Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Dunkel der Zukunft

Jetzt bezweifelt niemand, daß während dieser widerwärtigen Verhandlung der
Priester die Erde nicht stille stand, sondern in reißender Schnelligkeit dahin¬
flog. Was die Sache angeht, so ist ja nichts besondres dabei. Auch Luther
hielt die Kopernikanische Lehre seinerzeit für närrisch. Da die Hierarchie selbst
in einer vor fünfzig Jahren neu gedruckten Liste verbotener Bücher die Schriften
Galileis weggelassen hat, die Erde sich also bewegen darf, so ist die Sache
nnr ein hübsches Andenken an die "Frechheit," mit der einst verhältnismäßig
verständige Menschen die freie Geistesarbeit stören durften. Nur diese Seite
bietet noch Interesse. Es ist ganz richtig, daß auf dem wirklich theologischen
Gebiete die Hierarchie bei weitem öfter richtige als unrichtige Entscheidungen ge¬
troffen hat. Auch in andern Fragen, so z. V. ob es Antipoden gebe oder
nicht, hat die Spitze der Hierarchie zuweilen die untergeordneten Bischöfe
zweckmäßig belehrt. Daß die Hierarcheu unsrer Tage für ihre eigne Stellung
der höhern Bildung nicht zu entbehren wünschen, ist selbstverständlich; sowohl
die Überlieferung macht es notwendig, als die Aufgabe, in einer Zeit des
Kampfes und der modernen Kultur die Achtung der Welt und damit die Ein¬
wirkung auf die Welt nicht zu verlieren. Und daß die katholische Bevölkerung
wenigstens in Preußen lange nicht so nach höherer Bildung strebt, wie die
protestantische und die jüdische, ist doch auch nicht aus der Macht der Hier¬
archie zu erklären, sondern ans allerlei mitwirkenden Ursachen, auch aus der
Kostspieligkeit der höhern Schulbildung. Aber der Grundsatz, die freie
Forschung, die freie Presse, die nur durch die Geschichte der Forschung
geleitete Philosophie, die Gewissensfreiheit und jede nicht von der Hierarchie
geleitete Freiheit zu verwerfen, ist dem System eingeboren. Es ist daher eine
berechtigte Frage an die Zukunft, ob in der Macht dieser grundsätzlichen Ver¬
kümmerung der Kultur eine Veränderung zum Guten oder zum Schlimmen
zu vermuten ist. Eine grundsätzliche Veränderung zum Schlimmen ist nicht
wahrscheinlich, die einheitliche Zusammenfassung hierarchischer Macht ist seit
der Unfehlbarkeit des Papstes vollendet, eine Steigerung ist nicht gut denkbar,
nur eine ins einzelne gehende Durchführung, für die der Papst in Rund¬
schreiben, z. B in dem über die menschliche Freiheit (20. Juni 1888), die
Richtlinien zu ziehen pflegt. Es fragt sich allerdings, ob er schon in den
Gliedern des Klerus in allen Fällen das gehorsame Organ findet, das er
voraussetzen muß. Darin ist er nicht ganz glücklich gewesen, zuweilen hat
ein patriotischer Anflug französische, irische, italienische Priester gehindert, ganz
unbedingt den Willen des heiligen Vaters zu erfüllen, ja selbst in Deutschland
hat sich damals in der Septennatsfrage ein selbständiges Urteil bei Priestern
und Halbpriestern gezeigt. Der Grundsatz, daß der Papst allein die seel¬
sorgerischen und kirchlichen Interessen dem Staate gegenüber zu wahren habe,
fand nicht völlige Beachtung, es kam sogar zu Beschimpfungen des höchsten
Kirchenfürsten. So stark wirkte die politische Vergangenheit und das Ehr-


Das Dunkel der Zukunft

Jetzt bezweifelt niemand, daß während dieser widerwärtigen Verhandlung der
