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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Volksschule und Volksleben

schöpft, bildet er sich in der That ein, auf der Höhe wissenschaftlicher Er¬
kenntnis zu stehen und ihre Tiefen zu durchschauen. Zwei von deu drei
Dingen, die ohne einen methodischen Unterricht und aus der Zeitung nicht
erlernt werden können, das Griechische und das lateinische, werden als alter
Plunder bezeichnet, mit dem endlich einmal aufgeräumt werden- müsse, und
das dritte, die Mathematik, glaubt der Fvrtbilduugsschüler zu verstehen, weil
ihm deren fertige Ergebnisse, die Formeln mitgeteilt werden. Das Widerstrebe"
der Humanisten gegen die Beseitigung der alten Sprachen aus den: Schul¬
unterricht beruht zum Teil auf der richtigen Einsicht, daß damit, wenn auch
nicht der Bilduugsuuterschied, so doch die Möglichkeit seines überzeugenden
Nachweises schwinde" würde. In Ur. 1 der Zeitschrift für die Reform der
höheren Schulen wird es der Schulkommission und der Regierung zum Vor¬
wurfe gemacht, daß auch sie sich von dieser Besorgnis hätten leiten lassen;
daher wären sie der Schaffung eines gemeinsamen Unterbaues für alle höheren
Schulen ängstlich aus dem Wege gegangen. "Uns ist -- heißt es Seite 7 -- die
Erkenntnis in völliger Klarheit aufgegangen, daß sich die Kommission und die
Negierung, die ihre Beschlüsse leitete, nicht durch sachliche Grüude vou dem
einfachsten Heilmittel des gemeinsamen Unterbaues ableiten Stoch wohl ab¬
halten oder ablenken?^ ließ, sondern durch Regungen eines falsch konservative!?
ständischen Geistes, als dessen Hauptträger wir den Kultusminister erkennen.
Was wir als einen der höchsten Gesichtspunkte bei unsern langjährigen Be¬
mühungen sür die Schulreform betrachtet haben, daß sie helfen müsse, die
lächerlichen und für jeden Ehrenman kränkenden Ausartungen des Kastengeistes
allmählich in unserm Volke auszutreiben (wörtlich so!), die Gebildeten nnter
einander und so nach und nach mit den Ungebildeten an einen unbefangenen
Verkehr zu gewöhnen (wunderbare Wortstellung!), in welchem, nach und nach
alle künstlichen Gegensätze fallen konnten und keine ernsthafte Schranke mehr
blieb, als die Schränke zwischen ehrenhaft und unehrenhaft, gebildet und roh
-- gerade dieses Ziel, das uns der Geist wahrer Vaterlands- und Menschen¬
liebe immer als das edelste empfehlen wird, hat unsern Vorschlag, wie es
scheint, den maßgebenden Personen unannehmbar gemacht." Was werden
die Volksschullehrer sagen, wenn ihre Zöglinge hier als Ungebildete den
Zöglingen der höheren Schulen entgegengesetzt werden? Nein, meine
Herren! Mit euern Bestrebungen gelangen wir zu einem Zustande, wo es
nnr uoch gebildete, und zwar gleichmäßig gebildete, und höchstens durch die
Fertigkeit in technischen Spezialitüten zu unterscheidende giebt. Ob aber durch
die -- selbstverständlich nur scheinbare -- Gleichheit der Bildung allein schon
ein unbefangener Verkehr aller Menschenbrüder hergestellt werden wird, das
ist doch sehr die Frage. In Italien finden wir ihn, obwohl dort die Hoch-
und Höchstgebildeten unter 65 Prozent Analphabeten umherwandeln; der Tage-
nrbeiter spricht deu vornehmen Mann artig und ohne Scheu an und wird


