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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

Hauptaufgabe, Krankheiten nicht bloß zu heilen, sondern vor allein zu ver¬
hüten. Es hat sich daraus ein besondrer Zweig der Medizin, die Hygiene,
entwickelt. Darnach sollte man glauben, auch die Jurisprudenz müßte es
als eine Hauptaufgabe betrachten, Prozesse, die ja eine große Ähnlichkeit mit
Krankheiten haben, zu verhüten. Dieser Gedanke scheint aber den Verfassern
des Entwurfes ziemlich fremd geblieben zu sein. Vielfach sind die Nechts-
eiurichtuugen so getroffen, als ob es ganz gleichgültig sei, ob mehr oder weniger
Prozesse daraus entstehen.

Wir kommen endlich noch zu einem der schmerzlichsten Punkte, die nur
zu berühre" haben. Das ist die Sprache des Entwurfes. Der Entwurf redet
nicht die Sprache unsers Volkes, sondern nnr das Idiom der Juristen, das
sich in ihm durch Überladung mitunter zu einem wahrhaft peinlichen Deutsch
steigert. Man hat in neuerer Zeit viel von einem "papiernen Stil" geredet.
Dieser papierne Stil herrscht in dein EntWurfe durchweg. Was das Studium
desselben dann noch ganz besonders erschwert, daß sind die in übermäßiger
Zahl vorhandenen Verweisungen von einem Paragraphen auf den andern, vor
und rückwärts. Dies alles hat zur Folge, daß das Gesetzbuch für unser Volk
fast ganz unverständlich bleiben wird. Aber auch für deu Juristen sind viele
Bestimmungen geradezu rätselhaft. Das einzige, was sich als sicheres Er¬
gebnis voraussagen läßt, ist das: es wird unendlicher Streit daraus ent¬
stehen.

Als Beispiel für die Sprachweise des Entwurfes möge hier der bei dem
obigen Rechtsfall angeführte H 722 Platz finden. Obgleich es sprachlich noch
viel schlimmere giebt, wähle ich ihn, weil seine Bedeutung durch deu gedachten
Rechtsfall dem Leser klar sein wird. Er lautet:

Ist durch den Tod ein an die Person des Gerösteten geknüpftes Vermögens¬
recht erloschen oder der Erwerb eines Vermögensrechtes verhindert, welches der
Getödtete erworben haben würde, wenn seine mutmaßliche Lebensdauer nicht verkürzt
worden wäre, so ist er in seinem Vermögen insoweit als beschädigt anzusehen, als
sein Nachlaß durch den vorzeitigen Tod eine Verminderung erfahren hat. Der
Schuldige ist zum Ersähe dieses Schadens nach Maßgabe des 8 70-4. Abs. 2
verpflichtet.

Wenn wir nun nach dieser Erörterung den Entwurf in seiner Gesamtheit
betrachten, so wird es wohl kaum überraschen, wenn ich ausspreche: Die
Fehler des Entwurfes liegen nicht in Einzelheiten und Äußerlichkeiten, sondern
in dem ganzem Geiste, aus dem er hervorgegangen ist. Soll aus ihm etwas
Brauchbares werden, so genügt uicht eine "Revision" oder "Überarbeitung,"
die hie und da eine Bestimmung verbessert, deu Entwurf im ganzen aber auf¬
recht hält, sondern es bedarf einer Umarbeitung des Entwurfes, die seinen
ganzen Charakter ändert. Das Material des Entwurfes und das, was er
Gutes enthält, kann ja dabei in angemessener Weise verwertet werden.


Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

Hauptaufgabe, Krankheiten nicht bloß zu heilen, sondern vor allein zu ver¬
hüten. Es hat sich daraus ein besondrer Zweig der Medizin, die Hygiene,
entwickelt. Darnach sollte man glauben, auch die Jurisprudenz müßte es
als eine Hauptaufgabe betrachten, Prozesse, die ja eine große Ähnlichkeit mit
Krankheiten haben, zu verhüten. Dieser Gedanke scheint aber den Verfassern
des Entwurfes ziemlich fremd geblieben zu sein. Vielfach sind die Nechts-
eiurichtuugen so getroffen, als ob es ganz gleichgültig sei, ob mehr oder weniger
Prozesse daraus entstehen.

Wir kommen endlich noch zu einem der schmerzlichsten Punkte, die nur
zu berühre» haben. Das ist die Sprache des Entwurfes. Der Entwurf redet
nicht die Sprache unsers Volkes, sondern nnr das Idiom der Juristen, das
sich in ihm durch Überladung mitunter zu einem wahrhaft peinlichen Deutsch
steigert. Man hat in neuerer Zeit viel von einem „papiernen Stil" geredet.
Dieser papierne Stil herrscht in dein EntWurfe durchweg. Was das Studium
desselben dann noch ganz besonders erschwert, daß sind die in übermäßiger
Zahl vorhandenen Verweisungen von einem Paragraphen auf den andern, vor
und rückwärts. Dies alles hat zur Folge, daß das Gesetzbuch für unser Volk
fast ganz unverständlich bleiben wird. Aber auch für deu Juristen sind viele
Bestimmungen geradezu rätselhaft. Das einzige, was sich als sicheres Er¬
gebnis voraussagen läßt, ist das: es wird unendlicher Streit daraus ent¬
stehen.

