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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Das Dunkel der Zukunft

gegenüber gewohnt ist, alle Vorteile zu sehen und zu benutzen. Das ist
natürlich, was man auch fügen möge. Anstatt sich darüber zu ärgern, könnten
die andern ja dasselbe thun. Schafe werden sich ja anch unter den nicht-
katholischen Staatsbürgern finden, Leute, die wählen sollen und nicht können,
wie ihnen ihr eignes Gewissen sagt; es fehlt ihnen ja an allem, was für ein
politisches Verhalten nötig ist. Niemand giebt sich die Mühe, einen solchen
Tropf und seine ebenso verlegenen Freunde zu bevormunden, und es fehlt
auch bei den Liberalen die nötige Dreistigkeit, die Schafe zu führen. Einen
Beweggrund, der in Himmel und Hölle hineinreichte, haben sie nicht zur Ver¬
fügung, wie die Priester es haben. So können sie sich nicht mit großem
politischen Einfluß brüsten, den sie auf die Ungebildeten übten. Wenn die
Wahlrechte so verteilt bleiben, wird zuletzt notwendig der urteilslose Haufe in
einer Dvppelform alle Bildung beiseite schieben, diese Doppelform ist die
nltramontau und die svzialdemokratisch gefärbte Form. Hier liegen eben die
deutlichsten Interessen vor, das geistliche Interesse in der kirchlichen Führung
und das materielle Interesse für den irdischen Genuß. Diese beiden Formen
verstehen sich ans gesellschaftlichen Zwang und geschlossenes Zusammenwirken,
auf Abschließung ihrer Anhänger vor jeder andern Einwirkung. Sie bilden
zwei besondre Welten für sich, und da sie zusammen wohl neun Zehntel der
Bürger in sich fassen, so ist die Frage statistisch meist ganz klar, wie sich die
Dinge machen werden, wenn, wie gesagt, nach dem Wahlgesetze jeder füufuud-
zwanzigjährige Mensch, wenn er nur Arme und Beine hat, die Schicksale des
Reiches mitbestimmen darf.

Ist es nun nicht eine rätselhafte Kühnheit, bei eilten diesen innern und
äußern Widerständen, die der Entwicklung wahrhaft menschlichen und freien
Geisteslebens in der Gesellschaft entgegenwirken, dennoch wenigstens die Frage
zu erörtern, ob wir in der Zukunft noch Gutes hoffen dürfen, und fogar die
Zuversicht zu hegen, es werde das Dunkel trotz alledem einmal weichen? Wir
können für diese kühne Zuversicht kaum einen andern Grund funden, als einen
unausrottbaren Idealismus in der Seele, einen Zug von religiösem Opti¬
mismus, der öfters bei Männern von keineswegs ausgesprochener Kirchlichkeit,
wie Ernst Moritz Arndt und E. Geibel, zu Tage tritt. Es kommt ihnen un¬
erträglich vor, zu denken, daß die Geschichte der Menschen sich im Sumpfe
der Unkultur und Unfreiheit verlieren werde, in eine gedankenlose gehorsame
Ausübung kirchlicher Bräuche einerseits und eine gedankenlose gleichheitliche
Anordnung des täglichem Verbrauchs ohne Wahl und Freiheit im höhern Sinne
anderseits. Und sie glauben auch in der bisherigen Geschichte der Menschheit
eine Bestätigung ihrer Zuversicht zu finden. War nicht im Mittelalter aller¬
seits der Druck noch weit größer, der ans dem Geiste der Besten lastete? Und
doch fanden sich ungebeugte Geister und Gewissen, die wohl dann und wann
an dem entsetzlichen Widerstande ob8vurvrunr virorum scheiterten, aber nicht


Das Dunkel der Zukunft

gegenüber gewohnt ist, alle Vorteile zu sehen und zu benutzen. Das ist
natürlich, was man auch fügen möge. Anstatt sich darüber zu ärgern, könnten
die andern ja dasselbe thun. Schafe werden sich ja anch unter den nicht-
katholischen Staatsbürgern finden, Leute, die wählen sollen und nicht können,
wie ihnen ihr eignes Gewissen sagt; es fehlt ihnen ja an allem, was für ein
politisches Verhalten nötig ist. Niemand giebt sich die Mühe, einen solchen
Tropf und seine ebenso verlegenen Freunde zu bevormunden, und es fehlt
auch bei den Liberalen die nötige Dreistigkeit, die Schafe zu führen. Einen
Beweggrund, der in Himmel und Hölle hineinreichte, haben sie nicht zur Ver¬
fügung, wie die Priester es haben. So können sie sich nicht mit großem
politischen Einfluß brüsten, den sie auf die Ungebildeten übten. Wenn die
Wahlrechte so verteilt bleiben, wird zuletzt notwendig der urteilslose Haufe in
einer Dvppelform alle Bildung beiseite schieben, diese Doppelform ist die
nltramontau und die svzialdemokratisch gefärbte Form. Hier liegen eben die
deutlichsten Interessen vor, das geistliche Interesse in der kirchlichen Führung
und das materielle Interesse für den irdischen Genuß. Diese beiden Formen
verstehen sich ans gesellschaftlichen Zwang und geschlossenes Zusammenwirken,
auf Abschließung ihrer Anhänger vor jeder andern Einwirkung. Sie bilden
zwei besondre Welten für sich, und da sie zusammen wohl neun Zehntel der
Bürger in sich fassen, so ist die Frage statistisch meist ganz klar, wie sich die
Dinge machen werden, wenn, wie gesagt, nach dem Wahlgesetze jeder füufuud-
zwanzigjährige Mensch, wenn er nur Arme und Beine hat, die Schicksale des
Reiches mitbestimmen darf.