Priester die Erde nicht stille stand, sondern in reißender Schnelligkeit dahin¬
flog. Was die Sache angeht, so ist ja nichts besondres dabei. Auch Luther
hielt die Kopernikanische Lehre seinerzeit für närrisch. Da die Hierarchie selbst
in einer vor fünfzig Jahren neu gedruckten Liste verbotener Bücher die Schriften
Galileis weggelassen hat, die Erde sich also bewegen darf, so ist die Sache
nnr ein hübsches Andenken an die „Frechheit," mit der einst verhältnismäßig
verständige Menschen die freie Geistesarbeit stören durften. Nur diese Seite
bietet noch Interesse. Es ist ganz richtig, daß auf dem wirklich theologischen
Gebiete die Hierarchie bei weitem öfter richtige als unrichtige Entscheidungen ge¬
troffen hat. Auch in andern Fragen, so z. V. ob es Antipoden gebe oder
nicht, hat die Spitze der Hierarchie zuweilen die untergeordneten Bischöfe
zweckmäßig belehrt. Daß die Hierarcheu unsrer Tage für ihre eigne Stellung
der höhern Bildung nicht zu entbehren wünschen, ist selbstverständlich; sowohl
die Überlieferung macht es notwendig, als die Aufgabe, in einer Zeit des
Kampfes und der modernen Kultur die Achtung der Welt und damit die Ein¬
wirkung auf die Welt nicht zu verlieren. Und daß die katholische Bevölkerung
wenigstens in Preußen lange nicht so nach höherer Bildung strebt, wie die
protestantische und die jüdische, ist doch auch nicht aus der Macht der Hier¬
archie zu erklären, sondern ans allerlei mitwirkenden Ursachen, auch aus der
Kostspieligkeit der höhern Schulbildung. Aber der Grundsatz, die freie
Forschung, die freie Presse, die nur durch die Geschichte der Forschung
geleitete Philosophie, die Gewissensfreiheit und jede nicht von der Hierarchie
geleitete Freiheit zu verwerfen, ist dem System eingeboren. Es ist daher eine
berechtigte Frage an die Zukunft, ob in der Macht dieser grundsätzlichen Ver¬
kümmerung der Kultur eine Veränderung zum Guten oder zum Schlimmen
zu vermuten ist. Eine grundsätzliche Veränderung zum Schlimmen ist nicht
wahrscheinlich, die einheitliche Zusammenfassung hierarchischer Macht ist seit
der Unfehlbarkeit des Papstes vollendet, eine Steigerung ist nicht gut denkbar,
nur eine ins einzelne gehende Durchführung, für die der Papst in Rund¬
schreiben, z. B in dem über die menschliche Freiheit (20. Juni 1888), die
Richtlinien zu ziehen pflegt. Es fragt sich allerdings, ob er schon in den
Gliedern des Klerus in allen Fällen das gehorsame Organ findet, das er
voraussetzen muß. Darin ist er nicht ganz glücklich gewesen, zuweilen hat
ein patriotischer Anflug französische, irische, italienische Priester gehindert, ganz
unbedingt den Willen des heiligen Vaters zu erfüllen, ja selbst in Deutschland
hat sich damals in der Septennatsfrage ein selbständiges Urteil bei Priestern
und Halbpriestern gezeigt. Der Grundsatz, daß der Papst allein die seel¬
sorgerischen und kirchlichen Interessen dem Staate gegenüber zu wahren habe,
fand nicht völlige Beachtung, es kam sogar zu Beschimpfungen des höchsten
Kirchenfürsten. So stark wirkte die politische Vergangenheit und das Ehr-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209493"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Dunkel der Zukunft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_740" prev="#ID_739" next="#ID_741"> Jetzt bezweifelt niemand, daß während dieser widerwärtigen Verhandlung der<lb/>