Volksschule und Volksleben

schöpft, bildet er sich in der That ein, auf der Höhe wissenschaftlicher Er¬
kenntnis zu stehen und ihre Tiefen zu durchschauen. Zwei von deu drei
Dingen, die ohne einen methodischen Unterricht und aus der Zeitung nicht
erlernt werden können, das Griechische und das lateinische, werden als alter
Plunder bezeichnet, mit dem endlich einmal aufgeräumt werden- müsse, und
das dritte, die Mathematik, glaubt der Fvrtbilduugsschüler zu verstehen, weil
ihm deren fertige Ergebnisse, die Formeln mitgeteilt werden. Das Widerstrebe«
der Humanisten gegen die Beseitigung der alten Sprachen aus den: Schul¬
unterricht beruht zum Teil auf der richtigen Einsicht, daß damit, wenn auch
nicht der Bilduugsuuterschied, so doch die Möglichkeit seines überzeugenden
Nachweises schwinde» würde. In Ur. 1 der Zeitschrift für die Reform der
höheren Schulen wird es der Schulkommission und der Regierung zum Vor¬
wurfe gemacht, daß auch sie sich von dieser Besorgnis hätten leiten lassen;
daher wären sie der Schaffung eines gemeinsamen Unterbaues für alle höheren
Schulen ängstlich aus dem Wege gegangen. „Uns ist — heißt es Seite 7 — die
Erkenntnis in völliger Klarheit aufgegangen, daß sich die Kommission und die
Negierung, die ihre Beschlüsse leitete, nicht durch sachliche Grüude vou dem
einfachsten Heilmittel des gemeinsamen Unterbaues ableiten Stoch wohl ab¬
halten oder ablenken?^ ließ, sondern durch Regungen eines falsch konservative!?
ständischen Geistes, als dessen Hauptträger wir den Kultusminister erkennen.
Was wir als einen der höchsten Gesichtspunkte bei unsern langjährigen Be¬
mühungen sür die Schulreform betrachtet haben, daß sie helfen müsse, die
lächerlichen und für jeden Ehrenman kränkenden Ausartungen des Kastengeistes
allmählich in unserm Volke auszutreiben (wörtlich so!), die Gebildeten nnter
einander und so nach und nach mit den Ungebildeten an einen unbefangenen
Verkehr zu gewöhnen (wunderbare Wortstellung!), in welchem, nach und nach
alle künstlichen Gegensätze fallen konnten und keine ernsthafte Schranke mehr
blieb, als die Schränke zwischen ehrenhaft und unehrenhaft, gebildet und roh
— gerade dieses Ziel, das uns der Geist wahrer Vaterlands- und Menschen¬
liebe immer als das edelste empfehlen wird, hat unsern Vorschlag, wie es
scheint, den maßgebenden Personen unannehmbar gemacht." Was werden
die Volksschullehrer sagen, wenn ihre Zöglinge hier als Ungebildete den
Zöglingen der höheren Schulen entgegengesetzt werden? Nein, meine
Herren! Mit euern Bestrebungen gelangen wir zu einem Zustande, wo es
nnr uoch gebildete, und zwar gleichmäßig gebildete, und höchstens durch die
Fertigkeit in technischen Spezialitüten zu unterscheidende giebt. Ob aber durch
die — selbstverständlich nur scheinbare — Gleichheit der Bildung allein schon
ein unbefangener Verkehr aller Menschenbrüder hergestellt werden wird, das
ist doch sehr die Frage. In Italien finden wir ihn, obwohl dort die Hoch-
und Höchstgebildeten unter 65 Prozent Analphabeten umherwandeln; der Tage-
nrbeiter spricht deu vornehmen Mann artig und ohne Scheu an und wird


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[0272] Volksschule und Volksleben schöpft, bildet er sich in der That ein, auf der Höhe wissenschaftlicher Er¬ kenntnis zu stehen und ihre Tiefen zu durchschauen. Zwei von deu drei Dingen, die ohne einen methodischen Unterricht und aus der Zeitung nicht erlernt werden können, das Griechische und das lateinische, werden als alter Plunder bezeichnet, mit dem endlich einmal aufgeräumt werden- müsse, und das dritte, die Mathematik, glaubt der Fvrtbilduugsschüler zu verstehen, weil ihm deren fertige Ergebnisse, die Formeln mitgeteilt werden. Das Widerstrebe« der Humanisten gegen die Beseitigung der alten Sprachen aus den: Schul¬ unterricht beruht zum Teil auf der richtigen Einsicht, daß damit, wenn auch nicht der Bilduugsuuterschied, so doch die Möglichkeit seines überzeugenden Nachweises schwinde» würde. In Ur. 1 der Zeitschrift für die Reform der höheren Schulen wird es der Schulkommission und der Regierung zum Vor¬ wurfe gemacht, daß auch sie sich von dieser Besorgnis hätten leiten lassen; daher wären sie der Schaffung eines gemeinsamen Unterbaues für alle höheren Schulen ängstlich aus dem Wege gegangen. „Uns ist — heißt es Seite 7 — die Erkenntnis in völliger Klarheit aufgegangen, daß sich die Kommission und die Negierung, die ihre Beschlüsse leitete, nicht durch sachliche Grüude vou dem einfachsten Heilmittel des gemeinsamen Unterbaues ableiten Stoch wohl ab¬ halten oder ablenken?^ ließ, sondern durch Regungen eines falsch konservative!? ständischen Geistes, als dessen Hauptträger wir den Kultusminister erkennen. Was wir als einen der höchsten Gesichtspunkte bei unsern langjährigen Be¬ mühungen sür die Schulreform betrachtet haben, daß sie helfen müsse, die lächerlichen und für jeden Ehrenman kränkenden Ausartungen des Kastengeistes allmählich in unserm Volke auszutreiben (wörtlich so!), die Gebildeten nnter einander und so nach und nach mit den Ungebildeten an einen unbefangenen Verkehr zu gewöhnen (wunderbare Wortstellung!), in welchem, nach und nach alle künstlichen Gegensätze fallen konnten und keine ernsthafte Schranke mehr blieb, als die Schränke zwischen ehrenhaft und unehrenhaft, gebildet und roh — gerade dieses Ziel, das uns der Geist wahrer Vaterlands- und Menschen¬ liebe immer als das edelste empfehlen wird, hat unsern Vorschlag, wie es scheint, den maßgebenden Personen unannehmbar gemacht." Was werden die Volksschullehrer sagen, wenn ihre Zöglinge hier als Ungebildete den Zöglingen der höheren Schulen entgegengesetzt werden? Nein, meine Herren! Mit euern Bestrebungen gelangen wir zu einem Zustande, wo es nnr uoch gebildete, und zwar gleichmäßig gebildete, und höchstens durch die Fertigkeit in technischen Spezialitüten zu unterscheidende giebt. Ob aber durch die — selbstverständlich nur scheinbare — Gleichheit der Bildung allein schon ein unbefangener Verkehr aller Menschenbrüder hergestellt werden wird, das ist doch sehr die Frage. In Italien finden wir ihn, obwohl dort die Hoch- und Höchstgebildeten unter 65 Prozent Analphabeten umherwandeln; der Tage- nrbeiter spricht deu vornehmen Mann artig und ohne Scheu an und wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/272>, abgerufen am 23.07.2024.