Ist es nun nicht eine rätselhafte Kühnheit, bei eilten diesen innern und
äußern Widerständen, die der Entwicklung wahrhaft menschlichen und freien
Geisteslebens in der Gesellschaft entgegenwirken, dennoch wenigstens die Frage
zu erörtern, ob wir in der Zukunft noch Gutes hoffen dürfen, und fogar die
Zuversicht zu hegen, es werde das Dunkel trotz alledem einmal weichen? Wir
können für diese kühne Zuversicht kaum einen andern Grund funden, als einen
unausrottbaren Idealismus in der Seele, einen Zug von religiösem Opti¬
mismus, der öfters bei Männern von keineswegs ausgesprochener Kirchlichkeit,
wie Ernst Moritz Arndt und E. Geibel, zu Tage tritt. Es kommt ihnen un¬
erträglich vor, zu denken, daß die Geschichte der Menschen sich im Sumpfe
der Unkultur und Unfreiheit verlieren werde, in eine gedankenlose gehorsame
Ausübung kirchlicher Bräuche einerseits und eine gedankenlose gleichheitliche
Anordnung des täglichem Verbrauchs ohne Wahl und Freiheit im höhern Sinne
anderseits. Und sie glauben auch in der bisherigen Geschichte der Menschheit
eine Bestätigung ihrer Zuversicht zu finden. War nicht im Mittelalter aller¬
seits der Druck noch weit größer, der ans dem Geiste der Besten lastete? Und
doch fanden sich ungebeugte Geister und Gewissen, die wohl dann und wann
an dem entsetzlichen Widerstande ob8vurvrunr virorum scheiterten, aber nicht


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[0262] Das Dunkel der Zukunft gegenüber gewohnt ist, alle Vorteile zu sehen und zu benutzen. Das ist natürlich, was man auch fügen möge. Anstatt sich darüber zu ärgern, könnten die andern ja dasselbe thun. Schafe werden sich ja anch unter den nicht- katholischen Staatsbürgern finden, Leute, die wählen sollen und nicht können, wie ihnen ihr eignes Gewissen sagt; es fehlt ihnen ja an allem, was für ein politisches Verhalten nötig ist. Niemand giebt sich die Mühe, einen solchen Tropf und seine ebenso verlegenen Freunde zu bevormunden, und es fehlt auch bei den Liberalen die nötige Dreistigkeit, die Schafe zu führen. Einen Beweggrund, der in Himmel und Hölle hineinreichte, haben sie nicht zur Ver¬ fügung, wie die Priester es haben. So können sie sich nicht mit großem politischen Einfluß brüsten, den sie auf die Ungebildeten übten. Wenn die Wahlrechte so verteilt bleiben, wird zuletzt notwendig der urteilslose Haufe in einer Dvppelform alle Bildung beiseite schieben, diese Doppelform ist die nltramontau und die svzialdemokratisch gefärbte Form. Hier liegen eben die deutlichsten Interessen vor, das geistliche Interesse in der kirchlichen Führung und das materielle Interesse für den irdischen Genuß. Diese beiden Formen verstehen sich ans gesellschaftlichen Zwang und geschlossenes Zusammenwirken, auf Abschließung ihrer Anhänger vor jeder andern Einwirkung. Sie bilden zwei besondre Welten für sich, und da sie zusammen wohl neun Zehntel der Bürger in sich fassen, so ist die Frage statistisch meist ganz klar, wie sich die Dinge machen werden, wenn, wie gesagt, nach dem Wahlgesetze jeder füufuud- zwanzigjährige Mensch, wenn er nur Arme und Beine hat, die Schicksale des Reiches mitbestimmen darf. Ist es nun nicht eine rätselhafte Kühnheit, bei eilten diesen innern und äußern Widerständen, die der Entwicklung wahrhaft menschlichen und freien Geisteslebens in der Gesellschaft entgegenwirken, dennoch wenigstens die Frage zu erörtern, ob wir in der Zukunft noch Gutes hoffen dürfen, und fogar die Zuversicht zu hegen, es werde das Dunkel trotz alledem einmal weichen? Wir können für diese kühne Zuversicht kaum einen andern Grund funden, als einen unausrottbaren Idealismus in der Seele, einen Zug von religiösem Opti¬ mismus, der öfters bei Männern von keineswegs ausgesprochener Kirchlichkeit, wie Ernst Moritz Arndt und E. Geibel, zu Tage tritt. Es kommt ihnen un¬ erträglich vor, zu denken, daß die Geschichte der Menschen sich im Sumpfe der Unkultur und Unfreiheit verlieren werde, in eine gedankenlose gehorsame Ausübung kirchlicher Bräuche einerseits und eine gedankenlose gleichheitliche Anordnung des täglichem Verbrauchs ohne Wahl und Freiheit im höhern Sinne anderseits. Und sie glauben auch in der bisherigen Geschichte der Menschheit eine Bestätigung ihrer Zuversicht zu finden. War nicht im Mittelalter aller¬ seits der Druck noch weit größer, der ans dem Geiste der Besten lastete? Und doch fanden sich ungebeugte Geister und Gewissen, die wohl dann und wann an dem entsetzlichen Widerstande ob8vurvrunr virorum scheiterten, aber nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/262>, abgerufen am 23.07.2024.