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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

wirklichung des Rechtsgedankens ist überall auf menschliche Mittel angewiesen,
und diese Mittel sind in vielen Beziehungen unvollkommen. Der Gerechtigkeit
in ihrem letzten Ziele wird weit besser gedient, wenn wir diese Unvollkommen-
heit der menschlichen Mittel berücksichtigen, als wenn wir sie außer Acht lassen
und darnach das Recht gestalten wollten. Hieraus ergiebt sich, daß das Recht
mehr oder minder ein künstlicher Aufbau ist, der zwar durch den Gedanke"
der Gerechtigkeit geleitet werden, daneben aber stets das praktisch Erreichbare
im Auge behalten und darnach die Rechtsvorschriften einrichten muß. In
dieser Beziehung das Nichtige zu treffen, ist uun Sache der juristischen Ge¬
staltungskraft. Diese Technik des Rechtes, wie man es nennen kann, ist
spezifisch Sache der Juristen. Während der Sinn für Gerechtigkeit vorzugs¬
weise auf unserm natürlichen Gefühl beruht, kommt hierbei kluge Berechnung
zur Anwendung. Auch in dieser Beziehung geben uns die römischen Juristen
ein hochschätzbares Vorbild. Sie haben namentlich eine Menge Anschauungen
und Begriffe ins Leben gerufen, die in hohem Maße die Technik des Rechtes
erleichtern, und deren Benutzung oder Weiterbildung uns erst den Aufbau
einer so verwickelten Schöpfung, wie unsers Rechtssystems, möglich macht.
Nur ein Jurist, der diese Technik des Rechtes ausreichend beherrscht, tan"
mit Erfolg an einem solchen Aufbau arbeiten.

Als letztes Erfordernis für die Aufstellung eines bürgerliche,! Gesetz¬
buches wurde die Herrschaft über die Sprache bezeichnet. Die Sprache bildet
das Mittel, durch das wir ander" unsre Gedanken mitteilen. Bei einem so
gewaltigen, schwer zu erfassender Gedankenbau, wie es das bürgerliche Recht
ist, ist deshalb vor allem eine klare, lebendige Sprache erforderlich. Bekanntlich
ist nun die Sprache der Juristen bisher kein Musterdentsch gewesen. Wer
hat nicht schon Richterurteile gelesen, bei denen ihm zu Mute wurde, wie dem
Schüler im Faust, als er alles reduziren lind klassifiziren lernen sollte? Ein
Hauptgrund für diese Juristensprache liegt darin, daß viele Juristen gar nicht
über ihre Subjektivität hinaus können. Sie haben ihr Recht zunächst aus
dem lateinischen (1orxu8 .juris und den diesem nachgebildeten Lehrbiichern ge¬
lernt. Mit den Begriffen, die sie dort in sich gesogen haben, operiren sie nun
in einer für unsre Volkssprache wenig verständlichen Weise. Dazu kommt, daß
die Rechtswissenschaft, als ein rein geistiger Ausbau, ein Ergehen in mehr oder
minder transzendentalen Ausdrucksweisen ermöglicht. So ist die spezifische
Juristensprache zu einem für unser Volk ziemlich unverständlichen Idiom geworden.
Und wenn ein jüngst veröffentlichtes Scherzgedicht") mit den Versen schloß:



") Es stand in den "Fliegenden Blattern" und begann mit den Worten:
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Das nagelneue Gesetz.
Es laßt sich famos damit streiten,
Denn keiner von allen verstehts.
Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches

wirklichung des Rechtsgedankens ist überall auf menschliche Mittel angewiesen,
und diese Mittel sind in vielen Beziehungen unvollkommen. Der Gerechtigkeit
in ihrem letzten Ziele wird weit besser gedient, wenn wir diese Unvollkommen-
heit der menschlichen Mittel berücksichtigen, als wenn wir sie außer Acht lassen
und darnach das Recht gestalten wollten. Hieraus ergiebt sich, daß das Recht
mehr oder minder ein künstlicher Aufbau ist, der zwar durch den Gedanke»
der Gerechtigkeit geleitet werden, daneben aber stets das praktisch Erreichbare
im Auge behalten und darnach die Rechtsvorschriften einrichten muß. In
dieser Beziehung das Nichtige zu treffen, ist uun Sache der juristischen Ge¬
staltungskraft. Diese Technik des Rechtes, wie man es nennen kann, ist
spezifisch Sache der Juristen. Während der Sinn für Gerechtigkeit vorzugs¬
weise auf unserm natürlichen Gefühl beruht, kommt hierbei kluge Berechnung
zur Anwendung. Auch in dieser Beziehung geben uns die römischen Juristen
ein hochschätzbares Vorbild. Sie haben namentlich eine Menge Anschauungen
und Begriffe ins Leben gerufen, die in hohem Maße die Technik des Rechtes
erleichtern, und deren Benutzung oder Weiterbildung uns erst den Aufbau
einer so verwickelten Schöpfung, wie unsers Rechtssystems, möglich macht.
Nur ein Jurist, der diese Technik des Rechtes ausreichend beherrscht, tan»
mit Erfolg an einem solchen Aufbau arbeiten.

