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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Volksschule und Volksleben

Fähigkeit ab, es unbefangen aufzufassen und treu darüber zu berichten. "Ge¬
setzt den Fall, ich richte an hundert Landlehrer und Pastoren Bogen, in dein
s"loi sich die Fragen befinden: Besteht noch Zauberglanbe in T? Sind Ve-
sprechnngsfvrmeln bei den Leuten im Schwange? Suchen im Geruch der
Hexerei stehende Weiber ihren Feindinnen den Kindersegen zu verschließen?
Wird Zauber mit den Resten der Sakramente getrieben? Was meinen Sie,
welche Antworten daraufhin einlaufen würden? Ein Teil ignorirt vornehm
die ganze Geschichte; ein andrer Teil streitet mit sittlicher Entrüstung ab, daß
überhaupt noch so etwas in ihren Gemeinden vorkommen könne; und wenn es
früher vorgekommen sei, so habe es jetzt, Gott sei Dank, durch ihre Wirksam¬
keit gute Wege damit. Ein dritter Teil, mit einem gewissen Hang zu Schauer¬
geschichten, wird auf die Fragen hin die wunderbarsten Dinge berichten: wie
der und der Schäfer oder Schmied springendes Aderblut gestillt, wie die und
die kluge Frau einen Schaden, den die berühmtesten Professoren der Welt
nicht zu heilen vermochten, mit einem einzigen Zauberspruche geheilt habe u. s. w.
Und wenn das Glück gut ist, so wird unter den hundert einer sein, der kurz
und bündig das wieder giebt, was er gelegentlich gesehen hat." Nachdem
der Vortragende eine kurze Anleitung zum Sammeln volkstümlicher Merk¬
würdigkeiten gegeben hatte, kündigte er an, daß demnächst durch Gründung
einer deutschen Gesellschaft für Volkskunde solchen Bestrebungen ein fester Halt
dargeboten werden solle. ^Der Verein ist mittlerweile ins Leben getreten;
Vorsitzender ist der Geheimen: Professor Dr. Weinhold, Berlin Hohen-
zollernstraße 10.^

Insbesondre möchten die Lehrer ihr Augenmerk ans die handgreiflichen
Gegenstände der Volkskunde richten; es bleibe da noch sehr viel zu scnnmelu
übrig. "Was Sie in unserm Museum gesehen haben, ist kaum ein jähriges
Kind, hergegeben zu nenn Zehnteln von einem einzigen Manne, dem Mäcen
des Trachtenmusenms, Alexander Meyer Cohn. Viel länger als ein Jahr ist
nämlich bis jetzt nicht gesammelt worden, und auch hierbei ging es mir, wie
bei den Sammlungen der Traditionen. Als ich nach Mönkgut kam, ahnten
selbst hochgebildete betagte Leute, die fast ihr ganzes Leben auf der kleinen
Halbinsel zugebracht hatten, nicht im mindesten, was sich in dieser Hinsicht
noch finden ließ. Als ich einem Herrn ans Rügen die Mönkguter Samm¬
lung zeigte, wollte er durchaus nicht glauben, daß so etwas auf seiner Heimat¬
insel vorhanden sein könne. Er kenne alles; aber das sei unerhört und möge
aus China stammen, aus Möukgut wahrlich nicht. Jsts nicht Jammer und
Schande, wenn man sieht, wie die Kunstfertigkeit, die die wundervollen Kerb¬
schnitzereien ans den deutschen Inseln, im Elsaß und der Schweiz und in
Hessen, die selbstgeschuitzteu Stühle, die gestickte" Tücher und Hauben, die ge¬
klöppelten Spitzen, die prächtig gemodelten Linnen, die reich gewirkten Bunter,
die Strohflechtereien u. f. w. aufweisen, noch vor wenig Jahren allgemein in


Volksschule und Volksleben

Fähigkeit ab, es unbefangen aufzufassen und treu darüber zu berichten. „Ge¬
setzt den Fall, ich richte an hundert Landlehrer und Pastoren Bogen, in dein
s»loi sich die Fragen befinden: Besteht noch Zauberglanbe in T? Sind Ve-
sprechnngsfvrmeln bei den Leuten im Schwange? Suchen im Geruch der
Hexerei stehende Weiber ihren Feindinnen den Kindersegen zu verschließen?
Wird Zauber mit den Resten der Sakramente getrieben? Was meinen Sie,
welche Antworten daraufhin einlaufen würden? Ein Teil ignorirt vornehm
die ganze Geschichte; ein andrer Teil streitet mit sittlicher Entrüstung ab, daß
überhaupt noch so etwas in ihren Gemeinden vorkommen könne; und wenn es
früher vorgekommen sei, so habe es jetzt, Gott sei Dank, durch ihre Wirksam¬
keit gute Wege damit. Ein dritter Teil, mit einem gewissen Hang zu Schauer¬
geschichten, wird auf die Fragen hin die wunderbarsten Dinge berichten: wie
der und der Schäfer oder Schmied springendes Aderblut gestillt, wie die und
die kluge Frau einen Schaden, den die berühmtesten Professoren der Welt
nicht zu heilen vermochten, mit einem einzigen Zauberspruche geheilt habe u. s. w.
Und wenn das Glück gut ist, so wird unter den hundert einer sein, der kurz
und bündig das wieder giebt, was er gelegentlich gesehen hat." Nachdem
der Vortragende eine kurze Anleitung zum Sammeln volkstümlicher Merk¬
würdigkeiten gegeben hatte, kündigte er an, daß demnächst durch Gründung
einer deutschen Gesellschaft für Volkskunde solchen Bestrebungen ein fester Halt
dargeboten werden solle. ^Der Verein ist mittlerweile ins Leben getreten;
Vorsitzender ist der Geheimen: Professor Dr. Weinhold, Berlin Hohen-
zollernstraße 10.^