Als Beispiel für die Sprachweise des Entwurfes möge hier der bei dem
obigen Rechtsfall angeführte H 722 Platz finden. Obgleich es sprachlich noch
viel schlimmere giebt, wähle ich ihn, weil seine Bedeutung durch deu gedachten
Rechtsfall dem Leser klar sein wird. Er lautet:

Ist durch den Tod ein an die Person des Gerösteten geknüpftes Vermögens¬
recht erloschen oder der Erwerb eines Vermögensrechtes verhindert, welches der
Getödtete erworben haben würde, wenn seine mutmaßliche Lebensdauer nicht verkürzt
worden wäre, so ist er in seinem Vermögen insoweit als beschädigt anzusehen, als
sein Nachlaß durch den vorzeitigen Tod eine Verminderung erfahren hat. Der
Schuldige ist zum Ersähe dieses Schadens nach Maßgabe des 8 70-4. Abs. 2
verpflichtet.

Wenn wir nun nach dieser Erörterung den Entwurf in seiner Gesamtheit
betrachten, so wird es wohl kaum überraschen, wenn ich ausspreche: Die
Fehler des Entwurfes liegen nicht in Einzelheiten und Äußerlichkeiten, sondern
in dem ganzem Geiste, aus dem er hervorgegangen ist. Soll aus ihm etwas
Brauchbares werden, so genügt uicht eine „Revision" oder „Überarbeitung,"
die hie und da eine Bestimmung verbessert, deu Entwurf im ganzen aber auf¬
recht hält, sondern es bedarf einer Umarbeitung des Entwurfes, die seinen
ganzen Charakter ändert. Das Material des Entwurfes und das, was er
Gutes enthält, kann ja dabei in angemessener Weise verwertet werden.


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[0312] Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches Hauptaufgabe, Krankheiten nicht bloß zu heilen, sondern vor allein zu ver¬ hüten. Es hat sich daraus ein besondrer Zweig der Medizin, die Hygiene, entwickelt. Darnach sollte man glauben, auch die Jurisprudenz müßte es als eine Hauptaufgabe betrachten, Prozesse, die ja eine große Ähnlichkeit mit Krankheiten haben, zu verhüten. Dieser Gedanke scheint aber den Verfassern des Entwurfes ziemlich fremd geblieben zu sein. Vielfach sind die Nechts- eiurichtuugen so getroffen, als ob es ganz gleichgültig sei, ob mehr oder weniger Prozesse daraus entstehen. Wir kommen endlich noch zu einem der schmerzlichsten Punkte, die nur zu berühre» haben. Das ist die Sprache des Entwurfes. Der Entwurf redet nicht die Sprache unsers Volkes, sondern nnr das Idiom der Juristen, das sich in ihm durch Überladung mitunter zu einem wahrhaft peinlichen Deutsch steigert. Man hat in neuerer Zeit viel von einem „papiernen Stil" geredet. Dieser papierne Stil herrscht in dein EntWurfe durchweg. Was das Studium desselben dann noch ganz besonders erschwert, daß sind die in übermäßiger Zahl vorhandenen Verweisungen von einem Paragraphen auf den andern, vor und rückwärts. Dies alles hat zur Folge, daß das Gesetzbuch für unser Volk fast ganz unverständlich bleiben wird. Aber auch für deu Juristen sind viele Bestimmungen geradezu rätselhaft. Das einzige, was sich als sicheres Er¬ gebnis voraussagen läßt, ist das: es wird unendlicher Streit daraus ent¬ stehen. Als Beispiel für die Sprachweise des Entwurfes möge hier der bei dem obigen Rechtsfall angeführte H 722 Platz finden. Obgleich es sprachlich noch viel schlimmere giebt, wähle ich ihn, weil seine Bedeutung durch deu gedachten Rechtsfall dem Leser klar sein wird. Er lautet: Ist durch den Tod ein an die Person des Gerösteten geknüpftes Vermögens¬ recht erloschen oder der Erwerb eines Vermögensrechtes verhindert, welches der Getödtete erworben haben würde, wenn seine mutmaßliche Lebensdauer nicht verkürzt worden wäre, so ist er in seinem Vermögen insoweit als beschädigt anzusehen, als sein Nachlaß durch den vorzeitigen Tod eine Verminderung erfahren hat. Der Schuldige ist zum Ersähe dieses Schadens nach Maßgabe des 8 70-4. Abs. 2 verpflichtet. Wenn wir nun nach dieser Erörterung den Entwurf in seiner Gesamtheit betrachten, so wird es wohl kaum überraschen, wenn ich ausspreche: Die Fehler des Entwurfes liegen nicht in Einzelheiten und Äußerlichkeiten, sondern in dem ganzem Geiste, aus dem er hervorgegangen ist. Soll aus ihm etwas Brauchbares werden, so genügt uicht eine „Revision" oder „Überarbeitung," die hie und da eine Bestimmung verbessert, deu Entwurf im ganzen aber auf¬ recht hält, sondern es bedarf einer Umarbeitung des Entwurfes, die seinen ganzen Charakter ändert. Das Material des Entwurfes und das, was er Gutes enthält, kann ja dabei in angemessener Weise verwertet werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/312>, abgerufen am 23.07.2024.