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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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geben dürfen und nicht viel aus Büchern zu lernen brauchen. Rabelais hat
das in seiner heutzutage uicht mehr hoffähige,, Sprache einen Bauernesel
einem Herrenrosse erklären lassen. Außer dem bcnerischen Oberlande wird es
freilich nicht mehr viele Dorfgemeinden im deutschen Reiche geben, wo dieses
Behagen noch ungestört und ungetrübt genossen würde, aber völlig verschwunden
ist es doch wohl kaum in den allerfortgeschrittensten Dorfgemeinden. Selbst
der städtische Arbeiter hat sich in Deutschland noch Liebe zur Natur bewahrt,
wie die Sonntagsausflüge der großstädtischen Arbeiterfamilien beweisen. Sidney
Whitman hebt das in seinein bekannten Aussatze "Der deutsche und der eng¬
lische Arbeiter" besonders rühmend hervor gegenüber dem auch in andrer
Beziehung "sonnenleeren" Leben der englischen Volksmassen.

Was wird nun die Folge sein, wenn alle diese Eigentümlichkeiten, mit
Ausnahme der Berge, die glücklicherweise noch nicht eingeebnet werden können,
verschwunden sein werden? Wenn es nur noch dein Namen nach Münster¬
länder, Pfälzer, Friesen, Alteuburgerinnen, Dachauerinnen, wenn es auch keinen
Bauernstand mehr geben wird, sondern nur noch größere und kleinere Guts¬
besitzer und ländliche "Arbeitnehmer," die aber äußerlich und innerlich allesamt
sein gesittete Herren und Damen sind, Herren in Lackstiefeln, gesteifter Hnls-
kragen, modischen Rock und Cylinder, Damen, die stets nach der neuesten Mode
gekleidet sind? Herren und Damen, die keinem Aberglauben mehr huldigen
(nach den ,,unwiderleglicher" Errungenschaften der Wissenschaft gehört ja das
ganze Christentum mit Einschluß des Glaubens an einen Schöpfer zum Aber¬
glauben), keine andern Vergnügungen kennen, als die in der guten Gesellschaft
üblichen, d. h. den Skat, das Bierhaus, Konzerte, Bälle und Theaterauf¬
führungen , die allesamt hochdeutsch sprechen, eifrig Zeitung lesen, das Vereins¬
leben Pflegen und auf der Höhe der Bildung stehen? Was wird die Folge
dieser durchgreifenden Zivilisirung sein?

Zunächst die vollständige Ausrottung des Heimatgefnhles und -- der
Vaterlandsliebe. Wenn man überall dieselbe Tracht, dieselben Sitten, dieselbe
Bildung findet, dann ist ein Ort so gut wie der andre, und zwar, wohl ge¬
merkt, nicht bloß ein Ort in Deutschland, sondern in jedem beliebigen zivili-
sirten Lande der Welt- Schon heute spottet man mit Recht über die Reisenden,
die sich von Riefet und Stangen nur zu dem Zwecke herumschleppen lassen,
um sich zu überzeugen, daß von Hammerfest bis in die libysche Wüste hinein
überall in der zivilisirten Welt die Kellnersracks gleich schäbig und die Beef¬
steaks gleich zäh sind. Ist die Gleichförmigkeit erst bis in die entlegensten
Winkel hinein überall durchgesetzt, dann giebt es für die Erholungsbedürftigen
-- abgesehen von der Luftveränderung -- keinen Beweggrund mehr zum Reisen
und sür die Erwerbslustigen keinen Beweggrund mehr zum Bleiben. Das
Ubi dans, lin xatrm bedeutet denn mir noch: dort schlagen wir modernen
Nomaden unsre Zelte auf, d. h. beziehen Nur eine Mietwohnung, wo wir ein


geben dürfen und nicht viel aus Büchern zu lernen brauchen. Rabelais hat
das in seiner heutzutage uicht mehr hoffähige,, Sprache einen Bauernesel
einem Herrenrosse erklären lassen. Außer dem bcnerischen Oberlande wird es
freilich nicht mehr viele Dorfgemeinden im deutschen Reiche geben, wo dieses
Behagen noch ungestört und ungetrübt genossen würde, aber völlig verschwunden
ist es doch wohl kaum in den allerfortgeschrittensten Dorfgemeinden. Selbst
der städtische Arbeiter hat sich in Deutschland noch Liebe zur Natur bewahrt,
wie die Sonntagsausflüge der großstädtischen Arbeiterfamilien beweisen. Sidney
Whitman hebt das in seinein bekannten Aussatze „Der deutsche und der eng¬
lische Arbeiter" besonders rühmend hervor gegenüber dem auch in andrer
Beziehung „sonnenleeren" Leben der englischen Volksmassen.

Was wird nun die Folge sein, wenn alle diese Eigentümlichkeiten, mit
Ausnahme der Berge, die glücklicherweise noch nicht eingeebnet werden können,
verschwunden sein werden? Wenn es nur noch dein Namen nach Münster¬
länder, Pfälzer, Friesen, Alteuburgerinnen, Dachauerinnen, wenn es auch keinen
Bauernstand mehr geben wird, sondern nur noch größere und kleinere Guts¬
besitzer und ländliche „Arbeitnehmer," die aber äußerlich und innerlich allesamt
sein gesittete Herren und Damen sind, Herren in Lackstiefeln, gesteifter Hnls-
kragen, modischen Rock und Cylinder, Damen, die stets nach der neuesten Mode
gekleidet sind? Herren und Damen, die keinem Aberglauben mehr huldigen
(nach den ,,unwiderleglicher" Errungenschaften der Wissenschaft gehört ja das
ganze Christentum mit Einschluß des Glaubens an einen Schöpfer zum Aber¬
glauben), keine andern Vergnügungen kennen, als die in der guten Gesellschaft
üblichen, d. h. den Skat, das Bierhaus, Konzerte, Bälle und Theaterauf¬
führungen , die allesamt hochdeutsch sprechen, eifrig Zeitung lesen, das Vereins¬
leben Pflegen und auf der Höhe der Bildung stehen? Was wird die Folge
dieser durchgreifenden Zivilisirung sein?