Als letztes Erfordernis für die Aufstellung eines bürgerliche,! Gesetz¬
buches wurde die Herrschaft über die Sprache bezeichnet. Die Sprache bildet
das Mittel, durch das wir ander» unsre Gedanken mitteilen. Bei einem so
gewaltigen, schwer zu erfassender Gedankenbau, wie es das bürgerliche Recht
ist, ist deshalb vor allem eine klare, lebendige Sprache erforderlich. Bekanntlich
ist nun die Sprache der Juristen bisher kein Musterdentsch gewesen. Wer
hat nicht schon Richterurteile gelesen, bei denen ihm zu Mute wurde, wie dem
Schüler im Faust, als er alles reduziren lind klassifiziren lernen sollte? Ein
Hauptgrund für diese Juristensprache liegt darin, daß viele Juristen gar nicht
über ihre Subjektivität hinaus können. Sie haben ihr Recht zunächst aus
dem lateinischen (1orxu8 .juris und den diesem nachgebildeten Lehrbiichern ge¬
lernt. Mit den Begriffen, die sie dort in sich gesogen haben, operiren sie nun
in einer für unsre Volkssprache wenig verständlichen Weise. Dazu kommt, daß
die Rechtswissenschaft, als ein rein geistiger Ausbau, ein Ergehen in mehr oder
minder transzendentalen Ausdrucksweisen ermöglicht. So ist die spezifische
Juristensprache zu einem für unser Volk ziemlich unverständlichen Idiom geworden.
Und wenn ein jüngst veröffentlichtes Scherzgedicht") mit den Versen schloß:



") Es stand in den „Fliegenden Blattern" und begann mit den Worten:
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Das nagelneue Gesetz.
Es laßt sich famos damit streiten,
Denn keiner von allen verstehts.
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[0304] Zur Frage des bürgerlichen Gesetzbuches wirklichung des Rechtsgedankens ist überall auf menschliche Mittel angewiesen, und diese Mittel sind in vielen Beziehungen unvollkommen. Der Gerechtigkeit in ihrem letzten Ziele wird weit besser gedient, wenn wir diese Unvollkommen- heit der menschlichen Mittel berücksichtigen, als wenn wir sie außer Acht lassen und darnach das Recht gestalten wollten. Hieraus ergiebt sich, daß das Recht mehr oder minder ein künstlicher Aufbau ist, der zwar durch den Gedanke» der Gerechtigkeit geleitet werden, daneben aber stets das praktisch Erreichbare im Auge behalten und darnach die Rechtsvorschriften einrichten muß. In dieser Beziehung das Nichtige zu treffen, ist uun Sache der juristischen Ge¬ staltungskraft. Diese Technik des Rechtes, wie man es nennen kann, ist spezifisch Sache der Juristen. Während der Sinn für Gerechtigkeit vorzugs¬ weise auf unserm natürlichen Gefühl beruht, kommt hierbei kluge Berechnung zur Anwendung. Auch in dieser Beziehung geben uns die römischen Juristen ein hochschätzbares Vorbild. Sie haben namentlich eine Menge Anschauungen und Begriffe ins Leben gerufen, die in hohem Maße die Technik des Rechtes erleichtern, und deren Benutzung oder Weiterbildung uns erst den Aufbau einer so verwickelten Schöpfung, wie unsers Rechtssystems, möglich macht. Nur ein Jurist, der diese Technik des Rechtes ausreichend beherrscht, tan» mit Erfolg an einem solchen Aufbau arbeiten. Als letztes Erfordernis für die Aufstellung eines bürgerliche,! Gesetz¬ buches wurde die Herrschaft über die Sprache bezeichnet. Die Sprache bildet das Mittel, durch das wir ander» unsre Gedanken mitteilen. Bei einem so gewaltigen, schwer zu erfassender Gedankenbau, wie es das bürgerliche Recht ist, ist deshalb vor allem eine klare, lebendige Sprache erforderlich. Bekanntlich ist nun die Sprache der Juristen bisher kein Musterdentsch gewesen. Wer hat nicht schon Richterurteile gelesen, bei denen ihm zu Mute wurde, wie dem Schüler im Faust, als er alles reduziren lind klassifiziren lernen sollte? Ein Hauptgrund für diese Juristensprache liegt darin, daß viele Juristen gar nicht über ihre Subjektivität hinaus können. Sie haben ihr Recht zunächst aus dem lateinischen (1orxu8 .juris und den diesem nachgebildeten Lehrbiichern ge¬ lernt. Mit den Begriffen, die sie dort in sich gesogen haben, operiren sie nun in einer für unsre Volkssprache wenig verständlichen Weise. Dazu kommt, daß die Rechtswissenschaft, als ein rein geistiger Ausbau, ein Ergehen in mehr oder minder transzendentalen Ausdrucksweisen ermöglicht. So ist die spezifische Juristensprache zu einem für unser Volk ziemlich unverständlichen Idiom geworden. Und wenn ein jüngst veröffentlichtes Scherzgedicht") mit den Versen schloß: ") Es stand in den „Fliegenden Blattern" und begann mit den Worten: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, Das nagelneue Gesetz. Es laßt sich famos damit streiten, Denn keiner von allen verstehts.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/304>, abgerufen am 23.07.2024.