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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Berlin und sein Hof im Jahre l,bH6

findet man jegliches Wild; die Spree durchfließt ihn und macht ihn zu einem
wahrhaft königlichen Besitztum,

In Berlin sind viele Kirchen, so die Peters-, die Markus-, die Nikvlai-
und die Heiligegeistkirchc; diese alle sind lutherisch. Eine einzige reformirte giebt
es in der Nähe des Schlusses, in der die Reformirten und die Hugenotten
Gottesdienst halten, und auf deren Turm eine große Glocke zu sehen ist, die
beim Tode des Kurfürsten geläutet wird.

Die beiden genannten Bekenntnisse herrschen vor, doch giebt es auch noch
andre, nur die Arianer werden nicht geduldet. Die Katholiken haben keinen
öffentlichen Gottesdienst, obwohl ihrer ungefähr tausend sein mögen. Wenn
der kaiserliche Gesandte, augenblicklich Graf Karl von Walstein, hier ist, werden
alle gottesdienstlichen Verrichtungen in seiner Kapelle vorgenommen; ich hörte
dort die Messe und wohnte der Predigt und dem Segen bei. Der Gesandte
hat gewöhnlich einen Knplan. Es hält sich jedoch in Berlin ein Dominikaner¬
pater auf, der aus Albertstadt in Sachsen stammt, wo die Brüder von diesem
Orden ein Kloster mit zwanzig Mönchen haben nud freie Religionsübung ge¬
nießen. Dieser Pater bewegt sich in Berlin als Nichtgeistlicher und lebt voll¬
kommen ungekannt, um insgeheim bei den hier befindlichen Katholiken Priester¬
dienste zu verrichten, wenn der Gesandte nicht anwesend ist; denn der Kurfürst
kann die Katholiken nicht leiden und duldet sie kaum an seinem Hofe. Der
Kurfürst erklärt, er werde, falls der Kaiser seinem Gesandten in Wien die
Abhaltung des Gottesdienstes in dessen Wohnung gestatte, ihn auch den hiesigen
Katholiken freigeben. Juden giebt es wenige, im ganzen gegen sechzig. Der
Kurfürst gehört zur kalvinischeu, die Kurfürstin jedoch zur lutherischen Sekte.

Die Ketzer, besonders die Lutheraner, geben ihren Predigern Almosen, da
diese keine andern Einkünfte haben; die kalvinischen Geistlichen dagegen werden
vom Kurfürsten mit 800 Gulden jährlich besoldet. Seit kurzem habe" Kalvinisteu
und Lutheraner den Brauch eingeführt, ihre Kinder nur zu taufen, und erst
wenn diese im Alter von zwölf bis sechzehn Jahren stehen und zum Abend¬
mahl gehen müssen, wird von ihnen die Erklärung verlangt, zu welchem Glauben
sie sich bekennen wollen; haben sie sich entschiede", so können sie nicht mehr
übertreten, da unter ihnen der Satz gilt: Wer in einem Glauben nichts taugt,
taugt auch in einem andern nichts. So spotten sie noch über die armen zum
katholischen Bekenntnis übergetretenen!

Berlin ist durch sich selbst und durch seine Lage eine feste Stadt; und
obgleich einfache Befestigungen nicht fehlen, hat es doch die namhaften und
wohlverschanzten Festungen Spandau und Clistrin^) in der Entfernung von
zwei und zehn Meilen zu Nachbarn. Trotzdem sieht man in Berlin ein großes
Zeughaus, das eine Menge Kanonen enthält, die größtenteils den Polen,



Küstriii,
Berlin und sein Hof im Jahre l,bH6

findet man jegliches Wild; die Spree durchfließt ihn und macht ihn zu einem
wahrhaft königlichen Besitztum,

In Berlin sind viele Kirchen, so die Peters-, die Markus-, die Nikvlai-
und die Heiligegeistkirchc; diese alle sind lutherisch. Eine einzige reformirte giebt
es in der Nähe des Schlusses, in der die Reformirten und die Hugenotten
Gottesdienst halten, und auf deren Turm eine große Glocke zu sehen ist, die
beim Tode des Kurfürsten geläutet wird.

Die beiden genannten Bekenntnisse herrschen vor, doch giebt es auch noch
andre, nur die Arianer werden nicht geduldet. Die Katholiken haben keinen
öffentlichen Gottesdienst, obwohl ihrer ungefähr tausend sein mögen. Wenn
der kaiserliche Gesandte, augenblicklich Graf Karl von Walstein, hier ist, werden
alle gottesdienstlichen Verrichtungen in seiner Kapelle vorgenommen; ich hörte
dort die Messe und wohnte der Predigt und dem Segen bei. Der Gesandte
hat gewöhnlich einen Knplan. Es hält sich jedoch in Berlin ein Dominikaner¬
pater auf, der aus Albertstadt in Sachsen stammt, wo die Brüder von diesem
Orden ein Kloster mit zwanzig Mönchen haben nud freie Religionsübung ge¬
nießen. Dieser Pater bewegt sich in Berlin als Nichtgeistlicher und lebt voll¬
kommen ungekannt, um insgeheim bei den hier befindlichen Katholiken Priester¬
dienste zu verrichten, wenn der Gesandte nicht anwesend ist; denn der Kurfürst
kann die Katholiken nicht leiden und duldet sie kaum an seinem Hofe. Der
Kurfürst erklärt, er werde, falls der Kaiser seinem Gesandten in Wien die
Abhaltung des Gottesdienstes in dessen Wohnung gestatte, ihn auch den hiesigen
Katholiken freigeben. Juden giebt es wenige, im ganzen gegen sechzig. Der
Kurfürst gehört zur kalvinischeu, die Kurfürstin jedoch zur lutherischen Sekte.

