
eines seiner Schlösser, und sie läßt sich entführen, weil sie ihm blindlings
vertraut nud in ihren: Vater allein das Hindernis einer gesetzmäßigen Ver¬
bindung mit dem Geliebten sieht. Es kommt alsbald, was nicht ausbleiben
kann, der Graf macht Judith zu seiner Buhle, und wie sie sich zu wundern
beginnt, daß sich Taufe nud Trnnnng fo lange verzögern, sucht er Ausflüchte.
Blitzartig kommt die Erkenntnis der Wahrheit über sie, sie macht einen Selbst¬
mordversuch an demselben Morgen, wo in: Städtchen ihr Vater begraben wird,
den bei der Kunde von der Flucht der Tochter ein Schlaganfall getroffen hat.
Sie weiß noch nichts von diesen Folgen ihrer unseligen Leidenschaft, für sie
hat der Zweifel an dem Geliebten genügt, den Tod zu suchen. Graf Vara¬
nowski steht in halt- und trostloser Verzweiflung der Lage, die seine Leidenschaft
geschaffen hat, gegenüber, er weiß genau, daß Judith uicht leben will und
wird, wenn er ihr sagt, daß er sie nicht zu seiner Gemahlin nehmen will und
kann, und daß die bloße Kunde von dem Tode des alten Trachtenberg hin-


Schicksal, welchem(!) ich sie entgegenführe, wenn ich schwach bleibe.« Dieses
Schicksal war ihm stets düster genug erschienen. »Das ist kein Mädchen, sagte
er sich, welches (!) sich in das Los einer Maitresse fügen könnte oder schlan
und niedrig genug dächte, sich dnrch Betrug an einem andern Manne All
retten.« In dieser qualvollen Nacht aber überkam es ihn vollends: »Sie
überlebt es nicht! Du wirst ihr Mörder!« Es trieb ihn ans; mit fiebernden
Pulsen ging er in seiner Schlafstube auf und nieder, bis ihn die Ermattung
wieder in den Lehnstuhl sinken ließ. Aber die Stimme seines Gewissens sprach
fort dnrch die nächtliche Stille: »Ihr Mörder, wenn deine Schwache fort¬
währt.«"

Bei dieser Sachlage und da Judith dem Grafen bei einer Zusammenkunft
im Schloßgnrten erklärt, dies sei das letztemal „vor seiner Werbung/' könnten
die Dinge ihren natürlichen Verlauf haben, wenn die Erbitterung über die
Heimlichkeit und den Anteil Wrvblewskis an der Bethörung Judiths den sonst
so klugen Ncithaniel Trachtenberg nicht über alle Grenzen hinausrisse. Wie
Judith den zürnenden Vater ansieht, ihren Geliebten anzuhören, wenn er um
sie werben komme, sagt der jüdische Kaufmann selbst ganz richtig: „Das
könnt' ich ruhig versprechen, denn er wird nicht kommen," fügt aber in wilder
Leidenschaft hinzu, auch wenn Baranowst'i komme, werde er nein sagen, nein
und nein, so lange ein Atem in ihm sei. „Deal Feuer und Wasser mischt
sich nicht friedlich, und ein Weib, welches (!) seinem Manne zum Fluch wird,
ist das unseligste Geschöpf der Welt. Wäre der Graf Agenor Varanowski
wirklich wahnsinnig genug, meine Tochter zu heiraten, er wäre moralisch tot.
Drei Monate Rausch, und dann ein Leben voll Jammer — du verdienst ein
besseres Geschick!" Da Judith ihren Bater nicht versteht, nicht verstehen kann,
hat Trachtenberg mit der harten Aussprache seines unabänderlichen Willens
die Brücke zu dem weitern Unheil selbst geschlagen, der Graf entführt Judith auf
eines seiner Schlösser, und sie läßt sich entführen, weil sie ihm blindlings
vertraut nud in ihren: Vater allein das Hindernis einer gesetzmäßigen Ver¬
bindung mit dem Geliebten sieht. Es kommt alsbald, was nicht ausbleiben
kann, der Graf macht Judith zu seiner Buhle, und wie sie sich zu wundern
beginnt, daß sich Taufe nud Trnnnng fo lange verzögern, sucht er Ausflüchte.
Blitzartig kommt die Erkenntnis der Wahrheit über sie, sie macht einen Selbst¬
mordversuch an demselben Morgen, wo in: Städtchen ihr Vater begraben wird,
den bei der Kunde von der Flucht der Tochter ein Schlaganfall getroffen hat.
Sie weiß noch nichts von diesen Folgen ihrer unseligen Leidenschaft, für sie
hat der Zweifel an dem Geliebten genügt, den Tod zu suchen. Graf Vara¬
nowski steht in halt- und trostloser Verzweiflung der Lage, die seine Leidenschaft
geschaffen hat, gegenüber, er weiß genau, daß Judith uicht leben will und
wird, wenn er ihr sagt, daß er sie nicht zu seiner Gemahlin nehmen will und
kann, und daß die bloße Kunde von dem Tode des alten Trachtenberg hin-