Insbesondre möchten die Lehrer ihr Augenmerk ans die handgreiflichen
Gegenstände der Volkskunde richten; es bleibe da noch sehr viel zu scnnmelu
übrig. „Was Sie in unserm Museum gesehen haben, ist kaum ein jähriges
Kind, hergegeben zu nenn Zehnteln von einem einzigen Manne, dem Mäcen
des Trachtenmusenms, Alexander Meyer Cohn. Viel länger als ein Jahr ist
nämlich bis jetzt nicht gesammelt worden, und auch hierbei ging es mir, wie
bei den Sammlungen der Traditionen. Als ich nach Mönkgut kam, ahnten
selbst hochgebildete betagte Leute, die fast ihr ganzes Leben auf der kleinen
Halbinsel zugebracht hatten, nicht im mindesten, was sich in dieser Hinsicht
noch finden ließ. Als ich einem Herrn ans Rügen die Mönkguter Samm¬
lung zeigte, wollte er durchaus nicht glauben, daß so etwas auf seiner Heimat¬
insel vorhanden sein könne. Er kenne alles; aber das sei unerhört und möge
aus China stammen, aus Möukgut wahrlich nicht. Jsts nicht Jammer und
Schande, wenn man sieht, wie die Kunstfertigkeit, die die wundervollen Kerb¬
schnitzereien ans den deutschen Inseln, im Elsaß und der Schweiz und in
Hessen, die selbstgeschuitzteu Stühle, die gestickte» Tücher und Hauben, die ge¬
klöppelten Spitzen, die prächtig gemodelten Linnen, die reich gewirkten Bunter,
die Strohflechtereien u. f. w. aufweisen, noch vor wenig Jahren allgemein in


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[0266] Volksschule und Volksleben Fähigkeit ab, es unbefangen aufzufassen und treu darüber zu berichten. „Ge¬ setzt den Fall, ich richte an hundert Landlehrer und Pastoren Bogen, in dein s»loi sich die Fragen befinden: Besteht noch Zauberglanbe in T? Sind Ve- sprechnngsfvrmeln bei den Leuten im Schwange? Suchen im Geruch der Hexerei stehende Weiber ihren Feindinnen den Kindersegen zu verschließen? Wird Zauber mit den Resten der Sakramente getrieben? Was meinen Sie, welche Antworten daraufhin einlaufen würden? Ein Teil ignorirt vornehm die ganze Geschichte; ein andrer Teil streitet mit sittlicher Entrüstung ab, daß überhaupt noch so etwas in ihren Gemeinden vorkommen könne; und wenn es früher vorgekommen sei, so habe es jetzt, Gott sei Dank, durch ihre Wirksam¬ keit gute Wege damit. Ein dritter Teil, mit einem gewissen Hang zu Schauer¬ geschichten, wird auf die Fragen hin die wunderbarsten Dinge berichten: wie der und der Schäfer oder Schmied springendes Aderblut gestillt, wie die und die kluge Frau einen Schaden, den die berühmtesten Professoren der Welt nicht zu heilen vermochten, mit einem einzigen Zauberspruche geheilt habe u. s. w. Und wenn das Glück gut ist, so wird unter den hundert einer sein, der kurz und bündig das wieder giebt, was er gelegentlich gesehen hat." Nachdem der Vortragende eine kurze Anleitung zum Sammeln volkstümlicher Merk¬ würdigkeiten gegeben hatte, kündigte er an, daß demnächst durch Gründung einer deutschen Gesellschaft für Volkskunde solchen Bestrebungen ein fester Halt dargeboten werden solle. ^Der Verein ist mittlerweile ins Leben getreten; Vorsitzender ist der Geheimen: Professor Dr. Weinhold, Berlin Hohen- zollernstraße 10.^ Insbesondre möchten die Lehrer ihr Augenmerk ans die handgreiflichen Gegenstände der Volkskunde richten; es bleibe da noch sehr viel zu scnnmelu übrig. „Was Sie in unserm Museum gesehen haben, ist kaum ein jähriges Kind, hergegeben zu nenn Zehnteln von einem einzigen Manne, dem Mäcen des Trachtenmusenms, Alexander Meyer Cohn. Viel länger als ein Jahr ist nämlich bis jetzt nicht gesammelt worden, und auch hierbei ging es mir, wie bei den Sammlungen der Traditionen. Als ich nach Mönkgut kam, ahnten selbst hochgebildete betagte Leute, die fast ihr ganzes Leben auf der kleinen Halbinsel zugebracht hatten, nicht im mindesten, was sich in dieser Hinsicht noch finden ließ. Als ich einem Herrn ans Rügen die Mönkguter Samm¬ lung zeigte, wollte er durchaus nicht glauben, daß so etwas auf seiner Heimat¬ insel vorhanden sein könne. Er kenne alles; aber das sei unerhört und möge aus China stammen, aus Möukgut wahrlich nicht. Jsts nicht Jammer und Schande, wenn man sieht, wie die Kunstfertigkeit, die die wundervollen Kerb¬ schnitzereien ans den deutschen Inseln, im Elsaß und der Schweiz und in Hessen, die selbstgeschuitzteu Stühle, die gestickte» Tücher und Hauben, die ge¬ klöppelten Spitzen, die prächtig gemodelten Linnen, die reich gewirkten Bunter, die Strohflechtereien u. f. w. aufweisen, noch vor wenig Jahren allgemein in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/266>, abgerufen am 23.07.2024.