Die Ketzer, besonders die Lutheraner, geben ihren Predigern Almosen, da
diese keine andern Einkünfte haben; die kalvinischen Geistlichen dagegen werden
vom Kurfürsten mit 800 Gulden jährlich besoldet. Seit kurzem habe» Kalvinisteu
und Lutheraner den Brauch eingeführt, ihre Kinder nur zu taufen, und erst
wenn diese im Alter von zwölf bis sechzehn Jahren stehen und zum Abend¬
mahl gehen müssen, wird von ihnen die Erklärung verlangt, zu welchem Glauben
sie sich bekennen wollen; haben sie sich entschiede», so können sie nicht mehr
übertreten, da unter ihnen der Satz gilt: Wer in einem Glauben nichts taugt,
taugt auch in einem andern nichts. So spotten sie noch über die armen zum
katholischen Bekenntnis übergetretenen!

Berlin ist durch sich selbst und durch seine Lage eine feste Stadt; und
obgleich einfache Befestigungen nicht fehlen, hat es doch die namhaften und
wohlverschanzten Festungen Spandau und Clistrin^) in der Entfernung von
zwei und zehn Meilen zu Nachbarn. Trotzdem sieht man in Berlin ein großes
Zeughaus, das eine Menge Kanonen enthält, die größtenteils den Polen,



Küstriii,
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[0032] Berlin und sein Hof im Jahre l,bH6 findet man jegliches Wild; die Spree durchfließt ihn und macht ihn zu einem wahrhaft königlichen Besitztum, In Berlin sind viele Kirchen, so die Peters-, die Markus-, die Nikvlai- und die Heiligegeistkirchc; diese alle sind lutherisch. Eine einzige reformirte giebt es in der Nähe des Schlusses, in der die Reformirten und die Hugenotten Gottesdienst halten, und auf deren Turm eine große Glocke zu sehen ist, die beim Tode des Kurfürsten geläutet wird. Die beiden genannten Bekenntnisse herrschen vor, doch giebt es auch noch andre, nur die Arianer werden nicht geduldet. Die Katholiken haben keinen öffentlichen Gottesdienst, obwohl ihrer ungefähr tausend sein mögen. Wenn der kaiserliche Gesandte, augenblicklich Graf Karl von Walstein, hier ist, werden alle gottesdienstlichen Verrichtungen in seiner Kapelle vorgenommen; ich hörte dort die Messe und wohnte der Predigt und dem Segen bei. Der Gesandte hat gewöhnlich einen Knplan. Es hält sich jedoch in Berlin ein Dominikaner¬ pater auf, der aus Albertstadt in Sachsen stammt, wo die Brüder von diesem Orden ein Kloster mit zwanzig Mönchen haben nud freie Religionsübung ge¬ nießen. Dieser Pater bewegt sich in Berlin als Nichtgeistlicher und lebt voll¬ kommen ungekannt, um insgeheim bei den hier befindlichen Katholiken Priester¬ dienste zu verrichten, wenn der Gesandte nicht anwesend ist; denn der Kurfürst kann die Katholiken nicht leiden und duldet sie kaum an seinem Hofe. Der Kurfürst erklärt, er werde, falls der Kaiser seinem Gesandten in Wien die Abhaltung des Gottesdienstes in dessen Wohnung gestatte, ihn auch den hiesigen Katholiken freigeben. Juden giebt es wenige, im ganzen gegen sechzig. Der Kurfürst gehört zur kalvinischeu, die Kurfürstin jedoch zur lutherischen Sekte. Die Ketzer, besonders die Lutheraner, geben ihren Predigern Almosen, da diese keine andern Einkünfte haben; die kalvinischen Geistlichen dagegen werden vom Kurfürsten mit 800 Gulden jährlich besoldet. Seit kurzem habe» Kalvinisteu und Lutheraner den Brauch eingeführt, ihre Kinder nur zu taufen, und erst wenn diese im Alter von zwölf bis sechzehn Jahren stehen und zum Abend¬ mahl gehen müssen, wird von ihnen die Erklärung verlangt, zu welchem Glauben sie sich bekennen wollen; haben sie sich entschiede», so können sie nicht mehr übertreten, da unter ihnen der Satz gilt: Wer in einem Glauben nichts taugt, taugt auch in einem andern nichts. So spotten sie noch über die armen zum katholischen Bekenntnis übergetretenen! Berlin ist durch sich selbst und durch seine Lage eine feste Stadt; und obgleich einfache Befestigungen nicht fehlen, hat es doch die namhaften und wohlverschanzten Festungen Spandau und Clistrin^) in der Entfernung von zwei und zehn Meilen zu Nachbarn. Trotzdem sieht man in Berlin ein großes Zeughaus, das eine Menge Kanonen enthält, die größtenteils den Polen, Küstriii,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/32>, abgerufen am 22.07.2024.