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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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von ihm als Gentleman behandelt. Nicht auf der Gleichheit der Schulbildung
beruht diese Menschlichkeit des Verkehrs, sondern auf den unausrottbaren
Traditionen des klassischen Altertums, die durch christliche Erwägungen ver¬
stärkt sind, und durch die Formgewandtheit des ästhetisch angelegten und sich
in großer Freiheit bewegenden Volkes wird sie erleichtert. Man findet ähn¬
liches bei den deutschen Älplern, obwohl sie ganz genau wissen, daß sie keine
Gelehrten sind und auch gar kein Verlangen darnach tragen, welche zu werden.
Im Standesbewußtsein liegt keine inhumane Schranke. Der Stolz auf den
Berufsstand entspringt nicht der Verachtung der übrigen Stände, sondern der
Kenntnis des innern Wertes des eignen Standes. Mag der Gelehrte seinen
Stolz haben! Der Junker, der Bauer, der Handwerker, sie haben jeder ihren
eignen Stolz; der hindert weder die gegenseitige Hochschätzung noch den freund¬
lichen Verkehr. Daß aber nach Wegrüumung aller landschaftlichen, konfessionellen
(Koufessionslosigkeit ist ja eines der gefeiertsten Bildungsidecilc), Standes- und
Bildnngsschrnnken der Grad der Ehrenhaftigkeit den einzigen Unterschied aus¬
machen werde, bezweifeln wir ganz entschieden. Vielmehr wird dann das Volk
noch mehr als schon jetzt einem Personenzüge auf der Eisenbahn gleichen und
in Vermögensklassen zerfallen, die sich schroff und feindlich gegenüberstehen.
Ist es etwa Bildung oder Tugend, was die Farbe der Fahrkarte bestimmt?
Der durch Vörseuschwiudel reich gewordene Millionär fährt erster, der zum
Gasthnusbesitzer emporgestiegene Hausknecht zweiter, der mittlere Beamte und
der anständige Bürgersmann dritter, der verunglückte Akademiker vierter Klasse.
Zu Kasten werden die Stände erst dann, wenn der Übergang aus einem in
den andern durch Gesetze verboten oder thatsächlich unmöglich gemacht wird.
Das war aber im christlichen Europa zur Zeit seiner ständischen Gliederung
nicht der Fall. Nicht darin besteht die von der Humanität und dem Christen-
tume gebotene Gleichheit, daß man den zukünftigen Ochsenknechtcn und Stein-
klvpfern ein höheres Maß von Schulwissen aufnötigt, als sie für ihren Lebens¬
beruf brauchen, sondern darin, daß man auch dem Sohne des Ochsenknechts
und des Steinklopfers den Zugang zur höhern Bildung nicht versperrt, wenn
er Talent und Trieb zum Lernen zeigt. Mögen die Pfarrer, wie das ehedem
üblich war, die Talente aus der Dorfjugend heraussuchen, sie im Privat¬
unterricht prüfen und dann an höhere Lehranstalten bringen, und mögen deren
Leiter solche Knaben freundlich aufnehmen und durch Unterstützungen fördern';
wenn den Wenigcrbegabtcn Kenntnisse, die sie nicht brauchen und die sie doch
wieder vergessen, nicht erst ausgenötigt werden, so geschieht ihnen damit kein
Unrecht. Zu beachten ist auch die durch Dittes auf dem letzten Lehrertage
in den Kreisen unsrer Volksschullehrer hervorgerufene Agitation für die Be¬
rechtigung zum Einjährigfreilvilligendienst und ihre schon ältere Forderung der
fachmännischer, d. h. nur durch Volksschullehrer zu übenden Schulaufsicht.
Die Durchsetzung beider Forderungen würde wiederum zwei Unterscheidnngs-