Priester die Erde nicht stille stand, sondern in reißender Schnelligkeit dahin¬<lb/>
flog. Was die Sache angeht, so ist ja nichts besondres dabei. Auch Luther<lb/>
hielt die Kopernikanische Lehre seinerzeit für närrisch. Da die Hierarchie selbst<lb/>
in einer vor fünfzig Jahren neu gedruckten Liste verbotener Bücher die Schriften<lb/>
Galileis weggelassen hat, die Erde sich also bewegen darf, so ist die Sache<lb/>
nnr ein hübsches Andenken an die &#x201E;Frechheit," mit der einst verhältnismäßig<lb/>
verständige Menschen die freie Geistesarbeit stören durften. Nur diese Seite<lb/>
bietet noch Interesse. Es ist ganz richtig, daß auf dem wirklich theologischen<lb/>
Gebiete die Hierarchie bei weitem öfter richtige als unrichtige Entscheidungen ge¬<lb/>
troffen hat. Auch in andern Fragen, so z. V. ob es Antipoden gebe oder<lb/>
nicht, hat die Spitze der Hierarchie zuweilen die untergeordneten Bischöfe<lb/>
zweckmäßig belehrt. Daß die Hierarcheu unsrer Tage für ihre eigne Stellung<lb/>
der höhern Bildung nicht zu entbehren wünschen, ist selbstverständlich; sowohl<lb/>
die Überlieferung macht es notwendig, als die Aufgabe, in einer Zeit des<lb/>
Kampfes und der modernen Kultur die Achtung der Welt und damit die Ein¬<lb/>
wirkung auf die Welt nicht zu verlieren. Und daß die katholische Bevölkerung<lb/>
wenigstens in Preußen lange nicht so nach höherer Bildung strebt, wie die<lb/>
protestantische und die jüdische, ist doch auch nicht aus der Macht der Hier¬<lb/>
archie zu erklären, sondern ans allerlei mitwirkenden Ursachen, auch aus der<lb/>
Kostspieligkeit der höhern Schulbildung. Aber der Grundsatz, die freie<lb/>
Forschung, die freie Presse, die nur durch die Geschichte der Forschung<lb/>
geleitete Philosophie, die Gewissensfreiheit und jede nicht von der Hierarchie<lb/>
geleitete Freiheit zu verwerfen, ist dem System eingeboren. Es ist daher eine<lb/>
berechtigte Frage an die Zukunft, ob in der Macht dieser grundsätzlichen Ver¬<lb/>
kümmerung der Kultur eine Veränderung zum Guten oder zum Schlimmen<lb/>
zu vermuten ist. Eine grundsätzliche Veränderung zum Schlimmen ist nicht<lb/>
wahrscheinlich, die einheitliche Zusammenfassung hierarchischer Macht ist seit<lb/>
der Unfehlbarkeit des Papstes vollendet, eine Steigerung ist nicht gut denkbar,<lb/>
nur eine ins einzelne gehende Durchführung, für die der Papst in Rund¬<lb/>
schreiben, z. B in dem über die menschliche Freiheit (20. Juni 1888), die<lb/>
Richtlinien zu ziehen pflegt. Es fragt sich allerdings, ob er schon in den<lb/>
Gliedern des Klerus in allen Fällen das gehorsame Organ findet, das er<lb/>
voraussetzen muß. Darin ist er nicht ganz glücklich gewesen, zuweilen hat<lb/>
ein patriotischer Anflug französische, irische, italienische Priester gehindert, ganz<lb/>
unbedingt den Willen des heiligen Vaters zu erfüllen, ja selbst in Deutschland<lb/>
hat sich damals in der Septennatsfrage ein selbständiges Urteil bei Priestern<lb/>
und Halbpriestern gezeigt. Der Grundsatz, daß der Papst allein die seel¬<lb/>
sorgerischen und kirchlichen Interessen dem Staate gegenüber zu wahren habe,<lb/>
fand nicht völlige Beachtung, es kam sogar zu Beschimpfungen des höchsten<lb/>
