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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Ztreifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart

und seine Diplome mit Auszeichnung davon getragen hat. Umsomehr wird
ader auch der Verdacht bestärkt, diese Bettlerlieder und anch das folgende
Werk 1^" c!-rrv8"of seien "lehr ein zügelloses Spiel seiner Phantasie und seiner
rhetorischen Gelüste, als Ausfluß dichterischer Überzeugung und Begeisterung.
Was er in diesen Gedichten unter Liebe versteht, das drückt er ziemlich deutlich
mit deu Versen a"S:


Die Liebe meines Innern, die mich zu kochen droht,
Sie zeigt sich nicht platonisch, nach keuscher fronnner Weise,
Sie ist kein Halbgefrorenes rin Zuckerbrod,
Sie ist ganz Fleisch, ist eine wilde, geile Speise.

i?der noch widerwärtiger in deu Versen:


Vus amoui'L, ü l)ol"'M>iZ, sont lies trviniiMs unus;
I,g puero un ooch,n ä^rlcanl pioin ita romouZ.

lind Nieuu sich uuter diese" sogenannten "Liebkosungen," die einen reichen
Veitrag zur Ästhetik des Häßlichen liefern, wirklich einige Stücke von Reinheit
und Schönheit finden, wie Vmx alö" oüosvs und IZon ^ouvanir, so behält doch
ein Kritiker Recht, wenn er von Richepin sagt: 8a rvlixio" e"t lo iianodosrisme
ot, ig xani)im.1Il8imo.

Sein Schrecken vor dein Ideal, wie er selbst sagt, und sein Durst nach
dem ewigen Nichts haben ihm anch seine Lästerlieder, I.e." Li-^xlnmre", in die
Feder ditirt. Die französische Litteratur ist reich an derartigen dichterischen
Versuchen, alles herunterzureißen, was der Mensch an religiösen Begriffen, an
sittlichen Grundsätzen und lebeuschmückeudeu Einrichtungen überkommen hat,
und woran er auch, Gott sei Dank, trotz aller Verhöhnungen mit ruhiger
Zähigkeit festhält; aber noch niemals ist ein Werk erschienen, das so in einem
Zuge, von Anfang bis zu Ende, und mit einer so selbstzufriedenen Nieder¬
trächtigkeit die Kunst zu spotten und zu lästern ausübte. "Ich l,in -- sagt
der Dichter in der Vorrede -- weiter gegangen, als je einer in dem frei¬
mütiger Ausdruck der materialistischen Glaubenssätze. Ich habe für die
Theorie einer Welt ohne Gott die letzte Formel gefunden, die niemand auf¬
zustellen den Mut hat, und die doch alle im geheimen befolge". Ich glaube
das letzte Wort des wirkliche" Atheisten ausgesprochen zu haben."

Es ist ein wunderliches Werk, diese Bibel des Atheismus, wie er seine
"Blasphemien" nennt, denn er greift darin die Kirchenglünbige" ebenso wütend
an, wie die Deisten und die Freidenker, die sich um die lächerliche Dreieinig¬
keit des Wahren, Guten und Schönen klammern: die Skeptiker kommen darin
ebenso schlecht weg, wie die Positivisten, es" r-mmtMurs alö dörrt" ela lait.8,
wie die Materialisten, die von Ursachen und Gesetzen faseln, statt von Zufällen
und Gewohnheiten. wie die Gelehrten, deren wissenschaftliche Formeln ans
bloße" Silbenstechereie" bestehe", wie die Anbeter der Vernunft und die


Grenzboten I IttUI
Ztreifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart

und seine Diplome mit Auszeichnung davon getragen hat. Umsomehr wird
ader auch der Verdacht bestärkt, diese Bettlerlieder und anch das folgende
Werk 1^« c!-rrv8«of seien »lehr ein zügelloses Spiel seiner Phantasie und seiner
rhetorischen Gelüste, als Ausfluß dichterischer Überzeugung und Begeisterung.
Was er in diesen Gedichten unter Liebe versteht, das drückt er ziemlich deutlich
mit deu Versen a»S:


Die Liebe meines Innern, die mich zu kochen droht,
Sie zeigt sich nicht platonisch, nach keuscher fronnner Weise,
Sie ist kein Halbgefrorenes rin Zuckerbrod,
Sie ist ganz Fleisch, ist eine wilde, geile Speise.

i?der noch widerwärtiger in deu Versen:


Vus amoui'L, ü l)ol»'M>iZ, sont lies trviniiMs unus;
I,g puero un ooch,n ä^rlcanl pioin ita romouZ.

lind Nieuu sich uuter diese» sogenannten „Liebkosungen," die einen reichen
Veitrag zur Ästhetik des Häßlichen liefern, wirklich einige Stücke von Reinheit
und Schönheit finden, wie Vmx alö« oüosvs und IZon ^ouvanir, so behält doch
ein Kritiker Recht, wenn er von Richepin sagt: 8a rvlixio» e»t lo iianodosrisme
ot, ig xani)im.1Il8imo.

