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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Was wir sagen wollten, ist nur das, daß es gerade nicht nötig sei, einen von vielen
gefttrchteten Zustand, der im natürlichen Laufe der Dinge schon schnell genug heran¬
kommt, auch noch dnrch künstliche Mittel zu befördern, und daß es einen komischen
Eindruck macht, wenn Leute, die ihren Abscheu vor der Sozialdemokratie uicht
stark genug ausdrücken können, dem Kommunistenstaate im Galopp entgegeneilen.

In den letzten beiden Jahrzehnten war es der ehrenwerteste patriotische
Eifer, der in der Meinung, damit das junge Reich zu stützen, gegen alle
Besonderheiten auftürmte. Die Besorgnisse, aus denen dieser Eifer hervor¬
ging, scheinen sich gelegt zu haben. Man mag an maßgebender Stelle erwogen
haben, daß, wenn die landschaftlichen, konfessionellen und Bildungsunterschiede
das schwierige und große Werk der Reichsgründung uicht zu vereiteln ver¬
mocht haben, sie noch weniger das leichtere und geringere der Erhaltung ge¬
fährden können. Man wird sich des Wortes Bismarcks erinnert haben: Helfen
wir Deutschland nur in deu Sattel, reiten wird es schon allein! Man
wird bei einem Rückblick auf die Geschichte gefunden haben, daß es nicht die
deutschen Stämme waren, die ehedem auseinanderstrebten, sondern die deutschen
Fürsten, und daß ohne deren selbstsüchtige Politik sogar die Einmischung des
Papstes und der Kvnfessionshaß nicht stark genug gewesen sein würden, das
Reich zu zerreißen. Man wird wahrgenommen haben, daß es nicht Abneigung
gegen den Reichsgedanken ist, was namentlich in katholischen Landschaften
eine kühle oder wohl gar feindselige Stimmung erzeugt hat, sondern Be¬
sorgnis vor drohender Vergewaltigung alter lieber Gewohnheiten und vor
dein Zwange zur Annahme fremder Sitte. Die Liebe zur engeren Heimat,
zu ihren Sitten, ihrer Konfession führt mit Notwendigkeit zur Vaterlandsliebe,
sobald dem gemeinen Manne klar geworden ist, daß sein landschaftliches Volks-
tum nur in dem großmächtigen Reiche Sicherheit und Schutz findet.

Hütet euch also, möchten wir deu Gesetzgebern, den Beamten, den Lehrern
und den in mancherlei Vereinen thätigen Aufklärern zurufen, Besonderheiten
und Volksgewohnheiten, sofern sie nur nicht wirklich schädlicher Aberglaube
oder wirklich unsittlich sind, zu vernichten, Besonderheiten, die des Reiches
Einheit nicht gefährdendes durch Mannichfaltigkeit schmücken und einen Damm
gegen die den Kommunismus vorbereitende Gleichmacherei bilden! So lange
wir im deutschen Vaterlande noch Gemeinden haben, die das Lutherlied an¬
stimmen, und andre Gemeinden, die zum Gnadenbilde wallfahrten, Burschen,
die in Kniehosen schuhplatteln, und andre Burschen, die im langen Rock und
roter Weste zur Kirche gehen. Männer, die ohne das freie Feld oder ohne
den Wald oder ohne das Meer nicht leben können, und die als Knaben die
leidenschaftliche Liebe zu ihrem Elenrente durch fleißiges Schuleschwänzen be¬
wiesen haben, so lange hat es noch gute Wege mit dem Phalanstsre; so was
läßt sich nicht zusammensperren.




Was wir sagen wollten, ist nur das, daß es gerade nicht nötig sei, einen von vielen
gefttrchteten Zustand, der im natürlichen Laufe der Dinge schon schnell genug heran¬
kommt, auch noch dnrch künstliche Mittel zu befördern, und daß es einen komischen
Eindruck macht, wenn Leute, die ihren Abscheu vor der Sozialdemokratie uicht
stark genug ausdrücken können, dem Kommunistenstaate im Galopp entgegeneilen.

In den letzten beiden Jahrzehnten war es der ehrenwerteste patriotische
Eifer, der in der Meinung, damit das junge Reich zu stützen, gegen alle
Besonderheiten auftürmte. Die Besorgnisse, aus denen dieser Eifer hervor¬
ging, scheinen sich gelegt zu haben. Man mag an maßgebender Stelle erwogen
haben, daß, wenn die landschaftlichen, konfessionellen und Bildungsunterschiede
das schwierige und große Werk der Reichsgründung uicht zu vereiteln ver¬
mocht haben, sie noch weniger das leichtere und geringere der Erhaltung ge¬
fährden können. Man wird sich des Wortes Bismarcks erinnert haben: Helfen
wir Deutschland nur in deu Sattel, reiten wird es schon allein! Man
wird bei einem Rückblick auf die Geschichte gefunden haben, daß es nicht die
deutschen Stämme waren, die ehedem auseinanderstrebten, sondern die deutschen
Fürsten, und daß ohne deren selbstsüchtige Politik sogar die Einmischung des
Papstes und der Kvnfessionshaß nicht stark genug gewesen sein würden, das
Reich zu zerreißen. Man wird wahrgenommen haben, daß es nicht Abneigung
gegen den Reichsgedanken ist, was namentlich in katholischen Landschaften
eine kühle oder wohl gar feindselige Stimmung erzeugt hat, sondern Be¬
sorgnis vor drohender Vergewaltigung alter lieber Gewohnheiten und vor
dein Zwange zur Annahme fremder Sitte. Die Liebe zur engeren Heimat,
zu ihren Sitten, ihrer Konfession führt mit Notwendigkeit zur Vaterlandsliebe,
sobald dem gemeinen Manne klar geworden ist, daß sein landschaftliches Volks-
tum nur in dem großmächtigen Reiche Sicherheit und Schutz findet.