Kirchenfürsten.  So stark wirkte die politische Vergangenheit und das Ehr-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0260] Das Dunkel der Zukunft Jetzt bezweifelt niemand, daß während dieser widerwärtigen Verhandlung der Priester die Erde nicht stille stand, sondern in reißender Schnelligkeit dahin¬ flog. Was die Sache angeht, so ist ja nichts besondres dabei. Auch Luther hielt die Kopernikanische Lehre seinerzeit für närrisch. Da die Hierarchie selbst in einer vor fünfzig Jahren neu gedruckten Liste verbotener Bücher die Schriften Galileis weggelassen hat, die Erde sich also bewegen darf, so ist die Sache nnr ein hübsches Andenken an die „Frechheit," mit der einst verhältnismäßig verständige Menschen die freie Geistesarbeit stören durften. Nur diese Seite bietet noch Interesse. Es ist ganz richtig, daß auf dem wirklich theologischen Gebiete die Hierarchie bei weitem öfter richtige als unrichtige Entscheidungen ge¬ troffen hat. Auch in andern Fragen, so z. V. ob es Antipoden gebe oder nicht, hat die Spitze der Hierarchie zuweilen die untergeordneten Bischöfe zweckmäßig belehrt. Daß die Hierarcheu unsrer Tage für ihre eigne Stellung der höhern Bildung nicht zu entbehren wünschen, ist selbstverständlich; sowohl die Überlieferung macht es notwendig, als die Aufgabe, in einer Zeit des Kampfes und der modernen Kultur die Achtung der Welt und damit die Ein¬ wirkung auf die Welt nicht zu verlieren. Und daß die katholische Bevölkerung wenigstens in Preußen lange nicht so nach höherer Bildung strebt, wie die protestantische und die jüdische, ist doch auch nicht aus der Macht der Hier¬ archie zu erklären, sondern ans allerlei mitwirkenden Ursachen, auch aus der Kostspieligkeit der höhern Schulbildung. Aber der Grundsatz, die freie Forschung, die freie Presse, die nur durch die Geschichte der Forschung geleitete Philosophie, die Gewissensfreiheit und jede nicht von der Hierarchie geleitete Freiheit zu verwerfen, ist dem System eingeboren. Es ist daher eine berechtigte Frage an die Zukunft, ob in der Macht dieser grundsätzlichen Ver¬ kümmerung der Kultur eine Veränderung zum Guten oder zum Schlimmen zu vermuten ist. Eine grundsätzliche Veränderung zum Schlimmen ist nicht wahrscheinlich, die einheitliche Zusammenfassung hierarchischer Macht ist seit der Unfehlbarkeit des Papstes vollendet, eine Steigerung ist nicht gut denkbar, nur eine ins einzelne gehende Durchführung, für die der Papst in Rund¬ schreiben, z. B in dem über die menschliche Freiheit (20. Juni 1888), die Richtlinien zu ziehen pflegt. Es fragt sich allerdings, ob er schon in den Gliedern des Klerus in allen Fällen das gehorsame Organ findet, das er voraussetzen muß. Darin ist er nicht ganz glücklich gewesen, zuweilen hat ein patriotischer Anflug französische, irische, italienische Priester gehindert, ganz unbedingt den Willen des heiligen Vaters zu erfüllen, ja selbst in Deutschland hat sich damals in der Septennatsfrage ein selbständiges Urteil bei Priestern und Halbpriestern gezeigt. Der Grundsatz, daß der Papst allein die seel¬ sorgerischen und kirchlichen Interessen dem Staate gegenüber zu wahren habe, fand nicht völlige Beachtung, es kam sogar zu Beschimpfungen des höchsten Kirchenfürsten. So stark wirkte die politische Vergangenheit und das Ehr-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/260
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/260>, abgerufen am 23.07.2024.