Sein Schrecken vor dein Ideal, wie er selbst sagt, und sein Durst nach
dem ewigen Nichts haben ihm anch seine Lästerlieder, I.e.« Li-^xlnmre», in die
Feder ditirt. Die französische Litteratur ist reich an derartigen dichterischen
Versuchen, alles herunterzureißen, was der Mensch an religiösen Begriffen, an
sittlichen Grundsätzen und lebeuschmückeudeu Einrichtungen überkommen hat,
und woran er auch, Gott sei Dank, trotz aller Verhöhnungen mit ruhiger
Zähigkeit festhält; aber noch niemals ist ein Werk erschienen, das so in einem
Zuge, von Anfang bis zu Ende, und mit einer so selbstzufriedenen Nieder¬
trächtigkeit die Kunst zu spotten und zu lästern ausübte. „Ich l,in — sagt
der Dichter in der Vorrede — weiter gegangen, als je einer in dem frei¬
mütiger Ausdruck der materialistischen Glaubenssätze. Ich habe für die
Theorie einer Welt ohne Gott die letzte Formel gefunden, die niemand auf¬
zustellen den Mut hat, und die doch alle im geheimen befolge». Ich glaube
das letzte Wort des wirkliche» Atheisten ausgesprochen zu haben."

Es ist ein wunderliches Werk, diese Bibel des Atheismus, wie er seine
„Blasphemien" nennt, denn er greift darin die Kirchenglünbige» ebenso wütend
an, wie die Deisten und die Freidenker, die sich um die lächerliche Dreieinig¬
keit des Wahren, Guten und Schönen klammern: die Skeptiker kommen darin
ebenso schlecht weg, wie die Positivisten, es« r-mmtMurs alö dörrt« ela lait.8,
wie die Materialisten, die von Ursachen und Gesetzen faseln, statt von Zufällen
und Gewohnheiten. wie die Gelehrten, deren wissenschaftliche Formeln ans
bloße» Silbenstechereie» bestehe», wie die Anbeter der Vernunft und die


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[0281] Ztreifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart und seine Diplome mit Auszeichnung davon getragen hat. Umsomehr wird ader auch der Verdacht bestärkt, diese Bettlerlieder und anch das folgende Werk 1^« c!-rrv8«of seien »lehr ein zügelloses Spiel seiner Phantasie und seiner rhetorischen Gelüste, als Ausfluß dichterischer Überzeugung und Begeisterung. Was er in diesen Gedichten unter Liebe versteht, das drückt er ziemlich deutlich mit deu Versen a»S: Die Liebe meines Innern, die mich zu kochen droht, Sie zeigt sich nicht platonisch, nach keuscher fronnner Weise, Sie ist kein Halbgefrorenes rin Zuckerbrod, Sie ist ganz Fleisch, ist eine wilde, geile Speise. i?der noch widerwärtiger in deu Versen: Vus amoui'L, ü l)ol»'M>iZ, sont lies trviniiMs unus; I,g puero un ooch,n ä^rlcanl pioin ita romouZ. lind Nieuu sich uuter diese» sogenannten „Liebkosungen," die einen reichen Veitrag zur Ästhetik des Häßlichen liefern, wirklich einige Stücke von Reinheit und Schönheit finden, wie Vmx alö« oüosvs und IZon ^ouvanir, so behält doch ein Kritiker Recht, wenn er von Richepin sagt: 8a rvlixio» e»t lo iianodosrisme ot, ig xani)im.1Il8imo. Sein Schrecken vor dein Ideal, wie er selbst sagt, und sein Durst nach dem ewigen Nichts haben ihm anch seine Lästerlieder, I.e.« Li-^xlnmre», in die Feder ditirt. Die französische Litteratur ist reich an derartigen dichterischen Versuchen, alles herunterzureißen, was der Mensch an religiösen Begriffen, an sittlichen Grundsätzen und lebeuschmückeudeu Einrichtungen überkommen hat, und woran er auch, Gott sei Dank, trotz aller Verhöhnungen mit ruhiger Zähigkeit festhält; aber noch niemals ist ein Werk erschienen, das so in einem Zuge, von Anfang bis zu Ende, und mit einer so selbstzufriedenen Nieder¬ trächtigkeit die Kunst zu spotten und zu lästern ausübte. „Ich l,in — sagt der Dichter in der Vorrede — weiter gegangen, als je einer in dem frei¬ mütiger Ausdruck der materialistischen Glaubenssätze. Ich habe für die Theorie einer Welt ohne Gott die letzte Formel gefunden, die niemand auf¬ zustellen den Mut hat, und die doch alle im geheimen befolge». Ich glaube das letzte Wort des wirkliche» Atheisten ausgesprochen zu haben." Es ist ein wunderliches Werk, diese Bibel des Atheismus, wie er seine „Blasphemien" nennt, denn er greift darin die Kirchenglünbige» ebenso wütend an, wie die Deisten und die Freidenker, die sich um die lächerliche Dreieinig¬ keit des Wahren, Guten und Schönen klammern: die Skeptiker kommen darin ebenso schlecht weg, wie die Positivisten, es« r-mmtMurs alö dörrt« ela lait.8, wie die Materialisten, die von Ursachen und Gesetzen faseln, statt von Zufällen und Gewohnheiten. wie die Gelehrten, deren wissenschaftliche Formeln ans bloße» Silbenstechereie» bestehe», wie die Anbeter der Vernunft und die Grenzboten I IttUI

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/281>, abgerufen am 23.07.2024.