Hütet euch also, möchten wir deu Gesetzgebern, den Beamten, den Lehrern
und den in mancherlei Vereinen thätigen Aufklärern zurufen, Besonderheiten
und Volksgewohnheiten, sofern sie nur nicht wirklich schädlicher Aberglaube
oder wirklich unsittlich sind, zu vernichten, Besonderheiten, die des Reiches
Einheit nicht gefährdendes durch Mannichfaltigkeit schmücken und einen Damm
gegen die den Kommunismus vorbereitende Gleichmacherei bilden! So lange
wir im deutschen Vaterlande noch Gemeinden haben, die das Lutherlied an¬
stimmen, und andre Gemeinden, die zum Gnadenbilde wallfahrten, Burschen,
die in Kniehosen schuhplatteln, und andre Burschen, die im langen Rock und
roter Weste zur Kirche gehen. Männer, die ohne das freie Feld oder ohne
den Wald oder ohne das Meer nicht leben können, und die als Knaben die
leidenschaftliche Liebe zu ihrem Elenrente durch fleißiges Schuleschwänzen be¬
wiesen haben, so lange hat es noch gute Wege mit dem Phalanstsre; so was
läßt sich nicht zusammensperren.




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[0275] Was wir sagen wollten, ist nur das, daß es gerade nicht nötig sei, einen von vielen gefttrchteten Zustand, der im natürlichen Laufe der Dinge schon schnell genug heran¬ kommt, auch noch dnrch künstliche Mittel zu befördern, und daß es einen komischen Eindruck macht, wenn Leute, die ihren Abscheu vor der Sozialdemokratie uicht stark genug ausdrücken können, dem Kommunistenstaate im Galopp entgegeneilen. In den letzten beiden Jahrzehnten war es der ehrenwerteste patriotische Eifer, der in der Meinung, damit das junge Reich zu stützen, gegen alle Besonderheiten auftürmte. Die Besorgnisse, aus denen dieser Eifer hervor¬ ging, scheinen sich gelegt zu haben. Man mag an maßgebender Stelle erwogen haben, daß, wenn die landschaftlichen, konfessionellen und Bildungsunterschiede das schwierige und große Werk der Reichsgründung uicht zu vereiteln ver¬ mocht haben, sie noch weniger das leichtere und geringere der Erhaltung ge¬ fährden können. Man wird sich des Wortes Bismarcks erinnert haben: Helfen wir Deutschland nur in deu Sattel, reiten wird es schon allein! Man wird bei einem Rückblick auf die Geschichte gefunden haben, daß es nicht die deutschen Stämme waren, die ehedem auseinanderstrebten, sondern die deutschen Fürsten, und daß ohne deren selbstsüchtige Politik sogar die Einmischung des Papstes und der Kvnfessionshaß nicht stark genug gewesen sein würden, das Reich zu zerreißen. Man wird wahrgenommen haben, daß es nicht Abneigung gegen den Reichsgedanken ist, was namentlich in katholischen Landschaften eine kühle oder wohl gar feindselige Stimmung erzeugt hat, sondern Be¬ sorgnis vor drohender Vergewaltigung alter lieber Gewohnheiten und vor dein Zwange zur Annahme fremder Sitte. Die Liebe zur engeren Heimat, zu ihren Sitten, ihrer Konfession führt mit Notwendigkeit zur Vaterlandsliebe, sobald dem gemeinen Manne klar geworden ist, daß sein landschaftliches Volks- tum nur in dem großmächtigen Reiche Sicherheit und Schutz findet. Hütet euch also, möchten wir deu Gesetzgebern, den Beamten, den Lehrern und den in mancherlei Vereinen thätigen Aufklärern zurufen, Besonderheiten und Volksgewohnheiten, sofern sie nur nicht wirklich schädlicher Aberglaube oder wirklich unsittlich sind, zu vernichten, Besonderheiten, die des Reiches Einheit nicht gefährdendes durch Mannichfaltigkeit schmücken und einen Damm gegen die den Kommunismus vorbereitende Gleichmacherei bilden! So lange wir im deutschen Vaterlande noch Gemeinden haben, die das Lutherlied an¬ stimmen, und andre Gemeinden, die zum Gnadenbilde wallfahrten, Burschen, die in Kniehosen schuhplatteln, und andre Burschen, die im langen Rock und roter Weste zur Kirche gehen. Männer, die ohne das freie Feld oder ohne den Wald oder ohne das Meer nicht leben können, und die als Knaben die leidenschaftliche Liebe zu ihrem Elenrente durch fleißiges Schuleschwänzen be¬ wiesen haben, so lange hat es noch gute Wege mit dem Phalanstsre; so was läßt sich nicht zusammensperren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/275>, abgerufen am 23.07.2024.