Zunächst die vollständige Ausrottung des Heimatgefnhles und — der
Vaterlandsliebe. Wenn man überall dieselbe Tracht, dieselben Sitten, dieselbe
Bildung findet, dann ist ein Ort so gut wie der andre, und zwar, wohl ge¬
merkt, nicht bloß ein Ort in Deutschland, sondern in jedem beliebigen zivili-
sirten Lande der Welt- Schon heute spottet man mit Recht über die Reisenden,
die sich von Riefet und Stangen nur zu dem Zwecke herumschleppen lassen,
um sich zu überzeugen, daß von Hammerfest bis in die libysche Wüste hinein
überall in der zivilisirten Welt die Kellnersracks gleich schäbig und die Beef¬
steaks gleich zäh sind. Ist die Gleichförmigkeit erst bis in die entlegensten
Winkel hinein überall durchgesetzt, dann giebt es für die Erholungsbedürftigen
— abgesehen von der Luftveränderung — keinen Beweggrund mehr zum Reisen
und sür die Erwerbslustigen keinen Beweggrund mehr zum Bleiben. Das
Ubi dans, lin xatrm bedeutet denn mir noch: dort schlagen wir modernen
Nomaden unsre Zelte auf, d. h. beziehen Nur eine Mietwohnung, wo wir ein


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[0270] geben dürfen und nicht viel aus Büchern zu lernen brauchen. Rabelais hat das in seiner heutzutage uicht mehr hoffähige,, Sprache einen Bauernesel einem Herrenrosse erklären lassen. Außer dem bcnerischen Oberlande wird es freilich nicht mehr viele Dorfgemeinden im deutschen Reiche geben, wo dieses Behagen noch ungestört und ungetrübt genossen würde, aber völlig verschwunden ist es doch wohl kaum in den allerfortgeschrittensten Dorfgemeinden. Selbst der städtische Arbeiter hat sich in Deutschland noch Liebe zur Natur bewahrt, wie die Sonntagsausflüge der großstädtischen Arbeiterfamilien beweisen. Sidney Whitman hebt das in seinein bekannten Aussatze „Der deutsche und der eng¬ lische Arbeiter" besonders rühmend hervor gegenüber dem auch in andrer Beziehung „sonnenleeren" Leben der englischen Volksmassen. Was wird nun die Folge sein, wenn alle diese Eigentümlichkeiten, mit Ausnahme der Berge, die glücklicherweise noch nicht eingeebnet werden können, verschwunden sein werden? Wenn es nur noch dein Namen nach Münster¬ länder, Pfälzer, Friesen, Alteuburgerinnen, Dachauerinnen, wenn es auch keinen Bauernstand mehr geben wird, sondern nur noch größere und kleinere Guts¬ besitzer und ländliche „Arbeitnehmer," die aber äußerlich und innerlich allesamt sein gesittete Herren und Damen sind, Herren in Lackstiefeln, gesteifter Hnls- kragen, modischen Rock und Cylinder, Damen, die stets nach der neuesten Mode gekleidet sind? Herren und Damen, die keinem Aberglauben mehr huldigen (nach den ,,unwiderleglicher" Errungenschaften der Wissenschaft gehört ja das ganze Christentum mit Einschluß des Glaubens an einen Schöpfer zum Aber¬ glauben), keine andern Vergnügungen kennen, als die in der guten Gesellschaft üblichen, d. h. den Skat, das Bierhaus, Konzerte, Bälle und Theaterauf¬ führungen , die allesamt hochdeutsch sprechen, eifrig Zeitung lesen, das Vereins¬ leben Pflegen und auf der Höhe der Bildung stehen? Was wird die Folge dieser durchgreifenden Zivilisirung sein? Zunächst die vollständige Ausrottung des Heimatgefnhles und — der Vaterlandsliebe. Wenn man überall dieselbe Tracht, dieselben Sitten, dieselbe Bildung findet, dann ist ein Ort so gut wie der andre, und zwar, wohl ge¬ merkt, nicht bloß ein Ort in Deutschland, sondern in jedem beliebigen zivili- sirten Lande der Welt- Schon heute spottet man mit Recht über die Reisenden, die sich von Riefet und Stangen nur zu dem Zwecke herumschleppen lassen, um sich zu überzeugen, daß von Hammerfest bis in die libysche Wüste hinein überall in der zivilisirten Welt die Kellnersracks gleich schäbig und die Beef¬ steaks gleich zäh sind. Ist die Gleichförmigkeit erst bis in die entlegensten Winkel hinein überall durchgesetzt, dann giebt es für die Erholungsbedürftigen — abgesehen von der Luftveränderung — keinen Beweggrund mehr zum Reisen und sür die Erwerbslustigen keinen Beweggrund mehr zum Bleiben. Das Ubi dans, lin xatrm bedeutet denn mir noch: dort schlagen wir modernen Nomaden unsre Zelte auf, d. h. beziehen Nur eine Mietwohnung, wo wir ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/270>, abgerufen am 23.07.2024.