Grenzboten I 1891. 34
Volksschule lmdWolksleben

von ihm als Gentleman behandelt. Nicht auf der Gleichheit der Schulbildung
beruht diese Menschlichkeit des Verkehrs, sondern auf den unausrottbaren
Traditionen des klassischen Altertums, die durch christliche Erwägungen ver¬
stärkt sind, und durch die Formgewandtheit des ästhetisch angelegten und sich
in großer Freiheit bewegenden Volkes wird sie erleichtert. Man findet ähn¬
liches bei den deutschen Älplern, obwohl sie ganz genau wissen, daß sie keine
Gelehrten sind und auch gar kein Verlangen darnach tragen, welche zu werden.
Im Standesbewußtsein liegt keine inhumane Schranke. Der Stolz auf den
Berufsstand entspringt nicht der Verachtung der übrigen Stände, sondern der
Kenntnis des innern Wertes des eignen Standes. Mag der Gelehrte seinen
Stolz haben! Der Junker, der Bauer, der Handwerker, sie haben jeder ihren
eignen Stolz; der hindert weder die gegenseitige Hochschätzung noch den freund¬
lichen Verkehr. Daß aber nach Wegrüumung aller landschaftlichen, konfessionellen
(Koufessionslosigkeit ist ja eines der gefeiertsten Bildungsidecilc), Standes- und
Bildnngsschrnnken der Grad der Ehrenhaftigkeit den einzigen Unterschied aus¬
machen werde, bezweifeln wir ganz entschieden. Vielmehr wird dann das Volk
noch mehr als schon jetzt einem Personenzüge auf der Eisenbahn gleichen und
in Vermögensklassen zerfallen, die sich schroff und feindlich gegenüberstehen.
Ist es etwa Bildung oder Tugend, was die Farbe der Fahrkarte bestimmt?
Der durch Vörseuschwiudel reich gewordene Millionär fährt erster, der zum
Gasthnusbesitzer emporgestiegene Hausknecht zweiter, der mittlere Beamte und
der anständige Bürgersmann dritter, der verunglückte Akademiker vierter Klasse.
Zu Kasten werden die Stände erst dann, wenn der Übergang aus einem in
den andern durch Gesetze verboten oder thatsächlich unmöglich gemacht wird.
Das war aber im christlichen Europa zur Zeit seiner ständischen Gliederung
nicht der Fall. Nicht darin besteht die von der Humanität und dem Christen-
tume gebotene Gleichheit, daß man den zukünftigen Ochsenknechtcn und Stein-
klvpfern ein höheres Maß von Schulwissen aufnötigt, als sie für ihren Lebens¬
beruf brauchen, sondern darin, daß man auch dem Sohne des Ochsenknechts
und des Steinklopfers den Zugang zur höhern Bildung nicht versperrt, wenn
er Talent und Trieb zum Lernen zeigt. Mögen die Pfarrer, wie das ehedem
üblich war, die Talente aus der Dorfjugend heraussuchen, sie im Privat¬
unterricht prüfen und dann an höhere Lehranstalten bringen, und mögen deren
Leiter solche Knaben freundlich aufnehmen und durch Unterstützungen fördern';
wenn den Wenigcrbegabtcn Kenntnisse, die sie nicht brauchen und die sie doch
wieder vergessen, nicht erst ausgenötigt werden, so geschieht ihnen damit kein
Unrecht. Zu beachten ist auch die durch Dittes auf dem letzten Lehrertage
in den Kreisen unsrer Volksschullehrer hervorgerufene Agitation für die Be¬
rechtigung zum Einjährigfreilvilligendienst und ihre schon ältere Forderung der
fachmännischer, d. h. nur durch Volksschullehrer zu übenden Schulaufsicht.
Die Durchsetzung beider Forderungen würde wiederum zwei Unterscheidnngs-


Grenzboten I 1891. 34
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[0273] Volksschule lmdWolksleben von ihm als Gentleman behandelt. Nicht auf der Gleichheit der Schulbildung beruht diese Menschlichkeit des Verkehrs, sondern auf den unausrottbaren Traditionen des klassischen Altertums, die durch christliche Erwägungen ver¬ stärkt sind, und durch die Formgewandtheit des ästhetisch angelegten und sich in großer Freiheit bewegenden Volkes wird sie erleichtert. Man findet ähn¬ liches bei den deutschen Älplern, obwohl sie ganz genau wissen, daß sie keine Gelehrten sind und auch gar kein Verlangen darnach tragen, welche zu werden. Im Standesbewußtsein liegt keine inhumane Schranke. Der Stolz auf den Berufsstand entspringt nicht der Verachtung der übrigen Stände, sondern der Kenntnis des innern Wertes des eignen Standes. Mag der Gelehrte seinen Stolz haben! Der Junker, der Bauer, der Handwerker, sie haben jeder ihren eignen Stolz; der hindert weder die gegenseitige Hochschätzung noch den freund¬ lichen Verkehr. Daß aber nach Wegrüumung aller landschaftlichen, konfessionellen (Koufessionslosigkeit ist ja eines der gefeiertsten Bildungsidecilc), Standes- und Bildnngsschrnnken der Grad der Ehrenhaftigkeit den einzigen Unterschied aus¬ machen werde, bezweifeln wir ganz entschieden. Vielmehr wird dann das Volk noch mehr als schon jetzt einem Personenzüge auf der Eisenbahn gleichen und in Vermögensklassen zerfallen, die sich schroff und feindlich gegenüberstehen. Ist es etwa Bildung oder Tugend, was die Farbe der Fahrkarte bestimmt? Der durch Vörseuschwiudel reich gewordene Millionär fährt erster, der zum Gasthnusbesitzer emporgestiegene Hausknecht zweiter, der mittlere Beamte und der anständige Bürgersmann dritter, der verunglückte Akademiker vierter Klasse. Zu Kasten werden die Stände erst dann, wenn der Übergang aus einem in den andern durch Gesetze verboten oder thatsächlich unmöglich gemacht wird. Das war aber im christlichen Europa zur Zeit seiner ständischen Gliederung nicht der Fall. Nicht darin besteht die von der Humanität und dem Christen- tume gebotene Gleichheit, daß man den zukünftigen Ochsenknechtcn und Stein- klvpfern ein höheres Maß von Schulwissen aufnötigt, als sie für ihren Lebens¬ beruf brauchen, sondern darin, daß man auch dem Sohne des Ochsenknechts und des Steinklopfers den Zugang zur höhern Bildung nicht versperrt, wenn er Talent und Trieb zum Lernen zeigt. Mögen die Pfarrer, wie das ehedem üblich war, die Talente aus der Dorfjugend heraussuchen, sie im Privat¬ unterricht prüfen und dann an höhere Lehranstalten bringen, und mögen deren Leiter solche Knaben freundlich aufnehmen und durch Unterstützungen fördern'; wenn den Wenigcrbegabtcn Kenntnisse, die sie nicht brauchen und die sie doch wieder vergessen, nicht erst ausgenötigt werden, so geschieht ihnen damit kein Unrecht. Zu beachten ist auch die durch Dittes auf dem letzten Lehrertage in den Kreisen unsrer Volksschullehrer hervorgerufene Agitation für die Be¬ rechtigung zum Einjährigfreilvilligendienst und ihre schon ältere Forderung der fachmännischer, d. h. nur durch Volksschullehrer zu übenden Schulaufsicht. Die Durchsetzung beider Forderungen würde wiederum zwei Unterscheidnngs- Grenzboten I 1891. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/273>, abgerufen am 23.07.2024.