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[0326] Schicksal, welchem(!) ich sie entgegenführe, wenn ich schwach bleibe.« Dieses Schicksal war ihm stets düster genug erschienen. »Das ist kein Mädchen, sagte er sich, welches (!) sich in das Los einer Maitresse fügen könnte oder schlan und niedrig genug dächte, sich dnrch Betrug an einem andern Manne All retten.« In dieser qualvollen Nacht aber überkam es ihn vollends: »Sie überlebt es nicht! Du wirst ihr Mörder!« Es trieb ihn ans; mit fiebernden Pulsen ging er in seiner Schlafstube auf und nieder, bis ihn die Ermattung wieder in den Lehnstuhl sinken ließ. Aber die Stimme seines Gewissens sprach fort dnrch die nächtliche Stille: »Ihr Mörder, wenn deine Schwache fort¬ währt.«" Bei dieser Sachlage und da Judith dem Grafen bei einer Zusammenkunft im Schloßgnrten erklärt, dies sei das letztemal „vor seiner Werbung/' könnten die Dinge ihren natürlichen Verlauf haben, wenn die Erbitterung über die Heimlichkeit und den Anteil Wrvblewskis an der Bethörung Judiths den sonst so klugen Ncithaniel Trachtenberg nicht über alle Grenzen hinausrisse. Wie Judith den zürnenden Vater ansieht, ihren Geliebten anzuhören, wenn er um sie werben komme, sagt der jüdische Kaufmann selbst ganz richtig: „Das könnt' ich ruhig versprechen, denn er wird nicht kommen," fügt aber in wilder Leidenschaft hinzu, auch wenn Baranowst'i komme, werde er nein sagen, nein und nein, so lange ein Atem in ihm sei. „Deal Feuer und Wasser mischt sich nicht friedlich, und ein Weib, welches (!) seinem Manne zum Fluch wird, ist das unseligste Geschöpf der Welt. Wäre der Graf Agenor Varanowski wirklich wahnsinnig genug, meine Tochter zu heiraten, er wäre moralisch tot. Drei Monate Rausch, und dann ein Leben voll Jammer — du verdienst ein besseres Geschick!" Da Judith ihren Bater nicht versteht, nicht verstehen kann, hat Trachtenberg mit der harten Aussprache seines unabänderlichen Willens die Brücke zu dem weitern Unheil selbst geschlagen, der Graf entführt Judith auf eines seiner Schlösser, und sie läßt sich entführen, weil sie ihm blindlings vertraut nud in ihren: Vater allein das Hindernis einer gesetzmäßigen Ver¬ bindung mit dem Geliebten sieht. Es kommt alsbald, was nicht ausbleiben kann, der Graf macht Judith zu seiner Buhle, und wie sie sich zu wundern beginnt, daß sich Taufe nud Trnnnng fo lange verzögern, sucht er Ausflüchte. Blitzartig kommt die Erkenntnis der Wahrheit über sie, sie macht einen Selbst¬ mordversuch an demselben Morgen, wo in: Städtchen ihr Vater begraben wird, den bei der Kunde von der Flucht der Tochter ein Schlaganfall getroffen hat. Sie weiß noch nichts von diesen Folgen ihrer unseligen Leidenschaft, für sie hat der Zweifel an dem Geliebten genügt, den Tod zu suchen. Graf Vara¬ nowski steht in halt- und trostloser Verzweiflung der Lage, die seine Leidenschaft geschaffen hat, gegenüber, er weiß genau, daß Judith uicht leben will und wird, wenn er ihr sagt, daß er sie nicht zu seiner Gemahlin nehmen will und kann, und daß die bloße Kunde von dem Tode des alten Trachtenberg hin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/326>, abgerufen am 23.07.2024.